Weder Empörung noch Freude

Der Putsch in Thailand ist eine Verschlimmbesserung

Selten hat es so wenig internationales Aufsehen um einen Putsch gegeben, wie beim Sturz des thailändischen Premiers Thaksin Shinawatra durch das Militär.

"Thaksin ok pai!" (Thaksin Raus!) - so lautete der Slogan der größten politischen Protestbewegung Thailands seit der Demokratiebewegung 1992, die im Februar und März 2006 Hunderttausende auf die Straße brachte. Nun ist der thailändische Premierminister am 19. September vom Militär durch einen Putsch gestürzt worden. Letzteres stellt die sozialen Bewegungen vor ein großes Dilemma: Zunächst erfüllt der Putsch ihre Forderung, doch mit dem Eingreifen des Militärs ist eigentlich niemand einverstanden. Die Frage des weiteren Vorgehens wird einer der großen Diskussionspunkte beim kommenden Thai Social Forum (TSF) sein.
Doch wie kam es eigentlich zu dem Putsch? Was sind die Hintergründe? Ist er wirklich als positives Eingreifen zugunsten des "Volkes" zu werten, wie die Putschisten im Council for Democratic Reform under Consitutional Monarchy (CDRCM) behaupten? Welche Rolle spielt der König? Wie kam es dazu, dass Thaksin nach anfänglich breiter Unterstützung in der Bevölkerung nun so umstritten ist? Und was ist nun zu erwarten - sowohl von der neuen Interimsregierung als auch von den AktivistInnen der sozialen Bewegungen?

Thaksins Projekt
Der Milliardär Thaksin Shinawatra ist mit seiner eigens kreierten Partei Thai Rak Thai (Thais lieben Thais, TRT) 2001 mit großer Mehrheit zum Premierminister gewählt worden. Hintergrund waren die verheerenden Auswirkungen der Asienkrise und die Bestimmungen des Internationalen Währungsfonds (IWF). Thaksin versprach, die thailändischen Firmen vor der Plünderung durch ausländisches Finanzkapital zu schützen und den ärmeren Bevölkerungsschichten mit Sozialprogrammen zu helfen. Im Gegensatz zu früheren Regierungen hielt er seine Versprechen und baute seine Position mit einem öffentlich finanzierten Gesundheitssystem aus (das 30-Baht-Programm, bei dem jede Behandlung umgerechnet nur 70 Cent kostet). Auch die günstigen Kredite für die Landbevölkerung waren Teil dieser Strategie.
Die nationalistische Ausrichtung seiner Politik und seine Sozialprogramme, für die er von neoliberalen Ideologen als "populistisch" kritisiert wurde, war indes so gestaltet, dass sie ganz im Sinne der neoliberalen Globalisierung und im Interesse der Großkonzerne agierte. Neben der vom thailändischen Agro-Multi Charoen Pokphand (CP) mitformulierten Exportausrichtung in der Landwirtschaft trieb Thaksin die Privatisierung von Staatsbetrieben (z.B. der Wasser- und Energiefirma EGAT), die Kommerzialisierung von Bildung und Gesundheit und eine extreme Freihandelspolitik voran, beispielsweise durch Verhandlungen über ein bilaterales Handelsabkommen mit den USA. Diese ökonomischen und sozialen Umstrukturierungen wurden von (s)einem autoritären Regierungsstil begleitet und so die Aushöhlung der Demokratie durch wirtschaftliche Macht mit klassischer Repression verbunden. Die Hinrichtung von schätzungsweise 2.000 Menschen beim "War on Drugs" und die Repression gegen die muslimische Bevölkerung im Süden des Landes schufen ein Klima der Einschüchterung.
Thaksins Machtzuwachs brachte ihn schon bald in einen Konflikt mit Teilen der "Alten Elite". Die Kombination aus wirtschaftlicher Dominanz (mit seinem auf Telekommunikation basierten Imperium Shin Corporation), medialer Macht und Zensur der Presse, Beherrschung des Parlaments und Senats durch die TRT-Partei und seinen Führungsstil stellte Bürokraten, Politiker und Unternehmer vor die Wahl, sich ihm zu fügen oder an Einfluss zu verlieren. Dies gefiel vor allem dem königlichen Netzwerk nicht - also jenen Männern, die im und um den Beraterkreis des Königs (Privy Council) jahrzehntelang die Geschicke des Landes diskret bestimmt hatten.
So kam es, dass Thaksin mehr und mehr zur Angriffsscheibe des ehemaligen Premiers und engsten Beraters des Königs, General Prem Tinsulanond, sowie des Königs selbst wurde. Die erste größere Auseinandersetzung thematisierte den Süden, in dem Thaksin die etablierte Befehlsstruktur des Militärs zerschlug und seine Leute einsetzte. Der König und General Prem kritisierten die repressive Vorgehensweise der Regierung öffentlich und riefen zu Mäßigung und Verständigung auf.
Als Thaksin seine politische Macht für seine Firmeninteressen immer offensichtlicher ausnutzte, spitzte sich die Lage zu. Der König bestellte Thaksin nach den vorgezogenen Wahlen im April 2006 zu sich und drängte ihn erfolgreich dazu, sich nicht als Premierminister wählen zu lassen. Thaksin hatte zuvor erklärt, dass er zurücktreten würde, wenn der König es ihm zuflüstern würde. Die Wahl selbst wurde nach einer entsprechenden Rede des Königs vom Obersten Gericht wegen Nichtbeteiligung anderer Parteien annulliert.
Doch Thaksin gab sich nicht so leicht geschlagen. Er führte das Land als "Hausmeisterpremier" weiter, gewann mit der TRT-Partei die Wahlen zum Senat, und begann erneut, die Armee mit seinen Leuten zu besetzen - vorbei an der militärischen Hierarchie. Von diesem Zeitpunkt an liefen die Vorbereitungen für den Putsch. Prem hielt vor vielen Armeeeinheiten Reden, in dem er die Loyalität zum König (und nicht zum Premier) betonte. Unmittelbar vor dem Putsch trafen sich führende Putschisten mit Prem, unmittelbar danach gewährte ihnen der König eine Audienz und autorisierte das CDRCM am nächsten Tag. Der Putsch trägt also eindeutig die Handschrift des Königs.

Vielschichtige Proteste
Neben dem Interessenkonflikt innerhalb der Elite ging es beim Putsch auch darum, die Nicht-Regierbarkeit des Landes zu beheben, die durch die massiven Proteste im Februar und März und die Unversöhnlichkeit der Pro- und Anti-Thaksin-Lager entstanden war. Die Anti-Thaksin Bewegung, die von einem breiten Bündnis, der PeopleÂ’s Alliance for Democracy, angeführt wurde, thematisierte vordergründig die unmoralische Politikführung Thaksins. Sie wird meistens als "Mittelschichtsbewegung" charakterisiert, während Thaksin von der armen Landbevölkerung unterstützt werde.
Eine solche Analyse verkennt aber die Vielfalt der beteiligten Gruppen und Kritikpunkte. Durch die Zuspitzung auf die Person Thaksins vereinigten sich viele einzelne Bewegungen, die als Reaktion auf Thaksins Politik entstanden waren. Gewerkschaftlich organisierte ArbeiterInnen von EGAT, die zwei Jahre zuvor mit Streiks die Privatisierung des Unternehmens verhindert hatten, waren zu Tausenden an
den Anti-Thaksin-Demonstrationen beteiligt. Ebenfalls ein wichtiger Akteur war das Netzwerk FTA Watch, das im Januar mit einer militanten Demonstration in Chiang Mai die Verhandlungen um das Freihandelsabkommen mit den USA zum Abbruch zwang. Hier waren neben HIV-Positiven-Gruppen, die eine Gefährdung des Zugangs zu günstigen Generika befürchteten, auch Bauern und Bäuerinnen beteiligt, die unter den Billigimporten aus China (vor allem Knoblauch- und Zwiebelproduzenten) oder Australien (Milchprodukte) zu leiden haben. Die LehrerInnengewerkschaft, die zuvor mit der Bildungsreform und dem Verlust der Pensionsrechte zu kämpfen hatte, schloss sich den Protesten an. Neben den sozialen Konflikten, die aus der Big-Business-Politik Thaksins entstanden waren, spielten aber auch politische Fragen eine zentrale Rolle, allen voran die Situation im Süden des Landes und die Forderung nach mehr Demokratie.

Gegen die Bewegung
Es war daher kein Zufall, dass der Putsch am Vorabend einer erneuten Runde von Demonstrationen und Protestaktionen seitens der PeopleÂ’s Alliance for Democracy stattfand. Die Aussicht auf eine Destabilisierung des Landes in Verbindung mit einer Massenbewegung, die zum Teil antikapitalistische Kritik und radikalere Forderungen zu entwickeln begann, bedrohte die Interessen des königlichen Lagers.
Auf der einen Seite begann die CDRCM sofort nach dem Putsch damit, die Machtbasis Thaksins systematisch zu demontieren. Die TRT-Partei darf nicht mehr agieren, Thaksins Kapitalanlagen werden untersucht und womöglich beschlagnahmt. Auf der anderen Seite schafften viele der ersten Verordnungen grundlegende demokratische Rechte wie Versammlungs- und Pressefreiheit sowie die Verfassung ab. Eine der ersten Verordnungen verbietet insbesondere Bauern und ArbeiterInnen, zu protestieren.
Inzwischen gibt es immer mehr Anzeichen dafür, dass die Putschisten die neoliberale Politikausrichtung Thaksins fortführen, die "populistischen" Elemente jedoch beenden wollen. So sollen die Verhandlungen mit den USA wieder aufgenommen werden und das 30-Baht-Gesundheitsprogramm wird in Frage gestellt. Diese Ausrichtung wird dadurch symbolisiert, dass der ehemalige WTO-Generalsekretär Supachai Panitchpakdi als Interimspremier gehandelt wurde. Schließlich fiel die Wahl auf Surayud Chulanont, einem dem König nahe stehenden General, der an der Niederschlagung der Demokratiebewegung 1992 beteiligt war. Somit ist der Putsch sowohl gegen die sozialen als auch gegen die demokratischen Anliegen der Bewegung gerichtet.
Thaksins Ära ist beendet, er wird nicht wiederkommen. Die große Mehrheit der Bevölkerung - und erstmal auch der AktivistInnen - wollen der Interimsregierung aus diesem Grund erstmal eine Chance geben, im Machtapparat aufzuräumen, den Konflikt im Süden zu befrieden und eine neue Verfassung zu verabschieden. Doch die gesellschaftlichen Widersprüche, die zur Entstehung der Anti-Thaksin-Bewegung führten, werden durch die Putschisten verstärkt. Eine "echte" Demokratisierung der Gesellschaft, eine tatsächliche Umkehr der repressiven Assimilierungspolitik im Süden oder eine Alternative zu der von Konzerninteressen bestimmten neoliberalen Politik bieten sie nicht. Wann und wie eine neue Opposition entsteht, ist noch unklar. Dass sie entstehen wird, ist sicher.

Oliver Pye ist wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Abteilung für Südostasienwissenschaften der Universität Bonn. Er war während der Anti-Thaksin Proteste und des Putsches in Bangkok.