Al-Qaida, Sezessionsbewegung, Huthis: eine "Achse des Bösen"?

in (02.08.2010)

Wo auch immer über den Jemen berichtet wird, stehen die sicherheitspolitischen Herausforderungen des Landes im Vordergrund. In einem Atemzug werden der Huthi-Konflikt im Norden, die Sezessionsbewegung im Süden und die Terrororganisation Al-Qaida als Teile eines zusammenhängenden Konfliktdreiecks angeführt. Dies ist ganz im Sinne der jemenitischen Politik. So bezeichnete Premierminister Ali Mujawar die drei Akteure unlängst als jemenitische „Achse des Bösen".

Präsident Ali Abdullah Saleh unterstellt bei der jemenitischen „Achse des Bösen" eine direkte Verbindung zwischen den drei Akteursgruppen, den Huthis, der Sezessionsbewegung und Al-Qaida. So hätten sie zwar nicht die gleiche Ideologie, aber sie haben einen gemeinsamen Gegner: das politische System der Republik Jemen.

Ali Abdullah Saleh verfolgt so eine geschickte Politik. Seit dem gescheiterten Anschlag auf ein Flugzeug über Detroit im Dezember 2009 wurde die amerikanische Militärhilfe für den Jemen um das Siebenfache erhöht. Mit dieser militärischen Unterstützung unweigerlich verbunden ist die Erwartung an die jemenitische Regierung, konkrete Ergebnisse im Kampf gegen Al-Qaida vorzuweisen. Dieser Kampf ist hingegen nicht weit oben auf der Prioritätenliste des Regimes angesiedelt. Während die circa 200 Al-Qaida Mitglieder keine große Gefahr für das jemenitische Regime darstellen, ist schon ein einzelner Attentäter ein erhebliches Sicherheitsrisiko für die USA. Seit dem Waffenstillstand in Saada zwischen Huthi-Rebellen und Zentralregierung stellt insbesondere die Sezessionsbewegung im Süden eine große Gefahr für die Stabilität des Regimes dar. Angesichts der gewaltsamen Unterdrückung der Sezessionsbewegung, der willkürlichen Festnahmen und des repressiven Umgangs mit den südjemenitischen Medien ist die Verwendung der amerikanischen Mittel unter einem menschenrechtlichen Gesichtspunkt problematisch. In diesem Szenario kann es nur von Vorteil für das Saleh-Regime sein, so vielen staatlichen Übergriffen, Festnahmen und Angriffen wie möglich den „Anti-Terror-Stempel" zu verpassen. So werden erstens Erfolge im Anti-Terrorkrieg vorgewiesen und zweitens kann so die finanzielle Militärunterstützung der Amerikaner vielseitiger verwendet werden. Das Al-Qaida-Problem erscheint auf diese Weise dramatischer als es tatsächlich ist. Es stellt sich also die Frage wie die Präsenz von Al-Qaida im Jemen überhaupt aussieht und ob es tatsächliche Verbindungen zwischen Al-Qaida und den jeweiligen Bewegungen im Norden und Süden gibt.

 

Neuformierung Al-Qaidas und die Rolle der Stämme

Islamistischer Terrorismus ist kein neues Phänomen im Jemen. Schon in den 90er Jahren gab es einige Anschläge und Entführungen durch jihadistische Gruppierungen. Doch die Al-Qaida-Gruppe im Jemen ist unter ihrer aktuellen Führung stärker als je zuvor. Mit dem Ausbruch von 23 Jihadisten aus dem Gefängnis der jemenitischen Behörde für Politische Sicherheit (PSO) in Sanaa im Februar 2006 begann ein neues Kapitel für Al-Qaida im Jemen. Unter der Führung einer der Ausbrecher, Nasir Al-Wahayshi, der ehemalige Sekretär Osama bin Ladens, konnte sich Al-Qaida ab 2007 erneut im Jemen etablieren. Der Terroranschlag im Juli 2007 in Marib, der acht spanische Touristen in den Tod riss, war Ausdruck dieser neuen Stärke und beispielhaft für die neue Brutalität, mit der die Organisation von nun an vorgehen würde.

Ausgangspunkt der gegenwärtigen Entwicklung ist eine neue radikalisierte Generation von Jihadisten. Ihre Führungsriege rekrutiert sich aus Anhängern Osama bin Ladens in Afghanistan, Mitgliedern von Al-Qaida im Irak und ehemaligen Gefangenen in Guantanamo. Im Gegensatz zu ihren Vorgängern lehnen sie jegliche Form des Dialogs mit der Regierung ab. Wer gefangen wird, stirbt als Märtyrer, bevor er auf seine Auslösung hoffen kann. Die alte Führungsspitze, unter anderem verantwortlich für den Anschlag auf die USS Cole, hatte sich lange zurückhaltend gezeigt, um kein übermäßig hartes Vorgehen der Regierung zu provozieren. So kam es zwischen 2003 und 2006 zu einem fast friedlichen Verhältnis zwischen der Regierung und Al-Qaida.

Im Januar 2009 wurde schließlich Al-Qaida auf der Arabischen Halbinsel (AQAP) gegründet, ein Zusammenschluss der saudischen und jemenitischen Al-Qaida Gruppen, unter der Führung Nassir Al-Wahayshis. AQAP hat sich dem globalen Jihad verschrieben und sich die Bekämpfung der USA sowie der Regime in Riad und Sanaa zum Ziel gemacht. Ihre Rückzugsorte liegen vor allem in den peripheren, der Zentralgewalt weitgehend entzogenen Stammesgebieten.

Diese Stämme sind nicht von Grund auf hierarchisch geprägt, sondern vielmehr horizontal angelegt: Ein loser Verband, in dem die Individuen von ihrer Stammeszugehörigkeit profitieren. In Regionen, in denen die Legitimität und Autorität der Regierung eingeschränkt ist, übernehmen Stammesstrukturen staatliche Aufgaben in den Bereichen Wohlfahrt, Rechtssprechung und Sicherheit. Während einige Stämme der Regierung wohl gesonnen sind, ist die Beziehung zu anderen ambivalent bis schwierig. Vor dem Hintergrund eines stetig wachsenden Wohlstandsgefälles wird das Regime von weiten Teilen der Bevölkerung als korrupt empfunden. Um dennoch ihre Legitimität nicht zu verlieren, ist die Regierung auf die Loyalität der Stämme angewiesen. 

Das Überleben des auf Selbsterhaltung fixierten Regimes wird durch ein weit verzweigtes Patronagenetzwerk gesichert, durch welches Stammes- und Oppositionsführer kooptiert werden. So konnte sich das Regime die Loyalität bestimmter Stämme erkaufen. Dadurch haben sich jedoch auch die Konstellationen innerhalb der Stämme verändert. Die Doppelfunktion als Stammesführer und Regierungsmitglied führte zu einem Machtverlust der Scheikhs innerhalb des Stammesverbands. Gleichzeitig beginnt auch das Patronagenetzwerk der Regierung angesichts, knapper werdender Ressourcen und eines schrumpfenden Staatshaushalts, zu erodieren. Unter diesen Voraussetzungen fällt es Al-Qaida nicht schwer, Schutz in den Stammesregionen zu finden. 

„Wo die geteerten Straßen enden, fängt al-Qaida an"

Das Gewähren von Schutz für Schutzbedürftige ist ein wichtiger Aspekt der stammesbezogenen Gesellschaft im Jemen. Dass davon auch Angehörige von Al-Qaida profitieren, zeigt das Beispiel Anwar Al-Awlaqis. Der gebürtige Amerikaner jemenitischer Abstammung steht wegen seiner Verbindung zu den Ereignissen in Fort Hood und Detroit ganz oben auf der Liste der Terrorverdächtigen und wurde unlängst von Präsident Obama zur gezielten Tötung freigegeben. Nichtsdestotrotz wird er von seinem Stamm in Shabwa geschützt. Weitere Rückzugsgebiete für Mitglieder der AQAP sind die Provinzen Abyan und Marib: ölreiche Wüstenlandschaften in denen der Staat kaum an Legitimität genießt. Abyan ist Teil der südjemenitischen Sezessionsbewegung und auch Marib hat seit jeher ein gespanntes Verhältnis zur Zentralregierung. Das entstehende Vakuum nutzt AQAP geschickt für seine Zwecke aus. Das maribische Sprichwort „wo die geteerten Straßen enden, fängt al-Qaida an", unterstreicht dies treffend. Indem sie sich zum Fürsprecher des Volkes machen und gegen die allgegenwärtigen Missstände polemisieren, gewinnen sie die Sympathien der Bevölkerung.

Deutliches Zeugnis dieser Strategie ist das AQAP Propagandamagazin Sada Al-Malahim (Echo der Schlacht). Ein Artikel der Augustausgabe 2009 konstatiert: „die Bevölkerung bezahlt für ihre eigene Unterdrückung". 1 Dies ist eine scharfe Kritik an der Ungleichverteilung der Ölgewinne, welche zu einem großen Teil über Patronagebeziehungen in ressourcenarme Provinzen fließen, während die eigentlichen Fördergebiete vernachlässigt werden. Neu ist der geradezu sozialrevolutionäre Unterton.

Vereinigte islamische Umma versus Stammesinteressen

Während die Stämme Al-Qaida gewähren lassen, da sie von ihnen finanziell profitieren, ermöglicht der Zuwachs an Legitimität den Jihadisten ihren Aktionsspielraum auszubauen. Dieses symbiotische Verhältnis kann jedoch über gravierende ideologische Differenzen nicht hinwegtäuschen. Eine vereinigte islamische Umma, wie sie der AQAP vorschwebt, entspricht ganz und gar nicht dem Interesse der Stämme, deren Ziel es ist, weiterhin so autonom wie möglich zu bleiben. Schon deshalb werden sie Al-Qaida nie als ebenbürtigen Partner akzeptieren. Die Kooperation wird nur solange währen, wie sich die Stämme klare Vorteile davon versprechen können. Letztlich verfolgen sie ihre eigenen Machtinteressen und werden sich weder zu Spielbällen Al-Qaidas noch der Regierung degradieren lassen.

Besonders gravierend wirkt sich die enge Verzahnung zwischen Stämmen und Al-Qaida auf den Anti-Terror-Kampf aus. Angriffe auf Stammesterritorium mit zivilen Opfern treiben Stammesmitglieder und Jihadisten enger zusammen, die dann zwar keine gemeinsame Sache, wohl aber einen gemeinsamen Feind teilen. Dies wurde durch die Angriffe auf Ziele in den Provinzen Abyan, Sanaa und Shabwa im Dezember 2009 deutlich. Bei einem von den Amerikanern unterstützten Luftangriff, der sich Berichten zufolge gegen ein Trainingscamp in Al-Majalah in der Provinz Abyan richtete, kamen mehrere Frauen und Kinder ums Leben. In der Folge versammelten sich aufgebrachte Stammesangehörige zu einer Kundgebung gegen das rücksichtslose Vorgehen der Regierung. Al-Qaida nutzte diese Gelegenheit, um die Versammelten gegen die amerikanische Regierung zu mobilisieren und versprach Rache für den Mord an ihren Familien. Angesichts eines weit verbreiteten Anti-Amerikanismus fallen solche Reden auf fruchtbaren Boden, besonders nachdem die enge Kooperation zwischen Washington und Sanaa öffentlich wurde. Darüber hinaus konnte Al-Qaida dank einer Videoaufzeichnung der Demonstration seine Propaganda öffentlichkeitswirksam verbreiten. In Marib führte der auf ein angebliches Al-Qaida-Mitglied gerichtete Angriff vom 25. Mai 2010 ebenfalls zu Unruhen unter der Bevölkerung. 2 Jabir Al-Shabwani, ein angesehenes Mitglied der lokalen Verwaltung, kam bei diesem Luftangriff ums Leben. Sein Stamm schwor Rache für seinen Tod und so folgte unter anderem ein Anschlag auf eine Ölpipeline.

 

Al-Qaida und der Huthi-Konflikt

So eindeutig wie sich die Verbindung zwischen Stämmen und AQAP bejahen lässt, so nachdrücklich muss eine Verbindung zu der Huthi-Bewegung im Norden verneint werden. Der Huthi-Konflikt ist vorrangig politisch motiviert, wobei einzelne Beweggründe innerhalb der Gruppe durchaus variieren können. Viele der Kämpfer sind extrem anti-westlich und anti-israelisch eingestellt und verurteilen die enge Zusammenarbeit ihrer Regierung mit den Amerikanern. Ein ungleich kleinerer Teil der Gruppe kämpft für den Erhalt der zaiditischen Identität, welche sie durch salafitische Missionsbemühungen aus Saudi-Arabien und durch die Sunnifizierungspolitik des Saleh-Regimes bedroht sieht. Andere Motive sind finanzieller Natur oder speisen sich aus der Wut der Bevölkerung über die militärischen Operationen der Regierung auf das eigene Land und Besitz. Letztlich liegen die Ursachen in den akuten Missständen, hervorgerufen durch die wirtschaftliche Marginalisierung der Provinz und die Benachteiligung im Patronagenetzwerk des Regimes. Folglich handelt es sich vorrangig nicht um einen konfessionellen Konflikt, auch wenn er von Präsident Saleh häufig als solcher bezeichnet wird.

Auf Grund ihrer ablehnenden Haltung gegenüber dem Westen im Allgemeinen und dem Saleh-Regime im Besonderen, könnte man annehmen die Huthis würden zumindest ideologisch von Al-Qaida unterstützt. Doch ganz im Gegenteil distanzieren sich AQAP ausgesprochen deutlich von der Bewegung in Saada. So heißt es in der Sada Al-Malahim: „Die Banner der Huthis enthalten wahre Worte, aber leere Absichten". 3 

Die Huthi-Anhänger sind Zaiditen, welche im Allgemeinen der Schia zugeschrieben werden. Ihre Rechtsauffassung sowie religiösen Praktiken stehen jedoch eher dem sunnitisch-schafiitischen Islam nahe, welcher die jemenitische Gesellschaft dominiert. Den Huthis wird von AQAP vorgeworfen, sie seien eigentlich Zwölferschiiten anstatt gewöhnliche Zaiditen. Als entschieden konservative sunnitische Organisation hat AQAP eine der Zwölferschia gegenüber ablehnende Haltung, welche sie als Rafidhiyun, die Ablehnenden bezeichnen. AQAP glaubt, die Huthis würden unter dem Deckmantel der Zaidiya, die Zwölferschia im Jemen verbreiten, um somit einen schiitischen Gürtel um die saudisch-jemenitische Grenze zu etablieren. Damit, so die Argumentation, machten sie sich zu Agenten der iranischen Politik. Diese Interpretation geht konform mit Stimmen aus den Regierungen in Riad und Sanaa, die in dem Huthi-Konflikt einen Proxykrieg zwischen Saudi-Arabien und Iran um die Vorherrschaft im Nahen Osten sehen wollen.

Es scheint fast so als würden sich die Huthis und Al-Qaida in einem Propagandakrieg befinden. Laut einem Bericht der israelischen Haaretz, wollen die Huthis seit April 2010 mehrere Briefe von AQAP an eine gleichgesinnte Gruppe in Gaza abgefangen und sie an dieselbe Zeitung geschickt haben. Bei den Briefen handelt es sich unter anderem um Bauanleitungen von Bomben und Fluggeräten. Dass die Briefe wirklich von AQAP sind ist zu bezweifeln, doch ist dies ein bizarres Indiz für die Anti-Al-Qaida Haltung der Huthis.  

Nichtsdestotrotz profitiert AQAP sehr von der Instabilität, die durch die Huthi-Bewegung gestiftet wird. Der Konflikt hatte bis zum Waffenstillstand vom 11. Februar 2010 einen Großteil des Sicherheitsapparats und Militärs beansprucht, weswegen AQAP in anderen Landesteilen weitgehend unbehelligt agieren konnte. Zudem löste besonders der sechste Huthi-Krieg (Juni 2009 - Februar 2010) eine humanitäre Krise mit über 250.000 Flüchtlingen aus. Die katastrophalen Zustände bilden einen geeigneten Nährboden für die Parolen Al-Qaidas. Eine gewisse Distanz will AQAP jedoch bewahrt wissen: Al-Qaida „war nicht und wird nicht so weit von diesem Kampf entfernt sein wie manche denken, sie sind vielmehr mittendrin. [...] Doch die Mujahedin haben Prioritäten: sie werden die Apostaten [das Regime um Ali Abdullah Saleh] nicht gegen die Rafidhiyun unterstützen oder umgekehrt." 4 Es bleibt zu bemerken, dass die Regierung auch Jihadisten bezahlte, um an ihrer Seite in Saada gegen die Huthis zu kämpfen. Ob diese tatsächlich AQAP zuzurechnen sind, bleibt dabei offen.  

Al-Qaida und die Sezessionsbewegung

Während die Positionierung AQAPs gegenüber den Huthis einfach zu definieren ist, kann man die Beziehung von Al-Qaida zu der Sezessionsbewegung im Süden 5 nur schwer festmachen. Dazu gab der AQAP Anführer am 13. Mai 2009 in einer Tonaufzeichnung bekannt, dass die Organisation die Bewegung im Süden unterstützt.

Auch hier bestehen deutliche ideologische Unterschiede, denen sich auch die AQAP bewusst ist. Kommunisten bzw. Sozialisten zählen zu den ärgsten Feinden der Gruppierung. In Afghanistan kämpften die Jihadisten gegen die Sowjetunion und auch im Jemen wurden sie im Bürgerkrieg von 1994 gegen den sozialistisch geprägten Süden von der Saleh-Regierung eingesetzt. Diese ablehnende Haltung hat sich nicht geändert. AQAP erkennt das Leid, das der südjemenitischen Bevölkerung durch die Regierung widerfährt, an und fordert ein Ende der Unterdrückung. Doch gleichzeitig erinnert Al-Wahayshi an das Scheitern des Sozialismus in der Vergangenheit und empfiehlt die Übernahme der Scharia, da nur ein islamisches System die Probleme des Landes lösen könne. An dieser Stelle geraten jedoch die politischen Zielvorstellungen beider Bewegungen in Widerspruch. Die Forderung der Separatisten nach einem unabhängigen Südjemen ist mit dem Ziel einer islamischen Umma kaum unter einen Hut zu bringen. Trotz der Ablehnung des Sezessionsgedanken bietet AQAP offen Unterstützung an, was schon für sich genommen eine Bestätigung für die Sache der Bewegung ist. Damit versucht AQAP die Regierung und den Südjemen weiter zu entzweien. Eine wirkliche Allianz mit den Sozialisten würde AQAP nicht eingehen.   

Der Verdacht, dass es eine konkrete Verbindung von Al-Qaida und der Bewegung im Süden gibt, schien zunächst bekräftigt als Tariq Al-Fadhli, ein bekannter Mujahed mit engen Beziehungen zum Saleh-Regime, sich der Bewegung anschloss. Sein Beitritt wurde in der Öffentlichkeit und in den arabischen Medien im April 2009 heftig diskutiert. Einerseits verlieh er der Bewegung neuen Schwung, anderseits bleibt seine Motivation der Bewegung beizutreten rätselhaft.

Ursprünglich kommt Al-Fadhli aus Abyan, wo sein Vater unter der britischen Kolonialherrschaft Land besaß. Dieses Land wurde beim Abzug der Briten durch den sozialistischen Süden konfisziert. Viele Familien des Südens teilen dieses Schicksal, das noch heute wesentlich zur Unzufriedenheit der Bevölkerung beiträgt. Diese Parallele verleiht seinem neuerlichen Gesinnungswechsel Authentizität.

Al-Fadhli kämpfte in Afghanistan gegen die Sowjets und hatte dort auch Verbindungen zu Osama bin Laden, er gehört also zu der alten Garde der Jihadisten. Um im Bürgerkrieg von 1994 auf der Seite des Regimes gegen den Süden zu kämpfen, wurde er von Ali Abdullah Saleh aus einem jemenitischen Gefängnis entlassen. In diesem Krieg versuchte der Südjemen schon einmal seine Unabhängigkeit wiederzuerlangen - doch damals kämpfe Al-Fadhli gegen den Süden. Zu diesem Zeitpunkt ging er eine 15 Jahre währende Allianz mit Ali Abdullah Saleh ein.

Noch heute unterhält Al-Fadhli gute Beziehungen zu Jihadisten im ganzen Land. Doch zieht er eine klare Linie zwischen jenen Jihadisten, die in den 80er Jahren in Afghanistan kämpften, sich heute aber friedlich verhalten und AQAP-Mitgliedern, welche immer noch den globalen Jihad verfolgen.  Dementsprechend leugnet Al-Fadhli explizit jede Verbindung zu AQAP. Ein im Internet kursierendes Video zeigt Al-Fadhli und seine Familie, wie sie bei der amerikanischen Flagge stehend, die amerikanische Hymne singen. Ein symbolkräftiger Akt, der seine angeblich pro-westliche Einstellung eindrucksvoll demonstrieren soll und zugleich eine Anti-AQAP Haltung vermuten lässt.

In manchen Kreisen bestehen Zweifel daran, ob sich Al-Fadhli wirklich von der jihadistischen Ideologie losgelöst hat und dies trotz seiner patriotischen Deklarationen. Er bringt eine gewalttätige Komponente in die Bewegung und das bestärkt diesen Zweifel. Genauso ist unklar, welche Rolle er innerhalb der Bewegung spielt. Ein Teil der Bewegung heißt ihn als Führungsfigur willkommen, andere wiederum nicht. So rief er am 20. Februar 2010 nach einer „Stein-Intifada" gegen das Regime in Sanaa auf. Ein Teil dieser höchst fragmentierten Bewegung positionierte sich deutlich gegen diesen Aufruf. Mohammad Al-Ja‘adni, einer von vielen Anführern im Süden, betont den eigentlich friedlichen Charakter der Bewegung und distanziert sich von Al-Fadhli.

Darüber, ob wirklich Verbindungen zwischen Al-Qaida und der Bewegung im Süden bestehen, lässt sich nur spekulieren. Ali Salem al-Beidh, ehemaliger Präsident des Südjemens und wichtiger Unterstützer der Bewegung, sagte in einem Interview mit France24 ganz deutlich, dass die Bewegung im Süden nichts mit Al-Qaida zu tun hat. Befürworter eines unabhängigen Südjemens griffen, ähnlich wie Al-Fadhli, zur amerikanischen Flagge um sich von Al-Qaida zu distanzierten. Als Zeichen der Solidarisierung mit den Amerikanern und als Werbung um Unterstützung aus dem Ausland, ist dies eine sehr aussagekräftige Geste. Im Gegensatz zu den typischerweise brennenden amerikanischen Flaggen, sind dies ungewöhnliche Bilder aus der Arabischen Welt. Es mag paradox erscheinen, dass ausgerechnet der Kampf gegen die Sezessionsbewegung durch amerikanische Mittel finanziert wird. Jedoch gibt es auch weniger ablehnende Stimmen aus dem Süden in Bezug auf AQAP. Auf die Frage ob die Bewegung im Süden mit Al-Qaida zusammen arbeite, sagte Nasser al-Khabji lediglich, dass seine Bewegung keine politische Organisation oder Partei sei, sondern eine Volksbewegung, die viele Elemente der Gesellschaft umfasse. 

Dennoch ging auch hier, wie schon bei den Stämmen, die Anti-Terrorstrategie der jemenitischen Regierung nach hinten los. Besonders die Angriffe in der Provinz Abyan wurden als Angriff gegen den Süden unter dem Deckmantel des Anti-Terrorkampfs gewertet. Im Endeffekt werden Al-Qaida- Mitglieder von der Bevölkerung nicht als legitime militärische Ziele betrachtet. Sie bewegen sich frei unter der ansässigen Bevölkerung, haben Familien und sind oft durch Ehen und Stammeszugehörigkeiten in die Gesellschaft integriert. Insbesondere da die jemenitische Bevölkerung selber nie Ziel eines AQAP Anschlags war, werden sie nicht als Bedrohung wahrgenommen. Dadurch werden Angriffe gegen Al-Qaida, als Angriffe gegen die Bevölkerung interpretiert. 

Man kann also kaum von einer „Achse des Bösen" sprechen. Während die Ursachen des Huthi-Konflikts und der Sezessionsbewegung in der wirtschaftlichen Marginalisierung zu verorten sind, nutzt Al-Qaida diese Situation als Trittbrettfahrer aus. Ein temporäres Zweckbündnis mit den Huthis ist schon wegen der ideologischen Differenzen nicht abzusehen. Die Bewegung im Süden distanziert sich wiederum aus strategischen Gründen von Al-Qaida. Als Verbündeter von Al-Qaida würden sie vor allem international an Glaubwürdigkeit verlieren. 

Fazit

Für die jemenitische Regierung resultieren daraus drei Kernelemente, die in ihre Strategie integriert werden müssen. Erstens muss sie das politische Vakuum, das Al-Qaida ausnutzt selbst füllen. Nur durch die Behebung der sozioökonomischen Missstände im Land, kann sie den Konkurrenzkampf um die Gunst und Loyalität der Bevölkerung gegen Al-Qaida gewinnen. Auch an einer Normalisierung der Beziehung zum Süden wird langfristig kein Weg vorbeiführen. Ali Abdullah Salehs Rede zum 20. Jubiläum der Vereinigung des Jemens am 22. Mai, mit der er das Versprechen gab, südjemenitische Aktivisten aus den Gefängnissen zu entlassen, war ein erster Schritt in die richtige Richtung. Zweitens sollte dialogbereiten Elementen die Tür geöffnet bleiben und gleichzeitig drittens der militanten Gewalt gezielter begegnet werden, als es momentan der Fall ist.

 

Mareike Transfeld, Studentin der Politikwissenschaft, Islamwissenschaft und Neuerer und Neuester Geschichte der Universität Erlangen-Nürnberg

 

1 Al-Hiqa'a, Talib. Barakat Al-Hukm bi-ma anzal Allah. Sada Al-Malahim 10 (2009): 26-27. S.27.

2 CBSNews berichtet am 25.05.2010, dass dieser Angriff in Zusammenarbeit mit den USA durchgeführt wurde, jedoch wurde dies von offizieller Seite nicht bestätigt.

3 Al-Sana'ani, Abu Al-Bra'a. Al-Huthiyun rawafidh bi-qana'at zaidi. Sada Al-Malahim 12 (2010): 20 - 21. S.21.

4 Al-Sana'ani, Abu Al-Bra'a. Al-Huthiyun rawafidh bi-qana'at zaidi. Sada Al-Malahim 12 (2010): 20 - 21. S.21.

5  Im Jemen ist die Sezessionsbewegung als Al-Haraka Al-Silmiyya li-l-Janub (Friedliche Bewegung des Südens) oder kurz als Al-Haraka (die Bewegung) bekannt.