Küssen verboten

Was man mit dem neuen Sexualstrafrecht beim nächsten Date alles zu beachten hat.

in (19.09.2009)

Wie wir alle wissen, wäre die heutige Situation in der BRD weit besser, hätte es die ’68er nicht gegeben. Ohne die würden Frauen noch brav in der Küche stehen und kochen, während der Mann ungestört in der Stammkneipe Lieder von Horst Wessel singen könnte.

Der Hass auf diese Revoluzzer mit ihrer sexuellen Selbstbestimmung mag einer der Gründe sein, warum CDU und SPD im vergangenen Jahr ein neues Jugend-Sexualstrafrecht verabschiedet haben. Dieses soll nach Angaben der Bundesjustizministerin Brigitte Zypris (SPD) „Kinder und Jugendliche besser vor einem Abgleiten in die Prostitution schützen.“ Angeblich zur Erfüllung „internationaler Vorgaben“ werde von nun an ein „Ausgleich zwischen einer ungestörten sexuellen Entwicklung und einem verbesserten Schutz junger Menschen vor sexueller Ausbeutung und sexuellem Missbrauch“ geschaffen. Um eine „übertriebene Sexualmoral“ gehe es dabei nicht.

Was sich zunächst gut anhört, heißt jedoch in der Praxis folgendes:
Zukünftig macht sich ein 18jähriger strafbar, wenn er einen 17jährigen ins Kino einlädt und es infolge dessen zu beiderseitig gewollten sexuellen Handlungen kommt. Denn durch die Einladung ins Kino hat der 17jährige so genanntes Entgelt erhalten, das heißt einen geldwerten Vorteil.

Zudem ist Sexualverkehr bei „Ausnutzung einer Zwangslage“ verboten. Diese Formulierung ist jedoch nicht klar definiert. So kann sich eine Person bereits in einer Zwangslage befinden, die einen Bus verpasst und einen Platz zum Übernachten sucht. Verbringt diese Person deshalb die Nacht im Haus eineR FreundIn, wo es zu beiderseitig gewolltem Sexualverkehr kommt, so kann dies nach neuem Gesetz ausreichen, um einen Straftatbestand zu erfüllen. Angenommen, dieseR FreundIn macht der Person nur Annäherungsversuche, welche abgeschmettert werden, so kann darin ein Versuch gesehen werden, welcher ebenfalls strafbar ist. Sämtliche sexuellen Handlungen, welche nicht aus dem luftleeren Raum entstehen, stellen nun Straftaten dar.

So kommentiert Jerzy Montag, rechtspolitischer Sprecher der Grünen, die Situation in einem taz-Interview wie folgt: „Die Regierung ist dabei, Streicheln, Küssen und Petting unter Strafe zu stellen. [...] Hier geht es meines Erachtens nicht um Opferschutz, es werden massenhaft Täter produziert. Und diese angeblichen Täter werden viel jünger sein als bisher.“ Zu einer konsequenten Verfolgung küssender Paare wird es beim momentanen Justizzustand jedoch nicht kommen. Dafür sind die materiellen Grundlagen nicht gegeben. Dies muss jedoch nicht heißen, dass es in Folge dieses moralischen Feldzuges zu keinerlei Anzeigen kommt. So ließe sich das neue Gesetz nutzen, um einzelne Gruppen oder Individuen - wie beispielsweise Straßenkinder - denen man mit der bisherigen Gesetzeslage nichts anlasten konnte, mit Repression zu belegen.

Um unfreiwillige Prostitution von Jugendlichen wirkungsvoll zu verhindern, wäre die Einführung eines Schülergrundeinkommens eine bessere Möglichkeit als solch ein Gesetz. Ein Grundeinkommen ließe materielle Zwänge, sich bis zur Volljährigkeit unter ökonomischem Zwang zu verkaufen, erst gar nicht aufkommen, wenn Menschen während ihrer gesamten Ausbildungszeit versorgt werden.