Patente auf Saatgut

In den nächsten Wochen könnten rechtswirksame Verbote durchgesetzt werden. Das internationale Bündnis Keine Patente auf Saatgut blickt gespannt auf das Europäische Patentamt.

 

Am 20. Februar 2017 beschlossen die Regierungen der EU-Mitgliedstaaten, gegen Patente auf Pflanzen und Tiere aus konventioneller Zucht vorzugehen. Sie wollen demnach gemeinsam dafür sorgen, dass das Europäische Patentamt (EPA) die bestehenden Verbote schärfer auslegt und die Praxis der Patenterteilung ändert. Die Regierungen der EU-Mitgliedstaaten unterstützen damit entsprechende Positionen des Europäischen Parlamentes und der EU-Kommission: Das Parlament hatte bereits 2012 und 2015 gefordert, dass das EPA keine Patente mehr auf die konventionelle Züchtung von Pflanzen und Tieren erteilt. Im November 2016 hatte dann die EU-Kommission erklärt, dass nach ihrer Rechtsauslegung lediglich gentechnische Verfahren, nicht aber konventionelle Zucht patentierbar ist.

Das EPA hat in den letzten Jahren bereits rund 200 Patente erteilt, die die konventionelle Züchtung von Pflanzen betreffen. Insbesondere die Beschlüsse der Kommission und des Rates folgen auf jahrelange Proteste der Zivilgesellschaft gegen Patente auf Pflanzen und Tiere. Hunderte von Organisationen hatten dabei mehrere Millionen von Unterschriften gesammelt.

Die EU-Mitgliedsländer haben eine Mehrheit unter den 38 Vertragsstaaten des Patentamtes. Mit einer Zweidrittelmehrheit können sie in dessen Verwaltungsrat eine Änderung der Regeln für die Auslegung der Patente erreichen. Die betreffenden Verbote gibt es bereits: Artikel 53(b) des Europäischen Patentübereinkommens (EPÜ) verbietet Patente auf „Pflanzensorten und Tierarten“ sowie auf „im Wesentlichen biologische Verfahren zur Züchtung“ von Pflanzen und Tieren.

Die Institutionen der EU sind der Auffassung, dass insbesondere die Verbote bezüglich der „im Wesentlichen biologischen Verfahren“ verschärft werden sollen. Nicht nur die Verfahren, sondern auch die entsprechenden Pflanzen und Tiere sollen demnach in Zukunft dem Verbot der Patentierung unterliegen. Das Problem: Außerhalb des EPA hat die Kategorie „im Wesentlichen biologisch“ keine definierte Bedeutung. Was also genau soll da verboten werden?

2012 meinten die EU-Parlamentarier ein „Verbot von Patenten auf konventionelle Züchtung“. Dazu komplementär die EU-Kommission: Nur solche gentechnischen Verfahren seien patentierbar, bei denen beispielsweise etwas von außen in die Zellen eingeführt wird. Dagegen will das EPA nur die Verfahren von der Patentierung ausnehmen, die ausschließlich aus einer Kombination von Kreuzung und Selektion bestehen.

Kein Zweifel: Kreuzung und Selektion sind wichtige Verfahren der konventionellen Pflanzenzucht. Doch konventionelle Züchtung ist weit mehr. Längst nicht immer steht am Anfang der konventionellen Züchtung von Pflanzen und Tieren eine Kombination von Kreuzung und Selektion. Die Auswahl und Verwendung von genetischen Varianten, Zufallsmutationen und phänotypischen Eigenschaften werden in der Pflanzenzucht ebenso eingesetzt wie Verfahren zur Vermehrung von Pflanzen ohne zusätzliche Kreuzung. Entscheidend für die Frage der Patenterteilung sind aber diese ersten Schritte: Sind diese patentierbar, gilt das Patent auch, wenn nachfolgend Kreuzung und Selektion in Kombination erfolgt.

Eine Recherche des internationalen Bündnisses Keine Patente auf Saatgut zeigt die Folgen auf, die die Definition des EPA für die konventionelle Züchtung hat. Etwa 65 Prozent der Patente, die 2016 im Bereich konventioneller Züchtung erteilt wurden, beruhen auf Zufallsmutationen. Diese wären auch in Zukunft patentierbar, wenn es nach dem Vorschlag des EPA geht. Es hat sich auch gezeigt: Prüfer des EPA beraten die Firmen gezielt, wie Patentanträge formuliert werden müssen, damit diese auch in Zukunft erteilt werden können. Patente auf Bier der Firmen Carlsberg und Heineken (EP2384110 und EP2373154), die 2016 vom EPA erteilt wurden, zeigen wie diese Schlupflöcher genutzt werden. Ausgehend von zufälligen Mutationen werden alle Gerstenpflanzen beansprucht, die eine bestimmte Brauqualität haben. Zudem werden auch das Brauen und das Bier selbst als Erfindung beansprucht.

Dieses Beispiel macht Schule: Die Recherche von „Keine Patente auf Saatgut“ zeigt, dass 2016 rund 60 Patente, die bei der Weltpatentbehörde (WIPO) in Genf eingereicht wurden, konventionell gezüchtete Pflanzen betreffen. Weitere 50 Anmeldungen betreffen sowohl konventionelle Züchtung als auch Gentechnik. Die meisten dieser Patente werden auch ans EPA zur Prüfung weitergereicht.

Die Firmen melden zunehmend Patente auf genetische Varianten und zufällige Mutationen oder pflanzliche Merkmale an. Dabei ist in vielen dieser Patentanträge der eigentliche Züchtungsvorgang gar nicht im Detail definiert. Als „Erfindung“ werden ganz einfach Merkmale wie genetische Veranlagungen oder bestimme Eigenschaften der Pflanzen beansprucht. Die Reichweite derartiger Patente erstreckt sich dann auf alle Pflanzen mit diesen Merkmalen, unabhängig davon, wie sie hergestellt wurden.

Die genauere Analyse zeigt beispielsweise Patente auf Weizen, Mehl und daraus hergestellte Lebensmittel. Diese Patente wurden von der US-Firma Arcadia BioSciences angemeldet, die auch mit Konzernen wie Dow AgroSciences zusammenarbeitet. Die Firmen beanspruchen zufällige Mutationen und genetische Varianten im Erbgut von Weizen. Diese sollen helfen, die Haltbarkeit  von Weizenkörnern, Mehl und Brot zu verbessern. Arcadia beansprucht alle Weizenpflanzen mit derartigem Erbgut, sowie die daraus hergestellten Lebensmittel. Das Muster dieser Patentanträge entspricht weitgehend denen der Brauereikonzerne Carlsberg und Heineken auf Gerste.

Wer profitiert - und wer nicht?

Firmen, Patentanwälte und auch das EPA profitieren von der Erteilung der Patente. Gemeinsam sind die entsprechenden Interessengruppen - BusinessEurope und epi, die Lobbyorganisation der Patentanwälte - als ständige Beobachter in den entscheidenden Sitzungen des EPA zugelassen. Eine entsprechende Anfrage von Keine Patente auf Saatgut wurde nicht einmal beantwortet.

Die Verlierer der Entwicklung sind die traditionellen Züchter, die beim Rennen um kostenintensive Patente nicht mithalten können und deswegen aus dem Markt gedrängt oder aufgekauft werden. Vom zunehmenden Konzentrationsprozess in der Züchtung sind auch Landwirte, Verbraucher und Lebensmittelhersteller betroffen: Seed Giants wie Monsanto und Dupont entscheiden, was gezüchtet und angebaut wird, was als Lebensmittel auf den Markt kommt und was es kosten soll. Die Patente reichen vom Saatgut bis zur Ernte.

In einem Positionspapier, das an die Mitglieder des Ausschusses Patentrecht verschickt wurde, hat Keine Patente auf Saatgut deswegen drei Kernforderungen formuliert:

1. Das EPA muss klarstellen, dass alle Verfahren, die in der konventionellen Züchtung eingesetzt werden, von der Patentierung ausgenommen werden, darunter auch die Verwendung von zufälligen Mutationen und alle Einzelschritte wie die Auswahl oder die Vermehrung von Pflanzen und Tieren.

2. Das EPA muss klarstellen, dass alle „Produkte“, die in der konventionellen Züchtung verwendet oder mit deren Hilfe gewonnen werden, vom Verbot der Patentierung erfasst werden. Dazu gehören auch Teile von Pflanzen und Tieren und deren genetische Grundlagen.

3. Im Bereich der Züchtung von Pflanzen und Tieren darf kein „absoluter Stoffschutz“ gewährt werden, der es erlauben würde, die Reichweite von Patenten, die im Bereich Gentechnik erteilt werden, auf Pflanzen und Tiere mit ähnlichen Merkmalen auszuweiten.

 

Im Ergebnis fordern Mitglieder und Unterstützer des Bündnisses, dass die zukünftige Praxis des EPA für konventionelle Züchter eine vergleichbare Rechtssicherheit bietet, wie dies im Sortenschutzrecht im Rahmen des „Züchterprivilegs“ üblich ist: Solange ein Züchter keine gentechnischen Verfahren oder gentechnisch veränderte Pflanzen oder Tiere verwendet, muss er sich auch nicht um Patente kümmern.

Es wird erwartet, dass sich die 38 Vertragsstaaten des EPA, zu denen auch die Mitgliedsländer der EU gehören, im Juni 2017 in einer Sitzung des Verwaltungsrates des EPA in Den Haag treffen werden. Dabei könnten sie auch eine Entscheidung darüber treffen, wie die Verbote des Patentrechts in Zukunft ausgelegt werden. Wichtig ist dabei, wie sich die Bundesregierung verhalten wird. Bisher hat Bundesjustizminister Heiko Maas bei den entscheidenden Details eine eindeutige Festlegung vermissen lassen.