Wissen schafft Geschlecht

Transgender Studies als akademisches Feld.

in (25.06.2009)

Seit den späten 1980er, frühen 1990er Jahren zirkuliert der Begriff „Transgender“ nicht nur in aktivistischen, sondern auch in akademischen (und überlappenden) Kontexten. Waren bis dahin Transsexualität, Crossdressing, nicht-normative geschlechtliche (Dis-)Identifikationen und andere mit der zweigeschlechtlichen Ordnung in Konflikt stehende Phänomene bestenfalls das Objekt mehr oder weniger pathologisierender Forschung, so wurden sie nun zu Subjekten – zu forschenden und, mit emanzipatorischem Impetus, beforschten. Zunächst an der produktiven Schnittstelle von Geschlechterforschung und Queer Studies aufgetaucht, sind Transgender Studies nach wie vor eng mit diesen verbunden. Wie viele enge Beziehungen sind allerdings auch diese mitunter kritisch und gespannt: Feministische Perspektiven, die auf eine naturhafte oder zumindest essenziell verschiedene Zweigeschlechtlichkeit setzen, stehen transgender Ansätzen traditionell ablehnend und feindlich gegenüber. Reste von Argumenten transphober feministischer Klassiker, wie etwa von Janice Raymond, sind nach wie vor in aktuellen Debatten hörbar. 
Jene feministischen Ansätze, die sich weniger sicher sind, was unter „Frau“ zu verstehen sei – oder inwiefern diese Zuordnung die Basis und nicht das Problem der Intervention darstellt –, sind hingegen wichtige Quellen und Anschlussstellen.
 Die Scheidelinie verläuft hier grob zwischen solchen Feminismen, die „Frauen“ und „Männer“ unterscheiden (und weiters, obwohl dies nicht denknotwendig wäre, „Frau“ und „Mann“ möglichst eng und trans-unfreundlich auslegen), und solchen, die die soziale Wirkmächtigkeit dieser gemachten Unterscheidung bekämpfen, aber schon die Unterscheidung selbst für problematisch halten; sie verläuft zwischen Geschlechterforschung, die Geschlecht mit „Frau“ und „Mann“ für ausreichend beschrieben hält, und solcher, die sich der Überkreuzungen, Durchquerungen, Spektren und Ausschlüsse bewusst ist, die ein solches System automatisch hervorbringt.


Queere Subversionsromantik.
 Queere Kritik an Heteronormativität und Zweigeschlechtlichkeit ist ein besonders enger Verbündeter – idealerweise. Probleme tauchen hier dann auf, wenn sich queere Antinormativität Transgender als die Verkörperung der eigenen Theorie vorstellt, um dann die Hoffnung auf „ultimative Subversion“ regelmäßig enttäuscht zu finden. Wo und wenn Heteronormativität mit besonderer Härte am Beispiel von Transfrauen und -männern wegen ihres angeblich reaktionären Wunsches nach geschlechtlicher Identifikation kritisiert wird, kommt es zu Konflikten. Queer-feministische Forschung, die etwa von schwangeren Transmännern als ihren „Gedankenexperimenten“ spricht, die „nunmehr wahr geworden“ seien, offenbart ein gewisses Spannungspotenzial zwischen der Rolle von Transgender als Beispielball und der echten Beteiligung von transgender Perspektiven an der Diskussion um Geschlecht, Sexualität und Körper.


Transgender Studies im US-Kontext. 
Als interdisziplinäres Feld sind Transgender Studies, wie seine Wurzeln auch, mit einer großen Bandbreite von traditionellen Disziplinen verwoben. Es stellt soziologische wie kultur- und literaturwissenschaftliche Fragen, führt ethnografische Interviews rund um den Globus und gleich um die Ecke, präsentiert rechts- und politikwissenschaftliche Perspektiven, reicht von Musikwissenschaft zu Religions- und Gesundheitswissenschaft. Diese verschiedenen disziplinären und interdisziplinären Zugänge eint dabei nur die theoretische und politische Ausgangsposition, transgender Identifikationen, Praktiken und Perspektiven ernst zu nehmen und nicht-transgender Privilegien zu problematisieren. Aber wie steht es um die Verbreitung von Transgender Studies – lässt sich überhaupt von einem Feld sprechen?
 Für den angloamerikanischen Raum, also den sprachlichen Ausgangspunkt des Begriffs Transgender, ist die Frage, ob es sich bei Transgender Studies um ein Feld handelt, relativ leicht und faktenreich zu beantworten. Vor drei Jahren erschien „The Transgender Studies Reader”, in dem Susan Stryker und Stephen Whittle auf mehr als 700 Seiten Schlüsseltexte, zuvor schwer zugängliche historische Klassiker und aktuelle Beiträge zu einer grundlegenden akademischen Textsammlung vereint haben. Ich wüsste nicht, dass mir in einem anderen Feld je ein nützlicherer Grundlagenreader in die Hände gefallen wäre.
 An den US-Unis werden Seminare gehalten1, Beiträge veröffentlicht, traditionelle Kontexte wie die National Women’s Studies Association öffnen sich, ob zögerlich oder enthusiastisch, der Thematik. Konferenzen, wie etwa an der Cornell University, beschäftigen sich mit der Ergänzung von Transgender im Studienprogramm, in dem nun von „Lesbian, Gay, Bisexual & Transgender Studies Program“ die Rede ist. Zudem kursieren Gerüchte über einen weiteren Meilenstein: Paisley Currah und Susan Stryker sind in Verhandlung mit einem der großen akademischen US-amerikanischen Verlage über eine Fachzeitschrift „Transgender Studies Quarterly“.


Entwicklungsperspektiven. 

Transgender Studies sind zwar ein (durchaus blühendes) Feld, aber noch keine Disziplin. Bevor wir also in Institutionalisierungskritik (oder -jubel oder die gemäßigte reformistische Stimmung alteingesessener Universitätsarbeiter_ innen) verfallen, sei klargestellt, dass der Grad der Institutionalisierung im Vergleich zu anderen Feldern gering ist. Die Beitragenden zum Feld arbeiten, lernen und lehren in unterschiedlichen institutionellen Kontexten, keineswegs nur innerhalb von Women’s, Feminist oder Gender Studies-Programmen. Viele der Forschenden sind am Anfang ihrer akademischen Laufbahn, wenn es sich denn um eine solche handelt. Es ist daher schwer vorherzusagen, wie sich etablierte Programme und universitäre Institutionen langfristig verhalten werden, und welche Entwicklung mit der jüngeren akademischen Generation heraufzieht. Und das ist – wie bei anderen herrschaftskritischen Feldern auch – nicht zuletzt eine politische Frage. 
Unter anderem wird sich konkret zeigen müssen, ob und wie es gelingen kann, mehr Transfrauen den Weg an Universitäten zu ebnen. Allgemein geht es um nicht weniger als die Herausforderung, Geschlecht und Sexualität endlich so zu thematisieren und zu denken, dass wir alle darin vorkommen.


Räume für akademischen Nachwuchs.
 Im deutschsprachigen Raum ist das Feld weniger eindeutig bestellt. Transgender Studies finden langsamer Verbreitung, was allerdings nicht an mangelndem Interesse oder politischen Aktivismus liegt. Die signifikante (Er-)Öffnung subkultureller und aktivistischer Räume für transgender Themen und Subjekte in den letzten Jahren scheint mir ein überwältigender Gegenbeweis zu sein. An der fruchtbaren Schnittstelle von Akademie und außeruniversitärem Aktivismus steht der von der AG polymorph herausgegebene Band „(K)ein Geschlecht oder viele? Transgender in politischer Perspektive“ (2002), der sich in beiden Räumen bleibender Beliebtheit erfreut. Der Blick auf diesen Leuchtturm und die vereinzelten Publikationen seither kann aber nicht über die alles andere als rosige Lage im akademischen Betrieb hinwegtäuschen: Der sogenannte Bologna-Prozess mit der Einführung von modularisierten Bachelor- und Master-Studiengängen hat in vielen Disziplinen zu einer inhaltlichen Retraditionalisierung und damit indirekt zum Überlebenskampf vieler bestehender Geschlechterstudienprogramme geführt, jedenfalls aber die Rede von deren weiterer Ausbreitung – vorübergehend? – zum Verstummen gebracht. Damit sind auch die institutionellen Anschlussstellen für Transgender Studies nicht zahlreicher geworden.
Wenn das Klima für Geschlechterstudien (ganz zu schweigen von Queer-Ansätzen) eher rau ist und die Professor _innenschaft sich nach wie vor zahlenmäßig als privilegierter Herrenclub versteht, sind dies nicht gerade ideale Bedingungen. Debatten darüber, was es aus transgender Perspektive bedeutet, wenn dort, wo sie überhaupt existieren, Professuren in den Geschlechterstudien häufig über Frauenfördermittel finanziert werden, sind unter den Bedingungen derartig reaktionärer universitärer Strukturen nicht ganz einfach zu führen. Nichtsdestotrotz wächst im deutschsprachigen Raum die Zahl derer, die sich mit transgender Themen beschäftigen und in verschiedenen Disziplinen und Diskussionen ihre Stimme erheben – insbesondere auf der Ebene des sogenannten wissenschaftlichen Nachwuchses. Die Folgen werden wir hoffentlich alle bestaunen dürfen!

(1) Einige von ihnen haben ihre Seminarpläne auf www.trans-academics.org gestellt.

A. Koch-Rein, M.A. arbeitet zu Transgender, Queer und American Studies als PhD-Student am Graduate Institute of the Liberal Arts der Emory University in Atlanta.

Dieser Artikel erschien in: an.schläge, das feministische Magazin,  www.anschlaege.at