Erklärung von Larache

Stoppt die Verfolgungen an den Südgrenzen Europas.Anfang Oktober trafen sich über 200 Vertreter von Menschenrechtsgruppen aus Spanien, Marokko und Frankreich in Larache,...

...an der Nordwestküste Marokkos, um über die Lage der Flüchtlinge an der bewehrten Südgrenze der EU zu beraten. Die Versammlung hat die nachstehende Erklärung verabschiedet, unter die namhafte Unterschriften gesammelt werden. Die Erklärung soll den Parlamenten der drei Staaten übergeben werden. Zu den Erstunterzeichnern gehören der andalusische und der marokkanische Menschenrechtsverein.

Im Angesicht der schwerwiegenden Ereignisse an den Grenzen von Ceuta und Melilla, die mindestens acht Menschen in den Tod getrieben und mehrere Dutzend verwundet haben, möchten wir unseren Schmerz, unsere Empörung und unsere energische Verurteilung aussprechen. Diese Menschen haben einzig und allein das Verbrechen begangen, eine würdigere Zukunft zu ersehnen.

Vor allem anderen müssen jetzt die schweren Menschenrechtsverletzungen untersucht werden, die an beiden Grenzstreifen stattfinden; internationale Beobachter müssen hinzugezogen werden. Das Geschehen muss zur Gänze aufgeklärt und die jeweils Verantwortlichen benannt werden.

Wir weisen die Behauptung zurück, der einzige Weg, den Wanderungen von Afrika nach Europa zu begegnen, sei die Militarisierung und die Verwandlung der Grenzen zu neuen Schandmauern, diesmal als Enklaven auf afrikanischem Boden.
Die EU darf die Probleme, die der Migration zugrunde liegen und sich daraus ableiten, nicht mit einer Politik der Härte, mit der Abschottung der Grenzen, mit ausgeklügelten Systemen politischer Kontrolle, mit der Aushöhlung der Asylgesetze, mit multilateralen Abschiebungsabkommen, mit dem Aufbau von Auffang- und Internierungslagern, mit der Abwälzung der Folgen von Flucht und Migration auf Drittstaaten begegnen. Notwendig sind im Gegenteil großzügige und längerfristige politische Maßnahmen, die eine wirksame Zusammenarbeit für Entwicklung und Solidarität in den Mittelpunkt stellen und die Menschenrechte wahren. Wir können aus Europa keine Festung machen, die ihren ökonomischen Egoismus zum einzigen Kriterium für die Zulassung von Einwanderern erhebt. Die Ereignisse dieser Tage in Ceuta und Melilla zeugen aber eher von der Politik der Härte und der Abwendung vor ihren tragischen Folgen als von einer Politik, die sich auf Kooperation, Solidarität und Menschenrechte gründet.

Wir stellen auch das Projekt, Auffangzentren für Minderjährige in Marokko zu schaffen, in Frage, das auf dem spanisch-marokkanischen Gipfel am 28.September 2005 verhandelt wurde. Die Garantien für den Respekt der Rechte der Kinder, wie sie die Internationale Konvention zum Schutz der Kinder vorsieht, sind mehr als zweifelhaft.

Wir kritisieren auch, dass Marokko es übernommen hat, zum Wächter der Südgrenze der Europäischen Union zu werden. Das Fehlen demokratischer Rechte und die Menschenrechtsverletzungen sind in Marokko an der Tagesordnung - gerade deshalb wurde es ausgesucht, die Drecksarbeit für die EU zu leisten. Es ist nicht hinzunehmen, dass die EU vor den Grundrechtsverletzungen, derer Marokko sich gegenüber den Flüchtlingen strafbar macht, die Augen verschließt.

Europa kann sich seiner Verantwortung für die Ursachen der Verzweiflung der Afrikaner, die dorthin streben, nicht entledigen. Es sind Menschen, die nachdem sie viel Ungemach über sich haben ergehen lassen, um halb Afrika zu durchqueren, unter menschenunwürdigen Bedingungen leben in der Hoffnung auf eine Gelegenheit, nach Europa zu kommen.

Es kann nicht verwundern, dass sie angesichts des Kleinkriegs, den die verschiedenen marokkanischen Polizeikorps gegen sie führen, und der zunehmenden Undurchlässigkeit der Grenzen in unvorstellbare Verzweiflung fallen.

Europa muss sich seiner historischen und seiner aktuellen Verantwortung für einen Kontinent stellen, der heute über 100 Millionen Menschen zählt, die in extremer Armut leben. Unter führender Beteiligung multinationaler Konzerne wurden Afrika und die Afrikaner ausgebeutet, zum Zerfall und zum Elend verdammt. Und wenn sie auf Grund ihrer verzweifelten Lage auszuwandern versuchen, hindert Europa sie daran, dies legal zu tun und lässt ihnen keine andere Wahl als die fürchterliche Durchquerung der illegalen Emigration.
Aus all diesen Gründen und im Bewusstsein der Vielfalt der Faktoren, die mit diesem Problem zusammenhängen, fordern wir:

•Die Einrichtung einer Untersuchungskommission unter Beteiligung unabhängiger internationaler Beobachter, die das gesamte tragische Geschehen in Ceuta und Melilla erhellt und die Verantwortlichen dafür benennt.

•Den sofortigen Stopp der Verfolgung, des Kriegs, der Gewalt und der Todesdeportationen von Flüchtlingen aus dem südlichen Afrika an den Grenzen Algeriens und Mauretaniens durch die Regierung Marokkos.

•Die Zulassung und Ermöglichung eines Zutritts dieser Menschen zur Nothilfe durch internationale Menschenrechtsorganisationen.

•Die genaue Einhaltung der internationalen Konventionen und der spanischen Gesetze, die Asylsuchende schützen und Kriterien für den Umgang mit Einwanderern enthalten. Vor allem müssen die illegalen Ausweisungen durch die Guardia Civil aufhören.

•Wir verurteilen, dass in diesem Fall die Armee dazu eingesetzt wird, die Grenzen zu kontrollieren, da es sich hier nicht um einen militärischen Angriff handelt, sondern um ein schwerwiegendes humanitäres und soziales Problem.

•Allgemeiner gesprochen halten wir einen Kurswechsel in der Flüchtlingspolitik der EU für unumgänglich. Sie muss sich an den Kriterien der Solidarität und der Achtung der Menschenrechte orientieren. In gleicher Weise halten wie es für unumgänglich, die Aufnahme der Flüchtlinge menschenwürdig zu gestalten und Politiken zu entwickeln, die den Menschen, die nach Europa gekommen sind, die Eingliederung erleichtern.

•Schließlich schließen wir uns allen Kampagnen und Forderungen an, die die Streichung der Außenschulden, die Verwendung von 0,7% des BIP für die Entwicklung und die Inangriffnahme eines ehrgeizigen Plans der Kooperation für strukturelle Entwicklung beinhalten - dies alles sind längerfristige Maßnahmen, um die Armut und das Elend auszurotten, in denen der afrikanische Kontinent lebt. Wir unterstützen auch alle, die für die Demokratisierung und ein Ende der Gewalt in vielen afrikanischen Ländern eintreten.