Das Selbstporträt war schon während ihrer Studienzeit CINDY SHERMANS liebstes Stilmittel. Für ihr Spiel mit Identitäten experimentierte sie damals aber auch mit ausgeschnittenen Figuren und Filmen. Eine Ausstellung in Wien zeigt das Frühwerk der Künstlerin.
Das Foto zeigt zwei Mädchen, die sich als alte Damen verkleidet haben. Eine der beiden ist die zwölfjährige Cindy Sherman. In Schwarz gekleidet steht sie da, mit leicht gebeugter Körperhaltung und über die Zähne gezogener Oberlippe, in den Händen ein Taschentuch, als hielte sie sich daran fest. Das Bild beweist: Sherman, die für ihre opulent inszenierten Selbstporträts berühmt ist, entwickelte früh eine Leidenschaft für Make-up und Maskerade, und von Anfang an war diese ganz offensichtlich gepaart mit einem guten Blick fürs charakteristische Detail. Und noch eine weitere Neigung offenbart sich bereits hier: Ums Schönmachen geht es Sherman bei ihren Verkleidungen nicht, schon in einem Alter, in dem andere zu Tüll und Krönchen greifen, hat sie nach eigener Aussage einen Faible fürs Hässliche.
Growing Up. Das Kinderfoto eröffnet sowohl den neu erschienenen Katalog als auch die begleitende Ausstellung in der Vertikalen Galerie der Sammlung Verbund in Wien, die sich beide erstmals dem Frühwerk der Künstlerin widmen. Kuratorin Gabriele Schor hat dafür Arbeiten zusammengetragen, die während Shermans Studienzeit 1975-1977 in Buffalo entstanden sind. Zuvor war man nicht davon ausgegangen, dass vor den „United Film Stills“, mit denen Sherman ein Kaleidoskop von B-Movie-Weiblichkeiten inszenierte und die sie bekannt machten, etwas von Bedeutung entstanden war. Für bedeutsam hielt auch Sherman selbst viele der nun in Wien gezeigten Arbeiten nicht. Darunter „Dinge, die ich niemals zeigen wollte, Dinge, von denen ich hoffte, jemand würde sie eigentlich erst sehen, wenn ich bereits tot bin“, wie sie in einem Interview sagt, das sie dem „Standard“ anlässlich der Ausstellungseröffnung gab. Hier spricht wohl vor allem das Unbehagen der Konzeptkünstlerin, der es später immer um das perfektionistisch geplante Ergebnis und nie um das ihm vorangegangene Experiment gehen wird. Denn anders als Shermans monumentale Einzelfotos, ihre zahlreiche Frauenporträts, History Portraits oder die Clown-Bilder stellen viele Arbeiten dieser frühen Werkphase den Prozess aus. Erstens den Prozess des sich noch Ausprobierens der jungen Künstlerin, die sich in dieser Zeit nicht nur für die Kamera verkleidet hat, sondern so manchmal auch auf die Straße ging. Zweitens den Prozess des Verkleidens und Verwandelns selbst, der später konsequent unsichtbar bleiben wird. Doch damals produziert sie oft noch Bilderserien, die den Identitätswechsel schrittweise zeigen, in „Growing Up“ etwa den Wandel vom schielenden Kleinkind mit Haarspange zur erwachsenen Person.
Doll Clothes, Murder Mystery, Bus Riders. Sherman hat während ihres Studiums auch mehrere Kurzfilme gemacht, in denen sie mit Cutouts, aus Fotografien ausgeschnittenen Figuren, und Stop-Motion experimentiert. „Doll Clothes“ ist so ein klassisches Studienzeit-Experiment: Der Film zeigt eine in Zellophan gefangene junge Frau, die zwischen zahllosen Puppenkleidern wählen muss. Doch kaum hat sie die für sie passende Garderobe gefunden, wird sie zurück in ihr Klarsichtverlies gesteckt.
Mit Cutouts hat Sherman zu dieser Zeit viel gearbeitet, und einige der beeindruckendsten Arbeiten ihres Frühwerks sind mithilfe dieser Technik entstanden. In „Bus Riders“, einer Serie ausgeschnittener Fotografien, die in einem öffentlichen Bus angebracht und ausgestellt wurden, liefert Sherman quasi eine demografische Studie in Form eines repräsentativen Ensembles von Fahrgästen. Sherman gibt auf den Bildern den Busfahrer mit Schnauzer und Koteletten ebenso wie alle anderen, in ihrem jeweiligen Habitus genau getroffenen BusinsassInnen: die Greisin mit Krückstock, den pickligen Teenager, miteinander tuschelnde Schulmädchen, müde heimkehrende Arbeiterinnen oder den Schwarzen Mittdreißiger in Schlaghose.
Eine Installation mit Cutouts entwickelte sie auch für „Murder Mystery“. Hierfür schrieb sie zuerst eine Kriminalgeschichte, um danach alle darin vorkommenden Charaktere – Diva und Kinder, Detektiv und Dienstmädchen etc. – selbst darzustellen. Die aus den Fotos isolierten Figuren gruppierte sie daraufhin zu Szenen und applizierte sie dem Handlungsverlauf entsprechend an die Wände eines Raumes.
Die Arbeiten „Murder Mystery“ und „Bus Riders“ verweisen auf eine vielleicht nicht unwesentliche Be sonderheit in Cindy Shermans Früh werk: Sie mimt hier auch männliche Charaktere. Bis auf die – mehr oder weniger geschlechtslosen – Clowns wird sie später ausnahmslos Frauenfiguren in Szene setzen. Und sind es später die Abweichungen, die Sherman interessieren und die sie mit ihren schrägen Subjekten inszeniert, versucht sie als Studentin ihre Figuren noch durch das Prototypische, Klischeehafte zu fassen.
In dieser Phase wird auch der Einfluss der Body Art auf Sherman ganz unmittelbar sichtbar. Bis auf die Bilder ihrer Arrangements mit Puppen und Gegenständen setzt sie ihren eigenen Körper Zeit ihres Lebens in ihrer Arbeit immer direkt ein. Allerdings ist es immer ein bekleideter Körper. Als Studentin in Buffalo versucht sie sich in der Tradition feministischer Body Art hingegen auch an der Nacktheit. So erfolgt die Codierung des Körpers in „Air Shutter Release Fashions“ lediglich durch Schnüre, mit denen sie die Umrisse unterschiedlicher Bademoden auf ihren nackten Körper zeichnet.
Hassliebe-Geschichte. „Obwohl ich mein Werk nie in einem aktiven Sinne für feministisch oder für ein politisches Statement gehalten habe, beruht natürlich alles darin auf meinen Beobachtungen als Frau in dieser Kultur. Und ein Teil davon ist eine Hassliebe-Geschichte, die Tatsache, dass mich Make-up und Glamour faszinieren und ich sie zu gleich verabscheue. Das kommt von dem Versuch, sich selbst schön und sexy wie eine richtige junge Dame herzurichten, ohne sich zugleich wie eine Gefangene dieser Struktur zu fühlen.“
Dieses Zitat von Cindy Sherman findet sich im Eingangsbereich der Ausstellung – und es konterkariert letztlich die Bedeutung, die ihr in der feministischen Kunst eingeräumt wird. Denn was Sherman für die feministische Rezeption so interessant macht, ist keinesfalls einfach eine Kritik an der Rigidität herrschender Schönheitsideale und -industrien, auch wenn sie diese – etwa mit Fliegerbrille oder debil verzerrten Gesichtszügen – in ihren Bildern immer wieder sehr treffend zu formulieren vermag. Ihre eigentliche Leistung besteht jedoch darin, den Konstruktionscharakter von Identität auszustellen: Durch eine hyperartifizielle Inszenierung diverser Weiblichkeiten, die sich aus Kunsthaar, Brustprothesen und mit pastosem Strich aufgetragenen Schminkschichten zusammensetzt.
Auch im „Standard“-Interview distanziert sich Sherman von feministischen Intentionen. „Ich glaube, ich habe meine Arbeit mehr als notwendig politisiert“, resümiert sie. Es ist nicht unüblich, dass sich Künstlerinnen mit solchen Aussagen dem weder sehr erfolgversprechenden noch besonders einträglichen Label „feministische Kunst“ entledigen wollen. Eine Künstlerin, der das Moma in New York ab Ende Februar eine große Retrospektive widmet und deren Bilder Millionenerlöse erzielen, hat so eine Karrierestrategie aber eigentlich nicht nötig. Auch ein Vertrag, den Cindy Sherman neuer dings mit der Make-up-Marke MAC hat, ist bestimmt nicht unlukrativ. Doch selbst die Werbefotos für die se Kosmetiklinie, für die Sherman selbst Modell stand, dienen sich einer feministischen Interpretation geradezu an: Sherman ist als Clown sowie mit saukomischer Grimasse und in Trash-Glamour zu sehen. Mit dem Feminismus-Label wird Sherman also voraussichtlich wohl oder übel weiter leben müssen.
Ausstellung: That’s me – That’s not me. Cindy Shermans frühe Werke
Vertikale Galerie, Am Hof 6a, 1010 Wien
Bis 16. Mai 2012 jeden Mitt woch ab 18 Uhr, Eintritt frei, Voranmeldungen erbeten untersammlung@verbund.com
Katalog: Gabriele Schor (Hg.): Cindy Sherman: Das Frühwerk 1975-1977.
Catalogue Raisonné, Verlag Hatje Cantz, 49,80 Euro.