Im eigenen Land allerdings hält die Begeisterung für Michelle Obama länger an als die für den Präsidenten. Unter dem Druck der wirtschaftlichen Krise verliert Politik als rhetorisches Schauspiel an Faszination. Enttäuschung kommt auf bei armen Wählerinnen und Wählern Obamas, der ihre Hoffnungen auf ein »soziales Amerika« nicht erfüllen kann. Unzufriedenheit ganz anderer Art äußert sich bei dem Teil der Machtelite, der Obamas Wahl gefördert hat. Der neue Präsident müßte, so meint man hier, die wirtschaftlich potenten europäischen Staaten rigoroser auf finanz- und militärpolitische Hilfeleistungen für die USA verpflichten. Aber deren Regierungen wissen nicht, wie sie mit ihren eigenen Krisen fertig werden sollen, zudem müssen sie auf die Stimmung ihrer BürgerInnen Rücksicht nehmen, in Deutschland zum Beispiel stehen demnächst Wahlen an. US-amerikanische offene Drohungen, das schätzt Obama richtig ein, würden in dieser Situation bei den europäischen Partnern eher zur Minderung als zur Steigerung der Leistungen für die USA führen, also setzt er weiter auf die Methode der freundlichen Pression. Das ist klug, und überhaupt ist der Wert dieses Präsidenten für die herrschenden Interessen in den USA nicht gering zu schätzen.
Obama, darin unterscheidet er sich nicht von George W. Bush, ist kein Friedenspolitiker; in Ossietzky haben wir schon vor seiner Wahl darauf hingewiesen. Er bleibt auf der Linie der klassischen US-amerikanischen Geopolitik und behält vorrangig folgende drei Ziele im Auge: Weltweit gebührt den Vereinigten Staaten die machtpolitische Führungsposition; diese muß gesichert werden, selbstverständlich auch mit militärischen Zugriffen; die globale militärische Dominanz soll auch die Durchsetzung ökonomischer Interessen garantieren (worauf es bei schwächelnder US-Volkswirtschaft besonders ankommt). Allerdings agiert hier Barack Obama, gestützt von alteingeführten Beratern, ohne die ideologischen Exzesse und abenteuerlichen Neigungen, denen sich die Neocons in den Zeiten von George W. Bush hingaben.
Den Krieg in Afghanistan wollen die USA weiterhin gewinnen, jetzt stärker ausgreifend auf pakistanisches Terrain. Sie setzen auch die militärstrategische Durchdringung ehemaliger Ostblockstaaten fort. In der Auseinandersetzung mit dem Iran bleibt der Militärschlag eine Option. Die vielgerühmte »Vision einer Welt ohne Atomwaffen«, von Obama geschickt inszeniert, läuft auf folgenden Prozeß hinaus: Keine weitere Verbreitung von Atomwaffen; mehr Sanktionen gegen Staaten, die atomare Rüstung vorbereiten könnten; kostensparende Verringerung des atomaren Waffenarsenals der USA und Rußlands - aber immer so, daß die USA den absoluten Vorrang als atomgerüstete Macht behalten, im internationalen Rüstungsvergleich also ihre Position stärken; da soll ihnen niemand dreinreden.
In der Konsequenz dieser »Abrüstungspolitik« läge die Wiederherstellung des militärpolitischen Zustandes von 1945: die USA mit dem Alleinstellungsmerkmal der Atomwaffe, damals nachdrücklich demonstriert durch deren Einsatz.
Die Obama-»Vision« ist listig: Einzelne Schritte im Gang der globalen militärpolitischen Entwicklung, die völlig vernünftig wären (wer möchte schon wünschen, daß der Atomwaffenbesitz sich weiter ausbreitet), werden in einen Rahmen eingeordnet, der durch den militärischen Hegemonialanspruch der USA gesetzt ist.
An diesem Projekt gemessen war George W. Bush ein Stümper.