Die neue Ostfront

»Krieg gegen Rußland?« fragte Nikolaus Busse am 3. November in der FAZ. Am 22. November suchte Lothar Rühl im selben Amtsblatt zu begütigen und schrieb von »Verständigung mit Rußland«. Am 1. Dezember formulierte Klaus-Dieter Frankenberger unumwunden: »Partner oder Gegner?« Im Untertitel wurde erläutert: »Der Westen denkt über eine gemeinsame Rußland-Politik nach.«

Der Westen denkt nach? Über Krieg oder Verständigung? Partner oder Gegner? Folglich haben die Russen die Wahl zwischen Krieg und Frieden. Wir formulieren das hier so kurz und direkt, weil der kalte Krieg in den heißen übergehen muß. Niemand soll sagen, das habe er weder gewußt noch gewollt.

Was Insider in den Tagen zuvor hatten erlauschen können, druckte Super-Lauschohr Spiegel am 1. Dezember frei heraus. Kaiser Wilhelms Emser Depesche reifte jetzt zum Bedrohungstelefonat zwischen der US-Außenministerin und dem deutschen Amtsinhaber. Die FAZ-Frage »Partner oder Gegner« erhält existentielle Bedeutung, weil es nicht nur dahingelaberter Journalismus ist. Der Spiegel nennt es »Letztes Gefecht«, wenn Rice die Aufnahme der Ukraine und Georgiens in die NATO mehr über kurz als lang fordert. Mag sein, daß die drohend ultimative Form der Ratlosigkeit einer Schar lahmer US-Enten geschuldet ist. Was aber, wenn Bush/Rice ihre Nachfolger Obama/Clinton damit so unter Druck setzen, wie Rice es mit Steinmeier versucht? Man mache sich nichts vor - es geht um die Wurst. Das letzte Gefecht einer sich in den Ruhestand verabschiedenden Administration kann zum ersten Gefecht an der neuen Ostfront werden.

Den Bushies gelang schon die Anarchisierung, Chaotisierung und Terrorisierung der halben Welt. Sie fügen der Finanzkatastrophe auch World War III hinzu, denn auf dem Höhepunkt der Spekulationskrise erscheint ein richtig großer Krieg als letzter Ausweg.

Mit der Ukraine und Georgien in der NATO schwindet jede Alternative. Rußland kann sich so wenig geschlagen geben wie im II. Weltkrieg. Deutschland befände sich zum dritten Mal auf dem Marsch gegen Moskau. Die Bundeswehr hätte wie die Väter und Großväter ihren Ostkrieg. Wohl bekomm‘s!

Aber - gibt es wirklich keine Alternative? Mal ganz ruhig reflektiert: Gäbe Rußland nach, erlitte es das Schicksal des Irak. Es geht um Bodenschätze, Ressourcen, Raum, Macht. Wie einst bei Adolf Hitler. Das ist die nackte Logik der NATO-Strategie. Gerade fand mal wieder in Brüssel eine Konferenz der Beschwichtigung statt. Die neuen NATO-Oststaaten und die Bushies wollen den Kriegsgrund sofort liefern. Die anderen NATO-Länder zögern noch und warten auf die Obamas. Was aber, wenn die militärisch-industriellen Komplexe sich durchsetzen? Wer beschwichtigt dann noch? Kein russischer Politiker kann warten, bis irgendein napoleonischer Nachfolgeführer durchdreht und nach Moskau aufbricht. So wie kein chinesischer Politiker die Macht an einen tibetanischen Gott oder US-Milliardär übergibt. Eher kauft er Amerika auf. Eher bepflanzen Putin und Medjedew Ostpreußen mit Raketenwäldern ...

Bush bedauerte neulich seine falschen Angaben über irakische Massenvernichtungswaffen. Mit allen Lügen sitzt die US-Army jetzt am Ölhahn im Irak. Sehnen wir uns zurück nach Fulda Gap? Lebte es sich so schön romantisch im Schatten der Bomben? Der Wunsch der strategischen Gartenzwerge ist uns heilig. Jener Hauptmann Dregger a. D., dessen Christkameraden in Hessen gerade zur Unwahl des neuen Jahres antreten, belobigte die letzten großdeutschen Vaterlandsverteidiger an der nach Berlin eindringenden Ostfront als höchst ehrenwerte Kameraden. Du, lieber Bundeswehrkamerad, kannst Dir diese Dregger-Elogen bald in den alten Stellungen an der neuen Ostfront verdienen. Dein Ehrenmal in Berlin wird schon errichtet. Dreggers Ziehsohn, der Wehr- und Weinminister Jung, wird Dir dort gern mit würdevollen Worten die letzte Ehre erweisen. Das zumindest beherrscht er wie einst sein Hauptmann Alfred Dregger von Fulda Gap. Frohe Weihnachten also.