Kürzlich, in einer Stunde der Vorfreude auf das vom Oberaufarbeiter der "SED-Diktatur" Rainer Eppelmann angekündigte große
"Geschichtsfeuerwerk" anläßlich des herannahenden 20. Jahrestages der "friedlichen Revolution", habe ich wieder einmal eine schon Mitte 1994 veröffentlichte, aber wenig bekannte Kriminalkomödie, den "Bericht des Sekretariates des Untersuchungsausschusses ›Treuhandanstalt‹ nach Artikel 44 des Grundgesetzes", durchgeblättert. Ich stieß auf wunderbare Geschichten. Die Feststellungen zu den Liquidatoren, also zu jenen, die vom 1. Juli 1990 bis zum Mai 1994 nicht weniger als 3.495 ehemalige DDR-Betriebe "abwickelten" und mit dem minimalen Kostenaufwand von 25 Milliarden DM 2,6 Millionen Arbeitsplätze vernichteten, ließen mein Herz höher schlagen.
Auch dieses Mal konnte ich mich nicht entscheiden, welche von diesen Geschichten den nachhaltigsten Eindruck hinterlassen. Ist es der anrührende Bericht darüber, wie der Chefabwickler der Treuhandanstalt (THA), der ehemalige Bild-Redakteur Ludwig M. Tränkner, den 28jährigen Sparkassen-Betriebswirt Zinsmeister mit der Liquidation von 76 ostdeutschen Betrieben betraute und dem armen Schlucker ein Honorar von mehr als 10,5 Millionen DM verschaffte? Oder sind es die Angaben über den Liquidator, der für seine mühevolle Arbeit rund 25 Millionen DM einstrich und dessen Name im Bericht taktvoll geschwärzt ist?
Eine anregende Lektüre ist auch der Abschnitt "Rechts- und Fachaufsicht" über die Treuhand, die dem Finanzministerium unter Theo Waigel anvertraut war. Als ich darin auf den Namen Dr. Haller, Staatssekretär in diesem Ministerium, stieß, wurde ich stutzig. Haller? So heißt doch auch der jetzige Chef des Bundespräsidialamtes. Sollte er etwa ein Verwandter des damaligen Finanzstaatssekretärs und Treuhandkontrolleurs sein? Eine kurze Recherche ergab: Ein Verwandter ist er nicht, er ist es höchstselbst. Nun war mein Interesse an seinen Ausführungen vor der THA-Untersuchungsausschuß geweckt, und ich las den betreffenden Abschnitt des Berichtes, der hier aus Platzgründen zwar gekürzt, aber keineswegs sinnentstellt wiedergeben wird, mit gebührender Aufmerksamkeit:
"Der Untersuchungsausschuß hat sich entsprechend seines Auftrags mit der Frage befaßt, in welcher Weise die Bundesregierung ihre Rechts- und Fachaufsicht für den Bereich Abwicklung wahrgenommen hat ...
Staatssekretär Dr. Haller konnte ... keine präzisen Angaben über Tatsachen aus dem Bereich Abwicklung machen. So antwortete er auf die Frage, wie hoch die Gesamtzahl der von der Abwicklung, also Liquidation und Gesamtvollstreckung, betroffenen Unternehmen sei: ... mir ist die Zahl jetzt nicht erinnerlich, aber ich denke es sind sicherlich über 100 oder mehrere 100 ... Ich habe jetzt keine Zahl präzise in Erinnerung.‹
Auf den Vorhalt, daß insgesamt knapp 3.300 Unternehmen von der Abwicklung betroffen sind, erklärte Herr Dr. Haller: ›… ich nehme alles, was mir zur Information vorgelegt wird, zur Kenntnis. Nur bitte ich um Verständnis dafür, daß die Fülle dessen, was mir zur Kenntnis vorgelegt wird, so umfangreich ist in meiner Funktion, daß ich mich häufig an spezifische Einzelheiten wie etwa diese hier nicht zu erinnern vermag. Ich bitte dafür nochmals um Verständnis.‹
Auf die Frage, ob nach seiner Einschätzung im Rahmen der Liquidation bisher Erlöse oder Defizite erwirtschaftet worden seien, erklärte Dr. Haller: ›Das kann ich Ihnen nicht beantworten. ... Ich interessiere mich selbstverständlich für die Zahlen, nur kann ich Ihnen da jetzt nicht auf Anhieb sagen, ob der Gesamtkomplex Liquidation per saldo Geld kostet oder die Treuhandanstalt finanziell belastet oder finanziell positiv für die Treuhandanstalt zu Buche schlägt. Ich vermute, daß dieser Komplex die Treuhandanstalt finanziell belastet.‹
Auf den Vorhalt, daß nach den bisherigen Erkenntnissen mit einem Defizit in zweistelliger Milliardenhöhe zu rechnen sei, erklärte Herr Dr. Haller: ... Mir ist im Prinzip bekannt, welche - sagen wir mal von den Wirtschaftsplänen her - Defizite die Treuhandanstalt insgesamt macht und wie sich das jeweils darstellt über die Jahre hinweg. Ich bitte Sie zu verstehen, daß mir Einzelbereiche jetzt mit präzisen Zahlen nicht in Erinnerung sind. Ich meine, das heißt nicht, daß ich mich nicht dafür interessiere. Das heißt aber, daß mir präzise Zahlen zu einzelnen Komplexen hier jedenfalls nicht vorliegen ...‹
Auf die Nachfrage, mit welchen konkreten Problembereichen er befaßt gewesen sei, führte Herr Dr. Haller aus: ›... ich bitte an dieser Stelle um Nachsicht. Ich bin kein Jurist, so daß ich nicht wie Sie und andere in der Lage bin, die genauen Feinheiten der Abwicklung an dieser Stelle präzise zu beschreiben ...‹
Auf die Frage, ob es Vorgaben oder Richtlinien zur Abwicklung von Treuhandunternehmen gegeben habe, antwortete Herr Dr. Haller: ›Ich vermute, es gibt Vorgaben. Es gibt sicher Vorgaben zur Abwicklung der Treuhandunternehmen, nur: Sie sind nicht in meiner Zeit entwickelt worden ...‹
Herr Dr. Haller erklärte weiter, daß er die Richtlinie vom 22. Oktober 1991 ›zur Abwicklung von Betrieben, bei denen Sanierungsfähigkeit nicht gegeben ist‹, nicht kenne."
Soweit also die Ausführungen des Staatssekretärs, damals im Finanzministerium und heute im Bundespräsidialamt.
Noch heute nennt der Präsident seinen Amtschef einen "wirklich engen Freund". Kennengelernt haben sie sich 1982 in der damaligen Bundeshauptstadt Bonn. Als Horst Köhler vom Redenschreiber des Finanzministers Gerhard Stoltenberg zu dessen Bürochef avancierte, holte er sich den Volkswirt Gert Haller in seinen Stab. Von nun an stiegen beide gemeinsam die Karriereleiter hinauf, wobei der Horst dem Gert immer einen Schritt voraus war. Zehn Jahre rackerten sie sich im Finanzministerium für das Wohl des Volkes ab, und als Köhler 1993, inzwischen war er unter Waigel Staatssekretär geworden, ausschied, wurde Haller sein Nachfolger, eben auch in Sachen Rechts-und Fachaufsicht über die Treuhandanstalt, die der heutige Bundespräsident sehr zutreffend als eine "politische Veranstaltung" bezeichnete - was allen Beteiligten bewußt gewesen sei.
1995 folgte Haller seinem Freund in die Finanzwirtschaft. Während Köhler zum Sparkassen- und Giroverband wechselte und später Direktor der Osteuropabank in London und Chef des Internationalen Währungsfonds in Washington wurde, ging er zur Bausparkasse Wüstenrot, die er in den Finanzkonzern Wüstenrot & Württembergische AG mit einer Bilanzsumme von 55 Milliarden Euro umwandelte. Für diese Leistung wurde er vom baden-württembergischen Ministerpräsidenten Oettinger mit der Staufermedaille in Gold geehrt.
2005 gab er den Vorstandsvorsitz der W&W AG ab und folgte wieder einmal dem Ruf Köhlers - mit einer menschlich anrührenden Geste, indem er auf seinen Gehaltsanspruch von 10.353 Euro im Monat verzichtete. Bescheiden erklärte er: "Ich arbeite ohne Gehalt, weil ich es mir leisten kann und leisten will, dem Staat auf diese Weise zu dienen." Nun lebt er von einem symbolischen Gehalt von einem Euro und seiner Firmenpension als Ex-Wüstenrot-Chef, deren Höhe allerdings nicht bekannt ist. Als Staatssekretär mit Kabinettsrang nimmt er an den Sitzungen der Bundesregierung teil und kann so seinen Chef stets auf dem laufenden halten.
Schön, daß es in Deutschland noch echte Bescheidenheit und wahre Freundschaft gibt. Im Schloß Bellevue sind sie zu Hause.