Anspruch und Wirklichkeit rot-grüner Politik
"Mit ihren Lieferungen [von Waffen und Rüstungsgütern] nimmt die Bundesrepublik erneut einen Spitzenplatz unter den Exportländern ein."
Die Bundesregierung will - "in dem Bestreben, ihre Rüstungsexportpolitik restriktiv zu gestalten, Â… durch seine [den Rüstungsexport] Begrenzung und Kontrolle einen Beitrag zur Sicherung des Friedens, der Gewaltprävention, der Menschenrechte und einer nachhaltigen Entwicklung in der Welt" leisten.
(Richtlinien zum Export von Waffen und Rüstungsgütern, 20. Oktober 20001)
"Mit ihren Lieferungen [von Waffen und Rüstungsgütern] nimmt die Bundesrepublik erneut einen Spitzenplatz unter den Exportländern ein. Innerhalb der Europäischen Union ist sie - hinter Frankreich - der zweitgrößte Exporteur."
(Rüstungsexportbericht 2004 der Gemeinsamen Konferenz Kirche und Entwicklung2)
Der im Dezember 2004 für das Jahr 2003 mit der inzwischen üblichen Verspätung veröffentlichte jährliche Rüstungsexportbericht der Bundesregierung dokumentiert, ebenso wie die Waffenhandelsstatistik des Internationalen Friedensforschungsinstituts Stockholm (SIPRI), dass sich die Bundesregierung vom selbst gesteckten Ziel einer restriktiven Rüstungsexportpolitik immer weiter entfernt. Gemessen an den wachsenden Rüstungsexporten seit der Regierungsübernahme von Rot-Grün 1998, bleibt die Glaubwürdigkeit des nach wie vor betonten Ziels einer restriktiven Politik auf der Strecke. Die hehren Ziele von Frieden, Gewaltprävention, Menschenrechten und Entwicklung haben aber in der Theorie noch immer Gültigkeit in den politischen Richtlinien, den Rüstungsexportregeln der Europäischen Union und in wohlgesetzten rot-grünen Sonntagsreden. Sind diese Richtlinien in der Praxis nur Makulatur? Selbst die Grünen haben nur selten an der neuen Exportoffensive etwas auszusetzen.
Dass Deutschland heute zu den Hauptrüstungsexporteuren gehört - weltweit auf Platz vier - belegen die Rüstungstransferstatistiken von SIPRI. Zwar liegt Deutschland deutlich hinter den USA und Russland, immerhin stammten aber rund sechs Prozent des Weltwaffenhandels zwischen 1999 und 2003 aus Deutschland.
Der Rüstungsexportbericht der Bundesregierung veranschaulicht die steigende Tendenz der Rüstungsexportgenehmigungen. Allein im Jahr 2003 stiegen die Genehmigungen um fast 50 Prozent von 3,3 auf 4,9 Milliarden EUR. Diese Summe enthält aber nicht alle Exportgenehmigungen, sondern nur die "Einzelanträge für die endgültigen Ausfuhren"; hinzu kommen so genannte Sammelgenehmigungen für Exportgeschäfte, anhand derer die Rüstungsindustrie mehrere Ausfuhren an denselben oder verschiedene Empfänger durchführen kann, beispielsweise in Gemeinschaftsprojekten innerhalb der EU. Diese Sammelgenehmigungen, ebenfalls jährlich im Bereich einiger Milliarden Euro, lassen keine präzisen Rückschlüsse auf die tatsächlichen Exporte zu, da sie nicht immer zu Exporten führen.
Rüstungsexportgenehmigungen der Bundesregierung
Die Bundesregierung wird nicht müde darauf hinzuweisen, dass diese expansive Exportpraxis gar nicht so problematisch ist, denn die meisten Rüstungsgeschäfte werden innerhalb der EU oder mit NATO-Ländern getätigt. Dennoch: auch die Genehmigungen für Entwicklungsländer sind nicht unbeträchtlich. Deutschland genehmigte 2003 in Staaten außerhalb der EU, des übrigen Europa und Nordamerikas Rüstungsgüter von 1,61 Milliarden Euro. Auch zu dieser Entwicklung fügt dann die Bundesregierung entschuldigend hinzu, der Anstieg im Jahr 2003 "ist praktisch ausschließlich auf die Genehmigung der Ausfuhr von Korvetten nach Malaysia und Südafrika zurückzuführen"4 - so als würden diese Rüstungslieferungen keine Ressourcen einer nachhaltigen wirtschaftlichen Entwicklung entziehen. Vor allem die Kirchen kritisieren die Aufrüstung in Südafrika angesichts der dort "wachsenden sozialen Disparitäten in der Gesellschaft und den ihnen innewohnenden Risiken für die junge Demokratie im Lande."5 Entwicklungspolitik hin oder her - wichtig scheinen nur die Aufträge für die gebeutelten deutschen Werften.
Motive: gerüstet zum Kotau
Warum wurde die von SPD und Grünen vor fast sieben Jahren bei der Übernahme der Regierung gelobte Zurückhaltung aufgegeben? Drei Gründe sind für die Exportoffensive maßgeblich: Waffenüberschüsse der Bundeswehr, industriepolitische und geopolitische Ambitionen.
Erstens Überschussmaterial: Die Bundeswehr wird verkleinert und hat ihre schweren Waffen seit Anfang der 1990er Jahre um rund die Hälfte reduziert. Mit Blick auf die leeren Kassen, und ganz im Sinne des Haushaltrechtes, werden Waffen nicht unbedingt verschrottet (was zusätzliche Mittel erfordert), sondern möglichst exportiert. Das Verteidigungsministerium versucht von den noch vorhandenen über 2.000 Kampfpanzern über 1.100 loszuschlagen; später soll der Bundeswehrbestand möglicherweise auf unter 850 Stück gesenkt werden. Dänemark, Finnland, Griechenland, Polen und Spanien erhielten 2003 Leopard-Kampfpanzer, Schnellboote, Flugzeuge, Kleinwaffen - alles ist im Katalog der Bundeswehr enthalten. An den Leopard-Panzern zeigt sich auch die Türkei interessiert. Verletzung der Menschenrechte in der Türkei hin oder her - gegenüber dem NATO-Partner und EU-Anwärter scheint man in Berlin keine Bedenken bei Rüstungsgeschäften zu haben.
Zweitens Industriepolitik: Bundeskanzler Schröder versucht, mit EU-Gemeinschaftsprojekten und durch großzügige Exportgenehmigungen, die Rüstungsindustrie zu fördern und meinte: "Wir sollten unsere Bemühungen intensivieren, Rüstungsgüter zu standardisieren, ihren innergemeinschaftlichen Handel zu erleichtern, sie den EU-Wettbewerbsvorschriften zu unterziehen, ihre Beschaffung zu optimieren, Forschungsaktivitäten zu koordinieren und eine gemeinsame Exportkontrolle vorzunehmen, um so die Voraussetzungen für einen gemeinsamen Rüstungsmarkt zu schaffen."7 Was dort ein wenig verklausuliert staatsmännisch und pro-europäisch daher kommt, ist nichts anderes als der Versuch, die deutsche Rüstungsindustrie mit Forschungsmitteln, Aufträgen und expansiver Exportpolitik massiv zu unterstützen, damit sie mit den europäischen Konkurrenten mithalten oder sie gar überflügeln kann. Ein Werftenverbund existiert seit Neuestem, die Luftrüstungsindustrie ist bereits seit langem europäisiert und umgeht die deutschen Rüstungsexportrichtlinien, in dem sie aus anderen Ländern (vor allem aus Frankreich) exportiert. Nun soll auch die Heeresindustrie durch Auftragsvergaben und Firmenkooperationen für die kommende Europäisierung und die internationalen Märkte fit gemacht werden.
Die Bundesregierung scheint auch vor Lieferungen in Spannungsgebiete nicht zurück zu schrecken, um Rüstungsunternehmen Aufträge zukommen zu lassen. Schnellboote in Länder des Persischen Golfs erscheinen in Berlin unproblematisch und der Verteidigungsminister betätigte sich auf der Rückreise vom Besuch der Bundeswehr in Afghanistan am Golf als Waffenverkäufer. Israel hat 2003 erneut Interesse an deutschen U-Booten bekundet. Verteidigungsminister Struck äußerte sich hierzu positiv.8 Israel, ein Land im Besitz von Atomwaffen und außerhalb des Atomwaffensperrvertrages, ist an den deutschen U-Booten interessiert, um sie als Atomwaffenträger umzubauen.9 Spannungen, Konflikte und Atomprojekte im Nahen Osten hin oder her - Hauptsache die Rüstungsindustrie floriert.
Drittens Geopolitik: Bundeskanzler Schröder hat im Falle Russlands und Chinas nicht nur die Außenpolitik primär nach kommerziellen Gesichtspunkten ausgerichtet, mit seinem Versuch, - zusammen mit Frankreichs Präsident Chirac - das 1989 nach dem Massaker auf dem Platz des himmlischen Friedens in Peking über China verhängte Waffenembargo der Europäischen Union aufzuheben, hat er deutlich gemacht, wie wenig die Achtung der Menschenrechte in der Außenpolitik generell und im Rüstungsexport speziell wert sind. Nicht einmal die Verstimmung der US-Regierung und die Belastung für die transatlantischen Beziehungen konnten den Kanzler von seinem Vorstoß abhalten. "Das Embargo ist entbehrlich", behauptet Kanzler Schröder.10 Von der Opposition wird keine generell andere Politik gefordert. Der Sprecher der CDU, Wolfgang Schäuble, bat lediglich höflich darum, es dürfe "keine Alleingänge geben."11 Das Waffenembargo der EU soll weg, weil China ein wichtiges Land im Konzert der Großen ist. Dass China mit einem riesigen Modernisierungsprogramm die eigenen Streitkräfte zu einer der schlagkräftigsten Armeen der Welt ausbaut, ist für den Wegfall des Embargos kein Hinderungsgrund. Im Gegenteil: hier winken riesige Geschäfte in der Zukunft, die im Moment vor allem von der russischen Rüstungsindustrie gemacht werden.
Auch wenn Schröders und Chiracs Rechnung zunächst nicht aufging, weil einige EU-Regierungen - vor allem in Großbritannien und Skandinavien - sowie die luxemburgische EU-Präsidentschaft nicht mitspielten, bleibt die Stoßrichtung erhalten: Dem deutschen Streben nach einer Rolle im Konzert der Großmächte, wird vieles untergeordnet. Schließlich ist man auf Chinas Hilfe angewiesen, um den angestrebten ständigen Sitz im UN-Sicherheitsrat zu erhalten.
Unter geopolitisches Kalkül fällt möglicherweise auch die Lieferung von unbewaffneten Fuchs-Schützenpanzern an den Irak. In den oben zitierten politischen Grundsätzen zum Rüstungsexport heißt es eindeutig: "Genehmigungen für Exporte nach Kriegswaffenkontrollgesetz und/oder Außenwirtschaftsgesetz kommen nicht in Betracht, wenn die innere Lage des betreffenden Landes dem entgegensteht, z.B. bei bewaffneten internen AuseinandersetzungenÂ…"12 Dass im Irak bewaffnete interne Auseinandersetzungen stattfinden, kann wohl nicht bestritten werden. Dennoch genehmigte der Bundessicherheitsrat im September 2004 den Export der besonders geländegängigen Schützenpanzer für den Neuaufbau der irakischen Streitkräfte. Sollte dies eine kleine Wiedergutmachung in Richtung Washington sein, weil man sich in Berlin 2003 geweigert hatte am Irakkrieg teilzunehmen? Oder will die Bundesregierung der Bevölkerung ernsthaft glauben machen, im Irak fehle es an Waffen, mit denen die neue Regierung für Ruhe, Ordnung und Stabilität sorgen könne?
Kleinwaffen mit großer Wirkung
Die Bundesregierung unterstützt mit großem Engagement die internationalen Bemühungen zur Kontrolle der Kleinwaffen (Handfeuerwaffen wie Maschinengewehre, Gewehre, Pistolen usw.). Gleichzeitig aber exportieren deutsche Firmen Kleinwaffen, Teile hiervon, Munition sowie Produktionslizenzen zu deren Herstellung an zahlreiche Länder. Auch der Wert dieser Exportgenehmigungen ist seit Ende der 1990er deutlich angestiegen.13 Zwar geht die Mehrzahl dieser Waffen in Länder der EU, der NATO oder in NATO-gleichgestellte Länder, auf der Empfängerliste stehen aber auch eine ganze Reihe so genannter Drittländer: Aruba, Ägypten, Bahrain, Hongkong, Jordanien, Südkorea, Kroatien, Kuwait, Lettland, Litauen, Malaysia, Oman, San Marino, Saudi Arabien, Serbien und Montenegro (für UN), Singapur, Slowakei, Slowenien, Thailand und Vereinigte Arabische Emirate.14 In der Berichterstattung hierüber versucht die Regierung ihr Handeln schönzureden, in dem sie betont, dass nur geringe Mengen militärischer Kleinwaffen exportiert werden. Doch auch der Export nicht-militärischer Handfeuerwaffen kann in Ländern, die von inneren Unruhen geprägt sind (hohe Kriminalität, Bandenkriege, bewaffnete Auseinandersetzungen von Milizen und Warlords), fatale Folgen haben.
Im Aktionsplan "Zivile Krisenprävention, Konfliktlösung und Friedenskonsolidierung" vom 12. Mai 200415 schlägt die Bundesregierung insgesamt 161 Aktionen vor, die den Frieden in der Welt fördern und Krisen verhindern oder lösen sollen. Dies sind sämtlich positive Maßnahmen. Fraglich ist nur, was sie in der Praxis wert sind. Darin enthalten sind beispielsweise die Feststellungen,
- dass Rüstungsexportkontrolle als relevantes Mittel angesehen wird, um den Einsatz militärischer Mittel in Konflikten zu verringern,
- dass die Kontrolle der Rüstungsexporte dazu dienen kann, die Verbreitung von Massenvernichtungsmitteln zu verhindern,
- dass die Bundesregierung die Initiative zur Kennzeichnung von Waffen und Munition unterstützt, um die Transferwege der Kleinwaffen besser kontrollieren zu können,
- dass sie sich für die Überwachung von Waffenvermittlungsgeschäften (Makler) stark macht,
- dass sie die Kontrolle von Kleinwaffen und leichten Waffen und die Reform des Sicherheitssektors im Rahmen der OSZE unterstützt,
- dass sie sich bei der Überprüfung des EU-Verhaltenskodex für Rüstungsausfuhren für eine restriktive Politik einsetzt.
Im Rüstungsexportbericht der Gemeinsamen Konferenz Kirche und Entwicklung 2004 werden eine Reihe von Anregungen gemacht, wie der Aktionsplan der Bundesregierung wirkungsvoll umgesetzt werden kann, um einen Beitrag zur Krisenprävention zu leisten.16 Würde sich die rot-grüne Bundesregierung an die von ihr selbst gesetzten Maßstäbe halten, wäre vermutlich eine Diskussion über den deutschen Waffenexportboom überflüssig. So lange aber im Bundessicherheitsrat, dem entscheidenden Gremium für deutsche Rüstungsexporte, eine Mehrheit pro Rüstungsexport gewährleistet ist, dürfen die Vertreter des grünen Außenministeriums und des roten Entwicklungshilfeministeriums gerne auch einmal gegen einen Export stimmen.
Prof. Dr. Herbert Wulf, ehemaliger Leiter des Internationalen Konversionszentrum Bonn, ist Berater der UN zu Abrüstungsfragen in Nordkorea und Vorsitzender des Vorstands von Wissenschaft und Frieden.