Beredtes Verschweigen

Editorial

»Dialog« ist ein rundum positiv besetztes Wort. Miteinander reden ist schließlich besser als Konfrontation. In der internationalen Politik helfen Dialoge, nach politischen Lösungen für Konflikte zu suchen. Kulturelle und interreligiöse Dialoge unterstützen das, indem sie Feindbilder aufbrechen. Je mehr Dialoge geführt werden, desto friedlicher geht es auf Erden zu. Soweit die Theorie. Was aber, wenn der Dialog eine beredte Form des Verschweigens ist? Dann kann er ein Instrument zur Legitimation einer unfriedlichen Politik sein und den Nicht-Beteiligten schaden.

Ein Lehrstück für eine solche Form von Dialog bot neulich der Besuch des früheren iranischen Staatspräsidenten Mohamed Khatami in Freiburg. Der Mullah, der bei der nächsten Präsidentschaftswahl im Iran möglicherweise wieder antritt, wurde von den Honoratioren der Stadt wärmstens empfangen. Oberbürgermeister Dieter Salomon (Grüne) hob beim Empfang im Rathaus hervor, dass der Iran unter dem Reformer Khatami einen Weg gegangen sei, der durch »mehr Rechtsstaatlichkeit, Demokratie und Freiheit für die Menschen« charakterisiert war. Universitätsrektor Hans-Jochen Schiewer würdigte Khatami als »bedeutenden Theologen und Philosophen«, der stets den Ausgleich mit dem Westen suche. Hin und weg war auch der Vertreter der katholischen Kirche, Domkapitular Wolfgang Sauer. Weil der Mullah der »höchste islamische Würdenträger« ist, der je das Freiburger Münster besuchte, hörte Sauer »eine historische Stunde für den Dialog von Christentum und Islam« schlagen.

 

 

Warum Khatami in Freiburg als Reformer und Hoffnungsträger gilt, ist allerdings schleierhaft. In seine Regierungszeit von 1997 bis 2005 fielen hunderte Hinrichtungen und Steinigungen, die Ermordung zahlreicher Oppositioneller, die blutige Niederschlagung der iranischen Studentenbewegung und das Verbot zahlreicher Medien. Israel bezeichnete er 1998 als »Seuche« und als »größten Feind des Islam und der Menschheit«. Eine Ansicht, der Khatami in seiner gesamten Amtszeit durch Unterstützung der Hisbollah – die vom Libanon aus Krieg gegen Israel führte – Nachdruck verlieh. Der einzige wirkliche Unterschied zu seinem Nachfolger Mahmud Ahmadinejad ist die rhetorische Zurückhaltung, die Khatami auf internationalem Parkett zeigte.

In Freiburg war von all den Menschenrechtsverletzungen und der Israelhetze während Khatamis Präsidentschaft keine Rede. Stattdessen grenzte man die KritikerInnen Khatamis aus. Die Badische Zeitung hatte schon im Vorfeld des Besuchs in einem harschen Kommentar Bescheid gegeben, dass Khatami der »falsche Adressat« für Kritik sei. Wie der Freiburger Dialog beschaffen war, zeigte augenfällig das Vorgehen gegen zwei exiliranische Zwischenrufer. Als sie Khatami bei dessen Vortrag an der Uni »Mörder« und »Faschist« zuriefen, wurden sie von iranischen (!) Bodyguards gewaltsam aus dem Saal entfernt. Die Mehrheit der über 800 ZuhörerInnen applaudierte begeistert. Warum die Zwischenrufer so aufgebracht waren, ob vielleicht Angehörige oder Freunde von ihnen im Iran gefoltert wurden, wollte niemand wissen. Unwidersprochen hatte das Auditorium schon hingenommen, keine Fragen zur iranischen Innenpolitik an Khatami stellen zu dürfen. Es hätten ja unliebsame sein können.

Als Störenfried kanzelte man in Freiburg auch den Zentralrat der Juden in Deutschland ab. In einem Offenen Brief hatten Vizepräsident Dieter Graumann und Generalsekretär Stephan Kramer es gewagt, das Lob der Freiburger Honoratioren für den »angeblich so liberalen« Khatami als »völlig inakzeptabel« zu bezeichnen. Über die Unterdrückung der Opposition und die Unterstützung des Terrors gegen Israel sei nicht gesprochen worden, weshalb Graumann und Kramer unter anderem zu dem Schluss kamen: »Ihr Schweigen, Herr Domkapitular Sauer, markiert in der Tat eine ‚historische Stunde’, allerdings eine der Schande, des Wegsehens und Schweigens.«

Die von der Badischen Zeitung wiedergegebene Reaktion des Kritisierten ist bemerkenswert: »Domkapitular Sauer ist ‚tief verletzt und getroffen’ von der ‚würdelosen Attacke’, die er unerhört finde. Sauer hat Graumann und Kramer ein persönliches Antwortschreiben zukommen lassen. Über dessen Inhalt will er jedoch nichts sagen,

‚aus Respekt vor dem anstehenden 70. Jahrestag der Pogrome’ möchte er nichts tun, was den Konflikt befeuert.« Da haben sie ja noch mal Glück gehabt, die Juden, wegen Holocaust und so.

 

Freiburg ist die einzige deutsche Stadt, die eine Partnerschaft mit einer iranischen Stadt unterhält. Es handelt sich um Isfahan, wo das Regime als Teil seines Atomprogramms eine Urananreicherungsanlage betreibt. Eine seltsame Partnerstadt für Freiburg, das stolz darauf ist, eine »atomwaffenfreie Zone« zu sein und dessen OB Mitglied bei der Anti-Atomwaffen-Initiative »Mayors for Peace« ist. Aber wer zum Dialog entschlossen ist, mag über Petitessen wie ein Atomprogramm hinwegsehen.

 

die redaktion

 

PS:  Im Themenschwerpunkt der nächsten iz3w werden wir uns mit den Verhältnissen im Iran näher beschäftigen – nicht dämonisierend, aber auch nicht unkritisch. Obwohl wir aus Freiburg sind.

 

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