Die prager-frühling-Redaktion im Selbsttest
Als ich die Redaktion in Katjas Küche vorfand, ahnte ich es gleich: Es wird in Arbeit ausarten. Jörg nimmt bei Norbert Nachhilfe im Binden seiner ersten Krawatte und in der Performance anzugorientierter Männlichkeit. Kolja ist noch mit den Omelettes beschäftigt, schließlich soll keiner hungrig in den Selbsttest. Katja ist noch ganz in ihre Kamera vertieft. Und kaum hat Lena uns endlich alle vor dem Bildschirm versammelt, werden wir gleich mit „Hypothesen“ überfordert. Dabei will ich eigentlich nur einen lockeren Feierabend verbringen, mich ein wenig in Schale schmeißen, die Kultserie „Sex and the City“ ansehen und nebenher über postmoderne feministische Theorie philosophieren, um gleich drei meiner Lieblingshobbys miteinander zu verbinden. In Katja, einer prominenten linken Vertreterin einer erwerbsarbeitskritischen Strömung, vermutete ich eine Verbündete. Aber nein: Statt geistloser Entspannung gibt es Hypothesen.
Kolja hält dagegen: „Immer starten sie verbalradikal, um aber dann in Form und Ergebnis nicht weiter zu irritieren. Das, was da gezeigt wird, ist gar nicht so subversiv. Im Grunde bleibt alles prüde.“ Die Emanzipation von Carrie, Samantha, Miranda und Charlotte – als Tiger gestartet, als Bettvorleger gelandet? Doch Kolja geht noch weiter: „Es gibt eine Parallelität zwischen unserer Partei und der Serie. Genauso ist es, wenn unsere Partei Mindestlöhne oder politische Streiks fordert. An sich ist das eine Selbstverständlichkeit, aber es wirkt sehr radikal“. Von der Verbal-Radikalität abgesehen sei die Handlung im Grunde ziemlich langweilig.
Ich finde es unerträglich, wie man(n) so über meine Lieblingsserie spricht und springe Katja bei: „Es ist schon progressiv, dass Frauen in dieser Serie die Definitionshoheit über Sex erobern.“ Doch Jörg hält dagegen: „Im Film wird doch an sich nichts Revolutionäres gesagt, sondern nur der Mainstream auf den Punkt gebracht.“ An der Serie scheinen sich die Geister linker Männer und Frauen zu scheiden. Ob es so falsch ist, wenn Carrie das Fazit zieht: Männer und Frauen haben doch nicht die gleiche Postleitzahl? Ich komme nicht umhin mich zu fragen, ob die Jungs vielleicht nur eine Ausrede zu suchen, um doch lieber zur Sportschau zu wechseln. Haben linke Männer verlernt, zu sagen, was sie wollen?
Bei der Redaktion des Prager Frühlings überwiegt zunächst die Einschätzung von yuppihaftem Tussitum: „Ein Ferrari für Frauen“ (Katja) oder „Status- und Phallussymbol“ (Norbert). Doch Jörg reißt die Einschätzung noch einmal herum: Immerhin sei es ein Ausdruck südländischer Lebensverhältnisse, ein „Einbrechen in die männliche Welt des Geldes“. Oder geht es nur darum, wie Katja meint, „mit anderen Frauen über die Taschen zu reden“? Schließlich einigt man sich darauf, dass die Forderung „Luxus für alle“ den Anspruch auf soziale Gerechtigkeit und Ästhetik gut miteinander verbinden kann. Doch Umverteilen alleine wird nicht jedem und jeder zu einer Hermes-Handtasche verhelfen. Produktpiraterie erscheint vor diesem Hintergrund überaus fortschrittlich. Im Grunde geht es um eine Art Open Source bei Handtaschen.
Hier sind wir uns mal alle einig: Klar, es liegt am System! Lena jubiliert „So macht Systemüberwindung Freude. Das traditionelle Familienbild in Frage stellen.“ „Wobei jetzt jemand, der die Systemfrage stellt, nicht unbedingt zum Hautarzt muss.“ Dieser Einwurf von Kolja löst eine heftige Debatte aus.
Norbert: „Aber willst du mit dem Hautarzt warten, bis die Systemfrage geklärt ist, wenn du Hautausschlag hast?“
Jörg: „Politisch gesehen würden sich einige mit dem Hautausschlag zufrieden geben. Beim Hautarzt kannst du eh nur an Symptomen herumdoktern.“
Kolja: „Die Antikapitalistische Linke würde sagen: es hilft ohnehin nicht, wenn man zum Hautarzt geht. Wir würden vielleicht formulieren: Es müssen gewisse Mindestbedingungen erfüllt sein, ehe man zum Hautarzt geht.“
Katja: „Nein, wir würden sagen: Wenn man mehr als nur Symptombehandlung will, dann muss man nicht zum Hautarzt, sondern zur Ernährungsberatung!“
Katja: „Sex and the City trägt aus feministischer Sicht eher einen reformistischen Charakter. Es überwindet nicht das System Patriarchat, aber es verbessert die Rollenvielfalt, die Frauen zur Auswahl stehen und verbessert damit real Lebensqualität.“
Kolja: „Die Szene mit dem Brautkleid ist schon ein Zeichen dafür, dass konservative Familienpolitik in breiten Kreisen nicht mehr anschlussfähig ist – und das ist gut so! In Sex and the City wird mit Geschlechterbildern gespielt. Dass die Ehe eine komische Institution ist, haben übrigens schon Guns’N Roses auf den „Use your Illusion“ Alben angesprochen. [Wer mehr dazu wissen will, dem empfiehlt die Redaktion den Beitrag zum musikalischen Mainstream der neunziger Jahre in diesem Heft.] Und modepolitisch gesehen bietet diese Serie doch einiges.“
Norbert: „Und das Spielerische ist gerade das Attraktive an der Serie.“
Die Redaktion stellt die Systemfrage. Und ganz klar: Auch das Patriarchat ist System, nicht nur der Kapitalismus. Sehr sympathisch! Strittig ist nur die Frage, ob man „das System“ überwinden, aus ihm aussteigen, es revolutionieren kann – oder ob man es nur transformieren, unterlaufen, modifizieren und veralbern kann. Sex and the City beantwortet diese Frage eindeutig:
Jörg: „Es geht um ein Plädoyer für einen demokratischen Experimentalismus!“ Und für mich bringt Norbert die wesentliche Erkenntnis auf den Punkt: „Agitatorische Kunst hat sich überlebt. Popkultur zeigt Möglichkeiten und mehr kann Kultur auch nicht machen. Es ist einfach nur gute Popkultur!“
Ich komme nicht umhin mich zu fragen, ob nicht genau darin die Gemeinsamkeit von „Sex and the City“ und dem „prager frühling“ besteht …
Suchen wir nur einen Grund, unsere Lieblingsserie mit gutem Gewissen konsumieren zu können?
Katja: „Sowohl eine „PorNo-Kampagne“ von Alice Schwarzer als auch der „Vagina-Style“ einer Lady Bitch Ray können Bestandteil einer feministischen Strategie sein. Entscheidend ist, dass sie Frauen Möglichkeiten der Selbstbestimmung eröffnen.“ Kolja Gegenthese lautet: „Sex and the City“ macht genau das Gegenteil. Vielleicht ist die Serie aber trotzdem subversiv.“ Und Lena beschäftigt die Frage, ob auch andere Lebensentwürfe ermöglicht werden: „Ehefrau oder Hure – beide Figuren definieren sich im Verhältnis zum Mann.“ Ich habe eigentlich gar keine These. Also sage ich: „Sex and the City verfolgt gar keine These. Sie ist ein postmodernes Potpourri verschiedener Weiblichkeitsentwürfe.“ Im Grunde beschäftigt uns alle die Frage: Wie subversiv ist die Kultserie. Und ich komme nicht umhin mich zu fragen: Suchen wir nur einen Grund, unsere Lieblingsserie mit gutem Gewissen konsumieren zu können? Haben wir es einfach verlernt, zu entspannen?„Sind Männer nur Frauen mit Eiern?“
Lena hat uns eine Folge der vierten Staffel ausgewählt. Thema: „Sind Männer nur Frauen mit Eiern?“ Eine hervorragende Auswahl! Welche Fragestellung wäre besser geeignet, um die Konstruktion binärer Zweigeschlechtlichkeit zu diskutieren? Die Protagonistinnen der Serie gehen es wie gewohnt weniger theoretisch, sondern eher spielerisch an – etwa in ihrer Einschätzung der Bedeutung von Hoden für das männliche Selbstwertgefühl: „Eier sind für Männer das, was für Frauen Handtaschen sind. Sie sind nur ein kleines Beutelchen, aber wir fühlen uns ohne sie nackt.“ Und erst recht Samanthas Gleichsetzung männlicher Kronjuwelen mit Schmuckstücken („Die gibt’s nur paarweise – so wie Ohrringe“) dürfte manchen Mann getroffen haben.Vom Fetisch-Charakter der Handtasche
Uns inspiriert diese Einschätzung dazu, die Eingangsthesen in einem hermeneutischen Prozess dem Realitäts-Check zu unterwerfen. Ich sehe darin eine postmoderne Interpretation von Freud bestätigt: Die Handtasche ist offenbar für viele Frauen ein Fetisch. Aber anders als bei Freud ist sie nicht mehr neidischer Penis-Ersatz, sondern gleichwertiges Gegenüber. Sex and the City als eine Art Judith Butler light?Politische Streiks zwischen Radikalität und Prüderie
Katja sieht den dekonstruktivistischen Ansatz der Serie in Carries Frage belegt: „Sind Männer und Frauen also doch nicht von einem anderen Planten, wie man uns immer glauben lassen will? Die Kategorie Geschlecht als bürgerliches Konstrukt enttarnt – nicht zuletzt deshalb, weil Carrie dabei eine Männerunterhose trägt.Kolja hält dagegen: „Immer starten sie verbalradikal, um aber dann in Form und Ergebnis nicht weiter zu irritieren. Das, was da gezeigt wird, ist gar nicht so subversiv. Im Grunde bleibt alles prüde.“ Die Emanzipation von Carrie, Samantha, Miranda und Charlotte – als Tiger gestartet, als Bettvorleger gelandet? Doch Kolja geht noch weiter: „Es gibt eine Parallelität zwischen unserer Partei und der Serie. Genauso ist es, wenn unsere Partei Mindestlöhne oder politische Streiks fordert. An sich ist das eine Selbstverständlichkeit, aber es wirkt sehr radikal“. Von der Verbal-Radikalität abgesehen sei die Handlung im Grunde ziemlich langweilig.
Ich finde es unerträglich, wie man(n) so über meine Lieblingsserie spricht und springe Katja bei: „Es ist schon progressiv, dass Frauen in dieser Serie die Definitionshoheit über Sex erobern.“ Doch Jörg hält dagegen: „Im Film wird doch an sich nichts Revolutionäres gesagt, sondern nur der Mainstream auf den Punkt gebracht.“ An der Serie scheinen sich die Geister linker Männer und Frauen zu scheiden. Ob es so falsch ist, wenn Carrie das Fazit zieht: Männer und Frauen haben doch nicht die gleiche Postleitzahl? Ich komme nicht umhin mich zu fragen, ob die Jungs vielleicht nur eine Ausrede zu suchen, um doch lieber zur Sportschau zu wechseln. Haben linke Männer verlernt, zu sagen, was sie wollen?
Luxus für alle und Open Source bei Handtaschen
Wie gut, dass Lena vor der Eskalation eine neue Frage aufwirft – anknüpfend daran, dass die Frauen der Kultserie zwar beim Essen und Daten, nur selten jedoch beim Arbeiten dargestellt werden. Lena: „Sind die Frauen einfach stinkend reich ohne zu arbeiten – oder sind sie doch progressiv, weil kein Normalarbeitsverhältnis suggeriert wird?“ Diese Diskussion entfacht sich an einer Szene, in der Samantha eine 3000$-Handtasche mit den folgenden Worten kommentiert: „Wenn ich mit diesem Modell durch die Stadt flaniere, weiß ich, ich habe es geschafft.“Bei der Redaktion des Prager Frühlings überwiegt zunächst die Einschätzung von yuppihaftem Tussitum: „Ein Ferrari für Frauen“ (Katja) oder „Status- und Phallussymbol“ (Norbert). Doch Jörg reißt die Einschätzung noch einmal herum: Immerhin sei es ein Ausdruck südländischer Lebensverhältnisse, ein „Einbrechen in die männliche Welt des Geldes“. Oder geht es nur darum, wie Katja meint, „mit anderen Frauen über die Taschen zu reden“? Schließlich einigt man sich darauf, dass die Forderung „Luxus für alle“ den Anspruch auf soziale Gerechtigkeit und Ästhetik gut miteinander verbinden kann. Doch Umverteilen alleine wird nicht jedem und jeder zu einer Hermes-Handtasche verhelfen. Produktpiraterie erscheint vor diesem Hintergrund überaus fortschrittlich. Im Grunde geht es um eine Art Open Source bei Handtaschen.
Brauchen Frauen im Kapitalismus Eier?
Wieder einmal ist es Lena, die den Fokus auf soziale Fragen lenkt. Sie glaubt ein gewisses fortschrittliches Potential in der Serie zu entdecken, da sie neben urbanem Hedonismus auch Fragen der Diskriminierung von Frauen in der Arbeitswelt aufwirft. Lena: „Die Serie thematisiert die gemeine Abkanzelung von Frauen im mittleren Alter durch ihren Chef.“ Und es entspannt sich eine Diskussion darüber, ob es erstrebenswert ist, sich im Kapitalismus durchzuboxen oder eine Nische zu finden. Lena: „Die Frage ist, versucht man als Frau möglichst erfolgreich zu sein oder entzieht man sich?“ Daraufhin Jörg: „Samantha zeigt doch deutlich, nur durch männliche Verhaltensweisen kann sie sich durchsetzten“ Und Norbert bringt es auf den Punkt: „Ja, indem sie Eier hat!“Muss man zum Arzt gehen, wenn man die Grenzen des Systems überwinden will?
Carrie trägt sich derweil mit Heiratsplänen. Doch ihr Körper reagiert allergisch: Bei der Anprobe eines Hochzeitskleides bekommt sie Atemnot und Hautausschlag. Am Ende landet sie nicht im Ehehafen. Sie fragt sich: „Es gibt immer bestimmte Lebensziele, von denen jeder erwartet, dass man sie erreicht: Ehe, Baby und ein eigenes Heim. Und wenn sich dabei dein Gesicht nicht mit einem Lächeln, sondern dein Körper mit Ausschlag überzieht, stimmt dann etwas mit dem System nicht oder liegt es an Dir? Und wollen wir die Dinge wirklich oder sind wir nur so programmiert?“Hier sind wir uns mal alle einig: Klar, es liegt am System! Lena jubiliert „So macht Systemüberwindung Freude. Das traditionelle Familienbild in Frage stellen.“ „Wobei jetzt jemand, der die Systemfrage stellt, nicht unbedingt zum Hautarzt muss.“ Dieser Einwurf von Kolja löst eine heftige Debatte aus.
Norbert: „Aber willst du mit dem Hautarzt warten, bis die Systemfrage geklärt ist, wenn du Hautausschlag hast?“
Jörg: „Politisch gesehen würden sich einige mit dem Hautausschlag zufrieden geben. Beim Hautarzt kannst du eh nur an Symptomen herumdoktern.“
Kolja: „Die Antikapitalistische Linke würde sagen: es hilft ohnehin nicht, wenn man zum Hautarzt geht. Wir würden vielleicht formulieren: Es müssen gewisse Mindestbedingungen erfüllt sein, ehe man zum Hautarzt geht.“
Katja: „Nein, wir würden sagen: Wenn man mehr als nur Symptombehandlung will, dann muss man nicht zum Hautarzt, sondern zur Ernährungsberatung!“
Gute Popkultur und demokratischer Experimentalismus
Und da wir nun alle nicht einfach nur entspannen können, muss die Frage, ob Sex and the City das System überwindet, am Ende doch noch geklärt werden: Wir diskutieren über vier Karikaturen weiblicher Selbstinszenierung, über Heilige und Huren und über die spielerische Brechung von Frauenbildern.Katja: „Sex and the City trägt aus feministischer Sicht eher einen reformistischen Charakter. Es überwindet nicht das System Patriarchat, aber es verbessert die Rollenvielfalt, die Frauen zur Auswahl stehen und verbessert damit real Lebensqualität.“
Kolja: „Die Szene mit dem Brautkleid ist schon ein Zeichen dafür, dass konservative Familienpolitik in breiten Kreisen nicht mehr anschlussfähig ist – und das ist gut so! In Sex and the City wird mit Geschlechterbildern gespielt. Dass die Ehe eine komische Institution ist, haben übrigens schon Guns’N Roses auf den „Use your Illusion“ Alben angesprochen. [Wer mehr dazu wissen will, dem empfiehlt die Redaktion den Beitrag zum musikalischen Mainstream der neunziger Jahre in diesem Heft.] Und modepolitisch gesehen bietet diese Serie doch einiges.“
Norbert: „Und das Spielerische ist gerade das Attraktive an der Serie.“
Die Redaktion stellt die Systemfrage. Und ganz klar: Auch das Patriarchat ist System, nicht nur der Kapitalismus. Sehr sympathisch! Strittig ist nur die Frage, ob man „das System“ überwinden, aus ihm aussteigen, es revolutionieren kann – oder ob man es nur transformieren, unterlaufen, modifizieren und veralbern kann. Sex and the City beantwortet diese Frage eindeutig:
Jörg: „Es geht um ein Plädoyer für einen demokratischen Experimentalismus!“ Und für mich bringt Norbert die wesentliche Erkenntnis auf den Punkt: „Agitatorische Kunst hat sich überlebt. Popkultur zeigt Möglichkeiten und mehr kann Kultur auch nicht machen. Es ist einfach nur gute Popkultur!“
Ich komme nicht umhin mich zu fragen, ob nicht genau darin die Gemeinsamkeit von „Sex and the City“ und dem „prager frühling“ besteht …