Wovon lebt der/die Künstler/in in der Krise?

Zu den Auswirkungen der Finanzkrise auf die soziale Situation von Künstler/innen

Ein Aufsatz der sich mit der sozialen Situation von Künstler/innen befasst und dies unter der Berücksichtung etwaiger Folgen durch die Finanzkrise tun will, sieht sich vor einige Probleme gestellt. Probleme ergeben sich bereits aus der Bestimmung von Kunst. Peter Bendixen, prominenter Kultur- und Kunstökonom, stellt fest: „Wenn aber Kunst (mentale und reale) Grenzüberschreitungen zu ihrem Wesen, zu den Bedingungen ihrer Möglichkeiten bestimmt, dann muss sie beinahe zwangsläufig in Konflikt mit den Kräften des ökonomischen Prinzips geraten.“1 Die Kunst bildet ein Gegenprinzip zur Ökonomie und befindet sich in der bürgerlichen Gesellschaft mit dieser im permanenten Machtkampf. Joseph Beuys sah die Kunst in der Tradition progressiver Aufklärung und als Basis gesellschaftlicher Veränderung: „Kunst ist eine Art von Freiheitswissenschaft [...] erst einmal, und infolge dessen auch Kunst als Urproduktion oder als die Basisproduktion für alles weitere.”2 Auf den ersten Blick handelt es sich um eine idealistische Position. Wer es will, kann aber die intendierte dialektische Funktion künstlerischer Tätigkeit erkennen, die sich zum Vorgefundenen, zur Materie verhält. Beuys war Meister darin, sich auf die Bearbeitung der Materie, seien es Basaltblöcke, ein wilder Kojote oder die bürgerliche Gesellschaft, einzulassen und sich zu ihr in Beziehung zu setzen. Es erfordert Mut und subjektive Substanz, sich dem bürgerlichen Mainstream entgegenzustemmen. Der Kunstwissenschaftler Ernst H. Gombrich brachte die Bedeutung des subjektiven Veränderungsanspruch von Künstler/innen auf den Punkt: „Künstler [...] wollen die Welt mit neuen Augen sehen, und mit den hergebrachten Vorstellungen und Vorurteilen aufräumen, dass Fleisch rosa ist und Äpfel rot zu sein haben oder gelb. Es ist nicht leicht, uns von solchen vorgefassten Meinungen zu befreien, je besser es aber einem Künstler gelingt, desto aufregender sind meist seine Werke, die aus seinen Händen hervorgehen.“3

Während sich Ökonomie mit dem objektivierbaren Mangel (Bedarf, Knappheit)4 befasst, vertritt Kunst das Prinzip subjektiver Vielfalt.5 Nur wer aus dem Vollen schöpft und sich von der Angst vorm Mangel befreit, kann ansprechende künstlerisch-ästhetische Lösungen für die Probleme der Welt finden. Die Möglichkeit etwas formbar zu machen, setzt das Vorhandensein von Bestehendem oder Denkbarem (Materie) voraus. Das zu tun ist Aufgabe des/der Künstlerin: „Die Leistung des Künstlers besteht darin, aus der Materie eine ihr möglich bestimmte Form zu entbinden. [...] Die Form tritt nicht als Geistiges zur Materie hinzu, sondern ist deren Daseinsweise, die in ihr angelegte objektive Möglichkeit, die der Künstler als eine unter mehreren in einer bestimmten Perspektive akzentuiert.“6 Wesentlich ist die „Auffassungsperspektive des Künstlers“, sowie die „Auffassungsgabe des Rezipienten“.7 Den Gehalt freizulegen, ist Aufgabe von Analyse und Kritik. Kritische Perzeption nimmt die objektivierende Gegenbewegung vor: es geht darum, „dass die in ihnen zur Objektivität geronnen Prozesse selber reden.“8 Gute Kunst erfordert mehr als subjektivistische Lebensäußerung. Kunst will wahrgenommen und verstanden werden. Die vermittelnde Instanz des Kunstwerks nennt Adorno den „Geist“. Geist haftet ihrer Gestalt an und weist über sie hinaus. „Je vollkommener das Kunstwerk, desto mehr fallen die Intentionen von ihr ab.“9 Die Relevanz der subjektiven Auffassungsperspektive und Arbeitsweise in der Kunstentstehung macht Kunst zum ‚Vorbild’ gesellschaftlicher Verän–derung. Kunst und ästhetische Weltaneignung widersetzen sich den Ordnungskriterien einer auf Profitmaximierung orientierten Gesellschaft. Ihrer Bestimmung nach widersetzt sich Kunst dem Warencharakter: „Das reine Kunstwerk hat gar keinen anderen Zweck als diesen, sich der Anschauung darzubieten und ohne praktische Verwendbarkeit bedeutsam zu sein.“10 Max Fuchs, Vorsitzender des Deutschen Kulturrates, betont die Bedeutung von Kunst in der Klassenauseinandersetzung: „Im Marxismus, zumindest dem nicht von Staatsparteien zubetonierten, gehörten die Künste immer schon nicht zum bloß eindimensional Abhängigen einer ökonomischen Basis, sondern zur Welt des Geistigen, deren Macht nicht unterschätzt werden darf. Immerhin haben alle politischen Systeme diese Macht immerschon genutzt.“ Die bürgerliche Gesellschaft versucht Kunst als Motor gesellschaftlicher Entwicklung beherrschbar zu machen. Ihr Erscheinungsbild sind Starkult (Elite), Entöffentlichung gesellschaftlicher Angelegenheiten, Prekarisierung der übrigen Künstler/innen, sowie Konsumorientierung für die Massen. Gesteuert wird mittels künstlicher Verknappung durch Marktbeschränkungen auf Messen, rigide Budgetierungen der Museen, selektive Auslese von Galerien und Stiftungen, die temporäre Stipendien ergeben. Der Staat reguliert durch Gewährung oder Entzug öffentlicher Zuwendungen. Welche Auswirkungen hat es nun, wenn das herschende ökonomische Prinzip in die Krise gerät? Geraten die ihm unterworfenen Akteure der Kunst ebenfalls in die Krise? 


Wer oder was ist überhaupt ein/e Künstler/in?

Künstler/innen sind hinsichtlich der Art und Weise ihrer Produktionstätigkeit eine äußerst heterogene Gruppe. Soziologisch betrachtet sind Künstler/innen Menschen, die Kunst produzieren und damit ihr Haupteinkommen erzielen. Professionalisierung der künstlerischen Arbeit ist eine Bedingung kapitalistischer Verhältnisse. „Früher war die künstlerische Produktion im wesentlichen konsum- und rezeptionsorientiert: Auftraggeber und Publikum waren bekannt. Für den Künstler entstehen jetzt grundsätzlich neue, stark veränderte Schaffensbedingungen. Die Schwierigkeiten potenzieren sich. So muss ein angenommener Adressat den konkreten Rezipienten ersetzen, das Angebot übersteigt bald die Nachfrage, infolge verstärkter Professionalisierung der künstlerische Arbeit wird der Kunstproduzent schließlich ‘freischaffender’ Künstler.“12 Neben den/die aus der Standesgesellschaft entlassenen „freien“ Künstler/in tritt außerdem der/die lohnabhängige Künstler/in. Solche Unterscheidungen dienen der Einkommenserfassung durch Finanzämter und Künstler/innensozialkasse (KSK). Die Erfassung der sozialen Strukturen des Kultursektors erfolgt nach Produktionszweigen.13 Sie werden kategorisiert in: Bildende Kunst, Darstellende Kunst, Musik, Wort (incl. Journalist/innen, Autoren/innen). Ergänzt werden müsste der Bereich von kreativen Mitarbeiter/innen moderner Massenmedien. Dort werden künstlerischen Produktionskategorien parallel genutzt. Nicht selten arbeiten Künstler/innen in mehreren Produktionszweigen: Da gibt es den/die singende/n Schauspieler/in, den schreibenden Maler, den malenden Musiker usw. Für viele Künstler/innen ist Multiprofessionalität kreativitätsfördernd und soziale Notwendigkeit. Für den Kunst-Soziologen ist sie ein Problem.


Soziale Situation und Klassenlage 

Die soziale Situation von Künstler/innen ist je nach Berufsstand (selbstständig/ freiberuflich oder lohnabhängig) und Position zu den jeweiligen Märkten sehr different. Was soziale Faktoren wie Einkommen, Wohnverhältnisse, Bildungsniveau betrifft, gibt es Differenzen, die die üblichen Unterschiede der Klassenlage überschreiten. Da gibt es zum einem Stars, die nicht selten das Quantum der Einkünfte von Großbürgern übertreffen. Beispiel: der ehemalige Berliner Kultursenator Roloff-Momin schrieb über die Verpflichtung Barenboim’s zum Generalmusikdirektor der Deutschen Staatsoper Berlin: „Im Senat fielen einige meiner Kollegen fast vom Stuhl, als ich Ihnen erklärte, dass Barenboim eine Million Mark im Jahr verlangte und diese Million meiner Meinung nach auch verdiente.“14 Barenboim antwortete auf die Kritik eines grünen Abgeordneten: „Herr Abgeordneter, wenn es Ihnen um die Million geht, die spiele ich in einem Monat mit Klavierabenden ein.“15 Der Markt gibt Barenboim recht und die jährliche Million dürfte inzwischen ein „Schnäppchen“ sein. Wollte da jemand von „brotloser Kunst“ sprechen? Die Superstars unter Künstler/innen baden im Geld. Wie sie es verwenden ist Privatsache. Während sich Barenboim im Nahen Osten für den Annäherungsprozess engagiert, verprassen andere ihren Salär: Jörg Immendorf, verstorbener Lieblingsmaler von Ex-Kanzler Schröder, liess sich in Düsseldorf in einem First Class Hotel mit neun Prostituierten beim Kokainkonsum erwischen. Der bürgerliche Kulturbetrieb und seine Medien kannten nur Mitleid: lasst den alten, kranken Mann in Ruhe! Juristisch kam er mit einer Geldstrafe davon. Sein Professorenamt durfte er – im Gegensatz zu seinem Lehrer Beuys – behalten. 

Der Kultursektor vermag in der Wirtschaft große Geldmengen zu bewegen. In einer Untersuchung zur Wirtschaftslage des Kunst- und Kultursektors von 1992, heisst es: „Er schafft Einkommen und Beschäftigung und ist – entgegen häufig geäußerter Ansichten – kein Kostgänger des Staates, sondern leistet beträchtliche Zahlungen an die öffentlichen Kassen”.16 Der gesamte Sektor der Kulturindustrie war 1988 mit einer Wertschöpfung von 12,5 Mrd. Euro und mit einem Anteil von 2,9 % der Erwerbstätigen, davon 1,1 % aus dem Kernbereich der Kunst, größer als der Wirtschaftsfaktor „Luft- und Raumfahrtindustrie“.17

Im Gegensatz zu den Millionenbeträgen, die manche Stars kassieren dürfen, lebt die große Masse der Künstler/innen in sozialen Verhältnissen, die das Wort „arm“ als Schmeichelei erscheinen lassen. „Über die Jahre hinweg haben Beschäftigte im Kulturbereich Arbeitsverhältnisse und -verträge, an die sich die strammsten neoliberalen Hardliner in ihren kühnsten Träumen kaum heranwagen: Befristung, Erfolgsabhängigkeit, reduzierte bis kaum vorhandene Mitbestimmungsmöglichkeiten, tarifliche Einkommen auf niedrigstem Hilfsarbeiterniveau, sofern es überhaupt Tarifverträge gibt – und selbst dies nur während einer kurzen Lebensspanne. [...] Honorarverträge, Beschäftigung ohne Renten- und Krankenversicherung, ohne Urlaubsansprüche, ohne Kündigungsschutz: In der Kultur ein alter Hut.“18 Heinz-Rudolf Kunze, Künstler und Mitglied der Enquete-Kommission des Bundestages „Kultur in Deutschland“: „Nur wenige Künstler erreichen je die materiellen Lebensumstände des Bürgertums, das sie mit geistigen Anregungen beliefern. Der arme Künstler ist, wie die meisten Klischees, nur allzu wahr.“19 Das spricht nicht gegen Kunsttätigkeit, sondern gegen die Verhältnisse. Um ihr künstlerisches Berufs- und Selbstverständnis aufrecht zu erhalten, leben viele Künstler/innen von Einkünften, die das eines Hartz IV-Empfängers unterschreiten. Ein großer Teil von Künstler/innen muss ihren Lebensunterhalt von 500 Euro und weniger im Monat bestreiten, wovon sie Miete, Krankenversicherung, Energie usw. bezahlen.?20 Verschuldung von Künstler/innen wurde bislang nicht untersucht. Gemessen am Einkommen stehen die meisten Künstler/innen auf gleicher Augenhöhe mit dem Proletariat. Der monatliche Durchschnittsverdienst von Künstler/innen lag nach einer Sonderauswertung des Mikrozensus von 1989 zwischen 1100 Euro und 1500 Euro,21 2006 lag dieser bei 925 Euro! Selbst mit den Zuwächsen der letzten drei Jahre lassen sich Durchschnittseinkommen von 1989 nicht mehr erreichen.

Das (kaum untersuchte) Phänomen vielgestaltiger Beziehungskonstruktionen lässt die Zuordnung des künstlerischen Berufsfeldes zum Bildungsbürgertum, zur „Intelligenz“, sinnvoll erscheinen. Wer in und mit der Kunst überleben will, hält und pflegt den Kontakt zum Bürgertum. Einerseits bindet das Bürgertum mittels Kaufkraft und Interesse Künstler/innen an sich, andererseits suchen Künstler/innen den Kontakt zum Bürgertum. Je enger der Kontakt zum Bürgertum, desto reichhaltiger die Möglichkeiten zur Verbreitung der eigenen Produktion (Ausstellungen, Publikationen etc.) und zur Einflussnahme in gewünschte Richtung. Anerkennung der bürgerlichen Gesellschaft kompensiert die Anstrengungen und langen Entbehrungen sozialer Natur. Last, not least: Mangelnder Kunstsinn und kaum relevante Kaufkraft des Proletariats zwingen Künstler/innen an die Seite des Bürgertums. Eher suchen Künstler/innen den Kontakt zum Proletariat als umgekehrt. Dieses Phänomen lässt sich häufig in Stadtteilen finden, die dem Prozess einer „Gentrifizierung“ unterworfen sind (Berlin-Moabit, Wedding oder Nord-Neukölln).22


Wie wird die soziale Situation von Künstler/innen erfasst und untersucht?

Eine erste Untersuchung der wirtschaftlichen Situation von Künstler/innen wurde 1964 im Auftrag des Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung erstellt. Benannte Problemkreise waren die künstlerische Freiheit, Fragen der Selbständigkeit, der sozialen und wirtschaftlichen Lage, aber auch des Mäzenatentums, sowie Fragen nach Subvention und Sicherung (Sozialversicherung). Grundlagen für die Untersuchung waren die Volkszählung von 1957 und Listen der GEMA, sowie die Verwendung eigener Fragebögen und Interviews. Die Autoren konstatierten: „Denn trotz aller Bemühungen um die Erhaltung und Festigung einer kleinen Gruppe [...] , wissen wir über die sozio-kulturelle Gruppe, [...] so gut wie gar nichts.“23 Die kritisierte Datenlage blieb bis 1983 und darüber hinaus aktuell: Von grundlegender Bedeutung war in den Siebzigern die Pionierarbeit der „Künstler-Enquete”, die, beauftragt durch den Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung vom Hamburger Institut für Projektstudien 1972 – 74 durchgeführt und 1975 als „Künstler – Report” veröffentlicht worden ist. Gegenstand war „die wirtschaftliche und soziale Lage, die rechtliche und Marktsituation, sowie Aspekte der Selbst- und Fremdeinschätzung der wichtigsten künstlerischen und verwandten Berufe”.24 Ihr methodischer Kern war eine repräsentative Umfrage unter 3 000 Personen zu Einkommenslage, Risiko-Absicherung, Abhängigkeiten und anderen Berufsproblemen, Alters- und Sozialstruktur und beruflichem Selbstverständnis. Der Vergleich verschiedener Volkszählungen und Mikrozensen wurde für diese Untersuchung verwendet. Nach Auswertung des Mikrozensus von 1971 waren 2/3 der Künstler/innen der BRD Männer. Der Anteil der unter 30 Jährigen war relativ gering. Die Ausbildungsdauer lag zwischen 3,5 und 6 Jahren.25 Die Zahl der Ehen war im Vergleich zur Gesamtbevölkerung geringer, wurde aber durch die Form von Lebenspartnerschaften ausgeglichen, die den Erfordernissen der Mobilität besser entsprachen. Mobile Berufsgruppen, erwiesen sich als besonders „bindungslos”. Die Kinderlosigkeit war extrem hoch.26 Die Selbständigen und „freien Mitarbeiter” wurden zu einem erheblichen Anteil als „arbeitnehmerähnliche Personen” eingeschätzt. Bei den Bildenden Künstlern waren knapp die Hälfte „scheinselbstständig“, bei den Musikern wurden 25% „eigentlich tariffähig” eingeschätzt. Dazu kamen „Sozialschutzbedürftige, wirtschaftlich eingeschränkte Freischaffende” mit eine Anteil von 15% bei Bildenden Künstler/innen und 9% bei Musiker/innen, sowie die „echten Selbstständigen oder Unternehmerähnlichen”, die bei Bildenden Künstler/innen ganze 10 % ausmachten, in den anderen Berufsgruppen mit jeweils 2 % als marginal zu bezeichnen waren.27 Laut Künstler-Report waren 40 % aller freischaffenden Künstler/ innen und 60 % der Bildenen Künstler/innen und Musiker/innen ohne Kranken- und Renten-Versicherungsschutz.28 Ein Ergebnis dieser Untersuchung war die Verabschiedung des Künstlersozialversicherungsgesetzes, das am 1.1.1983 in Kraft trat. Versicherte zahlen in der KSK nur Hälfte des üblichen Beitrages (17-18 % vom Nettoeinkommen) also 9,5 %.29 Die KSK erfasst jährlich Daten zur sozialen Lage und Arbeitseinkommen der von ihr vertretenen Künstler/innen. Diese Angaben klammern jene Künstler/innen aus, die aufgrund ihres geringen Einkommens von der KSK nicht zugelassen werden (3 900 Euro) und jene, die soviel verdienen, dass ihnen die Mitgliedschaft in der KSK nicht zusteht (Westen: 61 000 Euro, Osten 51 000 Euro, d. h.: 0,66%, bzw. 028 % aller Künstler/innen).30

In der Berliner Region entstand nach der Öffnung der Mauer ein Bericht zur sozialen Lage von Künstler/innen, der nur auf Befragungen von Einrichtungen basierte (Landesarbeitsamt, Bezirksämter, Stadtbezirksräte, Ausbildungseinrichtungen, Kulturbetriebe, Verbände und Gewerkschaften). Statistisches Grundmaterial fehlte. Gefordert wurde ein regionales Kulturkonzept und eine überregionale Absicherung der kulturellen Entwicklung in Berlin (Hauptstadtkulturfond).31

Die Enquetekommission des Deutschen Bundestages „Kultur in Deutschland“ (EKKiD), die 2003 begonnen und 2007 abgeschlossen wurde, ermittelte keine eigenen Zahlen. Ein Gutachten fordert eine einheitliche, periodische Kulturstatistik, die den Vergleich zu anderen Bezugsgrößen (Bundesländer, Altersgruppen, Einkommen der Bevölkerung, etc.) ermöglicht.32 Die EKKiD verlies sich auf eine von Kulturstaatsministerin a. D. Christina Weiss in Auftrag gegebene Studie und die geschätzten Werte der KSK.33 Laut dieser Studie erwirtschaften 63% der selbständigen Kulturberufler einen Jahresumsatz, der unter 16.617 Euro liegt und wurden von der Umsatzsteuerstatistik nicht erfasst. Bei anderen Selbstständigen war das Verhältnis umgekehrt: 61% verdienten mehr als 16 617 Euro.34 In der von Danksagungen triefenden Abschlussdebatte zur EKKiD thematisierte als einzige Lukrezia Jochimsen, kulturpolitische Sprecherin der Linksfraktion, die prekäre soziale Situation von Künstler/innen bei einem Durchschnittseinkommen (!) von 11 094 Euro im Jahr 2006.35 Unerwähnt blieb: Dieser Wert lag sogar unter der Amutsgrenze (11 256 Euro). Erst in den letzten Jahren gab es bei den Künstler/innen Zuwächse. Zum 1.1.2008 lag das selbst geschätzte Durchschnittseinkommen bei 12 216 Euro , 2009 bei 13 103 Euro. Das umfasst die gut verdienenden, männlichen Autoren mit 18 649 Euro pro Jahr ebenso, wie weibliche Musikerinnen mit einem Einkommen von 9 539 Euro (2009). Frauen verdienen im Schnitt 25%, d. h. ein Viertel (!) weniger.36 Die neueste Studie über Theatermitarbeiter/innen und Tänzer/innen, die 4100 Fragebögen, sowie 350 Interviews auswertete, belegt: „Zwei Drittel sind arm“.37 Max Fuchs bemerkte, dass es sich bei den KSK-Künstler/innen bereits um eine privilegierte Gruppe von Künstler/innen handelt: nur 5% der Absolventen von Kunsthochschulen können von ihrer Kunst den eigenen Lebensunterhalt bestreiten. „Der Rest fuhr Taxi, verrichtete andere Hilfsarbeiten oder hatte einen gut verdienenden Lebenspartner.“38


Wie machen sich die Auswirkungen der Finanzkrise in der Kunstökonomie bemerkbar? 

Um die Auswirkungen der aktuellen Finanzkrise auf die soziale Lage der Künstler/innen zu begutachten, nützt der Blick auf zwei Bereiche. Für den ökonomischen Sektor stellt sich die Frage, wie der Kunstmarkt reagiert. Es handelt sich um jenes Nadelöhr, dass Karriere und die Preise bestimmt. Für den zweiten Bereich gilt es, die politische Agenda in der Finanzkrise auf ihren kulturpolitischen Gehalt abzuklopfen.

Im Herbst 2008 spekulierte die Presse: Wann erfasst die Finanzkrise den Kunstmarkt? Die großen Kunstmessen von London, Paris, Basel und ihr Ableger in Miami, Chicago und letztlich in Berlin hatten sich mental gerüstet. Der große Knall blieb aus. Zurückhaltung amerikanischer Galerien, vorsichtige Planungen mit qualitativer Konzentration waren Trend. Von der Art Basel Miami wurde von günstigeren Flügen und Hotelzimmern für Kunstinteressenten berichtet, Verhandlungen in den Kojen fielen diskreter aus, dafür erhielten Käufer Rabatt.39 Auf der Internationale Messe für Zeitgenössische Kunst (FIAC) in Paris wurden die Stände der Galerien zwar nicht gestürmt, dennoch blieb der befürchtete Einbruch aus: „Das Ergebnis war eine FIAC, die so international und auserlesen war wie noch nie und deren Motto lautete: Qualität und kalkuliertes Risiko.“40

Die ART Cologne (22. bis 26. April 2009), „Mutter aller Kunstmessen“, bemühte um eine Schärfung ihres Profils: „Mit einer Verkleinerung der Mindestfläche von 60 auf 40 Quadratmeter ist die Leitung dem Wunsch vieler Zeitgenossen-Galerien entgegengekommen, so dass sich die Kosten für eine Teilnahme deutlich reduzieren lassen.“41 Letztlich auch eine Reaktion auf die zunehmende Konkurrenz aus Berlin. In Berlin boomt der Kunstmarkt unverdrossen. Alljährlich treten vier Kunstmessen parallel an.42 „Abseits des Marktes“, so der Chef eines relevanten Kunst-Magazines „auf Biennalen und in Museen, ist ihr Publikum größer als je zuvor. In Krisenzeiten wird es eher mehr Kunst als weniger brauchen. Die Party ist noch lange nicht vorbei – nur der Soundtrack wird ein anderer sein.“43 Die Reaktion von Auktionshäusern war unterschiedlich. So haben mit Christies und Sothebys die großen Auktionshäuser zwar massive Einsparungen angekündigt,44 andererseits brachte z. B. die Versteigerung des unlängst verstorbenen Modemachers Yves Saint Laurent mehr als 373 Mio. Euro ein.45 Es heisst, dass die etablierten großen Malerstars der Szene etliche sammelnde Investmentbanker/innen von den Wartelisten streichen mussten. Das trifft aber v.a. für den Kunstmarkt in New York und London zu. Anderswo blieben die großen Kunstmessen von der Finanzkrise weitestgehend verschont oder profitieren gar von ihr. Problematisch ist die Situation für die Museen, v.a. in den USA. Allein im Jahr 2006 spendeten die Amerikaner 12,5 Milliarden Dollar (fast 10 Milliarden Euro) für kulturelle Einrichtungen,46 an öffentliche Zuwendungen gab es lediglich 125 Millionen Dollar. Bund, Länder und Gemeinden in Deutschland 2007 gaben dagegen mehr als 8 Milliarden Euro aus.47

Die mit den Konjunkturpaketen verbundenen Sparzwänge könnte unseren öffentlichen Kultursektor in die Entöffentlichung zwingen. Hier kommt der politische Sektor zum Tragen. Politiker von Harry Carstensen bis Jürgen Rüttgers vertrösten besorgte Kulturpolitiker/innen: die Konjunkturprogramme stellen genug Mittel für die Kulturförderung bereit. Doch Olaf Zimmermann, Geschäftsführer des Deutschen Kulturrates, wird nicht müde zu warnen: „Der Staat wird sparen, bis es knackt! [...] Nicht die private Kulturfinanzierung sollte uns in Zeiten der Finanz- und Wirtschaftskrise zuerst Sorgen machen, sondern der Zustand der öffentlichen Kassen.“ Er befürchtet „deutliche Sonderopfer bei der mittelbaren Bundeskulturförderung“und meint: „Bis zur Bundestagswahl haben wir nur noch wenige Monate Zeit, die Voraussetzungen zu schaffen, dass das ‚Böse Erwachen’ nicht zu schlimm ausfallen wird.“48 Sehr optimistisch kling das nicht.

Die meisten Künstler/innen werden die Finanzkrise tragen müssen, wie der Rest der Bevölkerung. Die Zahl selbständiger Künstler/innen steigt stetig, trotz geringer Einkommenserwartungen. Das liegt zum einen an der wachsenden Auflösung fester Arbeitsverhältnisse. Zum anderen ist es eine Reaktion auf den gesellschaftlichen Entfremdungsprozess, der die gesamte Kultur durchdringt. Die „Entäußerung der Arbeit“ ruiniert den Geist der arbeitenden Subjekte und führt, weil sie einem anderen gehört „zum Verlust seiner selbst“, schrieb Marx.49 Kunst bietet durch Selbsttätigkeit und Positionierung, zumindest subjektiv, einen Ansatz zur Überwindung von Entfremdung.



1. Peter Bendixen: Einführung in die Kultur- und Kunstökonomie, 2. Aufl. 2001, Wiesbaden 1998, S.34.
2. Joseph Beuys, in: Volker Harlan: Was ist Kunst? Werkstattgespräch mit Joseph Beuys, 3. Aufl. 1988, Stuttgart 1986, 
S. 15.
3. Ernst H. Gombrich: Die Geschichte der Kunst, 3. Aufl. 2001 der 16. Ausgabe von 1996, Berlin 1950, S.29.
4. Bundesverband deutscher Banken (Hg.): Im Kreislauf der Wirtschaft, 13. Auflage Köln 1999, S. 22.
5. Hans Heinz Holz nennt den „Pluralismus der Ausdrucksformen“ ein Indiz „für den Funktionsverlust der Kunst im Spätkapitalismus“. Ich wage das zu bezweifeln. Leider 
6. Hans Heinz Holz: Der ästhetische Gegenstand. Philosophische Theorie der bildenden Künste I, Bielefeld 1996, S. 23. 
7. Ebd., S. 29.
8. Theodor W. Adorno: Ästhetische Theorie, Frankfurt/M. 2003, 1970, S.132/133.
9. Ebd., S. 121.
10. Hans Heinz Holz, DäG, I, S. 21.
11. Max Fuchs: Kulturberufe und der flexible Kapitalismus, in: politik und kultur, Berlin 2 (2006), S.16 
12. Erwin Pracht u.a.: Ästhetik der Kunst, Berlin/ DDR 1987, S.133.
13. Zugrunde gelegt wird ein idealistisches Kulturverständnis, das überwiegend professionelle Kunst als Kultur („Hochkultur“) anerkennt. Zur Differenzierung von materialistischer und idealistischer Kulturwissenschaft. Vgl. Thomas Metscher: Kultur und Humanität – Anmerkungen zu einem dialektischen Kulturbegriff, in: IMSF (Hg.): Kulturelle Bedürfnisse der Arbeiterklasse, München 1978, S.62. 
14. Ulrich Roloff-Momin: zuletzt: kultur, Berlin 1997, S.77.
15. Ebd.
16. Marlies Hummel/ Cornelia Waldkircher: Wirtschaftliche Entwicklungstrends von Kunst und Kultur, (Ifo-Institut für Gutachten im Auftrag des Bundesminister des Innern. Wirtschaftsforschung), Berlin 1992, S.1.
17. Ebd., S. 11.
18. Ebd., S.16.
19. Heinz-Rudolf Kunze in: Deutscher Bundestag: Schlussbericht. Enquete-Kommission „Kultur in Deutschland“, 16. Wahlperiode, Drucksache 16/7000, Berlin 11.12.2007, S.233.
20. Jede/r 8. bildende Künstler/in gab im Mikrozensus 1989 an, weniger als 1000 DM zu verdienen. Ebd., S.5.
21. Ebd.
22. Kunstfestival „48 Stunden Neukölln“ mit hunderten Veranstaltungen an einem Wochenende, hinterlassen dort ihre Spuren. Es finden sich allein im „Reuter-Kiez“ in Berlin-Neukölln mehr als fünfzig Gewerbetreibende und Initiativen, die sich für ein aktives kulturelles, künstlerisch-aktives Leben im Alltag einsetzen. Angekurbelt werden solche Projekte vom örtlichen Quartiersmanagment, das im Auftrag der Stadtregierung (rot-roter Senat) eine Art Doppelfunktion erfüllt: Aufwertung des Quartiers (Gentrifizierung) zum einen, Aufstandsbekämpfung zum anderen.
23. René König/ Alphons Silbermann: Der unversorgte selbständige Künstler. Über die wirtschaftliche und soziale Lage der selbständigen Künstler in der Bundesrepublik. Köln, Berlin 1964, S.21.
24. Karla Fohrbeck/ Andreas Johannes Wiesand: Der Künstler – Report. München/ Wien 1975, S.4.
25. Ebd., S. 349.
26. Ebd., S.26/27.
27. Ebd., S. 354. 
28. Ebd., S. 375.
29. Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie (Hg.): Wirtschaftspolitik für Kunst und Kultur. Tipps zur Existenzgründung für Künstler und Publizisten, Berlin 2001, S. 42.
30. Gabriele Schulz: Mit dem Feuer gespielt. Zur Anhörung der Enquete-Kommission zur wirtschaftlichen und sozialen Lage der Künstler, in: politik und kultur, Berlin 1 (2005), 
S. 14.
31. Vgl. Jürgen Marten/ Johannes Andreas Wiesand: Befund zur sozialen Situation von Künstlerinnen und Künstlern in der Region Berlin nach Öffnung der Mauer, Reihe: kultur & wissenschaft, Bonn 1990, S. 2-16.
32. Statistisches Bundesamt (Gruppe VI E): Methodenkritische Analyse von Basisstatistiken zum Kulturbereich und Fragen zu einem Anforderungsprofil an eine bundeseinheitliche Kulturstatistik für die Bundesrepublik Deutschland, Berlin 26.11.2004, S.160 -173.
33. Michael Söndermann: Statistisches Kurzportrait zu den erwerbstätigen Künstlern, Publizisten, Designern, Architekten und verwandten Berufen im Kulturberufemarkt in Deutschland 1995-2003. Im Auftrag der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien (BKM), Berlin (2004). www.kulturmanagement.net/downloads/Studie-Kulturberufe.pdf, (Stand: 31. Juli 2007).
34. Olaf Zimmermann: Kreativer Kern der Kulturwirtschaft. Zur Einkommenssituation und Karrierechancen von Künstlern, in: politik und kultur, 5 (2005), S.36.
35. Deutscher Kulturrat: Debatte zum Abschlussbericht der Enquete-Kommission Kultur in Deutschland des Deutschen Bundestags 13.12.2007, Plenarprotokoll – Vorab-Veröffentlichung, 16. Wahlperiode, 133. Sitzung, S. 14.
36. http://www.kuenstlersozialkasse.de/wDeutsch/ksk_in_zahlen/statistik/durchschnittseinkommenversicherte.php.
37. Nina Peters: Zwei Drittel sind arm. Eine Studie dokumentiert die Lage von Schauspielern und Tänzern. Interview mit Günter Jeschonnek, Projektleiter der Studie „Wirtschaftliche, soziale und arbeitsrechtliche Lage der Theater- und Tanzschaffenden in Deutschland“, in: Berliner Zeitung, 4.5.2009.
38. Max Fuchs: Kultur(politik) und Armut. Ein detaillierter Lagebericht, in: politik und kultur, Berlin 3 (2005), S.4.
39. Heiko Roloff: Art Basel Miami: Finanzkrise? Die Party geht weiter, in: Bild, 9.12.2008. 
40. Sabine Glaubitz: Pariser Kunstmesse blieb von Finanzkrise verschont, in: dpa, 26.10. 2008.
41. Stefan Knobel: Downsizen, Focus shiften, Profil straffen. Die Kunstmessen in der Finanzkrise, in: http://www.artnet.de/magazine/news/knobel/knobel12-19--08.ASP, 19.12.2008, Zugriff: 27.4.2009.
42. Vgl. Gunnar Luetzow: Gutes Klima für die Kunst. Beim 'Gallery Weekend' zeigen sich Berliner Künstler, Sammler und Galeristen trotz Krise zufrieden, in: Berliner Morgenpost, 3.05.2009.Vgl. Christiane Meixner: Das 13. Berliner Art Forum zwischen Marktkorrektur und Finanzkrise: Wie sich die Spielregeln für Kunstmessen und Galerien ändern, in: Tagesspiegel 29.10.2008. Vgl. Michaela Nolte: Born to be punk. Der 5. Kunstsalon gibt sich wild und experimentell, in: Zitty 1.11.2008.
43. Cornelius Tittel: Gier ist out, Sammeln ist in. Kunstmarkt und Finanzkrise, in: Spiegel 2008, http://www.spiegel.de/ kultur/gesellschaft/0,1518,589410,00.html, Zugriff: 27.4. 2009.
44. Philippe Jacintus: Christies in der Krise, 15.01.2009, http://www.treffpunkt-kunstgalerie.de, Zugriff: 27.4.2009.
45. Philippe Jacintus: Qualität kennt keine Krise, 26.02.2009, http://www.treffpunkt-kunstgalerie.de, Zugriff: 27.4.2009.
46. Vgl. Finanzkrise – Chance für Museen? 14.11.2008, Zugriff: 27.4.2009.
47. Vgl. Lisa Zeitz: Finanzkrise – Kulturkrise. Wir können uns das nicht mehr leisten, in: FAZ, 16.10.2008.
48. Olaf Zimmermann: Böses Erwachen, in: Politik und Kultur. Berlin 1 (2009), S. 9. Vgl. Ders.: Wird die Kultur zum Sparschwein der Nation? Zu Chancen und Risiken des Konjunkturpakets II für den Kulturbereich, in: politik und kultur, Berlin 2 (2009), S.10.
49. Karl Marx: Ökonomisch-philosophische Manuskripte (1844), in: MEW Bd.40, Ergänzungsband 1, 2. Aufl. 1990, Berlin/ DDR 1985, S.514.