Stasi-Collect-Fiasko

Soll am deutschen Erinnerungswesen die Welt genesen? Weimarer Nachdenken über "Kommunismus im Museum" und das Fehlen der Arrièregarde

Image Hosted by ImageShack.usWährend China, Kuba und Nordkorea sich noch sperren, wird der Kommunismus derzeit genauso museumsreif wie die Parole westdeutscher Studenten vom Beginn der siebziger Jahre: "Marx an die Uni". Ost-Kommunisten wurden schon Anfang der neunziger Jahre abgewickelt, West-Marxisten, die infolge von "1968" Lehrstühle erklimmen konnten, entschwinden jetzt in aller Stille in den beamteten Ruhestand. Der Sperrmüll, der vom realen Sozialismus übrigblieb, wandert, soweit nicht bereits auf Nostalgie-Trödelmärkten verramscht, in Kommunismus-Museen, die Antikommunisten in den Nachfolgestaaten gestalten. Die frühere lettische Außenministerin Sandra Kalniete provozierte das bundesdeutsche Erinnerungsritual, als sie in ihrer Leipziger Rede vom 24. März über Nationalsozialismus und Kommunismus behauptete, "daß beide totalitären Regime gleich kriminell waren. Es darf niemals eine Unterscheidung geben, nur weil eine Seite auf der der Sieger gestanden hat".

Die Totalitarismustheorie, die Gemeinsamkeiten faschistischer Diktaturen mit denen (im Namen) des Proletariats präpariert, ist en vogue. Leider schweigen einstige Vordenker der Arbeiterbewegung dazu, wiewohl schon Carl von Clausewitz mahnte: "Ist die Truppe in Bewegung, so bildet ein mehr oder weniger starker Haufe ihre Vorhut, nämlich die Avantgarde, welche, im Falle die Bewegung rückwärts geschieht, die Arrièregarde wird." Von den großen Reformvorhaben blieb nur das Reformhaus, und aus Lenins "Was tun?" wurde der Genossen "Wie gehtÂ’s?".

Hammer, Sichel, Ährenkranz

Der von Stefan Troebst (Universität Leipzig) ironisch als "Freilichtmuseum des Kommunismus" vorgestellte Quasistaat im Ostteil Moldovas ist die Ausnahme, welche die Regel bestätigt. Daß dort weiterhin Roter Stern, Hammer und Sichel das Staatswappen der Dnjestrrepublik zieren, erregt nur der Heraldik unkundige Gemüter. Denn wenn auch bereits im November 1992 das ungarische Parlament ein Verbot des Pfeilkreuzes sowie von Hammer und Sichel diskutierte, wenn auch im Dezember desselben Jahres ein offenbar in deutscher Geschichte ahnungsloser Vorsitzender der CSU-Landesgruppe im Bundestag namens Bötsch in einem Brief an Bundesjustizministerin Leutheusser-Schnarrenberger ein Verbot der angeblich früheren DDR-Staatssymbole Hammer und Sichel forderte, so ist doch festzuhalten, daß nicht nur im neuen Wappen von Laos, sondern auch in dem der Republik Österreich Hammer und Sichel enthalten sind, in den Klauen des Adlers - übrigens auf Anregung des als "Positivist" bei linken Juristen verschrieenen sozialistischen Rechtsgelehrten Hans Kelsen, der als Vater der ersten, im Kern heute noch gültigen demokratischen Verfassung Österreichs von 1920 gilt.

Den Antitotalitarismus-Zeitgeist spiegelte das 3. Internationale Symposium der "Stiftung Ettersberg", veranstaltet zusammen mit der "Stiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur" vom 21. bis 23. Oktober in Weimar zum Thema "Der Kommunismus im Museum". Über 200 Teilnehmer aus sechs europäischen Ländern hatten sich versammelt, darunter deutsche Historiker und Leiter der einschlägigen Museen in Budapest, Bukarest bzw. Sighet, Tallinn, Riga, Vilnius, Warschau und Leipzig. Der Schriftsteller Jorge Semprun, einst Buchenwald-Häftling und in den sechziger Jahren Dissident im Zentralkomitee der spanischen Kommunisten, mußte seinen Schlußvortrag über die Zukunft des europäischen Gedächtnisses aus Gesundheitsgründen absagen. Aus dem Vaterland aller Werktätigen und dem Mutterland des Stalinismus, aus Rußland, kamen keine Vertreter.

Knigges Rote Grauzonenkapos

Daß das Gedenken selbst ein aktuelles Politikum ist, machte das in Weimar vielzitierte Buch "Memory & Power In Post-War Europe" (Erinnerung und Macht im Nachkriegseuropa) klar, das Jan-Werner Müller herausgab (Cambridge University Press 2002). Volkhard Knigge, Leiter der Gedenkstätte Buchenwald, rügte in seinem Einleitungsreferat die "selektive Aufmerksamkeit", die Kriegsverbrechen von Algerien bis Tschetschenien totschweigt. Hinsichtlich moderner "Gesellschaftsverbrechen" forderte er, "Grauzonen, die sich eindeutigen Täter/Opfer-Schemata entziehen, nicht auszuweichen", auf die Roten Kapos in Buchenwald und Nazis in den von der sowjetischen Besatzungsmacht weiterbetriebenen Lagern verweisend. Er warnte davor, nur das Gauck/Birthler-Modell exportieren zu wollen, ohne Alternativen wie die südafrikanische Wahrheitskommission zu würdigen, und fragte, ob unsere Art der Erinnerung - nach bedingungsloser Kapitulation 1945 bzw. Staatsuntergang 1990 - überhaupt als "Normalfall" gelten könne.

Manchem Kongreßteilnehmer mag hier vielleicht die Rede Péter Eszterházys in der Frankfurter Paulskirche anläßlich der Verleihung des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels vom 10. Oktober eingefallen sein, in der dieser meinte, es sei "kein Zufall, daß es für Vergangenheitsbewältigung im Ungarischen kein Wort gibt", weil "die ungarische Sprache das, was die deutsche vergessen kann, noch weiß, daß man nämlich die Vergangenheit nicht bewältigen kann". Schon im Programmheft der Weimarer Tagung wurde die deutsche Elle angelegt: "Zu einer grundlegenden und umfassenden Aufarbeitung der kommunistischen Herrschaft, wie sie im wiedervereinigten Deutschland stattfinden konnte, fehlte in den postkommunistischen Systemen häufig der politische Wille oder die Kraft der Betroffenen."

Knigge kritisierte, in den Museen fehlten die Verheißung und Faszination des Kommunismus, wo dieser auf Repression und Fremdherrschaft reduziert wird. Auch Bernd Faulenbach (Universität Bochum) rügte die "Konzentration auf die Herrschaftsgeschichte", die hierzulande große Teile des DDR-Lebens ausblende - die Forschungslücken zur Geschichte der SED seien eine Folge. Klaus-Dietmar Henke (Universität Dresden) gestand ein, daß stalinistische Praktiken, Gefängnisse und Überwachungsapparaturen zwar für Museen "spektakulär" seien, stellte aber fest, daß diese Focussierung nicht einmal die längste Zeit kommunistischer Herrschaft erfaßt. Damit ignoriere man "Integrations- und Disziplinierungsmechanismen", die heute "weniger obsolet" seien als Gefängnis und GULag. Henke forderte ein "Übergewicht der Wissenschaft" auch gegenüber "Opferverbänden, die keineswegs immer segensreich wirken in diesem Kontext".

Ob das alles nötig ist?

Rainer Eckert (Zeitgeschichtlichen Forum Leipzig) datierte die Musealisierung des DDR-Sozialismus mit der Aufforderung an die Berliner Demonstranten vom 4. November 1989, die Transparente nicht nach Hause mitzunehmen, sondern zwecks späterer Ausstellung abzugeben. Er schilderte überdies Schwierigkeiten, mit denen sich sein Museum konfrontiert sieht: Es sei leichter, einen Panzer aufzutreiben als ein "Westpaket" aus DDR-Zeiten - dafür habe er acht Jahre gebraucht. Angesichts von "weit über dreißig Grenzmuseen" bleibe, so Eckert, "zu fragen, ob das alles nötig ist". Er erinnerte daran, daß der DDR-Bürgerrechtler Gerd Poppe eine Qualifikationsevaluation schon in der Bundestags-Enquêtekommission "SED-Diktatur" gefordert habe, die aber bisher nicht realisiert wurde. Leider erwähnte in diesem Zusammenhang keiner die jüngste Aktion des Berliner Mauermuseums mit Mauerelementen und 1065 Kreuzen, an der nichts stimmt, weder die Mauerposition oder die Lokalisierung der Opfer noch die ästhetische Anlehnung an das Holocaustmuseum; zu der allerdings paßt, daß gegenüber der einst vom Fluchthelfer mit Westgeheimdienst-Verbindungen, Rainer Hildebrandt, gegründeten Einrichtung am Checkpoint Charlie, dem einstigen Berliner Grenzübergang für Ausländer, kürzlich ein "Snackpoint Charlie" für die ausländischen Touristen zu diesem Mauer-Disneyland aufmachte.

Jenas Oberbürgermeister Peter Röhlinger (FDP) gelobte, auf Michail Romms Film "Der gewöhnliche Faschismus" (UdSSR 1965) anspielend, "den gewöhnlichen Kommunismus" mit den Hilfstruppen der Landesbeauftragten für die Stasiunterlagen zu präsentieren - sagte aber kein einziges Wort zu dem bundesweit beachteten Scheitern des von ihm propagierten, stümperhaften Denkmals eines deutschamerikanischen Investors für die "Verfolgten der kommunistischen Diktatur 1945-1989", das er zusammen mit SPD- und CDU-Politikern ohne Einbeziehung von Wissenschaft und Bürgern durchzupeitschen versucht hatte.

Dienst am Opferkitsch

Die Tagung neigte sich dem Ende entgegen, als eine Jenaer Studentengruppe, die mit den Professoren Knigge und Joachim von Puttkamer die erwähnten ausländischen Museen besichtigt hatte, ihre Eindrücke mitteilte: Die Museumsnamen seien irreführend, denn meist gehe es gar nicht um "den Kommunismus", sondern um die Sicht nur einzelner Opfergruppen oder die nationale Perspektive, in der Kommunismus als Fremdherrschaft dargestellt werde. Die Kollaboration der Bevölkerung mit der deutschen faschistischen Besatzungsmacht, auch bei der Tötung jüdischer Mitbürger, werde ausgeblendet, gar von "antirussischen und antisemitischen Stereotypen" müsse berichtet werden. Wie von dem aus der CDU ausgeschlossenen Bundestagsabgeordneten Martin Hohmann inspiriert, heißt es in der Freilichtausstellung im litauischen Grutaspark zum Partisanenkrieg gegen die Wehrmacht, daß Bolschewisten und entlaufene Kriegsgefangene "überwiegend jüdischer Abstammung" die litauische Bevölkerung terrorisiert hätten. Das Prager Kommunismus-Museum, das die Einladung nach Weimar abgesagt hatte, qualifizierten die Nachwuchsakademiker als indiskutables Objekt, das "ein Geschäftsmann aus kommerziellen Gründen aufgezogen hat" (der US-Amerikaner Glenn Spicker, ein früherer Politologiestudent, der Ende der achtziger Jahre Europa bereist hatte, hat die Marktlücke entdeckt, für 28000 Dollar RealSoz-Devotionalien zusammengekauft und sich im eleganten Savarin-Palast zwischen McDonaldÂ’s und Kasino angesiedelt; anzumerken wäre, daß der in Weimar auftretende Vorsitzende des Warschauer Museums vorher in der polnischen Hauptstadt als Chef für US-Jeans von Levi-Strauss und Filme von Kodak fungierte und daß in dem von Exilletten gesponserten Rigaer Bau - im 1970 eröffneten Museum für die roten lettischen Schützen - Einheimische nicht einmal zehn Prozent der Besucher ausmachen). Unzulässig würden - etwa im Budapester Entrée zum Museum - Kommunismus und Faschismus gleichgesetzt, Besucher nicht als "mündige ernstgenommen", sondern "medial überwältigt" als wären sie Analphabeten, oft unter Verzicht auf erklärende Texte - Ziel sei in den Veranstaltungen von Nichthistorikern die "Produktion unmündiger Sklaven, die ein verordnetes Geschichtsbild übernehmen". Dem dient Opferkitsch wie eine in Kreuzigungsimitation drapierte Zwangsjacke, Umbauten vorgefundener Haftzellen zu solchen aus der Stalinismusära nach Hörensagen oder die unkommentierte Präsentation eines Plakats aus der Nazizeit im Rigaer Okkupationsmuseum, das die deutsche Wehrmacht als Befreier begrüßt.

Nicht "blutig genug"

Siegfried Reiprich (der - nachdem er sogar der sächsischen CDU als Stasiunterlagenbeauftragter untragbar erschien - in der Gedenkstätte Berlin-Hohenschönhausen unterkam) bezichtigte gereizt die Studenten mit einem Nietzsche-Zitat, sich als "geistige Feldwebel der Nation" aufzuspielen - ein Vorwurf, den man von ihm nie vernahm, wenn andere das Gauck-Modell als Geschichtspolitik-DIN zu exportieren propagierten. Eine Mitarbeiterin des Berliner Stasiunterlagen-Landesbeauftragten vermißte bei den Studierenden Nachsicht für Fremdartiges und den "ethnologischen Blick" - was wiederum den einstigen Mitgründer der maoistischen KPD und "taz"-Osteuropaexperten Christian Semler in Rage brachte: Es sei doch "absurd", wenn bei neuen EU-Mitgliedern, die sich als Europäer begreifen, in Kolonialistenmanier so getan würde, als "ob sie ein fremder Stamm wären". Museumsfachmann Rainer Rother vom Deutschen Historischen Museum Berlin versuchte, den Streit mit Verweis auf die begrüßenswerte Identitäts- und Versöhnungssuche jener Museen zu schlichten, und entdeckte in den maßlosen Vorwürfen der Neufünfland-Stasiexorzisten wider die fünf Jenaer Studierenden eine "Stellvertreterdiskussion", die eigentlich dem Umgang mit der kommunistischen Bewegung in Deutschland galt. Einigen ist die DDR-Geschichte "nicht blutig genug", so der Historiker Lutz Niethammer (Universität Jena). Diese kümmern sich nicht um Aufklärung, sondern möchten die Untersuchungshaft-Gedenkstätte Hohenschönhausen am liebsten noch um ein GULag-Gruselkabinett ergänzen.

Für das nächste Treffen ist Differenzierung angesagt: Verschiedene kommunistische Regime sollen verglichen werden, gab es doch nicht "das" Ancien Régime des Sozialismus. Auch soll ein europäisches Netzwerk der Museen gegründet werden, ein heikles Projekt, wie Knigge eingesteht: "Ich denke, es wird Museen geben, von denen man jetzt schon sagen kann, da wird sich was verändert haben. Das sind genau die, die sich selber im Prozeß sehen, die nicht einfach nur Geschichtsbilder den Leuten in den Kopf stampfen wollen. Und es wird Museen geben, da wird sich nichts ändern, weil sie einfach nichts anderes sein wollen als geschichtspolitische Kampfeinrichtungen."

* Die Kongreßmaterialien werden in der von der Stiftung Ettersberg herausgegebenen Buchreihe des Böhlau-Verlags "Europäische Diktaturen und ihre Überwindung" erscheinen.

Veröffentlichung des Autors
(erschienen auch bereits in http://www.jungewelt.de/2004/11-08/004.php)