Ein Gespräch mit Denis Goldberg
Denis Goldberg wurde 1964 zusammen mit Nelson Mandela, Walter Sisulu, Govan Mbeki und anderen im berüchtigten Rivonia-Prozess zu vier mal lebenslänglich verurteilt. Nach 22 Jahren Haft und 24 Jahren in Freiheit, nach politischem und bewaffnetem Kampf, nach Solidaritätsarbeit und Tätigkeit als Regierungsberater hat er nun seine bemerkenswerte Autobiografie „Der Auftrag - Ein Leben für Freiheit in Südafrika" herausgegeben.(*) Anlässlich einer Lesetour durch die Bundesrepublik führte Lothar Geisler Mitte Mai ein Gespräch mit Denis Goldberg in deutscher Sprache.
MBl: In diesen Wochen schauen viele Menschen auch in unserem Land interessierter auf Südafrika, nicht nur des Fußballs wegen. Was bedeutet diese WM für Südafrikaner?
Denis Goldberg: Ich hoffe, dass diese Fußball-Weltmeisterschaft eine Initiative zum „nation-building" wird. Nelson Mandela hat immer gesagt: Wir sind ein Land mit ganz vielen Kulturen und müssen eine Nation aufbauen. Dabei kann der Fußball ein kleines bisschen helfen. Unsere Mannschaft ist nicht so großartig, aber die Menschen haben Hoffnung und stehen hinter ihrem Team. Auch in den Townships, wo es eine ganze Reihe von Fußballinitiativen vor allem für Kinder und Jugendliche gibt. Aber, dass wir in der ersten Runde gegen Mexiko spielen müssen! Das ist schwierig und unglücklich. Glücklicherweise haben wir dieses WM-Infrastrukturprogramm gehabt, genau als die weltweite Finanz- und Bankenkrise kam. So konnten wir trotzdem Arbeitsplätze im Stadionbau, im Straßenbau, im Nah- und Fernverkehr usw. schaffen. Das war eine keynesianische Konjunkturmaßnahme gegen die Rezession. Das war nicht so geplant, aber ein glücklicher Umstand.
MBl: Aber es waren offenbar nicht alle glücklich? Es gab auch in Südafrika Kritik an WM-Gigantismus.
Denis Goldberg: Es gab viel Kritik und Widersprüche. Wir haben in Südafrika selbst genügend Fachleute, Bauingenieure, Bauarbeiter, Zement- und Stahlfabriken etc. Viele Leute kritisierten: Müssen wir dafür Stahl und Zement importieren? Unglaublich! Und dann sind die Baukosten fast 30 Prozent höher geworden als geplant. Hätten wir das Geld nicht besser in den Wohnungsbau oder in Staudämme für Wasserversorgung und Energiegewinnung investiert? Das ist also sehr widersprüchlich. Trotzdem sind wir jetzt stolz, dass wir mit dem Stadionbau mehr als pünktlich fertig geworden sind. Wir brauchen die Stadien auch in Zukunft. Und ich bin überzeugt, dass es so viele Kinder- und Jugendprojekte in den Townships ohne die FIFA-WM nicht gegeben hätte. Wir sind stolz, die Gastgeber zu sein, nicht nur als Südafrikaner, sondern als Afrikaner. Jährlich kommen 3 Millionen Touristen nach Südafrika. Jetzt werden zusätzlich 300 000 Menschen als Gäste erwartet. Das sind zehn Prozent mehr. Auch das schafft zusätzliche Arbeit. Aber das wichtigste ist das „nation building". Unsere Gesellschaft ist so tief gespalten. Die Risse sind groß. Wir haben unter Kolonialismus und Apartheid so gelitten, da sind so viele - wie sagt man - Narben in der Seele oder besser gesagt im kollektiven Gedächtnis der verschiedenen Bevölkerungsgruppen, da brauchen wir diesen Nation-building-Prozess. Das ist noch nicht abgeschlossen.
MBl: Beziehst du das auch auf den Versöhnungsprozess, der ja durch die Arbeit der Wahrheits- und Versöhnungskommission befördert werden sollte?
Denis Goldberg: Die Wahrheits- und Versöhnungskommission sollte die politisch motivierten Verbrechen während der Apartheid untersuchen. Mehr als 20 000 Opfer der Apartheid haben in den Jahren 1996-1998 in öffentlichen Anhörungen über ihr Leid berichtet. Täter erhielten Amnestie, wenn sie sich zu ihren Taten - Folter, Entführung, Mord durch Erschlagen, Gift, Briefbomben - bekannten. Die neue Regierung hielt es für politisch wichtiger, eine neue Gesellschaft aufzubauen, in der Hass überwunden werden sollte, als für Bestrafung zu sorgen. Die Wahrheitskommission hatte Vorrang vor Straf- oder Zivilrecht, also auch vor Klagen für Entschädigung. Das steht in völligem Widerspruch zu der Auffassung, dass Gerechtigkeit Strafe für Verbrechen beeinhaltet. Unzählige Südafrikaner haben gegen das alte System gekämpft, weil sie einen Rechtsstaat wünschten, in dem die Täter vor Gericht gestellt würden. Dazu gehörten ja nicht nur die Vollstrecker, sondern auch ihre Befehlshaber im Sicherheitsapparat und in der Politik. Ich glaube, der Sieg über die Täter und die Sühne ihrer Taten muss Teil des Aufbaus einer „besseren" Gesellschaft sein, wie sie der ANC mit dem Slogan „A better life for al" fordert. Das bessere Leben muss für jeden Einzelnen konkret erfahrbar sein, eine lebendige Realität werden.
MBl: Experten sagen, dass die Wirtschaftskrise Südafrika nach diesem WM-Bauboom erst richtig erwischt, wenn die Bauarbeiter nach Hause geschickt werden ...
Denis Goldberg: Der Bauboom hat angefangen mit der Errichtung von Kindergärten. Es wird da viel Regierungsgeld investiert. Überall im Land werden auch Einkaufsläden gebaut. Durch den Infrastrukturplan für die WM wurden andere Bauprojekte verschoben. Nach der WM wird es wieder mit dem Häuserbau und anderen Projekten weitergehen.
MBl: Was haben die Ärmsten der Armen von der WM? Werden Krümel vom großen WM-Kuchen bei ihnen ankommen - die Fachleute nennen das „Trickle-down-Effekt"?
Denis Goldberg: „Trickle down"? Das wird es nicht geben. Wir haben da einen generellen Widerspruch. Auch ohne die WM. Der resultiert aus der nationalen Frage. Wir haben ein Black-Economic-Empowerment-Konzept, um ein neues, kapitalistisches Bürgertum zu entwickeln. Es gibt mittlerweile eine Gruppe, die davon sehr profitiert hat, die sehr schnell reich geworden ist. Sie sind „role models", Vorbilder für andere. Man ist stolz auf sie. Aber für mich als alter sozialistischer Hase ist da nur eine andere Gesichtsfarbe bei den Ausbeutern. Aus dieser Sicht ist das problematisch. Länger anhaltendes Wirtschaftswachstum, von dem alle profitieren, braucht staatliche Intervention und Lenkung. Das ist meine feste Überzeugung.
MBl: In deinem Buch nennst du Malaysia als nachahmenswertes Beispiel für einen sich entwickelnden Staat.
Denis Goldberg: Ja, Anfang der 90er Jahre schickte mich der ANC zu einem mehrwöchigen Fortbildungsstudium nach Indien und Malaysia. Da habe ich gesehen, wie wichtig es ist, dass der Staat die Leitlinien für die wirtschaftliche Entwicklung vorgibt. Das darf man nicht dem Zufall und dem freien Markt überlassen. Im Englischen sagen wir: It must have direction! Es muss eine Richtung haben. Es braucht strategische Impulse für die Wirtschaftsentwicklung. Jetzt nach 15 Jahren lernen wir von Malaysia und haben eine staatliche Planungskommission geschaffen und das ist gut so. „Trickle Down"? In entwickelten kapitalistischen Ländern gibt es diese Linie „Privat vor Staat" und Outsourcing aller öffentlichen Dienstleistungen, mit denen man Gewinn machen kann etc. In Südafrika funktioniert dieses Outsourcing so, dass neue, kleine Unternehmen von Schwarzen gegründet werden. Und das Ergebnis: die großen Forstunternehmen z. B. müssen Mindestlohn zahlen, Schutzkleidung stellen usw. Die neuen kleinen Unternehmen zahlen weniger als den Mindestlohn und stellen keine Schutzkleidung. Ist das ein Black-Economic-Empowerment-Erfolg oder ein Rückschritt? Die Arbeiter haben dort schlimmere Bedingungen und auch keine gewerkschaftliche Interessenvertretung. Das Großkapital unterstützt diese Politik. Aber wir müssen diesen freien Markt stärker kontrollieren, um den Menschen bessere Lebens- und Arbeitsbedingungen zu sichern.
MBl: Welche Rolle spielen dabei die Gewerkschaften?
Denis Goldberg: Da muss man sehr differenzieren zwischen entwickelten und unterentwickelten Ländern. Es ist richtig und wichtig, dass die Gewerkschaften für die Interessen ihrer Arbeiter kämpfen, damit sie nicht immer mehr ausgebeutet werden. Aber wenn in der globalisierten Weltwirtschaft die Produktionskosten steigen, stellen uns auch südafrikanische Unternehmen vor zwei Lösungen: mehr Roboter und Automatisierung oder Flucht ins Ausland und damit mehr Arbeitslosigkeit im eigenen Land. Die Schlüsselfrage ist: Wie ist es möglich unter diesen Rahmenbedingungen mehr Arbeitsplätze zu schaffen? Das ist nicht einfach. Gut, wir können die sozialistische Revolution fordern. Aber die ist nicht mal am fernen Horizont erkennbar. Nirgendwo. Und die Menschen können und wollen nicht warten. Ich persönlich glaube - Ketzerei oder nicht - dass in unserem südafrikanischen Kapitalismus die wirkliche Arbeitslosigkeit von über 40 Prozent in den nächsten zwanzig Jahren auf 20 Prozent gesenkt werden kann,- wenn der Staat ein wirklich entwickelnder Staat wird. Damit würden wir ein reicheres Land mit Lebensbedingungen, die für alle besser würden. Daran müssen sich die Gewerkschaften beteiligen. Was nützt ein Transportarbeiterstreik für ein paar Prozent mehr Lohn mitten in der Erntezeit, wenn tonnenweise Obst und Gemüse verrotten, Farmen pleite gehen und Landarbeiter ihren Job verlieren? Wie können wir Arbeitsplätze schaffen? Das ist die zentrale Frage in einem unterentwickelten Land. Ich weiß, dass es im Kapitalismus immer Ausbeutung gibt. Aber es macht einen Unterschied, ob es „normale" kapitalistische Ausbeutung ist oder doppelte oder dreifache durch Rassismus und Apartheid. Ich glaub, da machen wir Fehler.
MBl: Was meinst du damit?
Denis Goldberg: Teile von Cosatu und SACP versuchen, den ANC zu einer anderen Politik zu zwingen. Wir sind Kampfgefährten in einer nationalen, demokratischen Revolution, die noch nicht abgeschlossen ist. Was ist ihr Inhalt? Ganz klar ist es keine sozialistische Revolution. Es ist die Befreiung von der Extra-Ausbeutung in einem undemokratischen, rassistischen Regime. Wenn du willst: wir haben uns das Recht auf „normale Ausbeutung" in einer Demokratie erkämpft. Das ist ein Fortschritt im Vergleich zu unserer Vergangenheit. Und wir dürfen nicht vergessen, warum und wie wir das Apartheid-Regime besiegt haben. Davon spreche ich in dem Brief an Pieter Willem Botha, den ich am 13. Februar 1985 kurz vor meiner Freilassung aus dem Gefängnis geschrieben habe. Der ist in meinem Buch dokumentiert. Offensichtlich waren wir nicht stark genug, Apartheid-Südafrika militärisch zu besiegen. Umgekehrt konnte das Regime unseren brennenden Wunsch nach Freiheit und Abschaffung der rassistischen Apartheid nicht auslöschen. Der Kalte Krieg ging dem Ende zu, weil sich die Ökonomie der Sowjetunion im Niedergang befand und sie an Einfluss verlor. Die USA brauchten eine Atempause. Ihre militärischen Interventionen und Stellvertreterkriege wurden zu teuer, zum Beispiel in Angola. Die USA, Frankreich, die Bundesrepublik und Großbritannien drängten auf einen Wandel in Südafrika und auf regionale Lösungen in Angola, Mosambik und im ganzen südlichen Afrika. Das waren die objektiven Faktoren, die letztlich unseren Weg und das Ergebnis bestimmten.
MBl: Du erzählst in deiner Biografie von deinen „sieben Leben" im politischen Untergrund, im bewaffneten Kampf gegen die Apartheid, im Gefängnis, im ANC-Exil, in Community H.E.A.R.T. und als Regierungsberater in Pretoria. Mit welchem dieser Leben bis du am meisten zufrieden, wo hast du das meiste erreicht?
Denis Goldberg (lacht heftig): Mit meinem Ruhestand sind es ja wohl acht Leben. Oder bin ich vielleicht eine Katze mit neun Leben? ... (lange Denkpause) ... Vielleicht sollte ich das so sagen: Wir sind sehr früh inhaftiert worden, für unseren bewaffneten Kampf in Umkhonto we sizwe. Ich bin stolz, dass meine Generation von Aktivisten den Übergang von ganz allgemeinem, friedlichem, politischem Protest gegen die Apartheid in den bewaffneten Untergrund eingeleitet und geschafft hat. Der Preis war, dass wir im Gefängnis gelandet sind. Okay. Du triffst deine Entscheidungen und musst die Konsequenzen tragen. Aber es war damals politisch richtig und psychologisch wichtig das zu schaffen, für die Afrikaner und die weißen Herren nicht nur in Südafrika. Sie sollten sehen: Es konnte nicht so weitergehen. Wir waren bereit für den Frieden zu kämpfen, koste es persönlich, was es wolle. Darauf bin ich stolz. Das hat den Weg aus der Apartheid geöffnet. Ich bin stolz auf jede Phase unseres Kampfes. Es ist ja nicht so, dass ich alleine das gemacht habe. In meiner Biografie schreibe ich deswegen auch ganz viel über andere Comrades. Was das Wichtigste ist, sind die Werte von Menschlichkeit, Durchhalten, von Stärke, klarem Denken und Solidarität untereinander, die wir von Generation zu Generation weitergegeben haben. Das ist das Wichtigste. Jetzt im Ruhestand habe ich an meinem Wohnort Musikinstrumente für traumatisierte Kinder gekauft. Damit sie ein wenig Stolz und Menschenwürde fühlen können: „Ich bin ein Musikant! Ich lerne Trompete spielen!" Das ist wichtig. Als ich zu vier mal Lebenslänglich verurteilt wurde, hat meine Mutter zu mir gesagt: „Ich bin stolz auf Dich." Mein Vater auch. Er war ein einfacher kommunistischer Arbeiter. Ihr Leben, ihre Werte wurden durch mich erfüllt. Ich könnte nicht beantworten, welche Lebensphase mir wichtiger war. Das ist nicht einfach. Ich bin mir treu geblieben. Ich habe Fehler gemacht. Auch darüber habe ich geschrieben. Ich wollte ehrlich bleiben. Das war mir wichtig.
MBl: Ohne jeden Zweifel ist einer der größten historischen Erfolge der 90er Jahre die Errichtung einer repräsentativen Demokratie in Südafrika mit einer Verfassung, die der Mehrheit weitreichende sozio-ökonomische und demokratische Rechte garantiert. Wie sieht es aber im Alltag mit den sozialen Rechten aus? Geht es der Mehrheit schlechter als zu Zeiten der Apartheid?
Denis Goldberg: Ich bin nicht ganz sicher, ob die Einschätzung richtig ist, dass es den meisten schlechter geht. Das ist das, was unsere Medien jeden Tag sagen. Aber ich glaube es nicht. Ich glaube die Armut ist für viele früher auf dem Land nur außer Sicht gewesen. Jetzt ist sie in den Städten sichtbarer. Wir haben vieles geschafft, aber eben noch nicht alles. Wir haben drei Millionen Häuser gebaut. Das ist zu wenig und wer noch keins hat sagt: Ihr habt nichts gemacht. Wir haben die Wasserversorgung für viele Menschen verbessert. Und andere sagen: Ihr habt nichts gemacht. Wir haben ein wirkliches Chaos am Ende der Apartheid geerbt. Die Hälfte unserer Bevölkerung war arbeitslos. Heute sind es „nur" vierzig Prozent. Das ist ein Fortschritt. Das macht uns trotzdem ernste Sorgen. Übergangsphasen sind immer schwierig. In der Apartheid haben die Passgesetze geregelt, wer wohin gehen und wer wo wohnen darf. Jetzt haben die Menschen Bewegungsfreiheit und ziehen in die Städte. Für diese Freiheit haben wir gekämpft und sie bringt viele neue Probleme. Das ist, als ob man den Korken von einer Sektflasche gelöst hätte. Das Leben in den Obdachlosensiedlungen ist die Hölle, ohne Frage. Und dabei wird der traditionelle Zusammenhalt innerhalb von Familien immer mehr zerstört. Sollen wir die Menschen wieder aussperren? Sicher haben wir auch noch ein Problem mit der Demokratisierung unseres Landes. Es gibt da noch die besondere Rolle der Stammeschefs - wir nennen sie „traditional leaders". Wo sie Mitglieder eines gewählten Parlaments sind, sind sie oft gegen die Demokratisierung. Das hält uns zurück in einer tieferen Weise. Denn in dieser traditionellen afrikanischen Struktur und Denkweise, warten Leute auf das Wort des Chefs. Sie erwarten von der Regierung, dass sie ihre Probleme löst. Sie tun es nicht selbst. Warum lehnen sich so viele Menschen zurück und warten auf die Regierung? Das ist ein Problem. Wir haben eine große Verantwortung, die Wirtschaft in ländlichen Gebieten schneller zu entwickeln, damit die Menschen dort leben, sich ernähren und arbeiten können. Aber dabei machen wir auch Fehler. Im Jahr 2000 hatten wir landesweit die ersten Kommunalwahlen. Ich glaube, das war zu früh, das war ein Fehler. Plötzlich sollte es überall unterschiedslos kommunale Selbstverwaltung geben, in großen Städten genauso wie in kleinen Dörfern. Da fehlen aber überall noch Fachleute in den öffentlichen Verwaltungen, für die öffentlichen Dienstleistungen. Die müssen wir erst ausbilden. Aber so sind Übergangsphasen. Was sind 15 Jahre in der Geschichte eines Landes mit unserer Geschichte? Ein Wimpernschlag. Die born frees, die junge Nach-Apartheid-Generation ist noch nicht einmal mit ihrer Ausbildung fertig. Das dauert. Wir haben keine Leute, die ohne Apartheid erzogen worden sind und ausgebildet. Wir sind alle geprägt und tief verletzt durch diese Vergangenheit. Marx und Engels sagen - in my own words - jede Gesellschaft trägt die Narben der vorhergehenden in sich. Und dazu gehört auch ein rassistisches Erbe. We try to build a better life with people, who are deeply wounded. Ich erlebe das im West-Kap, wo ich wohne und wo die Demokratische Allianz regiert. Das müssen wir überwinden.
MBl: In unseren Medien ist jetzt viel von Rassismus in Südafrika die Rede. Ein Schock waren die fremdenfeindlichen Übergriffe im Jahr 2008. Da wurden Risse im Bild einer harmonischen Regenbogennation sichtbar ...
Denis Goldberg: Ja, ja, das war auch so. Das hat auch uns sehr geschockt...
MBl: ... und angesichts des Mordes am ehemaligen Rassistenführer Eugene Terreblanche hat Julius Malema, der Chef der ANC-Jugend viel negative Schlagzeilen gekriegt, nicht nur weil er alte Anti-Buren-Lieder gesungen hat. Er scheint auch innerhalb der Dreierallianz Rassismus zu schüren, wenn er Jeremy Cronin, den stellvertretenden SACP-Generalsekretär, einen „weißen Messias" nennt, auf dessen Ratschläge die ANC-Jugend verzichten könne.
Denis Goldberg: Das ist gefährlich, das wissen wir im ANC. Aber die Zeitungen und die Medien bauschen solche Probleme auf. Und wir beginnen jetzt, mit mehr politischen Bildungsprogrammen auch für Parlamentarier das Verständnis für unseren Kampf, für unsere Geschichte zu vertiefen. Mein Buch habe ich ganz besonders dafür geschrieben, für Schüler und für die Erwachsenenbildung.
5 000 Bücher der englischen Ausgabe sind an südafrikanische Sekundarschulen verschenkt worden, finanziert von der Ford-Fondation. Wir müssen uns richtig anstrengen die Erfahrungen und die Werte unseres Befreiungskampfes weiterzugeben. In der Freiheitscharta haben wir gesagt, Afrika gehört allen, die hier leben und arbeiten, egal ob schwarz oder weiß. Wir haben es geschafft, für unsere gemeinsame Zukunft Teile der Bourgeoisie, Teile des Kapitals abzuspalten und zu gewinnen. Und was machen Leute wie Malema - da ist er aber nicht alleine? Sie gehen zurück zu einem chauvinistischen Nationalismus, zu ordinärem Rassismus, zu ethnischen Erklärungen. Das sieht man leider überall auf der Welt, wie fundamentalistische Kräfte stärker werden, Islamisten, Zionisten, Christen ... Das ist die Politik von Einschließen und Ausgrenzen; Wir sind gut, die anderen sind böse. Wo bleibt da die Toleranz?
MBl: Südafrika ist durch seine wirtschaftliche Stärke und politische Stabilität ein Magnet für Migranten aus Nachbarländern. Ist das ein Boden für neuen Nationalismus ?
Denis Goldberg: Lass mich das mal anders herum beantworten. Früher war Südafrika ein Sprungbrett. Aus imperialistischer Ferne wurden hier Filialen aufgebaut, von denen man auf den Kontinent expandieren wollte. Das ist eine längere Geschichte, die Entwicklung des Kapitalismus in Südafrika und auf dem Kontinent. Manchmal wird Südafrika sogar schon für ein imperialistisches Land gehalten. Was die Migranten angeht, haben wir ein Riesenproblem. Wir wissen überhaupt nicht, wie viele nicht-dokumentierte Ausländer in Südafrika wohnen. Es wird gesagt: mindestens drei Millionen oder auch sechs Millionen und mehr. Wenn es sechs Millionen sind, macht das zwölf Prozent unserer Bevölkerung aus. Zwölf Prozent! In einem Land voll Armut und Arbeitslosigkeit. Natürlich gibt es da soziale Spannungen und Probleme beim Überlebenskampf der Menschen. Guck doch mal, wie schwer sich selbst die reiche EU mit arbeitsuchenden Migranten tut.
MBl: Darum wurde ja die „Festung Europa" ausgebaut. Ist „Grenzen dicht" auch für Südafrika eine Option?
Denis Goldberg: In Südafrika sagen Politiker -, vor allem wir mit ein bisschen mehr geschichtlichem Verständnis - Mosambik, Angola, Simbabwe, Sambia haben ihre Zukunft für uns geopfert. Wegen ihrer Hilfe für unseren Freiheitskampf wurde ihre Infrastruktur kaputtgemacht. Das dürfen wir nicht vergessen. Da müssen wir heute helfen. Darum haben wir zum Beispiel eine Eisenbahnlinie nach Maputo gebaut, damit wir Mosambik helfen. Wir haben keine elektrischen Zäune an der Grenze. Das ist eine Frage der Moral und der Solidarität. Und eigentlich wollen auch südafrikanische Farmer diese Migranten als billige Arbeitskräfte haben. Sie ernähren unsere Bevölkerung. Aber das Lohndumping ist schlecht für unsere Entwicklung. Mit diesen starken Widersprüchen müssen wir leben und Lösungen finden. Auf der anderen Seite kriegen Mercedes, Opel, Volkswagen, BMW in Südafrika schöne Steuervorteile für ihre Werke. Wenn wir das beenden, gehen sie weg und wir haben noch mehr Arbeitslose. Das ist auch ein Widerspruch, mit dem wir leben müssen. Du siehst: Ich habe keine gesicherten, harten Antworten, wie wir das unter den globalen Bedingungen lösen können. Ich kann nur allgemein sagen, was ich 2006 als Regierungsberater in einem ökonomischen Forum des ANC gesagt habe: Was fehlt, ist politische Führerschaft. Wir lassen unsere Beamten entscheiden, was wir machen können. Die Regierung trifft eine Entscheidung und Staatssekretäre sagen: Das müssen wir erstmal besprechen. So geht viel zu viel Zeit ins Land und manchmal passiert nichts. Warum muss es Jahre dauern, bis nach einer Sturmkatastrophe Kraftwerke wieder ans Netz gehen können? Wegen Streitereien zwischen Ministerien und Regierungsebenen etc. Übergangsphasen sind die Hölle. Das ist mein Lieblingssprichwort geworden: Übergang ist die Hölle. Es gibt da viele Interessengegensätze, auch zwischen altem Kapital und neuem Kapital, alter Elite und neuer Elite. Ja, wir haben auch korrupte Leute, gegen die wir kämpfen müssen. Sie kassieren Schmiergeld. Aber woher kommt das Schmiergeld? Aus Europa und Amerika. Also sind wir korrupt und die nicht?
MBl: So sieht das bestimmt mancher durch seine eurozentristische Brille. Selbst manch ein Linker misst Südafrika mit europäischen Maßstäben ...
Denis Goldberg: Es gibt ja in unserer südafrikanischen Geschichte auch viele Migranten aus Europa. Auch ich habe als sechsjähriger auf dem Knie meiner Mutter die Lieder der internationalen Brigaden aus dem spanischen Bürgerkrieg gelernt und gesungen, bevor ich ein afrikanisches Befreiungslied kannte. Das stimmt. Das hat auch meine Sicht anfangs bestimmt. Aber Südafrika ist viel afrikanischer, als manch ein Europäer denkt. Nelson Mandela sagte zu mir - ich habe das im Buch beschrieben - Denis, wenn ihr von Marxismus redet, müsst ihr mit unseren Leuten von der afrikanischen Wirklichkeit sprechen, sonst verstehen unsere Menschen das nicht. Marxismus muss lebendig werden. Nelson Mandela hatte ein richtiges Verständnis von Dialektik. Es geht darum Interessengruppen, Klassenkräfte und Geschichte konkret zu analysieren, in Südafrika und auch innerhalb des ANC.
MBl: Der Führungswechsel von Thabo Mbeki zu Jacob Zuma wird allgemein auf eine gewachsene Unzufriedenheit in der Bevölkerung zurückgeführt. Ist da auch ein Politik-Wechsel zu erwarten, weniger neoliberal, mehr „Pro-Poor-Politik"?
Denis Goldberg: Ich denke, man muss das in der historischen Entwicklung sehen. Nelson Mandela hat sich in seiner Amtszeit damit beschäftigen müssen, wie eine Konterrevolution zu verhindern ist. Einfach ausgedrückt: Haben wir erst mal den Staat übernommen, haben wir die Machthebel in der Hand. Dann können wir die Hebel ziehen, Signale setzen und die Weichen stellen. Das war sehr schwierig. Zum Ende dieser fünf Jahre kam Thabo Mbeki an die Macht, als sicher war, dass die Konterevolution keine Chance mehr hat. Er hat einen starken Akzent auf den nationalen Kampf, auf „afrikanische Renaissance" gesetzt: „Ich bin ein Afrikaner!" Da haben die Weißen gesagt: Guck, jetzt spielt er wieder die Rassenkarte. Das war ein Missverständnis. Aber die Bevölkerungsmehrheit, die unterdrückte Bevölkerung fragte: „Immer spricht der ANC davon, wie die Rechte der Weißen gesichert werden. Was ist mit uns? Was wird für uns getan?" Das war richtig. Das war der Grund für das Black-economic-empowerment-Konzept und die neue kommunale Selbstverwaltung, wovon ich schon gesprochen habe. Meine persönliche Meinung ist: Mbeki ist ein großer Intellektueller, er hat großartige Fortschritte für Südafrika erreicht, in der internationalen Politik und in der Innenpolitik. Aber zum Ende dachte er, dass nur er die richtigen Antworten hätte. Was mich erstaunt ist, dass keiner der Genossen aus seinem inneren Kreis gesagt hat: Genosse Thabo - nicht „Herr Präsident", oder „Sir" oder „Exzellenz" -, bitte nicht ein drittes Mal kandidieren. Das hat die Bewegung gespalten. Ja, da spielte die Persönlichkeit eine besondere Rolle.
MBl: Ist von Jacob Zuma denn eine andere Politik zu erwarten, weg von der Linie des neoliberalen G.E.A.R.-Programms hin zu einem grundsätzlich anderen Entwicklungsplan mit mehr „politics for the poor"?
Denis Goldberg: In Grenzbereichen vielleicht, aber nicht großartig anders. Ich glaube nicht daran. Wir haben Pläne und Programme, aber sie werden nicht realisiert. Es gibt noch viele Probleme in Südafrika, die wir historisch geerbt und nicht gelöst haben. Dazu gehört die Einkommensverteilung. Die Chefs der großen Ladenketten kriegen über 20 Millionen Rand pro Jahr. Die Arbeiterinnen kriegen 20 000 bis 25 000 Rand pro Jahr. Das muss nicht sein! Es ist nicht möglich von 2 000 Rand im Monat zu leben. Da müssen wir was tun. Auch bei der Grundversorgung und den öffentlichen Dienstleistungen. Da gibt es viel Protest. Teilweise sind diese Proteste in den ärmsten Gemeinden unter ANC-Kontrolle. Im nächsten Jahr sind Kommunalwahlen. Und da gibt es wie überall Leute, die sagen, wenn wir einen Protest anführen, haben wir bessere Wahlchancen. Das ist ein innerer Konflikt im ANC, der nichts mit der nationalen Frage zu tun hat. Du fragst nach einer großen Veränderung in der Politik. Ich glaube nicht, dass es sie geben wird. Die Grenzen dafür sind sehr eng. Da kann sich nicht viel ändern, wenn die wirtschaftliche Realität nicht anders wird. Es gibt eine sichere Wirklichkeit in Südafrika: Moderne Entwicklung braucht häufig Geld und Investitionen. Das kommt nicht von armen Leuten. Wir müssen die Kapitalisten überzeugen, dass da auch für sie noch ein Gewinn zu machen ist. Aber die Regierung muss die Führerschaft für die gesellschaftliche Entwicklung übernehmen. Das darf man nicht dem Markt überlassen. Ich kann keine konkretere Antwort geben, weil ich keine sicheren Antworten habe. Es ist eine verwirrende Zeit. Ich sehe keinen großen Politikwechsel, aber einen großen Wechsel im Politikstil. Mbeki war intellektuell brillant, aber versuchte alles makro-ökonomisch zu managen. Zuma weiß, das er es nicht kann. Er hört mehr auf Ratgeber, um gemeinsam vorwärts zu kommen. Was auch nicht einfach ist mit Menschen, die um Privilegien wettstreiten. Aber Zuma kann öffentliche Kritik akzeptieren, das ist wichtig für eine Führungspersönlichkeit. Demokratie ist eine sehr komplizierte Sache. Menschen zur Zusammenarbeit zu bewegen, das ist die Herausforderung. Ich habe großen Respekt vor Zuma und er hat die echte Chance einiges zu verändern -auch für eine effektivere öffentliche Verwaltung, was immer er für Fehler in seiner Vergangenheit gemacht hat.
MBl: Von linken Kräften wird besonders harte Kritik an der halbherzigen Landreform in Südafrika und an der Privatisierung von Staatsbetrieben geübt.
Denis Goldberg: In unserer kapitalistischen Gesellschaft hat die sehr arme, arbeitslose Landbevölkerung, hat die „verlorene Generation" ohne Ausbildung noch keine Zukunftsperspektive. Das ist eine schwere Erbschaft, die man nicht wegdiskutieren kann. Sprechen wir von den Landlosen. Die Verfassung sagt - in anderen Worten: gestohlenes Land muss zurückgegeben werden. Die Verfassung sagt auch, dass Eigentumsrechte geschützt werden müssen. Schöner Widerspruch. Die Antwort ist also Land zurückzukaufen. Macht die Regierung ein neues Nationalisierungsgesetz und kauft den weißen Farmern das Land ab, und zwar nicht zu den von ihnen gewünschten spekulativ überhöhten Preisen, dann gibt es natürlich einen Aufschrei der Farmer. Also was tun? Kaufen schwarze Aktienhalter Goldminen, der Goldpreis bleibt, die Kosten steigen, die Goldminen gehen bankrott und können ihre schwarzen Arbeiter nicht mehr bezahlen, kommt von ihnen der Ruf nach Nationalisierung. Als sie Gewinne gemacht haben, kam dieser Ruf nicht. Da sagt Jeremy Cronin, stellvertretender Generalsekretär der SACP: im allgemeinen sind wir für Nationalisierung, aber sollen wir die Kapitalisten ausbezahlen für ihre Fehler? Prompt nennt man ihn einen Rassisten. Seine Analyse des Problems ist ja völlig richtig. Die Arbeiter sind bei den neuen Kapitalisten oft unter schlimmeren Bedingungen, denn die neuen Kapitalisten haben einen besonders großen Hunger auf Gewinne. Der Kapitalismus hat die Weißen reich gemacht, warum nicht die Schwarzen? Jetzt sind wir an der Reihe. Diese Haltung gibt es. Aber sie bedeutet immer größere Ausbeutung als vorher. Das ist Fakt. Die Anti-Privatisierungskampagnen sind darum wichtig und gut gewesen. Privatisierung öffentlicher Dienstleistungen und staatlicher Unternehmen muss gestoppt werden. Einverstanden. Aber die Antiprivatisierungsinitiativen sehen manchmal Privatisierung, wo keine ist. Wenn eine Gemeinde zur besseren Wasserversorgung ein Unternehmen gründet, das zu 100 Prozent der Gemeinde gehört, ist das keine Privatisierung.
MBl: Es gibt zunehmend Protestaktionen in den Townships und auch Kritik am ANC, an SACP und Cosatu aus neuen sozialen Bewegungen, die auch auf alte, radikale Kampfformen aus der Apartheidzeit zurückgreifen.
Denis Goldberg: Es gibt immer Ultralinke. Sie haben keine Antwort für die Probleme in unserem Staat und kein Verständnis für die Rolle eines Staates, der sich nicht nur für eine Klasse allein zuständig fühlt. Es hilft nichts, Gemeindeverwaltungen anzustecken, als Antwort auf schlechte Dienstleistungen. Das macht es schlimmer. Ich verstehe diese Taktik nicht. Ich verstehe die Frustration. Aber es gibt andere Möglichkeiten, denn wir haben heute eine volksfreundliche Regierung. Diese Regierung ist nicht mehr der Feind, wie in der Apartheid.
Ich komme zurück zu der Frage: Was ist die Rolle der Gewerkschaften? Was ist die Rolle des Staates? Was ist die Rolle der verschiedenen Klassen in der gegenwärtigen Entwicklungsetappe unseres Landes? Das haben wir nicht genügend analysiert. Kluge und gut ausgebildete Köpfe unserer Bewegung sind zum Teil der herrschenden Elite geworden und haben jetzt die gleichen Interessen wie die Reichen, nicht wie die Armen. Das ist normal.
Das wirkliche Problem steckt in der Frage, ob der ANC als Führer einer Allianz eine sozialistische Revolution machen soll. Unsere national-demokratische Revolution bedeutet zu allererst, dass die bürgerlich-demokratischen Rechte für alle gelten sollen. Aber die Bilanz zu ändern zwischen tiefster Armut und Reichtum braucht etwas mehr. Der politische Streit geht um die Frage, wie viel mehr, was mehr. Bis jetzt haben wir den Reichtum unter einer ganz kleinen Gruppe umverteilt. Wir brauchen aber eine stärkere Wirtschaft und mehr Nationaleinkommen, um die Armut zu bekämpfen. Ich weiß, dass die kapitalistische Wirtschaft das Problem der Armut nicht endgültig lösen kann. Aber wenn der Staat die Gier und den Markt eindämmen kann, gibt es Möglichkeiten gute Arbeitsplätze und mehr Wohlstand für alle zu schaffen. Das zu verneinen ist reaktionär und gar nicht fortschrittlich.
MBl: Kritik an der Dreierallianz gibt es in zweierlei Hinsicht. Die einen sagen, SACP und Cosatu sind in Geiselhaft des ANC und richten sich nur nach seinen ideologischen und politischen Vorgaben. Andere sagen, der ANC kommt immer mehr in Geiselhaft der Linken. Was ist richtig? Und wie stabil ist die Dreierallianz?
Denis Goldberg: Schwierige Frage. Was war der ANC im Anti-Apartheids-Kampf? Und was will der ANC nach der Befreiung sein? Eine klare klassenorientierte Partei oder ein klassenübergreifendes Bündnis? Die Frage haben wir nicht genügend diskutiert. Der ANC regiert im Interesse aller Südafrikaner. Das wirtschaftlich hoch entwickelte Deutschland war nur 40 Jahre gespalten in einen kapitalistischen und einen sozialistischen Teil. Und sind die Lebensbedingungen nach 20 Jahren Einheit wirklich vereinheitlicht und besser geworden? Nein! Ganz sicher nicht. In diesem reichen Deutschland, wo es die gleiche Sprache, die gleiche Literatur, die gleichen kulturellen Wurzeln gibt. Und da wird von Südafrika nach 15 Jahren erwartet, dass wir elf Sprachgruppen in einer Nation eingliedern können? Das ist ein Traum. Ab und zu ein Alptraum. Das wird noch Generationen dauern. Wer enttäuscht ist, hat geträumt. Ich bin Realist geblieben. Ich bin nicht enttäuscht. Wir haben die Möglichkeit schneller vorwärtszukommen. Ja, auch primitiver Kapitalismus ist wirklich schwierig.
Die Schlüsselfrage ist für mich - auch nach dem Zusammenbruch der sozialistischen Länder - wie entwickeln wir eine wirklich effektive demokratische Kontrolle der Wirtschaft und ihrer Institutionen. Wir haben diese Antwort noch nicht gefunden. Aus der Forderung „Alle Macht den Räten" wurde in der Sowjetunion kürzester Zeit „Keine Macht den Räten" und zuviel Zentralisierung, natürlich unter äußerem Druck, Einmischung und Krieg. Aber wir haben aus dem Ausnahmezustand den Normalzustand gemacht und in mancher Hinsicht eine Theorie. Die Antwort hätte heißen müssen: Mehr Vertrauen in die Menschen. So ist es heute. Trust the people.
(*) Siehe Rezension in der UZ, Zeitung der DKP vom 21. Mai 2010.