Ohne Zweifel wird die US-Regierung unter Obama den Versuch machen, einige grobe Ungeschicklichkeiten der Bush-Administration zu korrigieren. Innergesellschaftlich: Der arrogante Umgang mit den Existenznöten der Armen und den Sorgen der zunehmend bedrohten Mittelklasse wird einer bemühten symbolischen Pflege des Anspruchs auf allgemeine Wohlfahrt weichen. Krankenversicherung für alle, Sanierung der öffentlichen Rente, Steuererleichterung für die Geringverdiener, Hilfe für die insolventen »Häuslebauer« - das sind Erwartungen, die Obama zielgerichtet geweckt hat, und selbstverständlich will er die Gunst seiner Wähler nicht verlieren. Ein Rettungspaket für die bedrängte Mittelklasse hat er jetzt als ersten Schritt angekündigt, und vermutlich wird es in dieser Sache bei Worten nicht bleiben. Aber selbst da ist ein »großer Sprung« höchst unwahrscheinlich, und an der Massenarmut wird sich nichts ändern.
Obama ist kein Schwachkopf, deshalb bemüht er sich seit seinem Sieg darum, die Hoffnungen auf ein Sozialwunder zu dämpfen - von einer langen Durststrecke spricht er nun, an die Geduld der Unterschichten appellierend. Die wirtschaftliche Verfassung, in der sich die USA befinden, aber auch die innergesellschaftlichen Kräfteverhältnisse lassen eine New-Deal-Politik wie einst unter Franklin D. Roosevelt nicht zu. Die dauerhafte Überschuldung der US-amerikanischen Volkswirtschaft, die Ausrichtung der Finanzpolitik auf Kapitalzufluß aus anderen Kontinenten, die Abhängigkeit vom Import bei miserabler Außenhandelsbilanz - das sind Strukturprobleme, die sich messianisch nicht lösen lassen. Und vom dem neuen Präsidenten ist ganz gewiß nicht zu erwarten, daß er sich klassenkämpferisch betätigt, seinen Finanziers die Feindschaft ansagt und ein Programm der Umverteilung von oben nach unten startet. Es bleibt ihm nur der Weg, die Armen zu vertrösten, den noch nicht Verarmten ein wenig unter die Arme zu greifen und die Reichen bei Laune zu halten; und um diese Politik auszubalancieren, gilt es, die Machtstellung des Dollars als internationaler Leitwährung gegen zunehmende Anfechtungen zu erhalten. Aber wie? Die globale Finanzmacht der USA ist marktwirtschaftlich nicht zu retten, sie ist angewiesen auf militärische Hegemonie.
Außenpolitisch also: Die USA werden unter Obamas Regie nicht davon ablassen, die weltpolitische Führungsrolle zu beanspruchen und zu diesem Zweck militärische Gewalt einzusetzen oder anzudrohen. Allerdings werden sie viel intensiver als unter George W. Bush auf Juniorpartnerschaften vor allem europäischer Staaten Wert legen, dies auch aus Kostengründen. Das US-amerikanische Verlangen nach mehr deutschen Truppen im Afghanistankrieg ist nur ein Beispiel für diese Art von »Multilateralismus«. Selbstverständlich braucht eine solche Geopolitik ihre idealistisch auftretende Begründung, einen neuen Schub an »ethischem Imperialismus«, Barack Obama ist dafür weitaus besser geeignet als sein Rivale fürs Präsidentenamt oder als sein Amtsvorgänger.
Richard Herzinger, einer der klugen Publizisten in der Springer-Mannschaft, hat das begriffen: »Amerikas Missionsauftrag« habe durch Obamas Sieg »eine enorme Aufwertung erfahren«, schreibt er; jetzt lasse sich herausstellen, daß »die USA mehr denn je dazu berufen seien, Freiheit und Demokratie über den ganzen Globus zu verbreiten«, »in zugespitzten weltpolitischen Konflikten notfalls auch unzweideutige Härte zu zeigen«. Fazit: Der »neue Messias« war eine kurzzeitige, massenmedial erzeugte Phantasiegestalt; jetzt haben wir es mit einem »neuen Missionar« US-amerikanischer Weltmacht zu tun.
Übrigens: Daß afroamerikanische BürgerInnen der USA sich freuten, als Barack Obama ins höchste Amt im Lande gewählt war, ist gut zu verstehen. Vielleicht ist das Wahlergebnis ein Anzeichen dafür, daß sich der Rassismus abschwächt. Unsinnig wäre es anzunehmen, daß der »Migrationshintergrund« oder die Hautfarbe eine bessere, vor allem eine friedliche Politik verbürge. Condoleezza Rice als US-Außenministerin bot Pazifisten ganz und gar keinen Grund zum Jubel. Ihr Kollege Colin Powell auch nicht.