Im Bündnis Wir zahlen nicht für eure Krise ist die Partei Die Linke vertreten. Bei der Vorbereitung der Demonstrationen am 28.3.2009 in Berlin und Frankfurt war sie ein wichtiger Akteur. Die Rolle von politischen Parteien in solchen Bündnissen ist oft nicht geklärt - so auch hier. Das hat unter anderem historische Gründe. Geprägt durch die Zeit des kalten Krieges und ein extrem antikommunistisches Klima war es eher unüblich, dass linke Parteien anerkannter Teil außerparlamentarischer Bündnisse waren. Häufig wurde die Mitarbeit von Parteien ausdrücklich ausgeschlossen, teilweise auch, um eher sektiererische Kleinparteien abzuwehren.
In anderen europäischen Ländern war und ist es völlig üblich, dass die Führung der sozialistischen oder kommunistischen Parteien bei 1.-Mai-Demonstrationen oder Generalstreiks zusammen mit den Gewerkschaftsvorsitzenden in der ersten Reihe laufen. In Deutschland wurde diese Selbstverständlichkeit höchstens den sozialdemokratischen Gewerkschaftsführern eingeräumt. Die Linke als zwischenzeitlich ernst zu nehmende politische Partei hat die Chance, diese traditionelle Beschränkung zu durchbrechen und selbst zu einem wichtigen Akteur der außerparlamentarischen Bewegungen und Bündnisse zu werden. Sie muss es aber wollen. Das bisherige Engagement im Bündnis der Krisenproteste lässt durchaus noch Wünsche offen. Die Präsenz von Bundesvorstandsmitgliedern oder gewählten Abgeordneten ist eher die Ausnahme. Gleiches gilt für die aktive Mitarbeit von Landesverbänden. Die Partei hat mit dem Problem zu kämpfen, dass sie bei den Wahlen große Stimmenzuwächse erhielt, das Wachstum der Mitgliederzahlen und das Potenzial für politische Aktivitäten jedoch nicht im gleichen Umfang gestiegen ist. Außerdem kosten die für die Partei unvermeidlichen Wahlkämpfe viel Kraft und Energie. Wenn Die Linke ihrem Anspruch gerecht werden will, Motor und Sprachrohr der außerparlamentarischen Bewegung zu sein, muss sie sich deutlich mehr in diesen Bewegungen engagieren und in gesellschaftliche Bündnisse einbringen. Ebenso muss sie die Möglichkeiten zur Mobilisierung ihrer Mitglieder und von Teilen ihrer Wählerschaft besser nutzen. Besondere Bedeutung kommt dabei der Auseinandersetzung mit der aktuellen Finanz- und Wirtschaftskrise und der Beteiligung an den Krisenprotesten zu. Auch wenn die derzeitige Situation äußerst unübersichtlich ist, die herrschende Politik durchaus raffiniert versucht, jeglichem Eindruck einer radikalen Sozialkahlschlagpolitik entgegenzutreten, müssen sich Die Linke, Gewerkschaften und andere linke Gruppen der sozialen Bewegung auf ein länger andauerndes Krisenszenario einstellen. Folgende Entwicklungen scheinen realistisch:
1 | Die Krise wird nicht so schnell in einen neuen sich selbst tragenden Aufschwung übergehen. Vielmehr wird es Jahre dauern, bis die Höhe des Bruttosozialproduktes von 2007 wieder erreicht ist. Weder von den Export- noch von den Binnenmärkten gehen größere Wachstumsimpulse aus.
2 | Die Folgen auf dem Arbeitsmarkt kommen 2010 verstärkt auf die Beschäftigten zu. Die Zunahme von Insolvenzen, der Rückgang der Aufträge und ein erneuter Rationalisierungsschub werden in manchen Regionen wie z.B. in Baden-Württemberg den Grad der Industrieproduktion senken, auf alle Fälle zur Vernichtung zahlreicher Arbeitsplätze führen.
3 | Löhne, Gehälter und Arbeitsbedingungen kommen massiv unter Druck. Die Zunahme von Prekarisierung und Deregulierung der Arbeitsverhältnisse ist unübersehbar. Die Mitgliederhochburgen der klassischen Industriegewerkschaften werden kleiner.
4 | Der Zusammenbruch der Finanzmärkte ist durch eine enorme Zunahme der Staatsverschuldung erkauft worden. Manchen Ländern droht der Staatsbankrott, zumindest aber ein Zwang zu einschneidenden Sparmaßnahmen auf dem Rücken der Mehrheit der Bevölkerung. In Deutschland kündigt Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) ein Kürzungsprogramm an, dessen Einzelheiten jedoch - wen wundert es - erst nach der NRW-Wahl bekannt gegeben werden. Obwohl jetzt noch mit Steuererleichterungen - insbesondere für Erben und Hoteliers, aber durchaus auch für Durchschnittsverdiener/innen - der gegenteilige Anschein erweckt werden soll, wird die Mehrheit der Beschäftigten, Erwerbslosen und Rentner/innen die Zeche letztlich doch bezahlen müssen, wenn sie sich nicht dagegen wehrt.
5 | Der Druck auf die öffentlichen Haushalte, insbesondere in Ländern und Kommunen, nimmt zu. Eine wachsende Zahl von Städten und Gemeinden kann keinen genehmigungsfähigen Haushalt vorlegen. Gleichzeitig wächst der Privatisierungsdruck. Wenn die öffentlichen Bereiche in die Krise hinein sparen, verschärfen sie diese, insbesondere auf dem Arbeitsmarkt. Wenn die chronische und strukturelle, durch die Steuerpolitik der letzten 25 Jahre verursachte Unterfinanzierung der öffentlichen Hand nicht geändert wird, bleibt dieser nur die Entscheidung zwischen Pest und Cholera: Entweder weitere Verschuldung in Kauf nehmen oder sparen. Die Krise auf den Finanzmärkten ist keinesfalls beendet. Es drohen neue Gefahren. Verursacht durch die Billionen, die von den Industriestaaten in die Finanzmärkte gepumpt wurden, herrscht weltweite Über-Liquidität. Die Wachstumsprozesse sind zu gering, als dass diese Gelder in der so genannten Realwirtschaft profitabel angelegt werden könnten. Eine erneute Intervention der Staaten im Falle neuer Crashs ist jedoch aus zwei Gründen in Frage gestellt. Die Zinsen können nicht weiter gesenkt werden und die Staatsverschuldung kann nicht ohne weiteres in die Höhe getrieben werden. Gleichzeitig haben die Banken die toxischen Papiere, die in ihren Kellern lagern, längst nicht abgeschrieben.Dies deutet an, mit welchen Fragen und Auseinandersetzungen wir in den nächsten Jahren beschäftigt sein werden. Wenn es darüber hinaus stimmt, dass die Krise einen längerfristigen Zyklus des Kapitalismus beendet hat, werden wir es mit der Herausbildung einer neuen oder doch zumindest anderen Formation des Kapitalismus zu tun haben. Erfahrungsgemäß sind solche Formationsveränderungen mit mehr oder weniger heftigen gesellschaftlichen Kämpfen zwischen den Klassen und um die Rolle des Staates verbunden. In diesen Auseinandersetzungen werden die Kräfteverhältnisse neu definiert. Von entscheidender Bedeutung dürfte sein, wie sich die Gewerkschaften und die Linke (im weiteren Sinne) in diesen Auseinandersetzungen positionieren und eine zentrale Rolle spielen können.
INHALTLICHE PERSPEKTIVEN
Die inhaltlichen Perspektiven und Forderungen sind an anderer Stelle schon definiert und erläutert worden. In Kürze:
1 | Umverteilung des gesellschaftlichen Reichtums von oben nach unten. Dabei geht es sowohl um die Lohnquote als auch um die Steuer- und Abgabenpolitik.
2 | Schutzschirm für Arbeitsplätze durch Erweiterung des Kündigungsschutzes, der Mitbestimmungsrechte (Vetorechte) der Betriebsräte, massive Arbeitszeitverkürzung, gesetzliche Mindestlöhne und Reregulierung der Arbeitsverhältnisse.
3 | Vergesellschaftung der Banken, Regulierung des Finanzsystems und öffentliche Kontrolle.
4 | Rückgängigmachung der Agenda 2010, Abschaffung von Hartz IV und Einführung einer Grundsicherung, Abschaffung der Rente mit 67, Einführung einer Bürgerversicherung und die Einbeziehung von Kapital- und Zinseinkommen zur Finanzierung der Sozialsysteme.
5 | Demokratisierung von Wirtschaft und Gesellschaft. 6 | Ausbau der öffentlichen Daseinsvorsorge, Ausdehnung des öffentlichen Sektors und Ausbau der Beschäftigung in Bildung, Sozialem und Ökologie.
7 | Die Linke kann an vorhandene Vergesellschaftungsprozesse anknüpfen und sie mit der Zukunftsvorstellung eines demokratischsozialistischen Gesellschaftsmodells verbinden. Von dessen Durchsetzung sind wir weit entfernt. Doch die Finanz- und Wirtschaftskrise hat die Bereitschaft wachsender Teile der Bevölkerung, zumindest über die Nachteile des finanzgesteuerten Kapitalismus nachzudenken, erhöht. Daran kann Die Linke ansetzen und über Ursachen und Zusammenhänge der Krise aufklären.
Ohnehin ist der Vorteil einer politischen Partei, dass sie nicht, zumindest nicht in erster Linie, vom Auf- und Ab außerparlamentarischer Bewegungen abhängig ist. Sie kann mit ihren kontinuierlich arbeitenden Orts-, Kreis-, Landes- und Bundesverbänden dauerhaft in die Gesellschaft hineinwirken, für Aufklärung und, wenn die Voraussetzungen vorhanden sind, auch für die notwendige Mobilisierung sorgen. Das setzt jedoch Analysefähigkeit, die Fähigkeit zur Entwicklung von Zukunftsperspektiven und Glaubwürdigkeit voraus. Dazu muss die Linke ihre Bedingungen für Regierungsbeteiligungen abklären und eine produktive Auseinandersetzung mit den unterschiedlichen Standpunkten führen.
REGIERUNGSBETEILIGUNGEN UND BÜNDNISFÄHIGKEIT
Lafontaine hat in seiner Neujahrsansprache darauf hingewiesen, dass es ein großer Irrtum ist, zu meinen, eine Partei müsse an der Regierung sein, um etwas zu erreichen: Die Beispiele der SPD in den 1950er Jahren und der Grünen in den 1980er Jahren belegen das. Als Gegenbeispiele nannte er die italienische Rifondazione Comunista, die in einem eher neoliberal ausgerichteten Linksbündnis während ihrer Regierungszeit dramatisch an Bedeutung und Wählerstimmen eingebüßt hatte. Die Haltelinien für Regierungsbeteiligungen sind keineswegs besonders revolutionär. Es sollte einer Partei, die sich dem demokratischen Sozialismus verpflichtet fühlt, keine besonderen Auseinandersetzungen abverlangen, sich gegen Personalabbau im öffentlichen Dienst, Tarifflucht, Sozialabbau und gegen Kriegsbeteiligungen auszusprechen - auch in Regierungen. Dass dem nicht so ist, zeigen sowohl die Praxis von Regierungsbeteiligungen als auch die Auseinandersetzungen darum.
Ein wichtiges Element für die Glaubwürdigkeit einer linken Partei hat Lafontaine nicht genannt: die Beteiligung an außerparlamentarischen Bündnissen und Bewegungen. Dabei verträgt es sich nicht miteinander, wenn Die Linke in Regierungen etwas anderes macht, als sie in diesen Bündnissen vertritt. Das meint nicht die generelle Ablehnung von Regierungsbeteiligungen oder die Infragestellung notwendiger Kompromisse. Positionierungen gegen Sozialabbau oder Tarifflucht in Bündnissen nimmt jedoch niemand ernst, wenn man an deren Umsetzung beteiligt ist.
Kurt Tucholsky hat in den 1920er Jahren gesagt: »Die SPD meinte, sie wäre an der Macht, dabei war sie jedoch nur an der Regierung. « Wahrscheinlich wollte er ausdrücken, dass eine Gesellschaft nicht nur in Parlament und Regierung verändert werden kann, nicht allein im Überbau der Gesellschaft. Die Veränderung der ökonomischen und sozialen Basis geschieht in hohem Maße in den sozialen und politischen Kämpfen, in denen sich die Kräfteverhältnisse zwischen den Klassen immer wieder neu herausbilden. Am Beispiel des politischen Streiks kann dies ganz gut verdeutlicht werden. Einerseits hat die Linke die Forderung nach politischem Streikrecht aufgenommen und bringt diese ins Parlament in Form von Gesetzentwürfen ein. Gleichzeitig nehmen sich Gewerkschaften in der Praxis dieses Recht - wie bei der Rente mit 67 oder dem Aussperrungsparagraphen 116 -, indem sie dagegen streiken, oder, wie sie es formulieren, ihr Demonstrationsrecht während der Arbeitszeit in Anspruch nehmen. Die Partei Die Linke sollte diese Kräfte in den Gewerkschaften stärken.
BUNDESWEITE DEMONSTRATIONEN AM 12. JUNI 2010
Das Bündnis der Krisenproteste mobilisiert zum 12. Juni 2010 zu bundesweiten Demonstrationen. Bei der Vorbereitung dieser Aktivitäten könnte Die Linke eine wichtige und produktive Rolle spielen, sowohl innerhalb des Bündnisses als auch außerhalb. Lafontaine hat vorgeschlagen, die Frage »Wer bezahlt die Zeche der Krise?« zum zentralen Wahlkampfthema in NRW zu machen. Dabei geht es nicht darum, permanent in Kassandrarufe auszubrechen, sondern über die Vorhaben der schwarz-gelben Regierung, über die Entwicklung in den Betrieben und die Krisen›lösungs‹strategien des Kapitals aufzuklären und dem die eigenen Forderungen und Alternativen entgegen zu setzen.
Gleichzeitig sollte Die Linke ihre Mitglieder, Orts-, Kreis- und Landesverbände aufrufen, in den lokalen und bundesweiten Bündnissen mitzuarbeiten oder sogar zu deren Gründung aufrufen, wo es sie noch nicht gibt. Nicht, um die Bündnisse zu dominieren oder sie zu Wahlkampfzwecken zu benutzen. Die Partei könnte eine wichtige Scharnierfunktion zwischen den verschiedenen Gruppen insbesondere in die gewerkschaftlichen Gliederungen hinein erfüllen. Es ist nicht zu unterschätzen, dass sie über den SDS und teilweise über Solid ein wichtiger Akteur bei den Bildungsstreiks geworden ist. Die Bereitschaft der Schülerinnen, Schüler und Studierenden zu Bündnissen mit den Beschäftigten und ihren Gewerkschaften ist erfreulich groß. Es gibt gelungene Beispiele gemeinsamer Aktionen, sogar Streiks.
Die Partei Die Linke sollte ihren wichtigen Beitrag zum Erstarken der außerparlamentarischen Bewegung gegen die Abwälzung der Krisenlasten auf die Beschäftigten, Erwerbslosen und Rentnerinnen und Rentner innerhalb und außerhalb der Parlamente leisten.
Erschienen in LuXemburg 1-2010, S. 58-62.