Interview mit dem Regisseur Michael Richter
Interview mit dem Regisseur Michael Richter
"Abschiebung im Morgengrauen", ist eine mit "Civis" und "Grimme-Preis" ausgezeichnete Dokumentation von 2005, die nicht nur mehrere Abschiebungen zeigt, sondern auch tiefe Einblicke in die Behördenlogik der Ausländerbehörden in Hamburg gewährt, die die Abschiebungen durchführen und anordnen. Tendenz sprach mit Regisseur Michael Richter.
Herr Richter, wie kamen Sie überhaupt auf das Thema Abschiebung?
Mein Ausgangspunkt waren zwei Reisen in den Kosovo für Filmprojekte über das dortige Leben von Abgeschobenen. Und es ging ihnen schlecht.
Ich habe ein Projekt über Abschiebungen verschiedenen Fernsehanstalten vorgeschlagen, aber die wollten nicht - das sei nicht interessant für den deutschen Markt, nicht gut für die Quote, waren die Argumente. Mit dem NDR wurde schließlich die Idee entwickelt, als Ausgangspunkt für den Film eine lokale Behörde - eben in Hamburg - zu nehmen. Das Projekt hatte eineinhalb Jahre Vorlauf, und zwischendrin dachte ich manchmal, das klappt nie!
In einer Szene schwenkt die Kamera in der Behörde auf den Bildschirmschoner einer Sachbearbeiterin. Dort steht: "Wir
buchen, sie fluchen - Never come back airlines". Hat sich niemand gescheut so etwas vor der Kamera zu zeigen?
Es gab schon vor Drehbeginn eine lange Phase der Vertrauensbildung mit den Ausländerbehörden. Fast sechs Monate lang war das Team vorbereitend immer wieder in der Behörde, schon vorher bei einer nächtlichen Abschiebung dabei. So kannte ich alle, das ist Vertrauensarbeit. Das Drehteam war dann einfach akzeptiert. Die Perspektive der Ausländerbehörde war nach meiner Interpretation diese: Sie fühlten sich stark, sie denken, sie tun eine wichtige Arbeit, die in der Öffentlichkeit immer verkannt wird, und sahen den Film als Chance, sich zu präsentieren. Hinterher fühlten sie sich reingelegt von dem Film und von dem Sturm der Entrüstung, den der Film ausgelöst hat. Sie haben sich dann verraten gefühlt. Aber: Es ist nichts manipuliert. Es ist so gelaufen, wie der Film es zeigt. Wir haben einfach alles mitgefilmt. Und es gab nie eine offizielle Eingabe an den NDR.
Wie haben die Schüblinge auf Sie reagiert? Es ist doch erstaunlich, dass sich Leute mitten im größten Leid noch filmen lassen?
In der Behörde selbst gab es eine Reihe von Leuten, die nicht beim Vorsprechen beim Sachbearbeiter gedreht werden wollten. Solche, die die Kamera dabei hatten, fühlten sich dabei eher sicherer. Beispielsweise bei der Abschiebung am Ende des Films hat die Familie unsere Anwesenheit als gut aufgefasst. Andere wollten es nicht - verständlich. Man stelle sich vor, man wird nachts um drei geweckt, hat eine halbe Stunde Zeit zum Packen und dann sind da noch Menschen mit Kamera. Im Zweifel denkt man natürlich: Die sind auch noch gegen mich.
Der Film ist wirklich aufrüttelnd. Haben Sie mit der Doku bewusst einen Beitrag zur politischen Diskussion geliefert?
Klar, das war das Ziel. Wenn ich zuvor Ergebnisse von Recherchen zu Abschiebung erzählt habe, dann hat mir die kein Mensch geglaubt. Ich glaube, der Film hat etwas geändert. Ich glaube, dass der Film der breiten Öffentlichkeit gezeigt hat: So etwas passiert hier in Deutschland. Der Film führt vor, was die meisten Menschen nicht für möglich gehalten haben.
Für JungdemokratInnen stellt sich die Frage: Wie kommt man an den Film heran? Wo gibt es ihn? Kann man ihn bei Infoveranstaltungen zeigen? Wie kommt man an Michael Richter heran?
In den nächsten Monaten bin ich sehr beschäftigt. Aber im Prinzip bin ich schon für Veranstaltungen zu haben, war auch schon auf einigen. Ich freue mich auch immer, wenn der Film gezeigt wird.
Kontakt zu Michael Richter ist über JD/JL möglich