Perspektivloses Zappeln

Oder: Politik mit der Agenda 2010

Die von Bundeskanzler Gerhard Schröder am 14. März 2003 vorgestellte Agenda 2010 (vgl. die Dokumentation im Maiheft der "Blätter") verabschiedete der SPD-Parteitag am 1. Juni mit großer Mehrheit,

... ungeachtet massiver Kritik innerhalb der Partei und von Seiten der Gewerkschaften. Schröder hatte den Genossen wiederholt mit seinem Rücktritt und dem Scheitern der rot-grünen Koalition gedroht. Ebenso stimmten Bündnis 90/Die Grünen auf einer Sonder-Bundesdelegiertenkonferenz der "Reformagenda" zu. Die Kritik reißt ungeachtet dessen nicht ab: So wird Sozialdemokraten und Grünen vorgeworfen, eine unsoziale Politik zu verfolgen, die Ausgrenzung und soziale Ungleichheit zum Prinzip erhebt und ausschließlich auf Kosten der sozial Schwachen versucht, der wirtschaftlichen Krise Herr zu werden.
Grundsätzliche Fragen nach der Wirksamkeit und dem politischem Sinn der beschäftigungs- und sozialpolitischen Vorhaben bleiben virulent, auch für den anstehenden Gesetzgebungsprozess (vgl. auch Georg Vobruba in den Juni-"Blättern" 2003). Claus Offe geht diesen Fragen im folgendem Beitrag nach, der auf einer Rede vor dem bündnisgrünen Zukunftskongress "Sozial ist nicht egal" am 24. Mai dieses Jahres in Düsseldorf basiert. - D. Red.
Das Wort "Vollbeschäftigung" kommt in der offiziellen Rhetorik der deutschen politischen Eliten kaum mehr vor. Seine Verwendung als Zielformel würde auch eher peinlich wirken, nachdem ihre Erfolgsaussichten über 30 Jahre hinweg in immer weitere Ferne gerückt sind. Aber mit allergrößtem Nachdruck wird stattdessen der Ruf nach "mehr" Beschäftigung vorgetragen - oder, von den ganz Bescheidenen, die Forderung, den grassierenden Beschäftigungsabbau mit gesetzgeberischen Mitteln aufzuhalten.
Die Behauptung, dass "mehr" Beschäftigung irgendwie "gut" und folglich erstrebenswert ist, - die ist uns allen so sehr in Fleisch und Blut übergegangen, dass ich einen Augenblick über die Frage nachdenken möchte, weshalb "mehr" Beschäftigung eigentlich gut ist. Auf diese Frage gibt es, wenn ich recht sehe, vier Antworten.
Erstens: weil die Leute arbeiten wollen. Gewiss, aber das gilt nicht für alle Leute - zum Beispiel nicht für viele Leute im Alter von Anfang 60, die längst Wege genutzt haben, sich - in der Regel: ohne schmerzhafte Einkommenseinbußen - aus der Erwerbstätigkeit zurückzuziehen. Es gilt auch nicht unbedingt für die große Zahl derer, die nur unqualifizierte, belastende, ungesicherte, und schlecht bezahlte Beschäftigungen finden können und deshalb ihre Erwerbstätigkeit aufgeben oder reduzieren. Ferner gilt es nicht für die Personen aus allen für Erwerbstätigkeit in Betracht kommenden Altersgruppen, die sich der Familien- und Pflegearbeit oder ehrenamtlichen Tätigkeiten widmen und ihnen den Vorzug geben vor erwerblichen Tätigkeiten; dies zumal dann, wenn die Auswahl solcher Tätigkeiten, die sich ihnen bietet, beschränkt und unattraktiv ist. Auch angesichts dieser vom bestehenden Überangebot an Arbeitskraft ausgehenden Entmutigungseffekten erscheint es mir als ein produktivistischer Kurzschluss, wenn auch im grünen Schrifttum nicht nur vereinzelt davon ausgegangen wird, dass "alle Bürgerinnen und Bürger in die Erwerbsarbeit integriert werden sollen". Die "Integration in die Erwerbstätigkeit" sei zu "fördern und für alle Bürgerinnen und Bürger zu öffnen". Dieser politische Vorsatz ist ebenso eklatant unrealistisch wie er von den empirischen Präferenzen zahlreicher "Bürgerinnen und Bürger" absieht. Gerade bei den Grünen könnte es verwundern, wenn sie im Ernst allein die Erwerbsarbeit als Dreh- und Angelpunkt freier und verantwortlicher Lebensgestaltung anpreisen wollten. Dagegen hilft es vielleicht, ins Gedächtnis zu rufen, dass es in modernen Gesellschaften allenfalls (und mit abnehmender Tendenz) 45 % der Wohnbevölkerung sind, die für Erwerbstätigkeit in Betracht kommen und zur Verfügung stehen.
Zweite Antwort: Die Leute müssen arbeiten - und zwar einfach deswegen, weil sie den Lebensunterhalt und denjenigen ihrer Angehörigen nicht anders als durch (in der Regel abhängige) Erwerbsarbeit erlangen können. Das gilt freilich nicht für die gar nicht so kleine Minderheit derjenigen, die sich aufgrund zuvor erzielten hohen Einkommens oder aufgrund von Erbschaften usw. durchaus leisten können, bereits weit unterhalb der Altersgrenze aufzuhören und von Renten plus Vermögenserträgen zu leben. Das deutsche System der sozialpolitischen Transferleistungen, sowohl der Sozialversicherungen wie der sozialen Hilfen, ist bekanntlich so konstruiert, dass es durch seine Anreize und Wirkungen vielen potentiellen Arbeitskraft-Anbietern die Notwendigkeit erspart, ihr Angebot zu aktualisieren. Das kann sowohl diesem Personenkreis selbst wie den für die großflächige Brachlegung von Arbeitsvermögen zahlungspflichtigen Beschäftigten zugute kommen, die auf diese Weise vor dem lohnpolitischen Unterbietungswettbewerb zusätzlicher Beschäftigungssuchender verschont bleiben. Jedenfalls ist der "Erwerbszwang" höchst ungleichmäßig verteilt. Und gerade denjenigen, die ihm am heftigsten ausgesetzt sind, fehlt es oft an der Gelegenheit, diesem "Zwang" nachzukommen.
Drittens: Die Leute sollen arbeiten. Beschäftigung ist deshalb wichtig und wünschenswert, weil sie den Menschen Ordnung, Disziplin, Strebsamkeit, Verantwortungsgefühl und Lebenssinn einpflanzt und so einen sozialen Zusammenhang stiftet, der in Auflösung geriete, wenn allzu viele Menschen sich arbeitslos und entmutigt "auf der Straße" fänden. In dieser Perspektive gerät die Behauptung einer sozialen und moralischen Pflicht zur Arbeit leicht zu der doch eher zynischen Maxime, dass es nicht so sehr darauf ankommt, was die Menschen produzieren und verdienen, als darauf, dass sie in den Betrieben, Büros und von Trägern des "zweiten" Arbeitsmarktes unter sozialer Kontrolle gehalten werden.
Und schließlich viertens: Wir alle - und insbesondere die politischen Eliten in Parlamenten und Regierungen, insofern sie sich als Sachwalter der politischen und sozialen Ordnung verstehen - sind darauf angewiesen, dass sich möglichst viele Arbeitskräfte in entlohnter Beschäftigung befinden. Alle sind auf die Erwerbstätigkeit aller anderen angewiesen - aber nicht so sehr deswegen, weil wir deren produktive Leistungen benötigen, sondern akut deswegen, weil wir ihre Sozialbeiträge zur Aufrechterhaltung der Systeme sozialer Sicherheit benötigen. Diese kollektive Angewiesenheit auf einen hohen Beschäftigungsstand ist aber ersichtlich ein reines Artefakt der bismarckschen Methode, die soziale Sicherheit über Beiträge und nach dem Umlageverfahren zu finanzieren. Der oft monierte und heute klar zutage liegende Konstruktionsfehler dieses Systems besteht ja darin, dass es auf individueller Ebene relativ großzügige Transferleistungen bietet, die diejenigen in Anspruch nehmen können, die vorübergehend oder dauernd nicht am Erwerbsleben teilnehmen (können); auf kollektiver Ebene und seine Finanzierung betreffend ist dieses System aber ungemein verwundbar und dann leicht zu destabilisieren, wenn allzu viele Personen von diesen Leistungen Gebrauch zu machen veranlasst und genötigt sind. Der Teufelskreis ist bekannt: Je geringer der Beschäftigungsgrad der Arbeitskräfte, desto höher die Beitragslasten pro verbleibendes Arbeitsverhältnis; und je höher diese Lasten, desto gefährdeter ist der Fortbestand des bestehenden Beschäftigungsniveaus. Relativ "hohe" Lohnersatzleistungen sorgen dafür, dass ihre Empfänger von der Angebotsseite des Arbeitsmarkts wegpensioniert werden. Und sie sorgen außerdem dafür, dass weniger produktive Arbeitkräfte, die deshalb nur geringe Lohnsätze realisieren können, auf die Suche nach entsprechenden Arbeitsplätzen verzichten können, weil der von ihnen erzielbare Lohnsatz ohnehin unter den oder in der Nähe der Lohnersatzeinkommen liegt. Oft kann zudem zusätzlicher Einkommensbedarf der Bezieher von Hilfen und Lohnersatzleistungen auf schwarzen Arbeitsmärkten günstiger realisiert werden als im Rahmen sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung. Wegen dieser Anreize und Optionen machen die bismarckschen Sozialversicherungen Versprechungen, die sie wegen der erwerbsarbeitsbezogenen Weise ihrer (Beitrags-)Finanzierung nicht halten können - oder doch nur unter ausnahmsweise günstigen Arbeitsmarktbedingungen, welche die Politik ersichtlich außer Stande ist, zu erreichen und auf Dauer zu gewährleisten.
Viel spricht dafür, dass es vor allem dieser letzte Zusammenhang ist, der das ebenso hartnäckige wie erfolglose Streben der Politik nach "mehr Beschäftigung" antreibt. Mit einer gewissen Überspitzung kann man sagen: Die Politik braucht mehr Beschäftigung, weil die Beschäftigten zugleich Beitragszahler sind und als solche Sozialleistungen nicht in Anspruch nehmen, sondern zu ihrer Finanzierung beitragen. Da nun aus Gründen der demographischen Entwicklung und der hohen Arbeitslosigkeit die Zahl der anspruchsberechtigten Personen weiter wachsen wird, ist die Politik aus ihrem eigenen (pflichtgemäßen: Stabilitätspakt!) Interesse an konsolidierten Haushalten dringlichst darauf angewiesen, die Zahl beitragspflichtiger Beschäftigungsverhältnisse zu steigern.
Regierungen und regierende Parteien können sich bei Strafe ihres politischen Untergangs nicht leisten, für den fiskalischen Zusammenbruch jener Sicherheiten und wohlfahrtsstaatlichen Gewährleistungen verantwortlich gemacht zu werden, mit der die Masse der abhängig erwerbstätigen Bevölkerung, ihre Angehörigen und die (vorübergehend oder dauernd) aus dem Erwerbsleben ausgeschiedenen Teile der Bevölkerung rechnen und auf die sie angewiesen sind. Insofern hat der Stand und die Entwicklung der Beschäftigung den Rang einer Schicksalsvariable nicht so sehr für ökonomisches Wachstum (das bekanntlich auch ohne die volle Ausschöpfung des nationalen Arbeitspotentials vonstatten gehen kann) wie für die politische Stabilität und die Sicherung der Macht amtierender Regierungen. Insofern muss die Politik darauf Wert legen, dass die Arbeitskräfte beschäftigt sind - womit sie es sind oder sein können, das ist dabei ebenso gleichgültig wie insgesamt ungewiss.
Das Handeln dieser Regierungen (welcher politischen Farbe auch immer) wird nun durch zwei Gleichungen bestimmt. Die eine (die eher sozialdemokratische) Gleichung lautet: Wenn wir soziale Sicherheit gewährleisten wollen, so brauchen wir dafür mehr Beschäftigung. Und die andere, die eher marktliberale Gleichung lautet: Wenn wir mehr Beschäftigung wollen, dann müssen wir zumindest einen guten Teil der Institutionen und Budgets der sozialen Sicherheit und das Niveau der individuellen Ansprüche auf Lohnersatzleistungen demolieren. Wenn man die beiden Gleichungen zusammenzieht, dann ergibt sich Folgendes: Wenn wir soziale Sicherheit gewährleisten wollen, müssen wir sie partiell abschaffen. So einen Satz hätte man früher mit gutem Grund einen Widerspruch genannt. Heute nennt man ihn Agenda 2010.
Waldbrandverhinderungswaldbrand
Das unter diesem Titel zur Debatte, oder genauer: zum Abnicken (unter Rücktrittsdrohung des Kanzlers) gestellte Gesetzgebungsprogramm kann, wenn man es bewerten will, unter einer Reihe von Gütekriterien beurteilt werden. Zum einen kann man versuchen, die Kosten abzuschätzen und zu fragen, ob sie gerecht verteilt sind. Zum anderen kann man, ganz unabhängig von dieser Gerechtigkeitsfrage, prüfen, ob die vorgesehenen gesetzlichen Maßnahmen zweckmäßig sind, also die angestrebte Verbesserung der Beschäftigungslage zu realisieren geeignet erscheinen. Des Weiteren kann man fragen, ob die Signale und Absichtsbekundungen, die von der Agenda 2010 ausgehen (beispielsweise das Signal, dass von nun an die sozialdemokratische Sozialpolitik entschlossen ist, die Gewerkschaften als eine potentielle gemeinwohlschädliche Interessengruppe wie jede andere zu betrachten) eigenständige Auswirkungen auf die Realitätsdeutung und Erwartungsbildung von Investoren hat
- sozusagen den bekannten Ruck durchs Unternehmerlager gehen lässt.Schließlich kann die Güte einer Politik danach bemessen werden, ob sie zum Machterhalt der Partei beiträgt, die sie verantwortet. Ich werde mich im Folgenden fast ganz auf die zweite dieser Testfragen beschränken, die Frage nach ihrer Wirksamkeit unter der Zielstellung von "mehr" Beschäftigung.
Nun ist unstrittig, dass man manchmal, um Waldbrände zu bekämpfen und an ihrer weiteren Ausbreitung zu hindern, ein Stück Wald abbrennen muss. Dann kommt alles darauf an, dass der Waldbrandverhinderungswaldbrand an der richtigen Stelle, zum richtigen Zeitpunkt und im richtigen Umfang gelegt wird. Ist das hier der Fall? Wenn Lohnersatzleistungen, Hilfen zum Lebensunterhalt und krankheitsbedingte Leistungen der GKV gekürzt und Kündigungsschutzregeln gelockert werden, dann wird das - so die Grundannahme des Reformprogramms - über zwei Schaltkreise zu mehr Beschäftigung führen. Zum einen soll denjenigen, die bisher am Erwerbsleben nicht teilnehmen und als Empfänger von Arbeitslosengeld und anderen Sozialleistungen von ihren Ansprüchen auf soziale Sicherung Gebrauch machen, die materielle Daseinsgrundlage so kärglich bemessen werden, dass sie verschärften Anreizen zur Arbeitssuche und Arbeitsaufnahme, insgesamt also der Androhung bzw. aktuellen Anwendung negativer Sanktionen ausgesetzt sind. Arbeitslosen soll es nicht gestattet sein, "sich zu Lasten der Gemeinschaft zurückzulehnen", wie der Kanzler sich in seiner Rede vom 14. März dieses Jahres auszudrücken passend fand. Vielmehr soll ihnen "Eigenverantwortung" beigebracht werden. Dazu dient offenbar auch ihre regierungsamtliche Beschimpfung als "Faulenzer" sowie alle die Maßnahmen, die ihre "Aktivierung" durch eine neue Mixtur von "Fordern und Fördern" vorsehen. Die Teilnahme am Erwerbsleben (wie auch immer Entgelte, Arbeitsort, Arbeitsinhalte, Arbeitsbedingungen, Qualifikationsgelegenheiten beschaffen sein mögen!) wird geradezu zu einer sozialen Pflicht moralisiert.
Da - zweitens - alle Anreize, aus Personen Arbeitnehmer werden zu lassen, definitionsgemäß erst dann fruchten können, wenn es auch die dazu passenden Arbeitsplätze, d. h. Arbeitgeber gibt, muss zugleich deren Beschäftigungsbereitschaft gefördert werden, wenn der gewünschte Effekt (mehr Beschäftigung) eintreten soll. Auch dafür sollen sozialpolitische Leistungskürzungen ein aussichtsreiches Mittel bieten. Wenn nämlich die genannten Leistungen und Statusrechte (wie der Kündigungsschutz und Tarifschutz) gekürzt werden, dann stellen sich - unter den Bedingungen der paritätischen Beitragsfinanzierung und des Umlageverfahrens in der Gesetzlichen Rentenversicherung - die Kosten der Beschäftigung von Arbeitnehmern günstiger, weil der Faktor Arbeit sowohl von Lohnkosten (Stichwort: Niedriglohnsektor) als auch vor allem von Lohnnebenkosten entlastet wird. Deshalb ist nicht mehr Lebensstandardsicherung der Arbeitnehmer, sondern Beitragssatzsenkung das Hauptziel der gesetzlichen Rentenversicherung und ihrer Reform. Dasselbe gilt für Arbeitslosen- und Krankenversicherung. Durch den Begünstigungseffekt abgesenkter gesetzlicher Lohnnebenkosten und zudem der Aufweichung des überbetrieblichen Tarifschutzes, also insgesamt durch die positive Sanktion einer relativen Verbilligung der Arbeit, sollen die Arbeitgeber angeregt werden, zusätzliche Arbeitskräfte einzustellen bzw. auf ihre Freisetzung zu verzichten.
Ob und in welchem Umfang sie tatsächlich im beabsichtigten Sinne handeln werden - die Antwort auf diese Frage allerdings kann die Politik buchstäblich nur bangend abwarten. Denn schließlich gibt es keine Pflicht der Arbeitgeber, Arbeit zu geben, - in eigentümlichem Gegensatz zu der in verschärfter Tonlage angemahnten Pflicht von Arbeitnehmern, Arbeit zu nehmen. Dabei könnte man sogar argumentieren, dass das Versäumnis von Arbeitgebern, zu betriebswirtschaftlich zumutbaren Bedingungen Arbeitsplätze einzurichten, dem Gemeinwohl einen ungleich größeren Schaden zufügt als das Versäumnis der Arbeitnehmer, die stattdessen die Sozialkassen für ihren Lebensunterhalt in Anspruch nehmen, "zumutbare" angebotene Arbeitsplätze einzunehmen. Da der Politik unter den sattsam bekannten weltwirtschaftlichen (Globalisierung), vor allem aber unter den europäischen Bedingungen (Maastricht, Osterweiterung) kaum andere, etwa keynesianische, Mittel zur Verfügung stehen, mit denen sich die Nachfrage nach Arbeitskräften durch eine autonome Wirtschafts- und Wachstumspolitik in nennenswertem Umfang positiv beeinflussen ließe, setzen alle Hebel, mit denen mehr Beschäftigung geschaffen werden soll, auf der Angebotsseite des Arbeitsmarktes an, eben bei den beschäftigungssuchenden Arbeitskräften. Dabei wird der prozyklische Effekt in Kauf genommen, dass Einschränkungen des verfügbaren Einkommens der Empfänger von Hilfen und Lohnersatzleistungen sogar negative Auswirkungen auf das Niveau der Konsumnachfrage haben.
Abgeleitete Überzeugungskraft
Angesichts dieser Sachlage ist es keine nur theoretisch interessierende Frage, ob die Wirkungsmechanismen, die über diese beiden Schaltkreise das Angebotsverhalten der Arbeit und das Nachfrageverhalten der Arbeitgeber beeinflussen sollen, auch tatsächlich wie vorgestellt funktionieren. Es gilt als defaitistisch, wenn nicht geradezu als ungehörige Miesmacherei oder abstraktes Theoretisieren, die Frage überhaupt zu stellen. Wenn man Glück hat, wird man mit dem Verweis auf die positiven Erfahrungen anderer Länder abgefertigt, etwa auf die Niederlande oder Dänemark. Falls aber der ins Ausland schweifende Blick wirklich auf eindeutige beschäftigungspolitische Erfolgsgeschichten (Dänemark, Schweden) trifft (und nicht nur auf höchst ambivalente Mischungen von Erfolgen und Misserfolgen wie in den Niederlanden), dann bleibt immer noch die Frage, ob sich die dort angetroffenen positiven Beispiele wirklich nachahmen und importieren lassen. Es gibt viele Anhaltspunkte dafür, dass die politischen, institutionellen, rechtlichen, poli-tisch-kulturellen und ökonomischen Bedingungen, unter denen ein auf Importartikeln beruhender Systemwechsel gestartet werden müsste, zugleich zu rigide sind, als dass dieser zu einem erfolgreichen Abschluss geführt werden könnte. Die deutschen und die dänischen Züge fahren gewissermaßen auf Gleisen unterschiedlicher Spurweite. Und wenn das so ist, bleibt ein an ausländischen Beispielen, selbst an vollauf überzeugenden, abgeschauter Systemwechsel ein ziemlich hoffnungsloses Unterfangen, weil der Transfer aus institutionellen Gründen nicht gelingt. Wer kann schon sagen, ob die Erfolgsgeschichte der schwedischen Rentenreform auch dann gelungen wäre, wenn es sich bei Schweden um ein Land mit einem fragmentierten System von Großgewerkschaften, einer Bundesanstalt für Arbeit und dem deutschen System des Föderalismus und Korporatismus handeln würde? Wohl eher nicht.
Selbst wenn es gelänge, das ungemein ambitionierte Ziel zu erreichen, die Summe der Lohnnebenkosten um, sagen wir, fünf Prozentpunkte zu drücken, so hätte dies aus Arbeitgebersicht überschlägig die Folge, dass bei Arbeitskosten von ca. 65 % und paritätischer Finanzierung die Gesamtkosten der durchschnittlichen Unternehmung nur um etwa 1,8 % sinken würden. Man würde mithin etwa die Kosteneffekte einer einzigen (mäßigen) Lohnrunde einsparen, während die Arbeitnehmer und die Gewerkschaften allen Grund und die besten Argumente für den Versuch hätten, die Einkommenskürzungen (allein bei der Ausgliederung des Krankengeldes betragen sie ca. 1 % des Nettolohns) an der Tariffront zu kompensieren. Ob der Netto-Effekt für eine nennenswerte Expansion der Beschäftigung ausreicht, darf wohl bezweifelt werden. Insofern setzen diejenigen, die mit einer solchen Expansion dennoch rechnen, offensichtlich weniger auf Kosteneffekte als auf die anregenden Wirkungen des an die Arbeitgeber gerichteten Signals, dass die Regierung nunmehr bereit ist, veritable sozialpolitische Grausamkeiten zu begehen. Diesen müssten freilich, wenn das Signal glaubwürdig bleiben soll, die von vielen Seiten bereits eingeforderten weiteren Einschnitte folgen, die spätestens dann fällig werden, wenn eine konjunkturelle Erholung ausbleibt.
Für sich genommen ist die politische Überzeugungskraft der Agenda 2010 eine abgeleitete. Diese Überzeugungskraft resultiert, was die Meinungsbildung im roten und vermutlich auch im eigentümlich verhalten reagierenden grünen Spektrum angeht, wohl eher auf den mulmigen Gefühlen, die beim Gedanken an einen Machtwechsel hin zu einem, sagen wir, Kabinett Cle-ment/Merz aufkommen können.
Natürlich könnte man nur aus der verfehlten Perspektive eines methodischen Pessimismus heraus behaupten, dass die Kürzung eines Teils der Sozialkosten, mit denen Löhne und Gehälter belastet sind, auf keinen Fall zum angestrebten Ziel einer spürbaren Verbesserung der Beschäftigungslage führen kann. Vielleicht kann sie das; dann am ehesten im kleinbetrieblichen Mittelstand; darüber gibt es kein sicheres Wissen. Aber es wäre doch gut, eine Beweislastverteilungsregel zu verabreden, die diejenigen beweispflichtig macht, die sich gegenwärtig für riskante Projekte der sozialen Entsicherung stark machen. Riskant sind diese Projekte für Arbeitnehmer aus zwei Gründen. Zum einen ist die Chance, im Anschluss an beschäftigungspolitisch eventuell erfolgreiche Sparanstrengungen den Status quo ante wieder zu gewinnen und aufgeopferte sozialpolitische Besitzstände später einmal zu kompensieren, wenig Erfolg verheißend. Zum anderen besteht die Gefahr, dass das, was die einen uns als eine unvermeidliche schmerzhafte Konzession auferlegen, von anderen als bloßer Auftakt zu einem ganz neuen Spiel wahrgenommen wird, das man dann, nachdem die Bastionen der arbeitsmarktpolitischen "Rigiditäten", des "Korporatismus", des "Gewerkschaftsstaates" einmal geschleift sind, zu Exzessen der sozialen Entregelung weitertreiben kann. Wenn Erfolge ausbleiben und ebenso der Rückenwind einer Konjunkturbelebung, dann ist der Konsensbildung zugunsten höherer Dosen sozialer Entsicherung Tür und Tor geöffnet. Insofern wäre es eine gute Idee, den Sozialdemokraten eine Selbstbindung in puncto aller der Elemente sozialer Sicherung abzuverlangen, die sie auf keinen Fall "auf den Prüfstand stellen" möchte. Wer bereit ist, die Beweislast dafür zu übernehmen, dass die Kürzung sozialer Sicherheit, die Ausdünnung sozialpolitischer Arbeitnehmerrechte über kurz oder lang zu einer nachhaltigen Verbesserung der Beschäftigungslage führen wird, der müsste auf Fragen wie die folgenden überzeugend antworten können:
- Sind "reife" Ökonomien, also solche mit hoher Kapitalintensität, hohen Humankapitalansprüchen, Tarifautonomie und großen Erfolgen bei der Nutzung des arbeitssparenden technischen Wandels überhaupt in der Lage, etwa im viel beschworenen (jedoch keineswegs generell gegen arbeitssparende Produktivitätssteigerungen immunen) Dienstleistungssektor die Arbeitsnachfrage aufzubauen, die für eine Kompensation der laufenden Beschäftigungsverluste im primären und sekundären Sektor erforderlich wäre?
- Sind internationale Arbeitsteilung und globale Wettbewerbsverhältnisse wirklich dazu angetan, einen dauerhaft positiven Saldo von inländischen Beschäftigungsverlusten und -gewinnen entstehen zu lassen?
- Können die Arbeitsmärkte reifer Ökonomien ein weiterhin wachsendes(weibliches, ausländisches) Arbeitsangebot zu Lohnsätzen absorbieren, aus denen - auf welchem Finanzierungswege auch immer - die gegenwärtig erwerbstätige Generation sowohl die Aufzucht der nächsten Generation wie den Unterhalt der (schon aus Gründen der Lebenserwartung anteilsmäßig wachsenden) retirierten Generation alimentieren kann?

Kurz: Ist eine Arbeitsgesellschaft im Vollbeschäftigungsgleichgewicht weiterhin eine glaubwürdige politische Option? Wenn sie das nämlich nicht ist, dann käme - so meine These - alles darauf an, ein gegen den Beschäftigungsstand unempfindliches, ein auf Steuer- statt auf Beitragsfinanzierung beruhendes System der sozialen Sicherung einzurichten. An die Stelle des Arbeitnehmers, seiner Beiträge und seiner durch Erwerbstätigkeit wohlerworbenen Ansprüche würde dann der Bürger, seine Steuerpflicht und seine Sicherung als Bürger und nach dem Maßstab armutsvermeidender und grundsichernder sozialer Bürgerrechte treten. Nicht nur das Arbeitseinkommen von Arbeitnehmern, sondern sämtliche Einkommensarten sämtlicher Steuerzahler stünden dann für die Finanzierung sozialer Sicherheit zur Verfügung (wenn auch dem Finanzminister nicht zwangsläufig zu anderweitiger Disposition).
Es ist schlicht frivol, auf Fragen wie die genannten bloß mit der beruhigenden Versicherung zu antworten, das werde schon alles gut gehen, und weiter gehende Zweifel abzuweisen. Vielmehr empfiehlt es sich schon aus Gründen der intellektuellen Vorsicht, auf den eher unwahrscheinlichen Fall nicht zu setzen, dass alle diese Fragen im zukünftigen Rückblick mit Ja zu beantworten sein sollten. Wenn man indes keine schlagenden Argumente hat, hiervon auszugehen, dann empfiehlt es sich, gleichsam auf Vorrat nachzudenken und die ja nicht auszuschließende Eventualität in den Blick zu nehmen, dass die auf abhängiger oder gar unabhängiger Erwerbsarbeit beruhende Lebensweise kein Muster ist, das sich (mit erträglichen Verteilungsergebnissen!) generalisieren und als den sozial erwartbaren und moralisch einklagbaren Normalfall auszeichnen lässt. Eine solche gedankliche und politische Anstrengung (und ihr Ergebnis: eine Umfinanzierung der sozialen Sicherheit und eine Neubestimmung ihrer Verteilungswirkungen) könnte wohl mit größerem Recht das Prädikat "Innovation" für sich in Anspruch nehmen als es der zugleich kraftmeiernden und verzagten Rhetorik der Agenda 2010 zukommt. Nicht jede Veränderung verdient eben den Namen der Reform; denn es kann sich auch um Veränderungen handeln, die bei näherem Hinsehen eher als panische und ungeordnete Rückzugsbewegungen zu werten sind, als ein perspektivloses Zappeln in der Falle der arbeitnehmer- und beitragsfinanzierten und daher auf mehr Beschäftigung fixierten Methode der sozialen Sicherung.
Wenn man über die Folgen und Erfolgsaussichten des eigenen Handelns zu wenig weiß (und nicht alles wissen kann!), dann gebietet es die Klugheit, experimentell zu handeln. Das könnte bei vielen Bestandteilen der Agenda 2010 so aussehen, dass man bestehende Leistungsprogramme und Statusrechte nicht einfach verschrottet, sondern sie für einen verabredeten Zeitraum außer Kraft setzt. Während dieses Versuchszeitraums kann sich dann zeigen, ob die erhofften Effekte, gemessen in konkreten Messzahlen, tatsächlich eintreten. Sollte das der Fall sein, dann würden sich die Leistungskürzungen gewissermaßen als ein lohnendes Opfer herausstellen, wobei man über eine gerechtere Verteilung dieser Opfer immer noch reden könnte. Sollte es aber nicht der Fall sein, dann würde - so die Verabredung - nach, sagen wir, drei oder fünf Jahren der sozial- und arbeitsrechtliche Ausgangszustand wiederhergestellt. Als Ergebnis dieser Versuchsanordnung (man kann auch sagen: dieses Lernprogramms) würden nicht nur die von Leistungskürzungen bedrohten Bevölkerungsgruppen jedenfalls auf mittlere Sicht besser gesichert, sondern wir alle wären im Ergebnis intelligenter.
Gesunde Visionen
Wer Visionen hat, so bescheidet uns der amtierende Bundesminister für Wirtschaft und Arbeit, möge sich in ärztliche Behandlung begeben. Von diesem freundlichen Rat möchte er vermutlich die durchaus riskante eigene Vision ausgenommen wissen, die sozialpolitische Disziplinierung und partielle Entsicherung der Arbeitskräfte werde im Verbund mit einer Entlastung der Beschäftiger von Arbeitskosten ganz von selbst zu mehr Beschäftigung führen. Wie dem auch sei: Es ist, so würde ich einwenden, ein Zeichen gerade für die Gesundheit von Menschen, "Visionen" zu haben, verstanden als Vorstellungen über eine wünschenswerte individuelle und kollektive Zukunft. Eine von vielen Möglichkeiten, sich die Zukunft auszudenken, besteht darin, sie einfach vorauszusagen und dann in einem zweiten Schritt zu prüfen, was an dieser Voraussage entweder unstimmig und unrealistisch (also im schlechtesten Sinne utopisch) oder aber nicht wünschenswert und deshalb nach Kräften zu vermeiden ist. Ich möchte mich hier auf den ersten Schritt dieser Denkübung beschränken.
Meine Voraussage ist, dass in einem Zeitraum von weit weniger als einer Generation die Tendenz des sozialökonomischen Wandels in Europa dahin gehen wird, die Verteilungsposition von Bürgern, was ihre Minima an sozialer Sicherheit betrifft, vom Erwerbserfolg der individuellen Arbeitnehmer (und anderer Erwerbstätiger) weitgehend abzukoppeln. Das Geld, das für die soziale Sicherung einer alternden und auf absehbare Zeit nie wieder "vollbeschäftigten" Bevölkerung zur Verfügung gestellt werden muss, wird nicht mehr durch Beiträge, sondern durch Steuern aufgebracht. Und die Anspruchsberechtigung würde nicht von Arbeitnehmern (nach Maßgabe der Dauer ihrer Erwerbstätigkeit und ihres dabei erzielten Einkommens) erworben, sondern von Bürgern, deren Einkommen, Ausgaben, Vermögen und übrigens auch Erbschaften besteuert werden. Und die Ansprüche auf Sicherung selbst wären für alle Bürger (und mit dem vorrangigen Ziel der zuverlässigen Armutsvermeidung) die gleichen, nicht nach Erwerbserfolg differenziert. Für gewünschte Differenzierungen wären dann tarifliche Vereinbarungen, die Kapitalmärkte und die dort erbrachten Sparleistungen bzw. individuelle Vermögensbildung und private Versicherungen zuständig.
Mehr noch, nicht nur die Sozialeinkommen werden - auf der Aufbringungsseite wie auf der Leistungsseite - von der Arbeitnehmereigenschaft der Verpflichteten und Berechtigten abgekoppelt. Auch die verfügbaren Einkommen selbst würden ihrer Höhe nach durch großflächige steuerliche Subventionierung (nach Art der Kombilöhne) mitbestimmt. Das böte dann auch die Gelegenheit, mit der viel berufenen, aber oft auch mit dem Makel des bloß gut Gemeinten behafteten Idee einer Erweiterung des Arbeitsbegriffs ernst zu machen. Das Universum nützlicher Tätigkeiten von Bürgern wäre dann über die Grenzen der Erwerbsarbeit hinaus auf familiale, ehrenamtliche, pflegerische, künstlerische Tätigkeiten sowie alle Arten von Qualifikationsarbeiten auszudehnen. Der Zielzustand wäre ein steuerfinanziertes Grundeinkommen für Bürger, das als ein Sockel beitragsfinanzierte Sozial- und auch Lohneinkommen von Arbeitnehmern untermauert.
Der Übergang auf ein solches, weitgehend beschäftigungsstandneutrales System der sozialen Sicherung ist zweifellos eine zeitaufwendige Angelegenheit, die sich nicht im Rahmen einer Legislaturperiode vollziehen lässt, sondern nach schonenden kleinen Schritten über eine lange Strecke hinweg verlangt. Auch räumlich ließe sich eine solche Innovation nicht im nationalen Rahmen eines einzelnen Sozialstaats bewerkstelligen, sondern nur im europäischen. Aber wäre es nicht eine gute Idee, den mit gesellschaftspolitischen Sinngebungen ohnehin nicht überreich gesegneten Prozess der europäischen Integration dadurch zu beflügeln, dass auf europäischer Ebene Standards und Finanzierungsmethoden einer sozialen Sicherheit festgezurrt werden, die kein Mitgliedstaat aus Gründen schlechter Arbeitsmarktlagen verletzen darf - und zu verletzen braucht?
Was die Finanzierung der sozialen Sicherheit durch Steuern statt durch Beiträge angeht, so bestehen bei den Einkommen zwar nicht der Körperschaften und Personengesellschaften, aber doch bei der oberen Mittelschicht der Einkommensbezieher Spielräume, auf deren Nutzung die Politik der Agenda 2010 rätselhafterweise konsequent verzichtet. Statt den Angehörigen dieser Schicht auch nur ernsthafte Studiengebühren für die akademische Ausbildung ihres Nachwuchses aufzubürden, verweist das bestehende Steuerrecht sie ohne Ende auf die Suche nach Abschreibungsobjekten und Verlustzuweisungen. Aber auch die Erhöhung der indirekten Steuern (und nicht nur derjenigen auf Energie und Tabak) für Zwecke der sozialen Sicherung wäre geeignet, die Lasten breiter zu streuen und deswegen die Beitragsbelastung der Arbeitskosten mehr als proportional zu senken.
Abschließend möchte ich noch die Frage berühren, wie die Begünstigungsund Belastungseffekte sich verteilen würden, wenn das legislative Programm der Agenda 2010 umgesetzt würde. Die Antwort ist, dass die - der gedachten Wirkung nach - beitragssatzstabilisierenden oder gar -senkenden Leistungskürzungen sich auf diejenigen Kategorien von Arbeitnehmern und Arbeit Suchenden konzentrieren, mit deren Arbeitsmarktchancen es ohnehin unterdurchschnittlich gut bestellt ist. Will sagen: Wer nicht längere Zeit krank ist und deshalb Krankengeld benötigt, wer nicht als älterer Arbeitnehmer arbeitslos wird und auf eine mittelfristige Sicherung durch Arbeitslosengeld und Arbeitslosenhilfe angewiesen ist, wer nicht durch Kündigung bedroht ist und deshalb den Kündigungsschutz nicht braucht, wer nicht in einem Betrieb arbeitet, dessen Bestand von Entgeltkonzessionen seiner Belegschaft abhängt - bei all denen können die vorgesehenen gesetzlichen Neuerungen nicht viel Schaden anrichten. Die Schadenswirkungen fallen bei den ohnehin schlechter gestellten Arbeitsmarktteilnehmern an, während die Kerntruppen der Arbeitnehmerschaft nicht nur an den genannten Punkten ungeschoren davonkommen, sondern auch noch - wenn alles gut geht - von den Beitragssatzsenkungen hälftig profitieren, die ihnen die Agenda 2010 avisiert. Dieser Verteilungsschlüssel begünstigt die ohnehin Begünstigten und sanktioniert die schlechter Gestellten. Mit der Frage, ob das gerecht ist, sollte man der Politik vielleicht nicht allzu sehr auf die Nerven zu gehen versuchen; jedenfalls nicht im Namen der Wissenschaft. Aber an der Frage, ob das auf mittlere Sicht auch nur wahlpolitisch klug ist und wie sich die Agenda 2010 wohl im zukünftigen Rückblick von Parteien und Wählern ausnehmen wird, kommt die Politik ihrer eigenen Logik nach wohl nicht vorbei.