»Juden – die ganze Wahrheit« lautet der Titel eines im Jahre 2006 veröffentlichten Buches des Antisemitismus-Theoretikers Kostas Plevris. Mit diesem Aufmacher traf der Verfasser scheinbar den richtigen Nerv – seine »geschichtliche Forschung« wurde nach einem langen gerichtlichen Streit, wegen diverser antisemitischer Textpassagen, vom Plenum des Obersten Gerichtshofs (Areopag) in Griechenland bestätigt. Dies rief einen enormen Schock in der Öffentlichkeit hervor. Eine Besonderheit in einem Land, das nicht gerade sein Bestes tut, die jüdische Vergangenheit zu erforschen. In Thessaloniki, der zweitgrößten griechischen Stadt, bestand Anfang des letzten Jahrhunderts ein gutes Viertel der Bevölkerung aus sepharditen Juden; von diesen 62.000 wurden 60.000 in KZs deportiert. Heute erinnert daran lediglich eine schlichte Gedenktafel an einem Parkplatz.
Ein Autor mit Vergangenheit
Kostas
Plevris ist kein Unbekannter im neonazistischen Milieu Griechenlands.
Mit über 40 Büchern galt er bisher als der bei weitem wichtigste
Theoretiker über Nationalismus, Antisemitismus und Faschismus in
Griechenland; durch das neueste Urteil gewann er auch in international
faschistischen Kreisen an Ruhm.
Schon 1960 gründete der Anwalt
Plevris die Gruppierung »4. August«, die sich zur Keimzelle fast aller
späteren rechtsradikalen Gruppierungen entwickelte. Die Bezugnahme auf
das Datum der Machtübernahme des griechischen Diktators Ioannis Metaxas
im Jahre 1936 sollte die Weltanschauung des Gründers klar machen.
Während der Militärjunta unterrichtete Plevris Propaganda und Soziologie
in der Militärschule und war anschließend als Agent des griechischen
Geheimdienstes in Westeuropa tätig, um Gruppen, die gegen die Diktatur
agierten, zu observieren. Nach der Rückkehr der Demokratie nahm er zwar
mit verschiedenen Parteien an Wahlen teil, erreichte aber nie mehr als 1
Prozent. Erst sein Sohn Thanos, der unter dem Dach der ultrarechten
Partei LAOS seit 2007 im griechischen Parlament vertreten ist, machte
seinen Vater salonfähig.
Die Titel seiner Bücher sollen sich
einen Standardwert verleihen: »Die Griechen«, »Die Barbaren«, »Der
Kapitalist« oder »Die Fahne« erinnern durch ihre Wortkargheit an »Mein
Kampf«. An Hitlers Machwerk schließt auch Plevris Buch »Hisbollah: sein
Kampf« an. Bücher wie z.B. »Das Tagebuch von Joseph Goebbels«, sollen
seine dem Nazismus nahestehende Ideologie nicht verhehlen. Dies dürfte
allerdings für die Richter vom Areopag nicht von Bedeutung gewesen sein,
erläutern sie doch in der Präambel ihres unverschämten Urteils, der
Autor sei ein griechischer Nationalist und vertrete keine fremden
Nationalismen, wie etwa Nazismus oder Faschismus. Das Bestreben gleich
am Anfang diese Grenzlinien zu ziehen, soll den Umstand verharmlosen,
griechischer Nationalist zu sein und gleichzeitig die Besatzertruppen im
Zweiten Weltkrieg zu verehren.
Die Auseinandersetzung um sein
letztes Buch »Juden – die ganze Wahrheit« nahm eine solch große
Dimension an, da die »Antinazi-Initiative« in Zusammenarbeit mit dem
Zentralrat der griechischen Juden den Mut fand, es gerichtlich
anzufechten und Anzeige gegen Plevris zu erstatten. In dem 1400-Seiten
dicken Buch erklärt der Autor den Krieg gegen den »Untermenschen-Juden«,
lobt ausdrücklich die Vertreibung durch die Nazis, schwärmt von der
Weiterfunktion des KZ-Auschwitz und macht sich unter anderem über die
»voll dicken JudenKinder in Birkenau« lustig.
Da mag sich manch
einer wundern, dass so ein Buch juristisch davonkommt. Den gesetzlichen
Rahmen bildet die Straffreiheit von Holocaustleugnung in Griechenland
und außerdem fällt auch die Verbreitung von neonazistischen Parolen
unter Meinungsfreiheit. Die einzige gesetzliche Basis, auf der die
Anklage gegen Plevris beruhen konnte, war das veraltete und selten
verwendete Gesetz 927 aus dem Jahre 1979. Dies stellt »die Aufforderung
zu Diskriminierung oder Straftaten gegen Personen aufgrund ihrer Rasse
oder ihrer Herkunft« unter Strafe. Auch die entsprechende Propaganda
durch Schrift bzw. Presse gilt als verboten. Der Areopag hat in seinem
Urteil 3/2010 jedoch erklärt, alle Anklagepunkte fallen zu lassen, denn
der Autor wende sich nicht gegen alle Juden verallgemeinernd aufgrund
ihrer Rasse bzw. ethnischen Herkunft, sondern gegen die Juden-Zionisten
wegen ihrer Anstrengungen zur Weltherrschaft, ihrer propagandistischen
Methoden und ihren konspirativen Handlungen. Ihre Planung entspräche den
Talmud-Lehren und sei daher mit ihrer Natur verbunden. Deshalb stellt
der Aufruf des Autors zu ihrer Vernichtung die »logische
Schlussfolgerung« dar, so das unverschämte Urteil des Plenums. Plevris
»geschichtliche Abhandlung« über das Judentum soll auch wissenschaftlich
gut fundiert sein und sich auf historische Quellen wie »die Protokolle
der Weisen von Zion« berufen.
Selbst
der ehemalige UN-Sekretär Kofi Annan war von den rassistischen
Äußerungen Plevris betroffen. Annan wurde als »Kannibalenabkömmling«
bezeichnet, nach Ansicht des Areopags aber nicht wegen seiner Hautfarbe,
sondern aufgrund seiner Unterstützung »der von den Juden-Zionisten
dominierten USA« während des Krieges im Irak.
Wurde Plevris
aufgrund solcher Äußerungen und seiner Veröffentlichungen
erstinstanzlich noch zu einer 14-monatigen Haftstrafe verurteilt, ist
dieses Urteil 2010 in einer Berufungsverhandlung nicht nur aufgehoben,
sondern der klare Freispruch inzwischen auch vom Areopag als Grund
satzurteil bestätigt worden. Dies zeigt deutlich, wie weit verbreitet
Antisemitismus in der griechischen Justiz ist und das Urteil 3/2010 kein
Einzelfall darstellt. Die Oberlandesrichterin Mariana Pagouteli hat in
ihrem Blog marianaonice.blogspot.com antisemitisches Gedankengut offen
geäußert: »Scheißjuden – wenn sie bloß vernichtet werden könnten!«. Dies
stieß auf Zustimmung vieler Kollegen, die als Besucher auf der Seite
auftauchten.
Retourkutsche Verleumdungsanklage
Nach der
Verwerfung des Revisionsantrags der Bundesanwaltschaft gegen Plevris
traute er sich zu, selbst Anzeige gegen drei Mitglieder der
Antinazi-Initiative www.antinazi.gr wegen »Verbreitung falscher
Nachrichten« zu erstatten. Am 6. Dezember 2010 wurden die Angeklagten
zwar freigesprochen, aber allein die Tatsache, dass das Verfahren nicht
eingestellt wurde, sei eine Schande, so die Stellungnahme der
Initiative. Plevris und seine antisemitische Gefolgschaft in
Richterkreisen werden diesen Freispruch wahrscheinlich als weiteres Ziel
der »Weltkonspiration der Zionisten« bewertet haben.
Bei dem
langjährigen juristischen Streit ist auch darauf hinzuweisen, dass sich
die Mitglieder der Antinazi-Initiative wenig Solidarität seitens der
linken Szene erfreuen konnten. Außer einigen Menschenrechtlern und
Intellektuellen weckte die ganze Geschichte kein allzu großes Interesse
innerhalb einer Linken, die in Griechenland nicht gerade
israelsolidarisch ist.
von Rechtsanwalt Harry Ladis (Thessaloniki)