Made in Dagenham

Regisseur Nigel Cole verwandelt den Ford-Näherinnen-Streik von 1968 in ein Feel-Good-Movie.

Regisseur Nigel Cole verwandelt den Ford-Näherinnen-Streik von 1968 in ein Feel-Good-Movie.

„A man! A man!“ Vorarbeiterin Connie löst die Sirene aus, die Näherinnen des Ford-Werks im britischen Dagenham ziehen hektisch ihre Kittel an. Wegen der unerträglichen Hitze in der weder belüfteten noch isolierten Werkshalle arbeiten die 178 Frauen in Unterwäsche. Wenige Filmszenen später wird es bei einem Gewitter durchs Dach regnen, was ein männlicher Mitarbeiter mit den Worten kommentiert: „In diesem Loch hätten wir Männer schon längst nicht mehr gearbeitet.“ 
Der männliche Eindringling ist Gewerkschafter Albert, er überbringt den Näherinnen eine schlechte Nachricht: Ihre Tätigkeit soll von der Kategorie „angelernt“ auf die Kategorie „ungelernt“ herabgestuft werden, was weniger Bezahlung bedeutet. Daraufhin beschließen die Arbeiterinnen, Überstunden zu verweigern, und gehen 24 Stunden lang in Streik.

Bittere Wahrheiten. So beginnt der legendäre „Ford Sewing Machinists Strike“ von 1968, auf dessen Geschichte der Film „Made in Dagenham“ – im deutschsprachigen Verleih unter dem unsäglichen Titel „We Want Sex“ geführt – beruht. Dass Frauen bei der (Fabriks-) Arbeit weniger verdienen als Männer, ist in den Sechzigern gängige Praxis und wird von den Gewerkschaften gebilligt: Man geht von einem „Male Breadwinner Model“ aus, bei dem die Frauen höchstens ein Zubrot verdienen. Deshalb unterstützten Gewerkschaften beispielsweise die Institutionalisierung von niedrigeren Löhnen für Frauen bzw. verlangten sogar nach einem Arbeitsverbot für verheiratete Frauen. 
Diese bittere Wahrheit sorgt im Film für die eindringlichsten Momente: Etwa als die Ford-Führung den Gewerkschaftern nahelegt, die streikenden Frauen zurückzupfeifen, da diese mittlerweile nicht nur nicht herabgestuft werden wollen, sondern gleiche Bezahlung fordern. Damit würde die gesamte Gehaltsstruktur bei Ford durcheinandergebracht, und man könne auch nicht mehr für die Mindestlöhne der Männer garantieren. Im Film steigen die Gewerkschafter auf den Deal ein – bloß die Frauen lassen sich nicht zurückpfeifen: Denn sie haben erkannt, welche Macht sie haben.

Beehive meets Strike. Der reale Dagenham-Streik beginnt am 7. Juni 1968, er dauert drei Wochen. Weil die Sitzbezüge ausgehen, bringt der Aufstand damals die gesamte Ford-Produktion in Großbritannien zum Erliegen. Eine Tatsache, die auch die Näherinnen selber überraschte, wie die am Streik beteiligte Sheila Douglas im Interview mit „Workers Liberty“ erzählt: „It was a surprise to us as well as everybody else. We didn’t think we were going to fetch the whole Ford Empire to its knees, as you might say, but that’s what happened eventually. And it was all down to us, us ladies. And we were ladies, whatever anybody else may say.” 
Die nur angedeuteten Beschimpfungen, die Unsolidarität mancher Männer kommt im Film bloß am Rande vor. Denn Regisseur Nigel Cole, der schon für das zweifelhafte Empowerment der „Calendar Girls“ im gleichnamigen Film verantwortlich zeichnete, hat den Ford-Näherinnen-Streik in ein Feel-Good-Movie verwandelt. Das kommt im poppigen Retro-Gewand der Sixties daher, wo Beehive-Frisur und psychedelisch gemustertes Minikleid nicht fehlen dürfen. Auch – es geht ja schließlich um Frauen – kann weder auf Hühnerhaufen-Durcheinandergelaufe bei Protestkundgebungen noch auf ein Mode-Chit-Chat zwischen Streikführerin und Arbeitsministerin verzichtet werden.

We want Sex … Equality! Doch trotz dieses Klamauks schafft es der Film stellenweise, die Situation von Fabrikarbeiterinnen in den 1960ern glaubhaft zu vermitteln – sei es in der erwähnten Anfangszene oder in den Darstellungen vom Familienleben im Sozialbau: Szenen, die nicht denunzierend, sondern durchaus empathisch sind. 
Im Film wie auch in der Realität endet der Streik mit einem Kompromiss: Die Löhne der Frauen werden auf 92 Prozent des Niveaus der Männer angehoben. Zwei Jahre später, 1970, wird in Großbritannien der „Equal Pay Act“ verabschiedet, der erstmals gleiche Bezahlung bei gleicher Tätigkeit gesetzlich vorschreibt. Im Abspann des Films wird das als Errungenschaft der Dagenham-Frauen gefeiert. Was nicht erwähnt wird: Die Näherinnen selbst profitieren lange Zeit nicht vom „Equal Pay Act“. Weil ihre Arbeit keiner von Männern verrichteten Tätigkeit als gleichwertig zugeordnet werden konnte.