Zwei Tote sind mehr als genug!

Ein Plädoyer für die Einstellung der zwangsweisen Brechmittelvergabe

Diejenigen, die es auf der Flucht vor Krieg, Folter, politischer Verfolgung und/oder bitterer Armut schaffen, die Grenzen der Festung Europa zu überwinden, sehen sich auch innerhalb des Kontinents...

Diejenigen, die es auf der Flucht vor Krieg, Folter, politischer Verfolgung und/oder bitterer Armut schaffen, die Grenzen der Festung Europa zu überwinden, sehen sich auch innerhalb des Kontinents mit rassistischer Sondergesetzgebung und Diskriminierung konfrontiert. So auch in der BRD. Vom Arbeitsverbot (für Flüchtlinge) über die Unterbringung in Lagern, mangelnder medizinischer Versorgung, Lebensmittelpaketen, Gutscheinen statt Bargeld bis hin zur Residenzpflicht und weiteren, unzähligen Schikanen durch Behörden, Justiz und Polizei reicht die Palette dessen, was den Lebensalltag nicht-deutscher Menschen hier bestimmt.
Vor diesem Hintergrund finden seit mehreren Jahren in nahezu allen größeren deutschen Städten massive Kontrollen und zahlreiche (vorläufige) Festnahmen vor allem farbiger Menschen wegen Verdachts auf Verstoß gegen das Betäubungsmittelgesetz statt. Zwar lässt sich nicht zweifelsfrei belegen, dass sich in der Mehrzahl der Fälle, in denen nicht-weiße Menschen von eben diesen Kontrollen und Festnahmen betroffen sind, der erforderliche Tatverdacht tatsächlich ausschließlich auf die Hautfarbe des/der Betroffenen stützt. Tatsache ist aber, dass es sich bei der Zielgruppe dieser Einsätze vornehmlich um Menschen mit schwarzer Haut handelt und damit eine Verbindung zwischen Hautfarbe und Drogendelikten hergestellt wird. Aussagen von PolizeibeamtInnen wie: es gebe nur zwei Afrikaner, die nicht mit Drogen handelten, und das seien Kofi Annan und Nelson Mandela,1 sprechen für sich.
Dass darüber hinaus, beispielsweise in Hamburg, in 85 % aller Fälle, in denen es im Rahmen der "polizeilichen Sicherung von Beweismitteln" zu Brechmitteleinsätzen kam, die Betroffenen Staatsangehörige eines afrikanischen Landes waren,2 stützt die Annahme, dass hier regelmäßig ein rassistisch motiviertes Vorgehen seitens der zuständigen Behörden bzw. der für sie handelnden Personen vorliegt. In Anbetracht dessen, dass die Vergabe von Brechmitteln kurz vor dem Jahreswechsel in Bremen ein weiteres Todesopfer gefordert hat, stellt sich - neben der politischen Einordnung von Vorfällen dieser Art - aus juristischer Sicht vor allem die Frage, inwieweit der Einsatz von Brechmitteln von einer Rechtsgrundlage gedeckt und mit den Grundrechten der Betroffenen vereinbar ist.

Die Fakten
Am Freitag den 27.12.2004 wurde Laye-Alama Conde im Rahmen der täglich zu beobachtenden Polizeikontrollen an der Bremer Sielwallkreuzung wegen Verdachts auf Drogenhandel festgenommen und zur "Beweissicherung" zum Polizeipräsidium Vahr verbracht. Vor Ort ordneten Beamte der Polizei den Einsatz von Brechmitteln durch einen Polizeiarzt des Beweissicherungsdienstes an. Laye-Alama Conde weigerte sich, das Brechmittel einzunehmen, und setzte sich gegen die Zuführung einer Magensonde zur Wehr, worauf hin er von zwei bewaffnete Polizeibeamten auf einer Liege gefesselt und ihm mittels einer Magensonde gegen seinen Willen Brechmittel und Unmengen an Leitungswasser eingeflößt wurde. Dadurch erbrach Conde mehrmals.
Diese Prozedur wurde solange fortgesetzt, bis sich sein Gesundheitszustand so massiv verschlechterte, dass das Herz anfing zu streiken. Ein Notarzt wurde hinzugezogen. Nachdem dieser aussagte, dass die Werte von Conde unbedenklich seien, wurde die Zwangsmaßnahme durch den verantwortlichen Polizeimediziner fortgeführt. Kurz darauf wurde von einem anwesenden Polizisten festgestellt, dass Conde nicht mehr atmete. Conde fiel am 27.12.2004 ins Koma und am 31.12.2004 trat, laut Diagnose des Notarztes, Hirntod durch Ertrinken ein.3
Laye-Alama Conde ist das zweite Todesopfer, dass durch den brutalen Einsatz von Brechmitteln zu beklagen ist. Das erste Todesopfer war in Hamburg zu verzeichnen. Dort erlitt der 19-jährige Nigerianer Achidi John nach einer ähnlich brutalen Zufügung von Brechmitteln am 12.12.2001 einen Herzstillstand.4

Versuch einer juristischen Bewertung
Bei der Vergabe von Brechmitteln berufen sich Polizei und Staatsanwaltschaft auf § 81a der Strafprozessordnung (StPO), wonach körperliche Untersuchungen Beschuldigter auch ohne Einwilligung der Betroffenen erlaubt sind, wenn sie von einem Arzt nach den Regeln der ärztlichen Kunst vorgenommen werden und kein Nachteil für die Gesundheit des Beschuldigten zu erwarten ist. Inwiefern § 81a StPO als Rechtsgrundlage für die Vergabe von Brechmitteln in Betracht kommt, ist aber in Rechtsprechung und Literatur umstritten.

Das Urteil des OLG Frankfurt
Ausgehend vom Urteil des Oberlandesgerichts (OLG) Frankfurt a.M.5 entfachte sich ein Meinungsstreit über die Anwendbarkeit und über Sinn und Zweck des § 81a StPO. Das OLG Frankfurt vertritt in seiner Entscheidung die Auffassung, dass die zwangsweise Verabreichung von Brechmitteln nicht von § 81a StPO gedeckt ist, da es sich bei der Beibringung des Brechmittels weder um eine körperliche Untersuchung, noch um einen körperlichen Eingriff, der von einem Arzt im Sinne dieser Norm zu Untersuchungszwecken vorgenommen werde, handle. Bei der Vergabe des Brechmittels gehe es nicht darum, Fremdkörper zu suchen, sondern vorhandene Fremdmittel sicherzustellen. Dies ähnle aber eher einer Durchsuchung oder Beschlagnahme, allerdings mit der Einschränkung, dass die §§ 102, 94 ff StPO einen Eingriff in die körperliche Unversehrtheit nicht vorsähen.
Ferner sei bei dem Einsatz von Brechmitteln weder die körperliche Beschaffenheit des Beschuldigten von Bedeutung gewesen, noch sollten diesbezüglich irgendwelche Untersuchungen stattfinden. Damit seien die Tatbestandsvoraussetzungen für den Eingriff gemäß § 81a StPO nicht gegeben.
Weiter argumentiert das OLG Frankfurt, dass die zwangsweise Verabreichung von Brechmitteln gegen den nemo-tenetur-Grundsatz6 verstoße, weil die Brechmittel den Beschuldigten zwingen sollen, aktiv etwas zu tun, wozu er nicht bereit sei. Hiernach begründet sich nach Auffassung des OLG Frankfurt auch ein Beweisverwertungsverbot. für die unzulässigerweise gewonnenen Beweise.

Weitere Rechtsprechung
Die Oberlandesgerichte Bremen7 und Düsseldorf8 beurteilten den Brechmitteleinsatz jeweils als rechtmäßig und nahmen kein Verwertungsverbot an. Das Bundesverfassungsgericht hat bislang noch nicht über einen Brechmitteleinsatz entschieden. Eine Verfassungsbeschwerde zum Brechmitteleinsatz wurde wegen Unzulässigkeit zwar gar nicht erst zur Entscheidung angenommen, weil der Rechtsweg noch nicht ausgeschöpft war. Dennoch äußerte sich das Bundesverfassungsgericht in diesem Beschluss bereits folgendermaßen: Der Einsatz eines Brechmittels begegne auch im Hinblick auf die Menschenwürde und den Grundsatz der Selbstbelastungsfreiheit (Nemo-tenetur-Grundsatz) grundsätzlich keinen verfassungsrechtlichen Bedenken.9
Anlässlich des Todes von Achidi John gab das Bundesverfassungsgericht ohne Anlass eines konkreten Verfahrens eine Pressemitteilung heraus, in der ausgeführt wurde, dass der frühere Beschluss nichts darüber aussage, inwieweit eine zwangsweise Verabreichung mit Blick auf den Schutz der körperlichen Unversehrtheit und auf die Verhältnismäßigkeit des Eingriffes zulässig sei.10
Bleibt also festzuhalten, dass sowohl in der Rechtsprechung als auch in der Literatur die Stimmen gegen die Rechtmäßigkeit der Brechmitteleinsätze und für ein Verwertungsverbot zur Zeit in der Minderheit sind.11

Zurechtrücken von Bildern
Die Argumentation derer, die von der Rechtmäßigkeit des Einsatzes von Brechmitteln überzeugt sind, stützt sich vorrangig auf das "legitime" Strafverfolgungsinteresse des Staates von "Schwerverbrechern, die durch den Verkauf von Drogen hunderte von Menschenleben gefährden".12 So wird in einem Kommentar zum Urteil des OLG Frankfurt von der Strafverfolgung und "Bekämpfung der hochgefährlichen Crackscene"13 gesprochen, wodurch fälschlicherweise der Eindruck erweckt wird, dass sich Brechmitteleinsätze ausschließlich gegen Crack-Dealer, also gegen "gefährliche Drogendealer", richten und damit schwere Eingriffe wie das zwangsweise Verabreichen von Brechmitteln gerechtfertigt seien.
Diese Ansicht ist in zweierlei Hinsicht problematisch: Zum einen wird verkannt, dass die fragliche Methode sich praktisch ausschließlich gegen "Straßendealer" richtet, die beim Verschlucken der Ware von der Polizei beobachtet wurden.14 Daraus folgt, dass es sich bei den betreffenden Personen gar nicht um professionelle Kuriere, die große Mengen von Betäubungsmitteln in sich tragen und damit ggf. "Schwerverbrecher" im Sinne des Strafrechts sind, handeln kann. Dies schon deshalb nicht, weil es so gut wie ausgeschlossen ist, eine derart große Menge auf offener Straße zu verschlucken. Vielmehr handelt es sich bei der Zielgruppe der Polizei regelmäßig um Menschen, die als letztes Glied in der Kette des Drogenhandels kleine Mengen Betäubungsmittel, in der Regel Kleinstmengen an Kokain und anderen Betäubungsmitteln, auf den Straßen verkaufen.15
Daraus ergibt sich sodann das zweite Problem, nämlich die Rechtfertigung eines solchen Eingriffs. Davon ausgehend, dass der Handel mit bis zu fünf Gramm Kokain lediglich mit einer "mittleren Strafe" (also Geldstrafe bis maximal fünf Jahren Haft) bedroht ist, dürfte dies wohl kaum im Verhältnis zu der bewussten Gefährdung eines Menschenlebens16 durch den Einsatz von Brechmitteln stehen.

Gesundheitliche "Risiken"
In Anbetracht der Nebenwirkungen, die durch die Einnahme des verabreichten Brechmittels Ipecacuanha regelmäßig auftreten, wie z.B. Bluterbrechen und tagelanger Durchfall und Erbrechen,17 der nicht unerheblichen Verletzungen, die durch das zwangsweise Einführen einer Magensonde auftreten können, und der Tatsache, dass mittlerweile schon zwei Menschen als Folge der zwangsweisen Verabreichung dieses Brechmittels zu Tode gekommen sind, erscheint es mehr als zynisch, wenn ernsthaft behauptet wird, dass bei der Vergabe von Brechmitteln eine lediglich unangenehme, jedoch nicht gesundheitsgefährdende Maßnahme der Durchsetzung eines legitimen staatlichen Strafanspruchs gegenüberstehe.18
Richtig ist vielmehr, dass bei der körperlichen Untersuchung nach § 81a StPO die Gesundheitsgefährdung der verdächtigen Person mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen sein muss.19 Ebenso richtig ist, dass die meisten ÄrztInnen das zwangsweise Legen einer Magensonde ablehnen20, weil hier die Verletzungsgefahr zu groß ist. Auch notwendige Voruntersuchungen sind unter dem Umstand, dass die Betroffenen Widerstand gegen seine Zwangsbehandlung leistet, kaum möglich. Vor diesem Hintergrund beschloss der Deutsche Ärztetag im Mai 2002, dass "die Vergabe von Brechmitteln an verdächtige Drogendealer zum Zwecke der Beweismittelsicherung ohne Zustimmung des Betroffenen ärztlich nicht zu vertreten ist" und gegen den "ärztlichen Berufsethos" verstoße.21
Dieser Beschluss des Ärztetages macht klar, dass bei der umstrittenen Maßnahme eine Gefährdung der Gesundheit der Beschuldigten gerade nicht mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen werden kann, so dass § 81a StPO als Rechtsgrundlage für Brechmitteleinsätze, schon wegen der in Betracht kommenden Gesundheitsgefährdung, nicht in Frage kommt. Ebenso verfehlt ist die These, es sei unter Umständen schon aus medizinischen Gründen sinnvoll, ein Brechmittel einzusetzen, da die sich im Verdauungstrakt befindlichen Drogen zu erheblichen Gesundheitsschäden bis hin zum Tod führen könnten.22 Denn weder dient die StPO dazu, eineN (mutmaßlicheN) StraftäterIn durch eine Zwangsbehandlung vor Gefahren zu bewahren, in die sie/er sich selbst begeben hat, noch ist es Aufgabe des Strafrechts, einem von dem/der (mutmaßlichen) TäterIn selbst gesetzten Risiko mittels Gewaltanwendung entgegenzuwirken.23

Verhältnismäßigkeit
Aus den bereits genannten Gründen ergibt sich unzweifelhaft, dass ein derartig schwerer Eingriff in die körperliche Unversehrtheit [Art. 2 Abs. 1 S. 1 Grundgesetz (GG)] einer beschuldigten Person, wie die zwangsweise Vergabe von Brechmitteln ihn darstellt, sich jenseits der von § 81a StPO geforderten Verhältnismäßigkeit befindet und damit auch rechtswidrig ist. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit fordert nämlich, dass ein Eingriff in die Grundrechte des/der Betroffenen geeignet, erforderlich und angemessen sein muss. So ist der Einsatz von Brechmitteln zwar geeignet, um Tatsachen - in diesem Fall Drogen - festzustellen, die für das Verfahren von Bedeutung sind. Nicht ersichtlich ist jedoch, dass die umstrittene Maßnahme auch erforderlich ist.
Dies ergibt sich namentlich unter anderem daraus, dass einer sich durch einen Brechmitteleinsatz möglicherweise realisierenden Gefahr für Leib und Leben der betroffenen Person die Anwendung milderer Mittel entgegenstehen. Zu nennen ist hier der natürliche oder auch medikamentös beschleunigte Abführvorgang,24 für dessen Abwarten gegen den Beschuldigten bei dringendem Tatverdacht oder Verdunklungsgefahr Haftbefehl beantragt werden kann.25 Hinsichtlich der Angemessenheit ist, wie oben bereits angesprochen, der in Rede stehende Tatvorwurf regelmäßig als nicht so schwer wiegend anzusehen, dass damit ein derart massiver Eingriff in das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit des Beschuldigten gerechtfertigt wäre.

Der Richtervorbehalt
Neben der Tatsache, dass § 81a StPO somit als Rechtsgrundlage für die umstrittene Maßnahme nicht in Betracht kommt, wird in der Praxis regelmäßig außer Acht gelassen, dass der § 81a StPO in Abs. 2 einen Richtervorbehalt enthält, der die richterliche Anordnung einer körperlichen Untersuchung vorschreibt. Nur im Eilfall sind ausnahmsweise die Staatsanwaltschaft und besondere Ermittlungspersonen (§ 152 Gerichtsverfassungsgesetz) befugt, diese Anordnung zu erteilen. Praktisch bedeutet dies, dass die Polizei wegen "Gefahr im Verzug" regelmäßig eigenmächtig handelt. So wurde beispielsweise bei Brechmitteleinsätzen in Hamburg bisher in noch keinem Fall ein Gericht von der Polizei benachrichtigt26, wodurch der Richtervorbehalt des § 81a StPO ad absurdum geführt wird.

Nemo-tenetur-Grundsatz und Menschenwürde
Ferner werden durch die zwangsweise Verabreichung von Brechmitteln auch verfassungsrechtlich garantierte Rechte der beschuldigten Person im Strafverfahren eklatant verletzt. Zu nennen ist hier zunächst der sich aus dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG) ergebende Grundsatz der Selbstbelastungsfreiheit (nemo tenetur se ipsum accusare), welcher besagt, dass niemand gezwungen werden darf, sich selbst zu belasten.27 Es dürfte wohl unbestritten sein, dass bei einem mit Zwang durchgeführten Einsatz von Brechmitteln dem/der Beschuldigten Verhaltensweisen (nämlich das Erbrechen) aufgezwungen werden, die seinem/ihrem Willen nicht entsprechen.
Entscheidend ist in diesem Zusammenhang aber, dass die Rechtsordnung die Willensfreiheit von Beschuldigten ausschließlich vor aktiver, nicht aber passiver unfreiwilliger Selbstbelastung schützt.28 Für die Annahme, dass das zwangsweise herbeigeführte Erbrechen als aktive Mitwirkung anzusehen ist, spricht zunächst die medizinische Einordnung des Erbrechens als "aktiven Reflexvorgang",29 woraus folgt, dass es sich beim Erbrechen um einen Vorgang handelt, bei dem sich der gesamte Organismus in aktiver Tätigkeit befindet.30 Ferner kann der/die Beschuldigte unter Umständen in der Lage sein, beim Erbrechen die Drogenpäckchen mit den Zähnen zurückzuhalten und diese wieder herunterzuschlucken31, was mithin als aktive Tätigkeit anzusehen ist, so dass die umstrittene Maßnahme im Umkehrschluss eine mit unzulässigem Zwang herbeigeführte aktive Mitwirkung zur eigenen Überführung darstellt.32
Gleiches gilt im übrigen auch für einen, von einigen Stimmen33 favorisierten, medikamentös beschleunigten Abführvorgang. Es ist anzunehmen, dass eine Ausscheidung jedenfalls noch bewusster gesteuert werden kann, als das Erbrechen selbst. Insofern wäre zwar ein medikamentös beschleunigter Abführvorgang in Bezug auf die Lebensgefährdung des Betroffenen eine Alternative zum zwangsweise herbeigeführten Erbrechen. Im Hinblick auf den Grundsatz der Selbstbelastungsfreiheit ist sie aber als ebenso unzulässig anzusehen wie die Vergabe von Brechmitteln auch.
Darüber hinaus verstößt das rechtswidrige zwangsweise Verabreichen von Brechmitteln auch gegen die Verpflichtung zum Schutz der Menschenwürde. Zwar ist regelmäßig eine Prüfung des Einzelfalls notwendig, um festzustellen, welches staatliche Verhalten gegen diese Verpflichtung verstößt.34 Dem Begriff der Menschenwürde liegt jedoch die Vorstellung zu Grunde, dass der Mensch als ein geistig-sittliches Wesen darauf angelegt ist, sich selbst zu bestimmen.35 Hieraus folgt der für alle Rechtsgebiete geltende Grundsatz, dass "der Mensch immer Zweck an sich selbst bleiben muss".36
Für die Stellung von Beschuldigten im Strafverfahren heißt das, dass sie stets Beteiligte sind und nicht zum Objekt des Verfahrens werden dürfen.37 Das quasi in der Öffentlichkeit stattfindende, erzwungene Erbrechen stellt somit nicht nur eine Verletzung der Intimsphäre38 des Betroffenen dar, sondern führt auch dazu, dass "nicht mehr der Erbrechende sondern vielmehr das Erbrochene im Mittelpunkt des Interesses steht",39 er somit auch nicht mehr Subjekt des Verfahrens ist. Die beschuldigte Person ist dann folglich nicht mehr "Zweck an sich selbst", sondern wird unzulässigerweise zu einem fremden Zweck, nämlich dem Auffinden und Sicherstellen von Beweismitteln, instrumentalisiert.40

Genug ist Genug
Nach alledem liegt der Verdacht nahe, dass Brechmitteleinsätze nicht in erster Linie der Aufklärung von Straftaten dienen, sondern vielmehr als willkürliche Sofortstrafe eingesetzt werden. Zwar wurde im Zuge der Proteste und Gegenstimmen auf den Todesfall in Bremen, die umstrittene Anwendung der zwangsweisen Brechmittelvergabe zunächst ausgesetzt. Es ist jedoch zu befürchten, dass es, wie seinerzeit in Hamburg, wo es nach dem Tod von Achidi John auch zu einer zeitweiligen Aussetzung kam, nur eine Frage der Zeit ist, bis die umstrittene Maßnahme wieder zur Routine in den Polizeipräsidien wird.
Insgesamt ist die Vergabe von Brechmitteln in den verschiedenen Bundesländern nicht einheitlich geregelt: Während beispielsweise Berlin, Hamburg und Niedersachsen die zwangsweise Vergabe von Brechmitteln als unbedenklich erachten, darf die Maßnahme in NRW ausschließlich von MedizinerInnen außerhalb des Polizeipräsidiums vorgenommen werden, so dass sie in der Praxis aufgrund der gesundheitlichen Bedenken nicht zur Anwendung kommt. In Bayern hingegen werden "verdauungsfördernde" Mittel auch per Magensonde eingeflößt; Baden-Württemberg befürwortet grundsätzlich die Brechmittelvergabe, lehnt jedoch die zwangsweise Verabreichung ab und Sachsen-Anhalt hält die Anwendung der fraglichen Maßnahme grundsätzlich nicht für ein adäquates Mittel.41
Aus juristischer Perspektive muss im Ergebnis jedenfalls ein einheitliches Verwertungsverbot für "sichergestellte" Beweismittel gelten, die aus dem Einsatz rechtswidriger Maßnahmen dieser Art stammen. Zudem müssen diejenigen, die Eingriffe dieser Art zu verantworten haben, konsequent strafrechtlich zur Verantwortung gezogen werden. Die politische Forderung allerdings kann hinsichtlich der Tatsache, dass bereits zwei Menschen nach der zwangsweisen Vergabe von Brechmitteln zu Tode gekommen sind, nur folgende sein: Stoppt die rechtswidrige Praxis im gesamten Bundesgebiet!

Petra Dervishaj und Erkan Zünbül studieren Jura in Hamburg und Bremen.

Anmerkungen

1 Tageszeitung (taz) Bremen v. 14.01.2005.
2 Flüchtlingsrat Hamburg, e.V., Erzwungenes Erbrechen im Hamburger Polizeigewahrsam, Mitteilung an den Ausschuss gegen Folter der Vereinten Nationen, Dezember 2003, Anlage 4, A3.
3 Vgl. taz v. 10.01.2005.
4 Vgl. Flüchtlingsrat Hamburg e.V., a.a.O., Anlage 2, A2; Schauer, Hendrikje, Kotzen für die Staatsanwaltschaft, Forum Recht (FoR) 2002, 31; PolJus, FoR 2002, 106; Rehmke, Stephen, Gebotene Intensität, FoR 2002, 139.
5 OLG Frankfurt a.M., Neue Juristische Wochenschrift (NJW) 1997, 1647.
6 Vgl. hierzu die Ausführungen unten.
7 Vgl. OLG Bremen, Neue Zeitschrift für Strafrecht - Rechtsprechungs-Report (NStZ-RR) 2000, 270.
8 Zitiert nach Weßlau, Edda, Anmerkungen zum Urteil des OLG Frankfurt vom 11.10.1996, Strafverteidiger (StV) 1997, 342.
9 Vgl. Bundesverfassungsgericht (BVerfG), Beschluss v. 15.09.1999, 2 BvR 2360/95.
10 BVerfG, Pressemitteilung Nr. 116/2001 v. 13.12.2001.
11 Vgl. hierzu u.a. Schaefer, Christoph, Effektivität und Rechtstaatlichkeit der Strafverfolgung. Versuch einer Grenzziehung, NJW 1997, 2437; Rogall, Klaus, Die Vergabe von Vomitivmitteln als strafprozessuale Zwangsmaßnahme, NStZ 1998, 66; Bachmann, Dirk/Püschel, Klaus/Sonnen, Bernd-Rüdiger, Zwei Jahre Brechmitteleinsätze in Hamburg, Kriminalistik 2004, 680.
12 So der Bremer Innenminister Röwekamp eine Woche nach dem Tod von Conde in "Buten und Binnen".
13 Vgl. Schaefer, NJW 1997, 2437.
14 Vgl. Weßlau, StV 1997, 344.
15 Vgl. Weßlau, StV 1997, 344; Binder, Detlev/Seemann, Ralf, Die zwangsweise Verabreichung von Brechmitteln zur Beweissicherung, NStZ 2002, 237; Flüchtlingsrat Hamburg e.V., a.a.O., A, Anlage 4, A3.
16 Vgl. Binder/Seemann, NStZ 2002, 237; ebenso die ProfessorInnen der Uni Bremen in ihrer Erklärung zum Todesfall in Bremen (einzusehen unter www.antirassismus-buero.de)
17 Vgl. Weßlau, StV 1997, 344, m.w.N.
18 Vgl. Bachmann/Püschel/Sonnen, Kriminalistik 2004, 680.
19 Vgl. Dallmeyer, Jan, Verletzt der zwangsweise Brechmitteleinsatz gegen Beschuldigte deren Persönlichkeitsrechte?, StV 1997, 607.
20 Vgl. hierzu Binder/Seemann, NStZ 2002, 236, m.w.N.
21 Vgl. taz v. 10.01.2005.
22 Vgl. Bachmann/Püschel/Sonnen, Kriminalistik 2004, 679.
23 Vgl. OLG Frankfurt, NJW 1997, 1649.
24 Vgl. hierzu die Erklärung der ProfessorInnen der Uni Bremen (Fn 16).
25 Vgl. Prof. Dr. Böllinger im Weserkurier v. 25.01.2005; Binder/Seemann, NStZ 2002, 237; a.A. Bachmann/Püschel/Sonnen, Kriminalistik 2004, 680; Weßlau, StV 1997, 344.
26 Flüchtlingsrat Hamburg e.V., a.a.O., 11.
27 Vgl. Entscheidungen des BVerfG (BVerfGE) Band 56, 43.
28 Vgl. Dallmeyer, StV 1997, 607ff.
29 Vgl. Dallmeyer, StV 1997, 608, m.w.N.
30 Vgl. Dallmeyer, StV 1997, 608, m.w.N.
31 So in dem vom OLG Frankfurt zu beurteilenden Fall, NJW 1997, 1647.
32 Vgl. Dallmeyer, StV 1997, 608; a.A.
33 Vgl. Fn. 24.
34 Entscheidungen des BVerfG (BVerfGE), Band 30, 25.
35 OLG Frankfurt, NJW 1997, 1648.
36 BVerfGE 45, 228; OLG Frankfurt, NJW 1997, 1648; Dallmeyer, StV 1997, 608 m.w.N.
37 Vgl. Dallmeyer, StV 1997, 608.
38 Vgl hierzu ausführlich Dallmeyer, StV 1997, 609.
39 OLG Frankfurt, NJW 1997, 1648.
40 Vgl. OLG Frankfurt, NJW 1997, 1648; Dallmeyer, StV 1997, 609.
41 Vgl. hierzu: Weserkurier v. 26.01.2005.

Literatur:
www.antirassismus-buero.de
www.fluechtlingsrat-hamburg.de