Drei Jahrzehnte unterm „Solidarnosc“-Stern

Es waren Arbeiter, die dem System des osteuropäischen Staatssozialismus den entscheidenden Stoß versetzten. Arbeiter mit dem berühmten Elektriker an der Spitze. Danach war nicht mehr viel zu halten - nicht die Berliner Mauer, nicht die Sowjetunion, auch nicht mehr die aus dem 19. Jahrhundert stammende Idee der Diktatur des Proletariats als der gangbare Weg hin zu einer sich von Ausbeutung und Unterdrückung emanzipierenden Gesellschaft. Überhaupt schien die Idee des Sozialismus, hinter der sich einhundert Jahre zuvor die Arbeiter Europas für eine neue Zukunft zu sammeln begannen, damals niemals schlechter gestellt zu sein.

Ein knappes Jahrzehnt nach ihrer Entstehung griff die Bewegung, in der die Arbeiter ihrer Zahl nach überlegen waren und die sich den klangvollen und symbolträchtigen Namen „Solidarnosc" gab, in ihrem Heimatland nach den politischen Machthebeln. Tadeusz Mazowiecki wurde im Sommer 1989 Ministerpräsident, womit die verfassungsmäßige Formel einer das ganze Land und die Gesellschaft führenden Partei restlos ad absurdum geführt wurde. Ende 1990 wurde Lech Walesa bei allgemeinen Wahlen zum Staatspräsidenten gewählt. Doch das Tischtuch zwischen dem legendären „Solidarnosc"-Führer und seinem wohl wichtigsten Berater von einst war bereits zerrissen. Einer, der an dieser Entzweiung tatkräftig mittat, war Jaroslaw Kaczynski - gleichfalls ein nicht unwichtiger „Solidarnosc"-Mann.

Von diesem Bruch an der Spitze erholte sich das mit „Solidarnosc" verknüpfte Lager nicht mehr - es blieb für immer tief gespalten. Und dann gingen 1993 zunächst die Parlamentswahlen verloren, schließlich scheiterte 1995 auch Walesa an seinem Herausforderer Aleksander Kwasniewski, der einst Chefredakteur der staatlichen Tageszeitung für die Jugend und kurz vor dem politischen Umbruch auch noch Sportminister gewesen war.

Zwar regierte von 1997 bis 2001 wieder eine recht bunt zusammengewürfelte Wahlaktion „Solidarnosc", allerdings aus Gründen der inneren Zerrissenheit letztlich ohne weiteren Erfolg. Die Parlamentswahlen 2001 nämlich sahen einen strahlenden Sieger, den früheren PVAP-Funktionär Leszek Miller, der mit seinen Linksdemokraten der SLD nur knapp an der absoluten Mehrheit im Parlament vorbeischrammte.

Während Kwasniewski insbesondere nach seiner problemlosen Wiederwahl 2000 bestrebt war, die Gräben zwischen dem alten „Solidarnosc"-Lager und seinen Leuten endgültig zuzuschütten, trat Miller die Flucht nach vorne an: Der Europäischen Union entgegen und gründlich oder naiv auf einen immer Recht habenden Markt vertrauend. Er bemerkte zwar richtig die im einstigen „Solidarnosc"-Lager nicht mehr zu kittenden Risse, rechnete aber mechanisch mit einer dauerhaften strukturellen Schwäche der „Ethos"-Leute, da diese sich auf absehbare Zeit gegenseitig das harte Rennen um parlamentarische Mehrheiten schwer machen würden.

Er und andere verrechneten sich also gründlich, denn seit 2005 dominieren zwei Gruppierungen das politische Leben Polens, die entschieden auf ihre ideelle Herkunft aus dem „Solidarnosc"-Lager pochen und denen es dabei, jedenfalls bisher, und ganz gleich, was sie machen, immer besser zu gehen scheint. Das Land wird seitdem also wahlweise mal konservativ-liberal, mal national-konservativ geführt. Zuletzt sah man den Kampf um das vakant gewordene Präsidentenamt, den Bronislaw Komorowski und Jaroslaw Kaczynski, zwei „Solidarnosc"-Veteranen, durchaus spannend zu führen verstanden. Während der eine auf die Frage, wie er zur Übernahme der Kosten von In-vitro-Befruchtungen durch die Krankenkasse stehe, kurz und knapp erklärte, er sei doch Katholik, verwies der andere darauf, auch ein solcher zu sein, aber als Vater von fünf erfolgreich gezeugten Kindern eigentlich nicht der richtige Mann für die Frage sei.

Als der amtierende Ministerpräsident Donald Tusk, dem trotz seines jungen politischen Alters „Solidarnosc"-Verdienste auch nicht fehlen, während der Kampagne erklärte, bei einem Sieg Kaczynskis drohe dem Land eine Katastrophe, wurde noch einmal deutlich, wie ernst die beiden Kontrahenten, die konservativ-liberale PO (Bürgerplattform) und die nationalkonservative PiS (Recht und Gerechtigkeit), ihre Gegensätze tatsächlich nehmen. Kaum noch vorstellbar also, wie sie alle gemeinsam und einträchtig einst an der Seite der Arbeiter auszogen, um den Sozialismus zu stürzen.