Trotzkis Töchter

In Österreich tritt bei der Nationalratswahl am 28.9. ein neues linkes Wahlbündnis an. Doch auch eine gelungene Initiative für einen heißen Herbst würden sie bereits als Wahlerfolg verbuchen, sagen Nina Gunic, Sonja Grusch und Selma Schacht.

an.schläge: Verglichen mit der deutschen Linkspartei fehlt euch die Masse von enttäuschten SozialdemokratInnen und GewerkschafterInnen, die sich in Deutschland zunächst in der WASG gesammelt hatten. Glaubt ihr, sie noch mobilisieren zu können?

Nina Gunic: Wir sind ein Wahlbündnis, das schon jetzt auch aus AktivistInnen und Organisationen besteht, die von der Sozialdemokratie enttäuscht sind. Die Sozialdemokratie befindet sich in einer historischen Krise. Es gibt eine massive Enttäuschung unter GewerkschafterInnen, Angestellten und Jugendlichen. Ich denke, es ist eine Frage der Zeit, bis wir auch diese Leute verstärkt in unsere Aktionen einbinden können.

Sonja Grusch: Bald beginnt die Herbstlohnrunde. Die Löhne sind heute auf einem Niveau von 1991. Das ist eine Katastrophe. Wir Linke haben das Ziel, im Wahlkampf die KollegInnen zu unterstützen, die für ordentliche Lohnerhöhungen eintreten und sich nicht mit 0,2 Prozent begnügen wollen. Wir wollen dem ÖGB, unfreundlich gesagt, in den Arsch treten. In diesen Bewegungen hebt die Linke sozusagen ihre Fähnchen hoch, um zu sagen: Wir wollen mit euch gemeinsam was machen. Und genau auf dieser Basis ist in Deutschland auch die WASG entstanden – nämlich über große Protestkundgebungen gegen Hartz IV.

Selma Schacht: Und das ist auch der grundsätzliche Unterschied: Die Linke in Deutschland hat sich als Partei konstituiert und ist wirklich eine Wahlpartei. Das Linksprojekt hat sich hingegen schon vor der Neuwahlausrufung als Projekt konstituiert, um Aktivitäten zu setzen und etwas in Bewegung zu bringen.

Ihr würdet also auch enttäuschte SPÖ-WählerInnen aufnehmen?

S. G.: Haben wir schon. Es gibt innerhalb des Bündnisses Leute, die vorher bei den Grünen waren oder die noch in der KPÖ, aber stinksauer auf die eigene Partei sind. Es gibt Leute aus der Sozialdemokratie, es gibt BetriebsrätInnen. Ich glaube, dass es gerade in der SPÖ einen Haufen von Leuten gibt, die genau beobachten, was wir machen, und die sich auch beteiligen werden, wenn sie sehen, dass wir es ernst meinen. Deswegen beginnt für uns die eigentliche Arbeit auch erst nach dem 28.9. Wir stehen heute am Anfang einer Wirtschaftskrise. Das, was wir in den letzten Jahren erlebt haben, sind Peanuts im Vergleich zu dem, was auf uns zu kommt. Und dafür braucht es tatsächlich viele starke linke Kämpfe. Verteidigungskämpfe aber auch offensive Kämpfe für Lohnerhöhungen, gegen Sozialabbau …

Bei diesen Themen wird man sich vielleicht auch mit SPÖlerInnen einigen können, aber wenn es bspw. um Asylpolitik geht, büßt so ein Bündnis vermutlich schnell an Radikalität ein …

N. G.: Ich glaube, was uns auszeichnet, ist, dass wir jetzt schon ein sehr breites Bündnis sind, in dem nicht unbedingt alle radikale Linke sind. Wir haben durchaus auch gemäßigtere „linke Kräfte“, die im Vergleich zu anderen Organisationen konservativer sind. Und natürlich wird es da auch Diskussionen geben. Das ist aber in jeder Partei so ...

S. S.: Aber wir sind keine Partei ...

N. G.: Ja, wir sind ein Bündnis, aber wir wollen eine Partei aufbauen – das ganze Projekt läuft auf eine neue aktivistische Partei hinaus.

S. S.: Das ist deine Meinung, aber nicht die Meinung des Linksprojekts.

S. G.: Das Ziel, das haben auch viele so formuliert, ist es, mittelfristig eine neue Partei für ArbeiterInnen und Jugendliche aufzubauen. Eine Partei, die ganz klar antirassistisch ist. Ich selber komme aus einer Organisation, die seit Jahren massiv antirassistische Arbeit macht. Wir sind froh und bereit, mit jedem und jeder zusammenzuarbeiten, der/die unsere Interessen und Ziele teilt. Aber wir sind nicht bereit, um des Bündnisses willen auf unsere Positionen zu verzichten.

Es wurde kritisiert, dass euch als Sammelbecken für unterschiedliche AktivistInnen eine klare und einheitliche programmatische Positionierung fehlt. Ein überstürztes und unkoordiniertes Antreten bei der Nationalratswahl könne die Linke insgesamt außerdem auch längerfristig diskreditieren.

S. G.: Es gibt eine ganze Reihe von linken Projekten, die damit begonnen haben, dass sie kandidiert haben. Das ist eine Möglichkeit für den Aufbau einer neuen politischen Kraft. Der Vorwurf ist außerdem in erster Linie von einer Partei gekommen, die selbst kandidiert, nämlich von der KPÖ. Das mag jedeR selbst beurteilen, wie diese Kritik zu bewerten ist. Wir haben programmatische Eckpunkte, die sehr klar sind: Wir sind für Mindestlohn, für Arbeitszeitverkürzung. Wir sind dafür, die systematische Diskriminierung von Frauen endlich zu beenden. Wir sind gegen Auslandseinsätze des österreichischen Militärs. Wir sind für eine andere, für eine solidarische – wir sagen auch sozialistische – Gesellschaft.

S. S.: Für uns ist ein Scheitern nicht mit Prozentpunkten verbunden. Gescheitert sind wir dann, wenn es dem Linksprojekt nicht gelungen ist, Aktionen zu starten, um Veränderungen durchzusetzen, wie z.B. bei den Herbstlohnrunden, gegen ein neues Sparpaket oder gegen eine Verschärfung der Asylgesetze.

Was unterscheidet euer Programm von dem der KPÖ?

S. G.: Unsere Praxis unterscheidet uns vor allem. Die KP hat viele Worte, aber wenn ich mir ihre Politik anschaue, dann ist das entweder eine Stellvertreterpolitik, die sagt: Wählt uns, wir machen für euch. Oder es ist eine Politik, die versucht, sich wesentlich an der Politik der SPÖ der 1970er Jahre zu orientieren. VertreterInnen der KPÖ haben dezidiert kritisiert, dass wir für ein sozialistisches Programm sind. Eine Partei, die sich kommunistisch nennt, ist dagegen, dass „sozialistisch“ im Programm steht … Aber der Hauptpunkt ist: Wir sind eine aktive Partei und beschränken uns nicht nur darauf zu kandidieren.

In eurem Programm schreibt ihr, ihr wollt weiterhin Teil von sozialen Bewegungen und Protesten sein. Mit solchen basisdemokratischen Ansprüchen, als „Anti-Parteien-Partei“,  sind die Grünen einst auch angetreten. Welche Mechanismen – z.B. Rotationsprinzip, Imperatives Mandat – habt ihr gegen Institutionalisierung eingebaut?

N. G.: Worauf wir uns bis jetzt geeinigt haben, sind Abwählbarkeit und Erhalt eines Durchschnittsgehaltes statt hoher PolitikerInnengehälter. Strukturell gesehen gibt es ja derzeit die Alternative: Entweder macht man Parteipolitik oder man macht aktivistische Politik. Wir als Wahlbündnis sehen die Notwendigkeit, beides zu machen.

S. G.: Es gibt nicht nur einen strukturellen, sondern auch einen ideologischen Unterschied zu den Grünen. Die Grünen waren immer, von Einzelnen abgesehen, eine Organisation, die es als ihre Aufgabe gesehen hat, Nischen im Rahmen des Kapitalismus zu finden und ihn ein bisschen sozialer, ökologischer etc. zu machen. Das unterscheidet uns: Wir glauben nicht, dass man den Kapitalismus reformieren kann.

Und welchen sozialen Bewegungen fühlt ihr euch verbunden?

S. G.: Aufgrund meiner politischen Vergangenheit ist mir die Haltung gegenüber radikalen AbtreibungsgegnerInnen sehr wichtig. Es gibt beunruhigende Vorstöße von der FPÖ und ÖVP in diesem Bereich und das geht einher mit dem neoliberalen Druck auf Frauen und Familie. Das ist keine diskutierte Forderung der Linken, aber ich nehme an, dass es die meisten so sehen: Das uneingeschränkte und kostenlose Recht auf Schwangerschaftsabbruch, kostenloser Verhütung, und die Notwendigkeit offensiver Aktionen gegen radikale AbtreibungsgegnerInnen. Ein Thema ist die Gesundheitsreform, die ja auch einer der Knackpunkte für den Bruch der Regierung war. Es sind in erster Linie die Frauen, die im Bereich der Pflege in 95 Prozent der Fälle unentgeltlich arbeiten. Wir sagen: jeder Mensch der in Österreich lebt, egal welcher Nationalität, hat das Recht auf umfassende Gesundheitsvorsorge und umfassende Pflege. Es gibt eine Milliarde Euro an offenen Schulden, die allein bei der Krankenkasse da sind. Wenn man nur diese eine Milliarde eintreiben würde, wäre schon genug Geld vorhanden, um im Gesundheitsbereich einiges zu finanzieren.

S. S.: Es gibt im Gesundheitsbereich die Forderung, den Leitkollektivvertrag um zwanzig Prozent anzuheben. Weil dort zementiert ist, dass ein „typischer“ Frauenberuf auch einer ist, der typischerweise schlechter bezahlt wird als durchschnittlich andere Kollektivverträge in Österreich.

N. G.: Grundsätzlich ist es eine Schande, dass wir in einem Land leben, in dem 41 Prozent der Frauen teilzeitbeschäftigt sind, aber nur sechs Prozent der Männer. Gleichzeitig fehlen 46.000 Kinderbetreuungsstätten. Wir brauchen längerfristig Strukturen, die es Frauen ermöglichen, auf gleichberechtigter Ebene arbeiten zu können.

Ihr seid auch für eine Abstimmung zum EU-Vertrag. Wie grenzt ihr euch dabei vom nationalistischen Mehrheitsösterreich von Strache bis Kronenzeitung ab? – oder auch nur von der SPÖ?

N. G.: Ich war als eine Sprecherin der Liga der sozialistischen Revolution (LSR) bei den EU-Reformvertragsprotesten bei der Abschlusskundgebung vor dem Parlament. Und wir haben gezeigt, wie wichtig eine antirassistische, antikapitalistische Kraft ist, um das Feld nicht irgendwelchen Rechten oder rechtsgehenden Sozialdemokraten zu überlassen.

S. G.: Was z. B. in den Medien in Irland vor allem als rechte Kampagne dargestellt worden ist, wurde in Wahrheit in erster Linie von den Linken getragen. Denn wer gegen Privatisierung ist, wer gegen Lohndumping ist, wer gegen die Aufweichung der Arbeitszeiten ist, der muss gegen den EU-Reform-Vertrag sein.

In den Medien fand vor allem eure Forderung nach „Enteignung der oberen 10.000“ Niederschlag – meint ihr das ernst?

N. G.: Ich habe bei dieser Pressekonferenz dezidiert gesagt, dass das eine Forderung der LSR ist, und nicht des gesamten Bündnisses. Wir sind für die Verstaatlichung von Betrieben, wo massiv Lohnabbau betrieben wird oder die vor der Schließung stehen.

S. S.: Wir können bis jetzt keine fertige Position präsentieren. Gerade die Fragen nach Verstaatlichung bzw. Übernahme von Betrieben in die öffentliche Hand bzw. wie das mit einer systemüberwindenden Perspektive in Österreich überhaupt ausschauen kann erfordern intensive Diskussionen. Das sind Grundthemen, weil sie die Grundfesten des Kapitalismus erschüttern.

S. G.: Konkretes Beispiel: Glanzstoff soll dichtgemacht werden, hat aber ausreichend Subventionen von der öffentlichen Hand bekommen. Wieso sollen die Leute, die dort arbeiten, ihren Job verlieren? Sie haben das Recht, ihn zu behalten. Ein Großteil aller Konkurse in Österreich ist auf Unfähigkeit des Managements zurückzuführen. Schlechter können es die Leute in dem Betrieb dort auch nicht machen, im Gegenteil, die meisten innovativen Vorschläge kommen von den Leuten aus dem Betrieb. Warum sollen nicht die Leute, die den Wert in den letzten Jahren vom Betrieb geschaffen haben, ihn in Zukunft selber leiten, kontrollieren und entsprechend davon profitieren?

  

Wahlbündnis Linke

http://linkewaehlen.at


Nina Gunic, Liga der Sozialistischen Revolution (LSR)

Sonja Grusch, Sozialistische Linkspartei (SLP)

Selma Schacht, Kommunistische Initiative (KI)


Dieser Artikel erschien in: an.schläge, das feministische Magazin,
www.anschlaege.at