Gerechte Differenzierung?

Zur Kritik der geplanten Tarifstrukturreform im Einzelhandel

in (15.02.2012)

Nur mühsam ist es in den vergangenen Tarifrunden gelungen, die Arbeitgeber im Einzelhandel überhaupt noch zu Tarifabschlüssen zu bewegen. Mit »innovativer Tarifpolitik« im Rahmen einer »Entgeltstrukturreform« erhofft sich die Bundesfachbereichsleitung in ver.di nun, Tarifabkommen für die Arbeitgeberverbände wieder attraktiv zu machen und veränderten Anforderungen in der Arbeitswelt des Einzelhandels wieder Rechnung tragen zu können. »Entgeltdifferenzierung« lautet das Zauberwort. Damit sind zentrale Fragen der gerechten Bewertung und des »Werts« von Arbeit, z.B. durch die Umstellung von qualifikationsbezogenen auf anforderungsbezogene Eingruppierungen, verbunden. Solche Projekte sind in der Chemieindustrie in den 80er- und 90er-Jahren (vgl. express, Nr. 2/1995), im Entgeltrahmenabkommen (ERA) der IGM von 2003 oder im TVÖD von 2005 bereits erprobt worden, Erfahrungen mit der Angleichung von Arbeiter- und Angestelltentarifen, mit analytischen (anforderungsbezogenen) Arbeitsbewertungsverfahren und leistungsbezogenen Entgeltdifferenzierungen unter den Bedingungen von »Kostenneutralität« liegen vor; auf sie könnte im Fachbereich Handel zurückgegriffen werden, bevor das Projekt Ende 2012 verabschiedet werden soll. Den Einstieg in die Debatte machen wir mit einem Beitrag von Anton Kobel, der auf S. 3 unten die Hintergründe des Projekts »innovative Tarifpolitik« erläutert, und einem Thesenpapier von Hauptamtlichen aus Baden-Württemberg, die sich intensiv mit den Vorschlägen befasst haben. Wir dokumentieren und hoffen auf lebhafte Diskussion:

 

In unseren baden-württembergischen Gremien der Fachgruppe Einzelhandel haben wir die vorgelegten Projektergebnisse zur geplanten Entgeltstrukturreform (»Innovative Tarifpolitik«) gründlich und ausführlich diskutiert. Dabei ist festzustellen, dass das vorgelegte Konzept nahezu einhellig abgelehnt und als Grundlage für Verhandlungen über eine Reform unseres Tarifvertrages für ungeeignet gehalten wird. Wir halten es aus inhaltlichen und organisationspolitischen Gründen für einen falschen Weg. Da in den nächsten Wochen grundlegende tarifpolitische Entscheidungen getroffen werden sollen, wollen wir mit diesem Diskussionspapier der Aufforderung durch den Leitantrag der Bundesfachgruppenkonferenz A 001 nachkommen, dass zunächst ein breiter und umfassender Diskussionsprozess an der gewerkschaftlichen Basis zu führen ist.

Mit diesem Papier stellen wir unsere wesentlichen Kritikpunkte zur Diskussion.

 

Grundsätzliche Kritik

 

1. Tarifverträge spiegeln in der Regel das Kräfteverhältnis zwischen den Arbeitgeberverbänden und den Gewerkschaften wider. Gewerkschaftliche Tarifpolitik muss immer im Auge haben, dass sie die eigenen Kräfte stärkt und die Fähigkeit zum Arbeitskampf oder auch die organisationspolitischen Voraussetzungen verbessert.

Die Landesbezirksfachgruppenkonferenzen Baden-Württemberg und Hessen haben 2010 – ebenso wie die Bundesfachgruppenkonferenz 2011 – beschlossen: »Gewerkschaftliches Ziel einer Tarifreform kann nur die Verbesserung der Einkommenssituation unserer Mitglieder und Aktiven sein. Neue Eingruppierungsmerkmale oder Anforderungsprofile müssen nicht nur praxisnäher sein, sondern vor allem die Einkommensstruktur (...) nachhaltig verbessern«.

 

Wenn jedoch Entgeltstrukturen die Bezahlung großer Teile der eigenen Mitgliederbasis mit hoher Wahrscheinlichkeit verschlechtern (dazu werden wir noch konkrete Ausführungen machen), führen sie nahezu zwangsläufig zu einer Verschiebung des Kräfteverhältnisses zu Gunsten der Gegenseite.

Nichtssagende Leerformeln wie »zukunftsorientiert, modern, attraktiv« sind problematisch und grundsätzlich eher ungeeignet für eine Tarifpolitik, die sich an den Interessen der eigenen Mitglieder orientiert. Hier können wir aus den Erfahrungen mit dem TVÖD im gewerkschaftlich weitaus besser aufgestellten Öffentlichen Dienst lernen. Bis heute genießt dieser bei den Beschäftigten einen denkbar schlechten Ruf, wird eher mit Absenkung als mit Verbesserung in Verbindung gebracht und dürfte ver.di nicht gerade wenig Mitglieder gekostet haben.

 

2. Die im Projekt als Prämisse vereinbarte Kostenneutralität führt zwangsläufig dazu, dass es VerliererInnen geben wird. Verbesserungen an der einen Stelle müssen nahezu zwangsläufig mit Verschlechterungen an anderer Stelle bezahlt werden. Die Prämisse der Kostenneutralität darf von uns auf keinen Fall akzeptiert werden, weil wir sonst akzeptieren, dass jeder Fortschritt für eine Gruppe mit Rückschritten für andere Grup-pen erkauft werden muss.

 

3. Das Interesse der Arbeitgeber besteht in einer größeren Differenzierung nach oben und vor allen Dingen nach unten. Dabei wissen wir, dass die Arbeitgeber die Entgeltgruppe II aushöhlen wollen. Welches Interesse an einer größeren Differenzierung wir als Gewerkschaft haben, ist uns völlig unklar. Alle Beschäftigten, deren Bewertung nach unten differenziert wird, werden kaum aus Dankbarkeit in ver.di eintreten. Das Gegenteil wird der Fall sein. Das bestehende egalitäre Eingruppierungssystem befördert eher kollektives Handeln, zumindest steht es ihm nicht im Wege. Bei einer weiteren Ausdifferenzierung wird die Frage der Bezahlung zweifellos stärker individualisiert. Warum sollen wir das wollen?

 

4. Zu den zwischen Arbeitgebern und ver.di vereinbarten Grundanforderungen an das gemeinsame Projekt »Neue Entgeltstrukturen« gehört, ein strikt anforderungsbezogenes Eingruppierungssystem zu entwickeln. Anforderungsbezogenheit der Eingruppierung ist jedoch keineswegs ein Garant für ein gerechteres oder objektiveres Eingruppierungssystem. Für die Beschäftigten bedeutet sie vielmehr, dass die individuellen, also personenbezogenen Qualifikationen nicht mehr weitgehend unabhängig von der konkret ausgeübten Tätigkeit bestimmte Mindesteingruppierungen garantieren. Vielmehr richtet sich die tarifliche Entlohnung ausschließlich nach den am Arbeitsplatz abgeforderten Anforderungen. Daraus ergibt sich für die Beschäftigten zwangsläufig die bedrohliche Situation, dass sich ihre Eingruppierung und damit ihre Einkommen durch jede unternehmerische Entscheidung bezüglich der Arbeitsorganisation verändern können.

Während das bisherige Eingruppierungssystem weitgehend garantiert, dass eine Vergütung nach der Endstufe der Gelernten-Gruppe wenigstens dauerhaft nicht unterschritten werden kann, ermöglicht das strikt anforderungsbezogene System den Arbeitgebern gezielte Senkungen der Lohnkosten bei entsprechender (Um-) Gestaltung der Betriebsabläufe, ja, es schafft sogar geradezu Anreize zur Entreicherung der Qualifikationsanforderungen, etwa durch Funktionstrennung u.ä. Im strikt anforderungsbezogenen Eingruppierungssystem wird deshalb die vage Aussicht darauf, dass eine Berücksichtigung höherwertiger, jedoch nicht überwiegend ausgeübter Teiltätigkeiten zu einer »gerechteren« Entlohnung führen könnte, mit Unsicherheit bezahlt, weil jede Betriebsänderung auch zur Abgruppierung führen kann.

 

5. Wir haben im Einzelhandel überwiegend kleine oder mittlere Einheiten. Freigestellte Betriebsräte gibt es kaum oder sind in Filialbetrieben mit der Betreuung einer großen Anzahl von Filialen und Beschäftigten betraut. Tendenziell sind unsere Betriebsräte heute schon überlastet und vielfach auch überfordert. Der Betreuungsaufwand für die politischen SekretärInnen ist extrem hoch und bei anhaltender Ressourcenknappheit nicht wirklich bewältigbar. Ein neues, dazu noch wesentlich komplexeres Entgeltsystem würde nicht nur die Betriebsräte, sondern die gesamte Organisation jahrelang beschäftigen. Der Beratungs- und Schulungsaufwand wäre enorm, der Gewinn dafür ist nicht ersichtlich. Warum ver.di sich bei nach wie vor sinkenden Mitgliederzahlen – und das noch während einer Lohn- und Gehaltsrunde – ein solches Projekt aufbürdet und noch weiteren Mitgliederrückgang provoziert, ist für uns nicht erklärbar. Dazu kommt noch, dass wir in nicht unerheblichen Teilen des Einzelhandels keine Betriebsräte haben. Der Aufwand, individuelle Eingruppierungsinteressen zu vertreten und durchzusetzen, wird jahrelang enorm sein. Wo sollen die Ressourcen dafür herkommen? Außerdem sehen wir kaum, wie bei dem neuen System eine für Eingruppierungsprozesse dringend notwendige Handhabbarkeit durch die Gerichte hergestellt werden kann.

 

6. Bisher sind nirgendwo paritätische Eingruppierungskommissionen vorgesehen, noch nicht einmal gefordert. Das ist jedoch bei analytischen Eingruppierungssystemen nahezu zwingend notwendig, wenn die Beschäftigten und ihre Betriebsräte nicht in noch größere strukturelle Nachteile kommen sollen. So bestimmt erst einmal der Arbeitgeber die Eingruppierung. Er bestimmt völlig alleine die Tätigkeit, so dass er ohnehin die Eingruppierung damit schon steuern kann. Bei den in den »Denkankern« [so die Bezeichnung für die in dem Papier aufgeführten Orientierungs- und Bewertungshilfen; Anm. d. Red.] formulierten Abgrenzungen, wie z.B. »Verkauf ohne Beratung« oder »Verkauf mit erweitertem Aufgabengebiet«, gibt es zahlreiche Grau- und Grenzzonen sowie Interpretationsspielräume, die die Eingruppierung zu einer dauerhaften Zerreißprobe machen können, mit denkbar schlechten Bedingungen für die Betriebsräte oder auch für uns. Bisher haben wir ein Eingruppierungssystem, bei dem die Eingruppierung weitgehend klar und durchgeklagt ist. Bei nicht tarifgerechter Eingruppierung sind Geltendmachungen häufig erfolgreich und sogar Teil einer nachweislich erfolgreichen Organisierungsstrategie.

 

7. Die Hoffnung, dass wir mit einem neuen Entgeltsystem den Flächentarifvertrag retten oder gar eine größere Tarifbindung herstellen, ist auf Sand gebaut. Letztendlich geht man davon aus, dass das neue Tarifsystem für die Arbeitgeber attraktiver sein wird als das alte. Das wird es aber nur sein, wenn es unterm Strich billiger wird und größere Differenzierungen zulässt, damit jedoch die gewerkschaftliche Bindungskraft zugleich erodiert. Nicht tarifgebundene Arbeitgeber fahren so oder so billiger. Warum sollen sie sich der Tarifbindung unterwerfen, wenn sie ohne billiger davon kommen und darüber hinaus von ver.di in Ruhe gelassen werden? Auch besteht beim neuen System die Gefahr größerer Wettbewerbsverzerrung. Personalintensivere Betriebsformen mit höherem Beratungsaufwand haben absehbar höhere Kosten als ihre Konkurrenten, die auf Discountkonzepte setzen.

 

Tarifbindung stellt man dadurch her, dass die nicht tarifgebundenen Arbeitgeber von uns unter Druck gesetzt werden. Hier gibt es positive Beispiele, wie Zara, Ikea oder aktuell Esprit. Es wäre deutlich Erfolg versprechender, hierzu gemeinsame Strategien zu entwickeln und abzusprechen, welche Konzerne wir durch welche Maßnahmen in die Tarifbindung bringen wollen.

 

Konkrete Kritikpunkte am Papier »Denkanker«

 

a. Die Anforderungskategorien sind zum Teil unbestimmt. Das betrifft im Besonderen die Kategorien »Soziale Kompetenz« und »Denk- und Organisationsanforderungen«. Es ist doch völlig klar, dass Begriffe wie Kommunikation, Kooperation und Konfliktbewältigung permanent interpretierbar sind und einen erheblichen Willkürfaktor zulassen. Ebenso verhält es sich mit Begriffen wie »Abwägen zwischen bekannten Handlungsmöglichkeiten«, »Anpassung und Weiterentwicklung bekannter Handlungsmöglichkeiten« oder »Konzeptionell-strategisches Handeln innerhalb eines begrenzten Aufgabengebietes«. Selbst die Anforderungskriterien zu körperlichen Anforderungen lassen Spielraum für Auslegungen. Grundsätzlich gehen unbestimmte Begriffe und Kategorien zu Lasten der Beschäftigten, weil sie nicht die Hoheit über die Definition besitzen und erhebliche Schwierigkeiten bekommen, ihre Eingruppierung zu begründen und durchzusetzen. Dabei ist zu beachten, dass die »Denkanker« lediglich Orientierungsbeispiele enthalten und klare Richtbeispiele fehlen. Hinzu kommt, dass überbetriebliche Konfliktmechanismen fehlen.

 

b. Wir haben jetzt einen Tarifvertrag, der für den größten Teil der Beschäftigten maximal fünf Tarifgruppen zulässt. Davon ist wiederum der größte Teil in die Gruppen II und III eingruppiert. Der neue Tarifvertrag würde mit 27 »Denkankern« und bei den Kategorien wiederum 31 verschiedenen Stufungen zu einer Vielzahl von Differenzierungen führen. Das System wird nicht nur erheblich komplexer, sondern auch differenzierter. Die Differenzierung kann nach oben und nach unten ausgedehnt werden. Die Gefahren einer Differenzierung nach unten sind erheblich, vor allem, wenn es mehr »Entgeltgruppen« gibt als heute. Die Frage stellt sich an dieser Stelle erneut: Welches Interesse hat ver.di an einer Ausdifferenzierung des Tarifvertrages nach oben und nach unten?

 

c. Dabei haben wir durch die Bildung von Oberbegriffen mit den entsprechenden Abstufungen gar kein analytisches System, sondern eine Verbindung von summarisch und analytisch, was aber nicht zur Klarheit der Eingruppierung beiträgt.

 

d. Nach dem in den »Denkankern« abgebildeten Punktesystem würden wesentliche Gruppen unserer Mitgliedschaft abgruppiert. Die größte Sprengkraft liegt bei der Abgrenzung von »Verkauf ohne Beratung« und »Verkauf mit erweitertem Aufgabenbereich«. Fast alle Beschäftigten im Textileinzelhandel, z.B. bei H&M, würden mit großer Sicherheit dort landen, ebenso im Lebensmitteleinzelhandel. Die Beschäftigten an den Kassen, die heute in der Gruppe III eingruppiert sind, würden unter das Niveau einer bisherigen Verkäuferin fallen. Nach unserer Einschätzung würden die Arbeitgeber die Kassiererinnen in »Verkaufsfläche/Kasse ohne Beratung« eingruppieren. Selbst an den Theken hätten wir die permanente Auseinandersetzung über den Charakter der Tätigkeit und inwieweit dort tatsächlich beraten wird. Um das an ein paar Beispielen zu verdeutlichen: Verkauf ohne Beratung ist von der Wertigkeit genauso hoch angesetzt wie die jetzigen Kassiererinnen an Verbrauchermarktkassen. Sie sind heute in der Gruppe III (TV Baden-Württemberg). Künftig wären sie wesentlich unter den Verkäuferinnen an den Theken im SB-Warenhausbereich und dem Verkauf Textil aus dem klassischen Warenhauskonzern. Zu befürchten ist, dass zum Beispiel die Kassiererin im Verbrauchermarktbereich, die ja bestenfalls mit 15 Punkten gewertet werden kann, mit der Unsicherheit leben muss, ob sie nicht als Beschäftigte an der Servicekasse mit 12 Punkten gewertet und damit einer Auffüllerin, die jetzt in der Gehalts- oder Lohnstufe 1 ist, gleichgestellt wird. Auch wenn das neue Eingruppierungssystem noch nicht mit Beträgen hinterlegt ist, kann das richtig ins Geld gehen. Konkret beträgt der Unterschied zwischen der jetzigen Gruppe I Endstufe und der Gruppe III Endstufe für die Kassiererin im Verbrauchermarkt 753 Euro monatlich für eine Vollzeitkraft. Ausgehend von der besser bezahlten Verkäuferin im Textilbereich, wenn man hier die bisherige Eckgruppe, Gruppe II Endstufe, zugrunde legt, beträgt auch hier der Verlust 241 Euro für eine Vollzeitkraft monatlich (natürlich wird hier vom heutigen Eingruppierungsmodell ausgegangen, so dass dieses Beispiel etwas hinkt). Das wäre ein heller Wahnsinn, ein organisationspolitisches Desaster wäre geradezu vorprogrammiert.

 

e. Berufliche Ausbildung würde beim neuen Tarifvertrag keine Rolle mehr spielen. Das hört sich zwar auf den ersten Blick gut an, würde aber die Bedeutung der Ausbildung im Einzelhandel eher entwerten. Das ist eine Abkehr von unserer Argumentation, dass sich Ausbildung für die Beschäftigten lohnen muss. Die bisherige Regelung, dass ungelernte Kräfte im Einzelhandel bei dreijähriger kaufmännischer Tätigkeit nach dem 18. Lebensjahr auch die Voraussetzungen erfüllen für die Eingruppierung in der gelernten Gruppe, würde wegfallen und dieser wichtige Aufstieg wäre praktisch nicht mehr vorhanden.

 

 

Fazit

 

Das neue Eingruppierungssystem bringt deutlich mehr Nachteile als Vorteile mit sich. Warum wir uns an einem Prozess beteiligen, der für die Mehrheit unserer Mitglieder Verschlechterungen mit sich bringen wird, ist bisher nicht beantwortet. Die organisationspolitischen Risiken sind enorm. Unseres Erachtens ist die Streikfähigkeit in hohem Maße bedroht. Die Bindung unserer eh schon knappen Ressourcen ist enorm und wird dazu führen, dass die Zeit für Mitgliedergewinnung, Vorbereitung von Tarifrunden, die Organisierung neuer Betriebe usw. gegen Null tendiert. Fast überall, wo unsere ehrenamtlichen Funktionäre mit allen Informationen ausgestattet sind und Raum für eine differenzierte und kritische Diskussion geschaffen wird, wird das neue Entgeltsystem abgelehnt.

Auch die im Beschluss der Bundesfachgruppenkonferenz festgelegten Anforderungen, dass es einen wirksamen Schutz gegen Abgruppierungen und materielle Verschlechterung geben muss und dass notwendige Besitzstands-Vereinbarungen dynamisierte Regelungen enthalten, bedeutet ja nicht, dass dies für alle neu eingestellten Mitarbeiter im Einzelhandel gilt. Es ist doch eher wahrscheinlich, dass die neuen Beschäftigten im Einzelhandel ausschließlich nach den neuen Kriterien bewertet und bezahlt werden, was zu einer Spaltung in den Belegschaften führen wird. Diese Spaltung ist uns sehr wohl bekannt im Zusammenhang mit Befristungen in vielen Bereichen des Einzelhandels. Dies führt heute schon zu Schwierigkeiten bei der Mobilisierung in Tarifrunden, wenn die Beschäftigten in den Streik treten wollen.

Aus all diesen Gründen kommen wir zu dem Ergebnis, dass das vorgelegte Konzept keine akzeptable Grundlage für eine Reform unseres Tarifvertrages sein kann.

 

 

erschienen im express, Zeitung für sozialistische Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit, 1/12

express im Netz unter: www.express-afp.info, www.labournet.de/express