Ego und Elite

„Unterm Strich zähl ich!“ heißt es im Werbespot, der regelmäßig direkt vor der Tagesschau auf ARD gesendet wird. In Zukunft dürfte die eiskalte Egozentrik dieses Postbank-Slogans noch stärker als bisher dem Inhalt der deutschen Abendnachrichten vorgreifen. Denn mit der Mehrheit für Schwarz-Gelb haben die Deutschen elitäre Egomanie zum Staatsprinzip gemacht. Und mit dem Egomaniac Guido Westerwelle einen würdigen Repräsentanten für dieses Prinzip gewählt. Warum nach Finanzkrise und zum Gemeinplatz gewordener Kritik am „Kasinokapitalismus“ ausgerechnet die FDP als marktgläubigste aller Parteien so deutlich zulegen konnte, ist eine
Frage, die nicht nur jene verzweifeln lässt, die neoliberale Hegemonie gemeinsam mit Lehman Brothers nachhaltig ins Wanken geraten sahen. Es gilt außerdem nicht als ausgemacht, dass sich unter den FDP-WählerInnen nur die viel beschworenen „Leistungsträger“ finden, deren Wahlmotiv einfach die liberale Klientelpolitik ist, die sie erwarten dürfen. Gewählt wurde die FDP vermutlich auch von einigen, die sich von wirtschaftsliberaler Politik nicht das Geringste versprechen dürfen. Ob in der Bildungs-, der Gesundheits-, der Steuer- oder der Sozialpolitik: Die von einem starken Bürgerrechtsflügel inzwischen weitgehend befreiten Liberalen stehen für Elitenbildung.
Auch die CDU hat bis auf ihr Nein zu einer Lockerung des Kündigungsschutzes bislang nichts getan, was die ihr in jüngster Zeit so gerne attestierte „Sozialdemokratisierung“ bestätigen würde. Gegen solche Unterstellungen hatte sich Merkel zudem bereits mit ihrer Ansage im Wahlkampf, mit der FDP ließe sich einfach die vernünftigere Wirtschaftspolitik machen, glaubwürdig zur Wehr gesetzt. Und zum Beweis kommt statt der geforderten Mindestlöhne nun erwartungsgemäß bloß das Verbot so genannter sittenwidriger Löhne – und damit quasi die Legalisierung von Hungerlöhnen. Über eine Laufzeitverlängerung „sicherer“ Atomkraftwerke war man sich ebenfalls gleich einig.
Die Analyse „alle doof da draußen“, so der Titel eines Wahlkommentars in der Wochenzeitung „Jungle World“, hat also tatsächlich etwas Bestechendes. Denn sie liefert bislang auch die plausibelste Erklärung, warum beispielsweise ausgerechnet Wirtschaftminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) zum neuen Lieblingspolitiker in der Bundesrepublik werden konnte. Obwohl dieser deutsche Karl-Heinz Grasser alles repräsentiert, was viele im Land längst nicht mehr besitzen: genügend Geld und die ungetrübte Zuversicht, dass der Kapitalismus letztlich für alle gut ist.
Während die FDP ihre Stimmenzuwächse vor allem männlichen Wählern verdankt, wählten diesmal deutlich mehr Frauen die CDU. Ein Ergebnis, das die Bundeskanzlerin für sich verbuchen kann, das aber dennoch den Schluss nahelegt, dass auch die Frauen da draußen mehrheitlich wohl einfach doof sind. Schließlich bedeutet Frauenpolitik für beide künftigen Regierungsparteien bekanntermaßen einzig Familienförderung, über deren Inhalte bei den Koalitionsverhandlungen lediglich in der thematisch äußerst bunten Arbeitsgruppe „Familie, Integration, Kultur, Neue Medien“ verhandelt wurde, die gänzlich ohne das Wort „Frauen“ im Titel auskam. Eine Erhöhung von Steuerfreibetrag und Kindergeld gilt als beschlossen, und die CSU pocht weiterhin auf die Einführung eines Betreuungsgeldes (von KritikerInnen auch „Herdprämie“ genannt), das Müttern die Wahl zur häuslichen Kinderbetreuung lassen soll, wenn 2013 der Rechtsanspruch auf einen Krippenplatz wirksam wird.
Dass eine Bundeskanzlerin nicht zwangsläufig engagierte Frauenpolitik macht, hat Merkel ohnehin bereits in der vergangenen Legislaturperiode eindrucksvoll unter Beweis stellen dürfen. Der Beleg, dass ein Schwuler mit Bürgerrechtsrhetorik die Agenden von Homosexuellen womöglich ebenfalls nicht zu seinen dringlichsten Anliegen machen wird, steht hingegen noch aus. Einen Vorgeschmack darauf gibt es allerdings schon: Das Allgemeine Gleichstellungsgesetz wird von der FDP seit langem als wachstumshemmende Zumutung für Unternehmen kritisiert. Besonders empört zeigte man sich darüber, dass u.a. auch der Diskriminierungsgrund „sexuelle Orientierung“ aufgenommen wurde, obwohl dies von der EU gar nicht gefordert sei.
Die SPD schlägt sich derweil mit dem mühevollen Erkenntnisprozess herum, dass sie ganz offensichtlich längst nicht mehr als glaubhafte Alternative zur neoliberalen Politik von Schwarz-Gelb wahrgenommen wird. Und mit Parteimitgliedern wie Thilo Sarazzin, der über TürkInnen, „die ständig kleine Kopftuchmädchen produzieren“, hetzt. Damit sie in der Opposition mit Linke und Grünen zu einem sozialdemokratischen Profil zurückfindet, muss sehr viel passieren.
Ob das geschieht, wird aber bei der nächsten Wahl zählen. Unterm Strich.

Dieser Artikel erschien in: an.schläge, das feministische Magazin, www.anschlaege.at