EU prüft SmartStax zu lasch

Gentechnisch veränderter Mais löst neue Kontroverse aus

Ende Juni veröffentlichte die Nichtregierungsorganisation Testbiotech Unterlagen der Industrie, die den Mais „SmartStax" betreffen. Daraus geht nach Ansicht von Testbiotech hervor, dass die Risiken dieser gentechnisch veränderten Mai­s­linie von der Europäischen Lebensmittelbehörde EFSA nicht ausreichend geprüft wurden.

2008 beantragten die US-Konzerne Monsanto und Dow AgroSciences gemeinsam die Marktzulassung eines gentechnisch veränderten (gv) Mais, den sie in den USA und Kanada als „SmartStax" verkaufen. SmartStax produziert sechs verschiedene Insektengifte und wurde gegenüber zwei Unkrautvernichtungsmitteln tolerant gemacht. Der Mais wurde durch eine Kreuzung verschiedener gentechnisch veränderter Ausgangslinien, so genannter Events, erzeugt: Es handelt sich dabei um die Kombination der Events MON 89034, DAS1507, MON 88017 und DAS59122. Im September 2010 veröffentlichte die EFSA eine positive Einschätzung für die Verwendung von SmartStax in Futter- und Lebensmitteln.(1) Testbiotech hatte bereits diese Einschätzung deutlich kritisiert.(2) Auch die EU-Kommission hat Anfang 2011 weitere Prüfungen von der EFSA verlangt.

Neue Gifte

SmartStax produziert sechs verschiedene Insektengifte aus der Gruppe der Bt-Toxine, die nach dem bodenlebenden Bakterium Bacillus thuringiensis benannt werden. Die verschiedenen Stämme des Bakteriums können unterschiedliche Bt-Gifte bilden. Als solche werden sie zum Beispiel auch in der ökologischen Landwirtschaft oder in der Imkerei eingesetzt. Anders als bei diesen natürlich vorkommenden, von Bakterien hergestellten Toxinen sind die von SmartStax produzierten Gifte in ihrer Struktur verändert, eines der Bt-Toxine wurde sogar künstlich hergestellt (synthetisiert). Es handelt sich also um Gifte und um Giftkombinationen mit einer neuen Qualität. Ihre Risikobewertung kann deshalb nicht aus dem Vergleich mit natürlicherweise vorkommenden Giftstoffen abgeleitet werden. Aspekte, die bei der Beurteilung von SmartStax berücksichtigt werden müssen:

• Ursprünglich stammen die Bt-Toxine von mindestens vier verschiedenen Stämmen des Bakteriums Bacillus thuringiensis.

• Die DNA der Bt-Toxine, die in den Pflanzen produziert werden, ist gegenüber ihren Ausgangsvarianten verändert, auch die Struktur der Proteine unterscheidet sich.

• Die Bt-Toxine in den Pflanzen werden in einer aktivierten Form gebildet. Sie liegen in gelöster Form vor und nicht in ihrer ursprünglichen, inaktiven und kristallinen Form.

• Eines der Bt-Toxine (Cry1A.105) ist ein synthetisches Protein, das in der Natur nicht vorkommt und dessen DNA von verschiedenen Bt-Toxinen stammt.

Zudem enthält SmartStax zwei weitere Genkonstrukte. Diese machen die Pflanzen gegenüber zwei Unkrautvernichtungsmitteln tolerant: Glufosinat, bekannt unter dem Markennamen Liberty oder Basta, und Glyphosat, das unter anderem unter dem Markennamen Roundup vertrieben wird. Deren Rückstände und Abbauprodukte können entsprechend in den (Ernte-)Produkten beziehungsweise in den Pflanzen zu finden sein.

Insgesamt produziert SmartStax neun zusätzliche Proteine auf der Basis von Genkonstrukten, die von sieben verschiedenen Arten oder Unterarten oder spezifischen Bakterienstämmen stammen. Die jeweiligen Genkonstrukte werden außerdem durch sogenannte virale Promotoren aktiviert, so dass insgesamt noch mehr Organismen am Aufbau von SmartStax beteiligt sind.

Die Eigenschaften dieser Pflanzen stellen hohe Anforderungen an die Risikoprüfung:

• Die Giftwirkung der einzelnen Toxine muss genau geprüft werden; auch die Wechselwirkungen zwischen den Toxinen und anderen Faktoren, die deren Giftigkeit möglicherweise verstärken, bedürfen einer sorgfältigen Prüfung.

• Indirekte Auswirkungen auf die Gesundheit müssen untersucht werden: Dazu gehören beispielsweise Veränderungen der Darmflora bei Menschen und Tieren nach dem Verzehr von SmartStax-Pflanzen.

• Es gibt konkrete Hinweise darauf, dass die Bt-Toxine Auswirkungen auf das menschliche Immunsystem haben.

• Die Rückstände der beim Anbau angewendeten Unkrautvernichtungs­mittel stehen im Verdacht, gesundheitsgefährdend zu sein.

Trotz dieser Risiken wurden zum Beispiel keine detaillierten Untersuchungen durchgeführt, um gesundheitliche Auswirkungen auf Menschen oder Tiere zu erforschen. In den Fütterungsversuchen ging es nur um die Futterverwertung, nicht aber um gesundheitliche Risiken.

Zugespielte Dokumente offenbaren Lücken der Prüfung

Im Frühjahr dieses Jahres wurden Testbiotech Dokumente zu dem gv-Mais SmartStax zugespielt, die Aufschluss über von der Industrie in Auftrag gegebene oder selbst durchgeführte Untersuchungen geben. Diese Dokumente hat Testbiotech jetzt veröffentlicht.

Die Dokumente betreffen folgende Kernbereiche der Risikoabschätzung:

• Höhe des Giftgehaltes in den verschiedenen Teilen der Pflanze

• Wechselwirkungen zwischen den verschiedenen Toxinen

• Reaktionen der gentechnisch veränderten Pflanzen auf spezifische Umweltbedingungen

• Studien zur Futterverwertung

Die Untersuchungen wurden im Auftrag von Monsanto und Dow AgroSciences durchgeführt. Es waren keine unabhängigen Institutionen beteiligt. Die Ergebnisse wurden weder extern begutachtet noch in wissenschaftlichen Zeitschriften veröffentlicht.

Die Messergebnisse der Industrie zeigen, dass der Gehalt an Bt-Toxinen in den einzelnen SmartStax-Pflanzen stark variieren kann. In vielen Fällen übersteigt der gemessene höchste Wert den geringsten Messwert um das Zehnfache, auch Schwankungen um das Zwanzigfache und mehr wurden beobachtet. Dennoch gibt es keine Untersuchungen darüber, wie sehr der Toxin-Gehalt von verschiedenen Umweltbedingungen abhängt und welche Rolle einzelne Faktoren spielen. Möglicherweise führen bestimmte Umweltbedingungen zu noch wesentlich stärkeren Schwankungen. Es ist unklar, ob die Pflanzen unter Stressbedingungen überhaupt als genetisch stabil anzusehen sind. Verlässliche Verfahren, die eine unabhängige Kontrolle der Giftkonzentration in den Pflanzen erlauben, wurden nicht veröffentlicht. Außerdem fehlen Untersuchungen über Abbauraten der Giftstoffe in der Umwelt.

Die Wirkung der Toxine und mögliche Synergien wurden nur an Insektenlarven untersucht. Nicht geprüft wurde, inwieweit durch Wechselwirkungen der Toxine Risiken für Tiere und Menschen entstehen können, die Teile der Pflanzen über Futter- und Lebensmittel verzehren. Auch mögliche Synergien mit Rückständen der Pflanzenschutzmittel, pflanzlichen Inhaltsstoffen oder zusätzlichen Faktoren fanden keinen Eingang in die Untersuchungen. Unklar ist ebenfalls, inwieweit der Verzehr der Pflanzen zu Veränderungen in der Darmflora und dadurch zu Erkrankungen bei Mensch und Tier führen kann.

Untersuchungen zu den Wechselwirkungen der Pflanzen mit der Umwelt wurden auf relativ kleinen Flächen durchgeführt. Die Industrie untersuchte dabei nur, ob die SmartStax-Pflanzen ein erhöhtes Potential zur Ausbreitung zeigen und ob ihre ackerbaulichen Merkmale mit denen der Kontrollpflanzen verglichen werden können. Risiken in Bezug auf Lebens- und Futtermittel wurden ebenso wenig untersucht wie Veränderungen in der Genaktivität der Pflanzen oder ihr Stoffwechsel im Verlauf der Vegetationsperiode. Eine Bewertung der Risiken für Futter- und Lebensmittel kann aufgrund der vorgelegten Daten nicht vorgenommen werden. Wichtige agronomische Merkmale wie der Zeitpunkt der Blüte und die Fruchtbarkeit der Pollen wurden außer Acht gelassen. Signifikante auffällige Befunde, die auf Wechselwirkungen zwischen den Pflanzen und ihrer Umwelt hinweisen, wurden als irrelevant abgetan und nicht genauer untersucht. So zeigte sich zum Beispiel in einem der Versuche eine höhere Krankheitsanfälligkeit der Pflanzen. Zudem unterschieden sie sich in sechs der untersuchten Kriterien (unter anderem die Verbreitung der Pollen, Größe der Maiskolben, Höhe der Pflanzen und Feuchtigkeitsgehalt der Körner) signifikant von den Kontrollpflanzen. Dennoch wurde keiner dieser Unterschiede genauer untersucht.

Hinweise auf Manipulation

Die Dossiers der Industrie zeigen nicht nur gravierende Mängel beim Versuchsaufbau und der Datenauswertung, es gibt auch Hinweise auf eine Manipulation der Daten. In einem der Untersuchungsberichte, der die Wechselwirkungen mit der Umwelt betrifft, heißt es, durch eine zusätzliche Überwachung sei sichergestellt worden, „dass die Daten den Erwartungen entsprachen". Inwieweit die vorgelegten Daten tatsächlich verfälscht wurden, kann nicht beurteilt werden, da keine unabhängigen Institutionen an den Untersuchungen beteiligt waren.

EFSA mit der Industrie einer Meinung

Die EFSA stimmt der Einschätzung der Industrie zu und bewertet SmartStax im Hinblick auf dessen Futtermittelqualität als gleichwertig zu konventionellem Futtermais. Sie stellt außerdem fest, dass keine weiteren Fütterungsversuche zur Untersuchung gesundheitlicher Risiken notwendig seien.

Dies kritisieren Experten mehrerer Mitgliedsstaaten, die im Rahmen des Verfahrens an der Bewertung beteiligt sind. Sie weisen insbesondere auf folgende Mängel hin:

• fehlende Untersuchungen hinsichtlich gesundheitlicher Risiken

• fehlende unabhängige Kontrollen bei den durchgeführten Untersuchungen

• unzureichende statistische Auswertung der vorgelegten Daten

• fehlende Untersuchung hinsichtlich möglicher Auswirkungen auf das Immunsystem, obwohl bekannt ist,

dass Bt-Toxine Immunreaktionen auslösen können

Auch andere Untersuchungen, die im Rahmen des Antrags auf Marktzulassung vorgelegt wurden, reichen nach Einschätzung von Testbiotech nicht aus, um die Mängel in der Risikobewertung zu beheben. Durchgeführt wurden (1) eine vergleichende Analyse von Inhaltsstoffen, (2) die Beschreibung des Integrationsortes der zusätzlichen Gene im Erbgut der Pflanzen, (3) akute Toxizitätstests mit den einzelnen isolierten Eiweißstoffen sowie (4) eine vergleichende Analyse der allergenen Wirkung der Proteine. Aus diesen Untersuchungen können sich aber lediglich Hinweise auf Risiken ergeben, zur Prüfung der tatsächlichen Risiken sind sie aber nicht geeignet. Zudem sind auch diese Untersuchungen teilweise ungenügend: So wurde zum Beispiel für die vergleichende Analyse der Inhaltsstoffe eine Datenbank der Industrie herangezogen, die sogar nach Ansicht von Mitgliedern des EFSA Gentechnik-Panels keine ausreichende Zuverlässigkeit bietet.(3)

EFSA weist Kritik zurück - wissenschaftliche Argumente zählen nicht

Forderungen nach einer verbesserten Risikoabschätzung werden von der EFSA unter Verweise auf die Richtlinien, die sich die EFSA selbst gegeben hat, oder international geltende Mindeststandards (wie den Codex Alimentarius unter dem Dach der Vereinten Nationen) zurückgewiesen. Dabei treten die eigentlichen wissenschaftlichen Argumente und der tatsächliche Bedarf an zusätzlichen Daten oder nach genaueren Untersuchungen in den Hintergrund.

Sollte es unter diesen Umständen zu einer Marktzulassung kommen, empfiehlt sich eine Klage vor dem Europäischen Gerichtshof, um die Interessen von VerbraucherInnen, Landwirten und Lebensmittelherstellern und Handel an sicheren und ausreichend geprüften Produkten zu wahren. Dabei sollten auch die Vorgaben der EU im Hinblick auf das Monitoring gesundheitlicher Risiken nach einer Marktzulassung einbezogen werden.

SmartStax kein Einzelfall

Ähnliche Schritte sollten auch in Bezug auf andere gentechnisch veränderte Pflanzen erwogen werden, die von der EFSA nach den gleichen Standards geprüft wurden. So gibt es bereits verschiedene Marktzulassungen in der EU für Pflanzen mit Bt-Toxinen, die auch in SmartStax verwendet werden. Weitere klassifizierte die EFSA bereits als ungefährlich. Zuletzt genehmigte die EU-Kommission im Juni 2011 die Marktzulassung für den gentechnisch veränderten Mais „VT Triple Pro Corn" der Firma Monsanto, in dem die Events MON89034 und MON89017 miteinander kombiniert wurden. Diese haben auch Eingang in SmartStax gefunden.(4) Testbiotech und GeneWatch UK haben im Juli 2011 bei der Kommission einen Antrag für ein Verfahren nach der Verordnung 1367/2006 zur internen Überprüfung dieser Marktzulassung gestellt.

In der EU gibt es bisher weder eine ausreichende Bewertung der gesundheitlichen Risiken von einzelnen gentechnisch veränderten Pflanzen noch der Risiken, die sich durch deren Mischung in Futter- und Lebensmitteln oder durch die Kombination verschiedener gentechnischer Veränderungen in einzelnen Pflanzen (sogenannten Stacked Events) wie SmartStax ergeben. Ebenso fehlen klare Standards, nach denen zum Beispiel synergistische - sich gegenseitig verstärkende - Effekte oder Interaktionen mit der Umwelt untersucht werden. Bislang ist noch nicht einmal vorgeschrieben, dass die Firmen zuverlässige Testverfahren zur Messung des in den Pflanzen produzierten Toxin-Gehalts zur Verfügung stellen.

Forderungen

Vor diesem Hintergrund fordert Testbiotech:

• Einführung von Prüfanforderungen, die nicht wie bisher auf einer vergleichenden Risikobewertung beruhen, sondern spezifisch auf die Risiken gentechnischer Pflanzen ausgerichtet sind. Diese sollen stufenweise durchgeführt werden und auch ethische Fragen und sozioökönomische Kriterien miteinbeziehen.(5)

• Einführung ausreichender wissenschaftlicher Standards für wissenschaftliche Untersuchungen und deren Qualitätskontrolle. Diese Standards müssen laufend dem Stand der Forschung angepasst werden.

• Veröffentlichung aller Rohdaten und Ergebnisse von Untersuchungen.

• Festlegung von Messverfahren zur Überprüfung der Konzentration der zusätzlichen Proteine in den Pflanzen.

• Zurückweisung der vorliegenden Anträge auf Marktzulassung von SmartStax und ähnlichen Produkten wie VT Triple ProCorn, Überprüfung der bereits erteilten Marktzulassungen.

 

Christoph Then ist Geschäftsführer von Testbiotech - Institut für unabhängige Folgenabschätzung in der Biotechnologie e.V.

Quellen:

EFSA (2010a): Scientific Opinion on application (EFSA-GMO-CZ-2008-62) for the placing on the market of insect resistant and herbicide tolerant genetically modified maize MON 89034 x 1507 x MON 88017 x 59122 and all subcombinations of the individual events as present in its segregating progeny, for food and feed uses, import and processing under Regulation (EC), No 1829/2003 from Dow AgroSciences and Monsanto, EFSA Panel on Genetically Modified Organisms (GMO). Im Netz unter: www.efsa.europa.eu/en/efsajournal/pub/1781.htm.

EFSA (2010b): Application EFSA-GMO-CZ-2008-62 (MON89034 x 1507 x MON88017 x 59122 maize) Comments and opinions submitted by Member States during the three-month consultation period. Im Netz unter: http://registerofquestions.efsa.europa.eu/roqFrontend/questionsListLoader?panel=GMO.

Then C. & Bauer-Panskus A. (2011): „ ... wurde sichergestellt, dass die Daten den Erwartungen entsprachen... ". Industrie und Europäische Lebensmittelbehörde EFSA untergraben Risikoabschätzung beim gentechnisch veränderten Mais SmartStax. Im Netz unter: www.testbiotech.org/node/ 516.

Link zu den veröffentlichten Dokumenten: www.testbiotech.de/node/514.

Link zur Einwendung gegen VT Triple Pro Corn der Firma Monsanto: www.testbiotech.org/node/528.

Fußnoten:

(1)            EFSA, 2010a (siehe unter Quellen).

(2)            Pressemitteilung Testbiotech, 04.11.10, im Netz unter www.testbio tech.org/en/node/423.

(3)            Es handelt sich um die Datenbank von ILSI (www.cropcomposition. org/query/index.html). Die Daten sind nach Aussage von J.N.Perry vom EFSA GMO-Panel auf einer Veranstaltung der EFSA am 31.03.11 (www.efsa.europa.eu/en/events/event/gmo110331.htm) für die Risikobewertung nicht ausreichend.

(4)            Testbiotech und GeneWatch UK reichen Beschwerde gegen Zulassung des gentechnisch veränderten Mais „Genuity VT Triple PRO Corn" ein. Im Netz unter: www.testbiotech.org/node/458.

(5)            Siehe dazu auch: www.testbiotech.de/node/503.