Keine Frage: Den Hamburger Autonomen geht es demnächst an den Kragen. Die Evangelische Hochschule für soziale Arbeit und Diakonie entwickelt zur Zeit ein Konzept dafür. Letztes Jahr hat die kirchliche Einrichtung in der Hansestadt ein Projekt gestartet, das »Zugänge der Jugendhilfe zu links-autonomen Jugendszenen in Hamburg« entdecken soll. Man wolle herausfinden, heißt es in der Projektbeschreibung, »inwieweit linksextremistische Jugendliche und solche, die gefährdet sind, von den Angeboten der offenen Jugendarbeit in den Stadtteilen Hamburgs oder von Streetworker_innen in ihren Szenen erreicht werden können«. Kirchliche Jugendarbeit gegen links? Bundesfamilienministerin Kristina Schröder, Mitglied der konservativen Selbständig Evangelisch-Lutherischen Kirche (SELK), stellt im Haushalt 2011 stolze 43.400 Euro für das Vorhaben bereit. Kristina Schröder hat mit dem Kampf gegen links nicht lange gefackelt. Schon bald nach ihrem Amtsantritt Ende 2009 hat sie ihre Ankündigung umgesetzt, der Staatsfinanzierung für Projekte gegen rechts eine ebensolche für Projekte gegen links gegenüberzustellen. »Demokratie stärken« heißt die Initiative, die Schröders Ministerium Mitte 2010 gestartet hat, um »insbesondere präventiv gegen Linksextremismus und islamistischen Extremismus« vorzugehen. Seitdem findet, wer immer sich berufen fühlt, der Linken auf die Füße zu treten, im Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend ein offenes Ohr. Auf über eine Million Euro belaufen sich die Mittel, die 2010 für das gesamte Programm zugesagt wurden. In den Bundeshaushalt 2011 sind allein für »Linksextremismusprävention« rund 850.000 Euro eingestellt.
Die
Extremismusdoktrin, die Schröder auch nutzt, um – mit Hilfe der
»Extremismusklausel« – Projekte gegen rechts Schritt um Schritt von
linkem Ballast zu befreien, entwickelt sich zum lukrativen Kampfmittel
gegen links. Inhaltlich fällt die Bilanz noch nicht besonders
spektakulär aus. Neben kirchlicher Jugendarbeit lassen sich auch
Organisationen aus dem Programm gegen links finanzieren, die bislang
eher als Partner im Kampf gegen rechts galten. Die Amadeu Antonio
Stiftung hat für ihre Aktionswochen gegen Antisemitismus 2010 vom
Familienministerium 16.000 Euro erhalten, weil es ja schließlich auch
linken Antisemitismus gibt. Die Begründung trifft fraglos zu – aber muss
man deswegen gleich den Kampf gegen links legitimieren? Die Stiftung
stört's nicht – sie hat sich 2011 weitere 52.748 Euro bewilligen lassen.
Ein dicker Batzen – 88.290 Euro – geht dieses Jahr an das Berliner
Archiv der Jugendkulturen, das sich für die »Generierung von Wissen über
die Entwicklungsgeschichte und aktuellen Ausprägungen der autonomen
Szene in Deutschland« bezahlen lässt. Die »kritische Auseinandersetzung
mit antidemokratischen linksextremistischen Ideologien« will die
Europäische Jugendbildungs- und Jugendbegegnungsstätte Weimar (EJBW)
forcieren, wofür sie 2011 fast eine Viertelmillion Euro erhält. Als
Zielgruppe werden von der Einrichtung, die auf ihrer Website mit einem
Button für »Soziale Netzwerke gegen Nazis« kokettiert, Schulen in
mehreren Bundesländern genannt. Immerhin gehört dem Stiftungsrat der
Stiftung EJBW eine für Kristina Schröder prinzipell verdächtige
Landtagsabgeordnete der Linkspartei an.
Wellen geschlagen hat vor
allem eine Projektfinanzierung für die Junge Union (JU). »Wir fahren
nach Berlin – gegen Linksextremismus«, hieß ein Vorhaben des Kölner
JU-Verbandes; dieser wollte sich eine Fahrt in die Hauptstadt
finanzieren lassen, um nicht nur Gedenkstätten und Museen zu besuchen
sowie ein besetztes Haus zu besichtigen, sondern auch einen »gemeinsamen
Ausflug in das Berliner Nachtleben« zu unternehmen. Die taz brachte das
Ansinnen ans Tageslicht, ein SPD-Bundestagsabgeordneter schimpfte:
»Vergnügungsreise auf Staatskosten« – und die Kölner JU blieb zuhause.
Schade eigentlich, denn der eine oder andere hätte eventuell seine
»Extremismus«-Kenntnisse vervollständigen können: Eine Untergliederung
der Organisation hatte vor einigen Jahren »pro Köln« zu einem
Kennenlerngespräch eingeladen. Immerhin: Der hessische und der bayrische
JU-Landesverband konnten eine gleichartige Berlin-Fahrt realisieren
(Kosten: 29.000 Euro). Sie waren nicht so ungeschickt, ihren Ausflug ins
Berliner Nachtleben zuvor öffentlich anzukündigen.
Ministerin
Schröder finanziert nicht nur den Jugendverband, sondern auch die
Stiftung ihrer Partei: Die Konrad-Adenauer-Stiftung hat sich zwei
Symposien zum Thema Linksextremismus mit jeweils über 90.000 Euro
bezuschussen lassen; die Honorare für die Referent_innen müssen
gigantisch gewesen sein. Indirekt finanziert die Ministerin über ihr
»Linksextremismus«-Programm auch das Bundesamt für Verfassungsschutz.
Fast
100.000 Euro sagte ihr Haus letztes Jahr der Stiftung Partner für
Schule NRW zu. Zweck des Ganzen: Die »Andi«-Comics des
nordrhein-westfälischen Verfassungsschutzes, insbesondere derjenige
»gegen links«, sollen »in überarbeiteter Form als Bundesausgabe gedruckt
und bundesweit verteilt werden«. Das Heft könne unter anderem »im
Schulunterricht verwendet« werden, heißt es, weshalb zusätzlich eine
»Lehrerhandreichung« zum Thema »Linksextremismus« erstellt wird. Dass
die Regierung Projekte des Inlandsgeheimdienstes aus dem Jugendetat
finanziert, ist bezeichnend für den Zustand der Bundesrepublik.
Das
Bundesprogramm gegen links ist noch überschaubar, die Tendenz aber ist
eindeutig: Es werden Projekte bezahlt, die die Schulen einbeziehen; der
verschärften Agitation gegen links werden Jugendliche nicht mehr
entkommen können. Zugleich nehmen – wenn auch noch eher unbeholfen –
erste Projekte die Arbeit auf, die ein direktes Einwirken auf die
autonome Szene anstreben. Gänzlich unabhängig von der Frage, ob sie
irgendwann praktischen Druck entfalten können, wird die Stimmung in der
Bevölkerung mittel- und langfristig wohl weiter kippen. Dazu trägt auch
der schnöde Faktor bei, dass sich der Kampf gegen links zum guten
Geschäft zu entwickeln beginnt. Das zeigt der Fall der Internationalen
Bildungsstätte Jugendhof Scheersberg.
Die Bildungsstätte nahe Flensburg stand Anfang 2010 vor großen
finanziellen Problemen: Das Land Schleswig-Holstein hatte seine
Zuschüsse gekürzt, Ersatz war nicht in Sicht. Bis dann die Idee aufkam,
sich über politische Bildung zu finanzieren. Das Bundesprogramm gegen
links kam gerade recht. 90.000 Euro erhielt die Bildungsstätte daraus
für ein Pilotprojekt im Jahr 2010, 2011 folgen nun weitere 200.000 Euro.
Die neue Perspektive, die sich aus den Projekten gegen links ergibt,
hat Scheersberg letztlich auch EU-Zuschüsse in Höhe von 1,4 Millionen
Euro eingebracht. »Mit politischer Bildung in die Zukunft«, titelte denn
auch das Flensburger Tageblatt Ende Dezember 2010. Da kommt es dann
auch auf den Namen des Programms nicht so genau an. Er lautet dem
Familienministerium [1] Die CDU-Politikerin zufolge: »Jugend für
Demokratie und Kristina Schröder will Projekte gegen links Extremismus
(!).«