Hohmann ist Papst

Benedikt XVI. in Auschwitz

"Es war wie ein Wunder. Der Papst wurde zum Polen!" freute sich das polnische Boulevardblatt Super-Express, nachdem Benedikt XVI. alias Josef Ratzinger seine viertägige Pilgerreise durch Polen ...

... beendet hatte. Was den medialen Höhepunkt der Reise angeht, den Besuch in Auschwitz, orientierte sich der Pontifex eindeutig an deutschen Standards: Seine international sehr unterschiedlich aufgenommene Rede bestand vor allem aus einigen nachdenklichen Floskeln, etwas Pathos und Variationen über den deutschen Opfermythos. Die Ambivalenz von Benedikts Rede zeigt sich schon im ersten Satz. Dort bezeichnet er Auschwitz als "Ort des Grauens, einer Anhäufung von Verbrechen gegen Gott und den Menschen ohne Parallele in der Geschichte". Während er auf die Singularität der Shoah (die er immerhin, und angeblich abweichend vom vorbereiteten Redetext, beim Namen nennt) nicht mehr zurückkommt, zieht sich die seltsam abstrakte Wortwahl von "Gott und dem Menschen" durch den gesamten Text. Zwar bekennt er sich als "Sohn des deutschen Volkes" - dieses aber ist für ihn ein Volk von Opfern, "über das eine Schar von Verbrechern mit lügnerischen Versprechungen, mit der Verheißung der Größe, des Wiedererstehens der Ehre der Nation und ihrer Bedeutung, mit der Verheißung des Wohlergehens und auch mit Terror und Einschüchterung Macht gewonnen hatte, so dass unser Volk zum Instrument ihrer Wut des Zerstörens und des Herrschens gebraucht und missbraucht werden konnte." So erscheinen die Millionen deutschen Täter, Mittäter und Zuschauer ein weiteres Mal als unschuldige Opfer teuflischer Verbrecher. Da sie für ihre Taten nicht verantwortlich sind, muss ihnen noch nicht einmal die Absolution erteilt werden. Benedikts Frage "Wo war Gott in jenen Tagen? Warum hat er geschwiegen?" wirkt nur auf den ersten Blick mutig. Denn zum einen hat der Papst sein Gottvertrauen nicht verloren - seine Rede endet mit dem Gebet: "Der Herr ist mein Hirte, nichts wird mir fehlen, ... ich fürchte kein Unheil usw." - was an dem Ort des Völkermordes nur zynisch klingen kann, außer für christliche FundamentalistInnen. Zum anderen fällt auf, dass auf den "Ruf an Gott" nicht die Frage folgt: Wo waren die Menschen, die den Mördern hätten Einhalt gebieten können? Wo waren insbesondere die gottesfürchtigen und im Geist der Nächstenliebe erzogenen ChristInnen? Warum hat Papst Pius XII. zur Vernichtung der europäischen Jüdinnen und Juden geschwiegen? Warum hat der Vatikan nach Kriegsende NS-Mördern systematisch zur Flucht verholfen?

Verbrecher missbrauchen das unschuldige deutsche Volk

Auch die traditionelle christliche Judenfeindschaft wird von Benedikt mit keinem Wort erwähnt. Dabei ist es völlig unstrittig, dass er dem modernen Antisemitismus, auch dem Vernichtungsantisemitismus der Nazis, den Weg bereitete. Doch Selbstkritik ist Benedikts Sache nicht. Selbst ein mahnendes Wort zum heute grassierenden Antisemitismus, gerade auch im erzkatholischen Polen, kommt ihm nicht über die Lippen. Seine Antworten auf die Frage, wie das singuläre Verbrechen geschehen konnte und wie einer Wiederholung vorgebeugt werden kann, erinnern schließlich an einen fast schon vergessenen Bruder im Geiste - den ehemaligen CDU-Bundestagsabgeordneten Martin Hohmann, der mit seinem Vortrag zum deutschen Nationalfeiertag 2003 einen handfesten Skandal ausgelöst hatte. (vgl. ak 478) In der allgemeinen Entrüstung wegen Hohmanns Tirade über ein jüdisches "Tätervolk" ging das Hauptanliegen des christlich-fundamentalistischen Predigers damals weitgehend unter: Die Deutschen zur "Rückbesinnung auf unsere religiösen Wurzeln und Bindungen" aufzurufen, um den Kampf gegen das Böse zu bestehen. Denn laut Martin Hohmann ist die Lehre der Geschichte diese: "Verbindendes Element des Bolschewismus und des Nationalsozialismus war also die religionsfeindliche Ausrichtung und die Gottlosigkeit. Daher sind weder ,die Deutschen` noch ,die Juden` ein Tätervolk. Mit vollem Recht aber kann man sagen: Die Gottlosen mit ihren gottlosen Ideologien, sie waren das Tätervolk des letzten, blutigen Jahrhunderts."

Ursache des Völkermordes war die "Gottlosigkeit"

Knapp drei Jahre später wandelt der Heilige Vater auf den Spuren des hessischen Provinzpolitikers. Im Unterschied zu diesem, der wegen seiner Rede von der CDU verstoßen wurde, droht Benedikt keinerlei Ungemach. Obwohl er - und ausgerechnet in Auschwitz - Provokationen ähnlichen Kalibers in die Welt setzte. Warum wollten die Nazis die Juden ausrotten? Benedikt: "Im tiefsten wollten jene Gewalttäter mit dem Austilgen dieses Volkes den Gott töten, der Abraham berufen, der am Sinai gesprochen und dort die bleibend gültigen Maße des Menschseins aufgerichtet hat. (...) Mit dem Zerstören Israels, mit der Shoah, sollte im letzten auch die Wurzel ausgerissen werden, auf der der christliche Glaube beruht ..." Statt Scham über das Versagen seines Amtsvorgängers Pius XII. zu äußern und die Mittäterschaft gläubiger Christen zu beklagen, stilisiert der erste deutsche Papst sich und seinesgleichen zu den eigentlichen Opfern des nazistischen Vernichtungswahns! Benedikts Würdigung der "ungeheuren Blutopfer der russischen Soldaten im Kampf gegen das nationalsozialistische Terror-Regime" ist da auch nicht geeignet, mildernde Umstände in Erwägung zu ziehen - zumal die "russischen" Soldaten einer "neuen Diktatur, derjenigen Stalins und der kommunistischen Ideologie", den Weg bereiteten: Wieder herrschten "Gottlose", die mit ihrem "kriegerischen Atheismus die umfassendste Christen- und Religionsverfolgung der Geschichte" betrieben - aber letzteres (nach dem Doppelpunkt) ist wieder ein Zitat aus der Hohmann-Rede. Ist es Zufall, dass man die Kernsätze der in ihrer Bedeutung so weit auseinander liegenden Redner mühelos zusammenfügen kann, ohne dass Brüche entstehen? Js. aus: ak - analyse & kritik - Zeitung für linke Debatte und Praxis/Nr. 507/16.6.2006