Das Duell Clinton-Obama hat es wieder offenbart: Das schwierige Verhältnis von Feminismus und Antirassismus. Eine Chronik anlässlich 160 Jahre Frauenbewegung in den USA.
„White Supremacy”. Durch den 1870 ratifizierten 15. Zusatzartikel zur Verfassung waren zwar alle Schwarzen Männer ermächtigt worden zu wählen, nicht aber Frauen, weder Schwarze noch Weiße. Schuld daran war die nach dem Bürgerkrieg veränderte politische Ausgangslage. Oberste Priorität war es, der befreiten Schwarzen Bevölkerung zivile und politische Rechte zu sichern, um sie gegen die rassistische Willkür des Südens zu wappnen. Die progressive, als Plattform gegen Sklaverei gegründete republikanische Partei befürchtete aber, dass ein universales Frauenwahlrecht vor allem im Süden die rassistische Demokratische Partei stärken könnte und entschied sich daher gegen die Forderung eines allgemeinen Wahlrechts. In ihrer Einschätzung der prophylaktischen Wirkung des Wahlrechts für Schwarze Männer waren die Republikaner dennoch zu optimistisch. Bald nach der Verabschiedung des 15. Zusatzartikels begann die Phase der „Jim Crow”-Gesetze – der Segregation und rassistischen Diskriminierung der schwarzen Bevölkerung. Ihre grausigsten Ausmaße nahm diese Zeit in rassistisch motivierten Lynchmorden an, denen alleine von 1882 bis 1951 mindestens 4730 Menschen zum Opfer fielen. Angesichts ihrer Niederlage beim Versuch, das Frauenwahlrecht in den 15. Zusatzartikel zu integrieren, suchten Stanton und andere prominente Feministinnen Zuflucht bei rassistischen Argumenten oder der rassistischen Demokratischen Partei. Auch wenn diese Phase nur kurz dauerte und auch wenn derartige Auswüchse nie von der Mehrheit der Feministinnen getragen wurden, markierte diese Allianz doch die Erste einer Reihe von Hinwendungen zur Politik der „White Supremacy”, die wiederholt Schwarze Feministinnen vor den Kopf stieß. Als 1920 schließlich das allgemeine Frauenwahlrecht durchgesetzt wurde gingen dem erneut Allianzen mit Weißen, oft rassistischen Südstaatlerinnen voraus. In den meisten Fällen ging das bewusst zu Lasten Schwarzer Aktivistinnen, denen die Einführung des nationalen Frauenwahlrechts im Übrigen wenig brachte: Noch bis 1965 sollten in vielen Bundesstaaten Schwarze mittels abstruser Zulassungstests oder antiquierter Gesetzesklauseln an der Ausübung ihrer politischen Rechte gehindert werden.
Picking up the Pieces. Es war ein wegweisendes Statement, mit dem im April 1977 die Bostoner „Combahee River Collective“ – benannt nach der einzigen Schlacht des Bürgerkrieges, die von einer (afroamerikanischen) Frau angeführt wurde – an die Öffentlichkeit trat: Es ginge darum, „eine integrative Analyse und Praxis zu entwickeln“, war dort zu lesen, „die der Tatsache Rechnung trägt, dass die bedeutendsten Unterdrückungssysteme ineinander übergreifen“. Unter anderem, so das Statement, sei es die Pflicht Weißer Feministinnen, sich mit ihren rassistischen Ressentiments auseinanderzusetzen. Die Geschichte der Combahee River Collective zeigt deutlich, welche Vielzahl an Feminismen sich im Rahmen der zweiten Frauenbewegung in den USA formierte. Als Abspaltung der „National Black Feminist Organization“ distanzierte sich die Combahee River Collective von den für sie zu pragmatisch agierenden liberalen Feministinnen – selbst wenn diese speziell angetreten waren, um die Position afroamerikanischer Frauen zu vertreten. Sie distanzierte sich von der Schwarzen Bürgerrechtsbewegung, die feministischer Kritik oft mit dem Vorwurf des Verrates an der Bewegung begegnete und sie distanzierte sich von der mehrheitlich Weißen radikalen Frauenbewegung, die das Primat sexistischer Unterdrückung vor allen anderen Formen von Diskriminierung postulierte. Mit dem Konzept der „Identitätspolitik“ forderten die Mitglieder der Combahee River Collective eine differenzierte Sichtweise auf Diskriminierungsmechanismen ein, die ihre Alltagserfahrungen als Frauen, Afroamerikaner- innen, Angehörigen einer anderen ethnischen Minderheit, Arbeiterinnen, Lesben oder Körperbehinderte widerspiegelte. Auch wenn sich Identitätspolitik gegen die Idee einer „universalen” weiblichen Erfahrung wandte, gab es im Zuge der zweiten Frauenbewegung durchaus Allianzen zwischen Weißen und Schwarzen Frauen. Allerdings: diese waren oft fragil und brüchig, wie der Fall von Shirley Chisholm zeigt, die 1972 als erste afroamerikanische Frau bei den US-Vorwahlen kandidierte. Mit dem Anspruch angetreten, zwei Minderheiten in einer Person zu vereinen, war ihr Vorhaben zum Scheitern verurteilt, als ihr sowohl afroamerikanische Interessensverterter_innen die Unterstützung versagten als auch prominente Feministinnen wie Bella Abzug und Gloria Steinem, die sich für einen ihrer Meinung nach aussichtsreicheren Kandidaten entschieden hatten. Enger zusammen rückten Schwarze und Weiße Feministinnen dann im Zuge der Reagan-Legislatur, als es im harschen politischen Klima unabdingbar wurde, Koalitionen zu bilden. In diesem Zusammenhang begannen Weiße Feministinnen in den 1980er Jahren auch, sich intensiver mit den eigenen Rassismen zu beschäftigen und die Auseinandersetzung mit internen Differenzen wurde zu einer strategisch wichtigen Ressource im Kampf gegen Unterdrückungssysteme. Letztendlich veränderte sich auch der Blick auf Identitätspolitik. Identität war keine feststehende Einheit mehr und der Protest gegen Zuschreibungen von Außen rückte in den Mittelpunkt. Widerständige Praxis war in diesem Zusammenhang nicht mehr das Einfordern partikularer Identitäten, sondern das bewusste Spiel mit unterschiedlichen Identitätskonzepten.
How to become a universal figure. Auch die diesjährigen US-Vorwahlen spiegeln diesen Trend. Während der Praxis, rassistische und sexistische Diskriminierung gegeneinander aufzuwiegen, nur eine untergeordnete Rolle zukam, war es vielmehr die Fähigkeit zum flexiblen und spielerischen Umgang mit Identitäten, die entscheidend für den Ausgang der Vorwahlen war. Ein Ergebnis jenes Dilemmas, das Joan Scott vom Institute for Advanced Studies in der New York Times so zusammenfasst: „The question is, how do you become a universal figure when you represent movements that have claimed the right of equality for you in your difference?“ Während Barack Obamas Versuch zu universalisieren als „tatkräftig” interpretiert wurde, wirkten Hillary Clintons Bemühungen verdächtig“, so Nora Bredes vom Susan B. Anthony Center for Women’s Leadership. Das mag zum einen damit zu tun haben, dass Clinton eine Menge Altlasten in ihr Rennen um die Kandidatur mitbrachte. Ausschlaggebend für Bredes waren aber vielmehr normative Erwartungshaltungen, mit denen Frauen konfrontiert sind. Es ist Susan B. Anthony, die engste Freundin und Mitstreiterin Elizabeth Cady Stantons, die sie in diesem Zusammenhang zitiert. Echte Veränderung gäbe es nur, wenn sich auch etwas an tradierten Haltungen ändern würde, meinte diese bereits Ende des vorletzten Jahrhunderts. Sie wusste aber auch damals schon: „The habits of the ages die hard.“
1 „Schwarz” und „weiß” werden, wo sie sich auf Hautfarben beziehen, groß geschrieben, um zu markieren, dass es sich dabei um sozial konstruierte Zuschreibungen handelt.