Ollanta Humala und Keiko Fujimori streiten sich um die Nachfolge Alan Garcías
Das Ergebnis der peruanischen Präsidentschaftswahlen vom 10. April ist kurios. Wäre darüber abgestimmt worden, wer auf keinen Fall in die Stichwahl kommen darf, hätten vermutlich die gleichen KandidatInnen vorne gelegen. Ollanta Humala und Keiko Fujimori sind beliebt und verhasst zugleich. Am 5. Juni können die PeruanerInnen daher je nach Gusto entweder zwischen „Krebs und Aids im Endstadium“ (Vargas Llosa) oder zwischen Hoffnung und Grauen entscheiden.
Die berüchtigten Ultras aus der Nordkurve des
Traditions-Fußballclubs Universitario Deporte reimen wunderschöne
Spottgesänge für ihre Gegner, doch mit Literaturkenntnissen glänzten sie
bislang nicht. Umso überraschter zeigte sich der Nobelpreisträger und
bekennende Universitario-Fan Mario Vargas Llosa, als er ausgerechnet bei
einem Stadionbesuch als „Stolz Perus“ gefeiert wurde. Umgekehrt ist der
Schriftsteller zurzeit eher weniger stolz auf seine Landsleute. Denn
deren Abstimmungsverhalten bei Wahlen treibt ihn fast zur Verzweiflung.
Es begann im Jahre 1990. Damals besaßen die PeruanerInnen die einmalige
Chance, ihn selbst, Vargas Llosa, den international angesehenen
Schriftsteller, zum Präsidenten zu küren. Stattdessen entschieden sie
sich für den völlig unbekannten Alberto Fujimori. Für einen Kandidaten,
der heute wegen schwerer Menschenrechtsverbrechen, Amtsanmaßung und
Korruption im Gefängnis sitzt. Im Jahr 2006 hielt sich Vargas Llosa nach
eigenem Bekunden die Nase zu, als er seine Stimme bei der Stichwahl für
das Präsidentenamt dem Kandidaten Alan García gab. García hatte das
Land nämlich schon von 1985 bis 1990 regiert und damals eine verheerende
Bilanz hinterlassen: Über 7.000 Prozent Inflation und einen schmutzigen
Krieg gegen die Maoisten vom Leuchtenden Pfad mit tausenden Toten pro
Jahr. Trotzdem war García für Vargas Llosa 2006 das kleinere Übel. Denn
die Alternative wäre der Linksnationalist Ollanta Humala gewesen, den
der Schriftsteller in den Fußstapfen von Hugo Chávez wähnte.
Die Stichwahl am 5. Juni 2011 bestreiten wie fünf Jahre zuvor genau jene
Kandidaten, die in Vargas Llosas Präferenz an letzter Stelle lagen.
Ollanta Humala ist wieder dabei und trifft nun auf Keiko Fujimori, die
Tochter des Ex-Präsidenten Alberto Fujimori. In seiner ersten Reaktion
sprach der Schriftsteller von einer Wahl zwischen Krebs und Aids im
Endstadium, doch dann rang er sich in der spanischen Zeitung El País
eine Wahlempfehlung ab: „Ohne Freude und mit vielen Befürchtungen werde
ich Ollanta Humala wählen. Und ich rufe alle demokratischen Peruaner
dazu auf, dasselbe zu tun!“ Er könne nicht, so argumentierte Vargas
Llosa weiter, die Tochter eines ehemals regierenden Mörders und Diebs
wählen, der dem peruanischen Staat sechs Milliarden US-Dollar stahl.
Ob 1990, 2006 oder heute. Wahlergebnisse sind in Peru schwer
vorauszusagen. Im gesamten letzten Jahr galt Luís Castañeda, bis Oktober
2010 amtierender Bürgermeister Limas, als haushoher Favorit für die
Präsidentschaftswahlen im April dieses Jahres. Doch gegen Ende seiner
Amtszeit – möglicherweise wegen seiner Verstrickung in
Korruptionsskandale – begann sein Stern zu sinken. Ab Januar 2011 führte
überraschend Ex-Präsident Alejandro Toledo die Umfragen an, kurz vor
dem Wahltermin brach auch er ein. Dafür legten mit Ollanta Humala und
Pedro Pablo Kuczynski zwei Kandidaten zu, die Anfang des Jahres noch im
einstelligen Bereich lagen. Nur Keiko Fujimori hielt während sämtlicher
Umfragen konstant einen Anteil um die 20 Prozent.
Am Ende trickste sich die gemäßigte Rechte selbst aus: Ihre drei
Hoffnungen – Kuczynski, Toledo und Castañeda – nahmen sich gegenseitig
die Stimmen ab. Jeder dieser drei Kandidaten hätte den Umfragen zufolge
sowohl eine Stichwahl gegen Ollanta Humala als auch gegen Keiko Fujimori
gewonnen. Nun bemühen sich die drei Verlierer, wenigstens eine
gemeinsame Fraktion im Kongress zu bilden. Auf eine Wahlempfehlung für
den 5. Juni wollen sie sich jedoch nicht festlegen, obwohl
beispielsweise Pedro Pablo Kuczynski keinen Hehl daraus macht, dass er
eine Präsidentin Keiko Fujimori vorzieht. Er steht damit nicht allein.
Um Keiko Fujimori hat sich eine unheilige Allianz gebildet, der ein
Kardinal und der Präsident angehören. Kardinal José Luís Cipriani, schon
immer fest an der Seite Alberto Fujimoris, predigt gegen Vargas Llosa
als ehemaligen Anhänger Fidel Castros und verdammt dessen
Wahlempfehlung. Präsident Alan García ergreift eindeutig Partei für
Keiko Fujimori, wo immer sich eine Gelegenheit dazu bietet. Ebenso offen
schlagen sich eine Reihe wichtiger Tageszeitungen vom Expreso bis zum
Comercio auf die Seite Fujimoris. Die Fernsehkanäle América TV und Canal
N setzten unlängst angesehene Nachrichtenredakteure vor die Tür, als
diese sich weigerten, der vorgegebenen Redaktionslinie in ihren
Sendungen zu folgen. Diese bestand darin, Keiko Fujimori zu unterstützen
und Ollanta Humala stärker aufs Korn zu nehmen. Das jedenfalls
erklärten die betroffenen Redakteure gegenüber der spanischen Zeitung El
Mundo.
Bisher hat diese Unterstützung nicht gefruchtet: Anfang Mai lag Keiko
Fujimori in Umfragen vier Prozentpunkte hinter Ollanta Humala. Doch der
Vorsprung Humalas schmilzt und ein großer Teil der WählerInnen hat sich
noch nicht entschieden. Fest steht auch: Humala ist der einzige
Kandidat, gegen den Keiko Fujimori eine echte Chance besitzt, weil sie
bei dieser Konstellation auf die Stimmen der gesamten Rechten hoffen
kann. Sie muss jedoch weitere Wählerschichten hinzugewinnen. Deswegen
präsentiert sich vor der Stichwahl eine neue Keiko Fujimori. Während sie
ihren Vater vor dem ersten Wahlgang noch zum besten peruanischen
Präsidenten aller Zeiten ausgerufen hatte, bittet sie nun plötzlich für
„einzelne Delikte und Exzesse“ während der Regierung ihres Vaters um
Verzeihung. Und kaum zu glauben: Dieselbe Kandidatin, die niemals zuvor
einen Zweifel daran ließ, dass sie ihren Vater als Präsidentin aus dem
Gefängnis befreien würde, deutet jetzt sogar in diesem Punkt einen
Sinneswandel an. Das glauben ihr allerdings nicht einmal die eigenen
WählerInnen.
Keiko Fujimori, die nach der Trennung ihrer Eltern als First Lady
jahrelang das Regime ihres Vaters repräsentierte, wird wissen, von
welchen „einzelnen Exzessen“ sie redet. Vielleicht vom grandiosen
Wahlbetrug im Jahr 2000. Vielleicht von den systematischen Erpressungen
und Bestechungen, mit denen Alberto Fujimori sich als Präsident die
Medien, die Justiz und das Parlament gefügig machte. Vielleicht aber
auch von der Ermordung der 16 Gäste einer Grillfeier im
Hauptstadtviertel Barrios Altos im November 1991, die Keikos Vater als
Auftraggeber einer Todesschwadron veranlasste. Womöglich hatte Keiko
auch ein paar Delikte im Kopf, aufgrund derer Alberto Fujimori laut
Transparency International den siebten Platz in der Rangliste der
korruptesten Staatspräsidenten aller Zeiten belegt.
Die WählerInnen haben entschieden, aber der Einzug Keiko Fujimoris in
die Stichwahl bleibt peinlich für das Land. Ebenso wie das Ergebnis der
Parlamentswahlen: Keiko Fujimoris Liste Fuerza 2011 zieht als
zweitstärkste Fraktion in den Kongress ein. Und die mit Abstand meisten
Stimmen aller Abgeordneten erhielt der Diktatorensprössling Kenji
Fujimori, Keikos Bruder, der sich in diversen Videos im Internet als
unreifer Flegel präsentiert. Gewählt wurden ferner zahlreiche ehemalige
(kriminelle) Mitstreiter und Helfershelfer Alberto Fujimoris wie Martha
Chávez, Luz Salgado oder Martha Hildebrandt, die sämtliche Verbrechen
ihres Herrn und Meisters seit 20 Jahren gegen alle Angriffe verteidigen.
Als Kandidaten für die Vizepräsidentschaft erkor sich Keiko den
Opus-Dei-Mann Rafael Rey Rey aus, einen der übelsten Scharfmacher gegen
die Arbeit der peruanischen Wahrheitskommission, die sich um die
Aufklärung der Verbrechen im Krieg der Armee gegen den Leuchtenden Pfad
bemühte. Der Kandidat für die zweite Vizepräsidentschaft heißt Jaime
Yoshiyama und ist ein früherer Ministerpräsident Alberto Fujimoris.
Yoshiyama war in diverse Korruptionsskandale des Regimes verstrickt und
wurde wegen der Teilnahme am so genannten „Selbstputsch“ Fujimoris im
Jahr 1992, der Massenverhaftungen und die Auflösung des Kongresses zur
Folge hatte, rechtskräftig zu vier Jahren Gefängnis auf Bewährung
verurteilt.
Wer die Fäden am Kabinettstisch einer gewählten und völlig unerfahrenen
Präsidentin Fujimori ziehen würde, ist damit klar: Vater Alberto –
sofern seine Gesundheit es zulässt - und seine ehemaligen Gefolgsleute.
Jene 23 Prozent der WählerInnen, die am 10. April ihr Kreuz neben dem
großen „K“ platzierten, das für „Keiko“ steht, stimmten im Grunde für
Alberto Fujimori. Der Name Fujimori steht – zu Recht oder zu Unrecht –
immer noch für das Ende des Bürgerkriegs mit dem Leuchtenden Pfad und
das Ende von Wirtschaftschaos und Inflation unter der ersten Regierung
García.
Sicherlich bietet auch Ollanta Humala Angriffsflächen. Es ist nicht ganz
geklärt, ob der ehemalige Oberst der peruanischen Armee während des
Bürgerkriegs in Verbrechen gegen die Zivilbevölkerung verstrickt war.
Dubios ist auch die frühere Mitgliedschaft Humalas in einer politischen
Bewegung, die sozialistisches Gedankengut mit rassistischen und
nationalistischen Ideen vermischte und extrem schwulenfeindlich auftrat.
Doch Ollanta Humala hat sich inzwischen deutlich davon distanziert. Zu
den Abgeordneten seines aktuellen Wahlbündnisses zählen renommierte
Parlamentarier wie der Sozialist Javier Díez Canseco oder der Soziologe
Nicolás Lynch, der bereits unter Toledo Bildungsminister war.
Präsident Alan García sorgte sich fünf Jahre lang fast nur um
Investitionen und Wirtschaftswachstum. Nun ist es an der Zeit, dass
dieses Wachstum – durchschnittlich 7,5 Prozent pro Jahr während Garcías
Amtsperiode – in den unteren Bevölkerungsschichten ankommt. Dafür hat
sich Ollanta Humala mehr als alle anderen KandidatInnen im Wahlkampf
eingesetzt. Vargas Llosa konnte er mit der Aussage beruhigen, er wolle
dem Weg Lulas und nicht dem von Hugo Chávez folgen.
Ollanta Humala steht für die Hoffnung von Millionen PeruanerInnen auf
eine Zukunft ohne Armut. Die Wahl am 5. Juni ist für diese Menschen eher
eine Wahl zwischen Krebs und Hoffnung denn zwischen Krebs und Aids.
Mario Vargas Llosa, dem großer Respekt für seinen Wahlaufruf gebührt,
argumentiert da anders: Wer Ollanta Humala wählt, verhindert, dass die
Gefängnistore geöffnet und Dutzende Betrüger und Mörder der
Fujimori-Diktatur herausgelassen werden, um Peru erneut zu regieren.
Text: // Rolf Schröder
Ausgabe: Nummer 443 - Mai 2011
Ergebnisse der Präsidentschaftswahlen vom 10. April 2011:
Ollanta Humala 31,7 Prozent // Keiko Fujimori 23,6 Prozent // Pedro
Pablo Kuczynski 18,5 Prozent // Alejandro Toledo 15,6 Prozent // Luís
Castañeda 9,8 Prozent // Alle anderen KandidatInnen erhielten zusammen
weniger als ein Prozent.
Sitzverteilung im Kongress:
Gana Perú (Bündnis von Ollanta Humala) 24,7 Prozent // Fuerza 2011
(Liste Keiko Fujimoris) 23,0 Prozent // Perú Posible (Liste Alejandro
Toledos) 14,9 Prozent // Alianza para el Gran Cambio (Liste Pedro Pablo
Kuczynskis) 14,8 Prozent // Solidaridad Nacional (Liste Luís Castañedas)
10,3 Prozent // Apra (Partei des Präsidenten Alan García) 6,3 Prozent
// Alle anderen Parteien scheiterten an der Fünfprozentklausel.
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