Befreiungstheorien im Elchtest

Welches Modell sollten Sie kaufen?

in (12.04.2001)

Der Regen klatscht schwer auf den Asphalt, in dem sich ein paar fahrige Novemberwolken spiegeln. Das weite Testgelände des ADBC (Allgemeiner Deutscher BefreiungsClub) liegt noch in tiefer Ruhe.

Hier, unweit von Trier, der Geburtsstätte von Karl Marx, werden wir gleich zehn Befreiungstheorien einer harten und unbestechlichen Fahrprüfung unterziehen, sie auf Herz und Nieren testen.

Alle Modelle sind in den letzten 20 Jahren entwickelt und gebaut worden und bestimmen heute weitgehend das Straßenbild, nachdem für die älteren marxistischen, feministischen und anarchistischen Fabrikate reihenweise die Produktionsstätten dichtgemacht wurden. Während in Fachzeitschriften und unter AnhängerInnen der verschiedenen Modelle erbitterte Auseinandersetzungen geführt werden, ob die Nockenwelle nun oben oder unter liegen muß, ob vier oder sechs Kolben "wahr" sind und welche Lenkaufhängung unweigerlich in den Revisionismus steuert, suchen wir die Antwort auf praktischere Fragen: Welches Modell sollten Sie kaufen? Wie werden Sie sich damit fühlen? Was können Sie mit dem Ding eigentlich machen, und was nicht? Unseres Wissens der erste derartige Test weltweit!

Nur vollständige Befreiungstheorien lassen wir an den Start. Es werden immer wieder hübsche Kritik-Motoren angeboten, die gute Analysen der gesellschaftlichen Fahrbahn liefern; aber mehr als geistreich auf der Straße herumstehen können Sie damit noch nicht. Wir testen hier nur, was wirklich fährt. Die von uns getesteten Modelle müssen als Mindestausstattung aufweisen: 1.) Einen herrschaftskritischen Motor, der gesellschaftliche Mißstände nicht als Irrtümer behandelt, sondern als Ausdruck einer falschen Ordnung und von Herrschaft. 2.) Reifen. Wir testen hier keine spirituellen Hovercrafts, die ohne Bodenhaftung zur materiellen Welt dahinfleuchen, sondern richtige Fahrzeuge mit materialistischem Fahrwerk. 3.) Lichtmaschine. Muß auch im postmodernen Nebel unterscheiden können, was wabernde gute Absichten und was harte gesellschaftliche Interessen sind. Wackelpuddinge wie "allgemeine Zivilisationskrisen", die Sie bloß nach Gehör fahren können, interessieren hier nicht. 4.) Lenkrad. Was wollen Sie mit einem Auto, das mit 600 PS auf der Stelle röhrt, weil es keine Perspektive hat, in die es fährt? Das Ihnen stöhnend zu verstehen gibt, daß Fahren sinnlos ist und eh' nicht geht? Na also.

Der Regen läßt etwas nach. Zehn Wagen rollen auf das Testgelände. Acht harte Prüfungen warten auf sie.

Der Crashtest

Wir fackeln nicht lange. Bei unserem ersten Test lassen wir die verschiedenen Befreiungstheorien mit voller Geschwindigkeit auf die massive Wand einer stabilen Zivilgesellschaft mit all ihrer Integrationsfähigkeit, ihrer Pseudo-Partizipation und ihren verdeckten Gewaltverhältnissen prallen. Was bleibt übrig von der Theorie? Welchen Schaden nimmt die Wand?

Erschütternd das Ergebnis der Regulationstheorie. Sie löst sich beim Aufprall praktisch völlig auf, ohne der Wand nennenswerten Schaden zuzufügen. Ähnlich traurig sieht es bei der Dekonstruktion aus. Trotz einer bombastischen, wortgewaltigen Explosion lassen sich auch mit der Lupe nur einige leichte Kratzer an der zivilgesellschaftlichen Mauer erkennen.

Beeindruckend dagegen der Antinationalismus. Er durchschlägt die Mauer mit einem sauberen Loch und weist nicht einmal leichte Lackschäden des Kompromisses auf. Ein glatter Durchschuß auch beim Sozialrevolutionären Ansatz. (Zu denken gibt uns allerdings, daß die Mauer auch mit diesen Löchern keineswegs einstürzt.)

Subsistenztheorie und Triple Oppression erreichen gute Werte und destabilieren die Wand ersthaft. (Die Subsistenztheorie knautscht sich nur an der Nachhaltigkeit und dem Sozialabbau etwas zusammen.) Im Affidamento möchten wir bei diesem Test dagegen nicht so gerne sitzen.

Der Klangtest

Beim Klangtest wird das Motorengeräusch auf seinen Feminismus-Wert getestet. Wir lassen den Motor jeweils 200 Seiten laufen und registrieren die Klangfarbe: Niedrige feministische Anspruchswerte verraten sich durch starken E-Klang (Arbeiter, Bauern, Individuen). Der abgehackte Klang des großen I (ArbeiterInnen usw.) deutet auf einen pflichtschuldig höheren Wert hin. Erst der weichere Ton des kleinen i (Arbeiterinnen usw.) beweist, daß hier nicht nur "angehängt" wird. Das zischende "-echt" (Geschlecht, Geschlechterfrage usw.) beweist schon, daß feministische Fragen hier auch inhaltlich bearbeitet werden. Wahren Wohlklang hingegen verbreitet der satte AU-Klang: Diese Motoren scheuen sich nicht, das Wort "Frauen" zu verwenden!

Unangefochtener Spitzenreiter hier: das Affidamento, gefolgt von der Subsistenz, die ebenfalls noch satten AU-Klang verbreitet. Das zischende EchtEchtEcht der Dekonstruktion muß man mögen, der Wert überzeugt jedoch. Die Triple Oppression liegt annehmbar, zeigt allerdings bei höheren Drehzahlen ein verdächtig additives Klopfen.

Wie erwartet, kommen Regulation und Sozialrevolutionärer Ansatz über den Sound patriarchalen Keuchens nicht hinaus. Kopfschüttelnd überprüfen wir unsere Anlage angesichts des Antinationalismus: Nein, die Geräte sind nicht kaputt, der feministische Klangwert liegt wirklich bei Null.

Der Geruchstest

Nicht allen Befreiungstheorien ist die Tatsache vertraut, daß diese Welt nicht nur aus Großstädten besteht. Oder haben Sie schon mal versucht, sich in einer Kleinstadt zu dekonstruieren oder auf dem Dorf popkulturell ihre Lage zu verändern? Na also.

Bei diesem Test messen wir mit einem speziellen Geruchskolben die spezifische Stadt-Land-Ausdünstung des jeweiligen Befreiungsmobils. Stadtarrogante Befreiungstheorien haben einen dünnen und stechenden, schwefel- und kohlendioxidigen City-Geruch. Landsensible Befreiungstheorien zeichnen sich dagegen durch die warmen, kräftigen, erdigen Geruchs-Anteile von Gülle, Tierhaltung und gebrauchten Gummistiefeln aus.

Als die schlimmsten Stadt-Stinker erweisen sich Poplinke und Postkolonialismus; diese Modelle kommen in Ansiedlungen unter 3 Mio. EinwohnerInnen eigentlich überhaupt nicht zu brauchbaren Fahrleistungen. Vollmundigen Landgeruch hinterlassen dagegen die Subsistenztheorie und die Soziale Ökologie. Wer es nicht ganz so streng mag, sei auf die Triple Oppression verwiesen.

Der Reparaturtest

Viele Auto-KäuferInnen denken beim Kauf kein bißchen über die Frage nach: Wo kriege ich eigentlich Ersatzteile? Wenn ich mit meinem Befreiungsmobil im Ausland liegen bleibe: Gibt es da Werkstätten, wo ich es reparieren kann? Bekomme ich überall Zubehör? Oder sollte ich mein Heimatland damit besser nicht verlassen, weil dieses Modell anderswo auf der Welt weder fährt noch gebaut wird?

Wer sich fürs Affidamento entscheidet, sollte sich darüber im Klaren sein, daß dieses Auto ausschließlich in Italien, Deutschland und Frankreich über akzeptable Werkstätten verfügt. Den Antinationalismus können Sie jenseits der Landesgrenzen überhaupt nicht fahren. Außerhalb nördlicher Industrieländer sollte Ihnen auch mit der Regulation und der Dekonstruktion besser kein Unfall passieren. Global mobil bleiben Sie dagegen mit der Sozialen Ökologie, der Triple Oppression und der Subsistenz.

Der Preistest

Machen Sie sich nichts vor: auch Ihre finanziellen Mittel sind begrenzt. Kaufen Sie sich deshalb keine Theorie, die Sie sich nicht leisten können! Oder wollen Sie ewig ohne Armaturbeleuchtung fahren, bloß weil die Import-Glühbirne aus den USA ihre Mögllichkeiten übersteigt?

Bei diesem Test schneiden mehrere Fahrzeuge richtig gut ab. Schon mit hundert Mark können Sie sich ein einfaches Affidamento oder eine brauchbare Triple Oppression anschaffen, und bei der Subsistenz sind für diesen Preis sogar schon einige Extras drin. Bei der Regulation oder der Dekonstruktion kriegen Sie für das Geld nicht mal einen Schraubenschlüssel. Unter fünfhundert Mäusen bewegt sich hier nichts.

Postkolonialismus oder Poplinke sind an sich nicht so aufwendig, aber Sie müssen jedes zweite Teil aus Übersee importieren. Dieses Problem entfällt beim Antinationalismus, aber: richtig preiswert ist der nur, wenn Sie noch ein paar marxistische Oldtimer zum Ausschlachten herumstehen haben.

Der Elchtest

Das Herz der Testreihe. Die härteste Prüfung. Während die Wagen über eine kurvige Landstraße mit glitschigem Alltagsbelag fahren, lassen wir von oben Elche herunterfallen, die umfahren werden müssen, ohne daß das Auto umkippt. Elche sind Probleme, die aus der Mitte des Alltags hervorbrechen. (Mein Freund betrügt mich. Was ist das eigentlich Miese an diesem miesen Kollegen? Wieso kommt mein Leben mir klein und schäbig vor? Meine sexuellen Phantasien sind suspekt. Muß ich sonntags meine Mutter besuchen? Verhalte ich mich patriarchal, wenn ich diesen Mini trage, oder verhalte ich mich gerade patriarchal, wenn ich ihn nicht trage? usw.)

Viele der älteren Modelle waren berüchtigt dafür, daß sie solche Elche einfach überrollten. Häufig bemerkten sie das nicht einmal ("Was, da war ein Elch?") oder versuchten zu beweisen, daß es in Wirklichkeit keine Elche gibt ("kleinbürgerliche Scheinelche"). Von einer modernen Befreiungstheorie erwarten wir hingegen, daß sie sich mit Elchen flexibel und originell auseinandersetzt und sie mit kreativen Manövern meistern kann.

Gleich nach der ersten Testfahrt stehen wir erschüttert an der Bahn. Nicht weniger als zwölf tote Elche säumen den Straßenrand: hier ist soeben der Antinationalismus durchgekommen. Die Werte für die Dekonstruktion sind nur deshalb geringfügig besser, weil die meisten Elche noch selber weglaufen können, bevor das tonnenschwere Fahrzeug wild gestikulierend auf sie zukriecht. Regulationstheorie und sozialrevolutionärer Ansatz bewältigen die Strecke in Rekordzeit und schwören Stein und Bein, sie hätten auf der Strecke keinen einzigen Elch gesehen. Der Body Count beweist das Gegenteil.

Gefühlvoll und sicher bewältigt dagegen die Subsistenztheorie die Strecke. Nur bei sehr postmodernen Elchen kommt diese Theorie ins Schleudern. Trotz eigenwilligem Fahrstil kurvt auch das Affidamento hervorragend um die Elche des Alltags.

Unbestritten gilt jedoch: Elche würden Triple Oppression kaufen! Denn eines von den drei Lenkrädern greift immer.

Der Beschleunigungstest

Geld ist das eine, Zeit das andere. Im Beschleunigungstest wollen wir wissen: Wie schnell kommen Sie denn mit dem neuen Gefährt auf Touren, nachdem Sie es endlich Ihr eigen nennen?

Mit der Poplinken, der Dekonstruktion oder der Regulation werden Sie sich zum Beispiel erst nach jahrelanger Schulung auf die Straße trauen können, wenn Sie nicht ausgelacht werden wollen. Das ist beim Postkolonialismus und Antinationalismus nicht das Problem (die anderen fahren schließlich auch nicht besser), aber beide Modelle fahren sich anfangs sehr ungewohnt.

Beim Affidamento und der Subsistenz sind Sie mit der theoretischen Fahrprüfung schnell durch. Überstürzt losbrausen können Sie damit aber auch nicht, weil man Ihnen gutes Fahren einfach nicht erklären kann - Sie müssen warten, bis es "auch von innen kommt".

Wenn Sie es wirklich eilig haben: fahren Sie sozialrevolutionär. Dreieinhalb Broschüren, und die Post geht voll ab, sobald Sie den Zungenbrecher "technologischer Verwertungsangriff" richtig aussprechen können.

Der Designtest

Last, but not least. Da die Revolution nicht gleich vor der Tür steht, werden Sie mit ihrem neuen Liebling vemutlich auch etwas Freude haben wollen. Werden Ihre FreundInnen Sie um diesen Wagen beneiden? Werden Sie mit glänzenden Augen vor den spiegelnden Kotflügeln stehen oder sich verzückt in den blauen Samtbezug fallen lassen? Wird es Spaß machen, mit diesem Gefährt herumzusausen? Können Sie zur Not auch mal Eindruck schinden damit? Sieht es gut aus? Sehen Sie gut aus damit?

Leider können wir das nicht ohne weiteres von allen Modellen behaupten. Im Sozialrevolutionären Ansatz können Sie gar nicht anders, als old-fashioned aussehen. Das Design der Sozialen Ökologie ist schon herzergreifend schlicht. Bei der Subsistenz können Sie zur Not von "klarer Linienführung" sprechen, aber die Polster sind ruppig, und Sie werden es nicht fertigbringen, Ihrer Freundin im Café zu erzählen, daß Sie sich für dieses Modell entschieden haben.

Besser ist das schon mit dem Antinationalismus und der Dekonstruktion - Fahrzeuge, mit denen Sie zumindest einen unverwechselbaren persönlichen Stil demonstrieren und bleibenden Eindruck hinterlassen. Aber setzen Sie sich mal in die Poplinke oder den Postkolonialismus, stecken Sie sich lässig eine Zigarette an und fahren mit offenem Verdeck. Kein Mensch weiß, wie weit Sie damit kommen werden. Aber ein irres Gefühl ist es schon.

Ergebnisse und Bewertung im Überblick

(hier kommen die Diagramme daneben)

Antinationalismus

Der Panzer unter den Befreiungstheorien. Unübertroffen bei der Übung "250 Seiten theoretische Geradeausfahrt". Springt auch bei 30° Kälte an. Stinkt nach Patriarchat und können Sie außerhalb Deutschlands höchstens noch bei der jugoslawischen Friedensbewegung auftanken. Kein Auto, mit dem Sie zum Einkaufen fahren können. Aber wenn Sie zwölf überfahrene Elche nicht stören ...

Testurteil: ausreichend

Sozialrevolutionärer Ansatz

Der Manta. Der Manta fährt gar nicht so schlecht, aber als Frau können Sie keinen kaufen. Dieses Auto bringt nichts um, aber Elchen ausweichen können Sie damit nicht. Die Limousinen-Ausführung (der "Hartmann GT") fährt sich weicher, aber man weiß nicht wohin. - Ansonsten für Männer, die auf einen gewissen Proll-Chic stehen, immer noch eine beliebte Wahl.

Testurteil: befriedigend

Subsistenztheorie

Der Ford Escort. Ein Auto, dessen Qualitäten sich erst auf den zweiten Blick erschließen. Durchdacht konstruiert, ohne überflüssigen Zierrat, vielseitig und sparsam. Nicht unbedingt der Wagen, nach dem sich die Leute auf der Straße umdrehen werden, aber eine absolut solide Wahl. Einziger Nachteil: Dieses Auto duldet keinen Zweitwagen neben sich.

Testurteil: sehr gut

Pop- und Kulturlinke

Der Alfa Romeo Spider. Mit diesem Auto werden sie viele liebe Stunden in der Garage verbringen. Liebhaber schätzen das stundenlange Basteln fast ebenso wie den phantasievollen Fahrstil. Ersatzteile sind teuer, aber sieht klasse aus. Dieses Auto verwirklicht Sohn-Rethels Utopie vom "Ideal des Kaputten". Aber für Frauen höchstens als Zweitwagen passabel.

Testurteil: befriedigend

Affidamento

Der BWM 318. Der satte Klang verrät schon aus der Ferne: Hier kommt eine Frau, die sich nichts vormachen läßt! Sportlich und beweglich, annehmbar im Preis. Sehr metropolitan, mit bedenklich wackeligen Werten im Crashtest, aber von hohem praktischen Wert. Sein Image als Zweitwagen hat dieses Modell allerdings nie ganz loswerden können.

Testurteil: gut

Regulationstheorie

Der Cadillac. Wir wissen nicht, wer dieses Auto kauft. Es ist teuer in der Anschaffung, häßlich in der Erscheinung, und stößt ab durch das männliche Blubbern seines Motors. Einen Cadillac kauft man, um zu einem Club gewichtiger Leute zu gehören, die auch Cadillac fahren. - Wir raten dringend zum Erwerb des neuen, verbesserten Modells Hirsch. Zweihundert Pfund Chrom leichter, erheblich billiger, und hat deutlich mehr Biß.

Testurteil: mangelhaft

Postkolonialismus

Der Jaguar. Teuer, kompliziert, viel zu viele Zylinder. Keine vernünftige Entscheidung, aber wer einmal dringesessen hat, wird immer davon träumen. Trés chic und kann vor Kraft kaum laufen. Eine vielversprechende Konstruktion, die allerdings kaum als ausgereift zu bezeichnen ist und auch von Elchen nicht allzusehr geschätzt wird.

Testurteil: befriedigend

Triple Oppression

Der Peugeot 504. Vom Nordkap bis Südafrika beliebt. An diesem Auto ist nichts überflüssig. Extrem belastbar, und Ersatzteile gibt's überall. An der Optik ist seit Jahren nichts geändert worden, so daß ein Hauch des Altmodischen dieses Wagen umgibt. Aber Testsieger und Liebling aller Elche. Ein Auto, mit dem Sie auch auch die Rallye Paris-Dakar unbeschadet überstehen werden.

Testurteil: sehr gut

Soziale Ökologie

Der Golf. Macht nicht viel her, dieses Auto. Aber fährt. Fährt überall. Können Sie mit geschichtsphilosophischem Super betanken oder mit praktischem Diesel. Der Fahrspaß ist Ansichtssache, und Sie den einen oder anderen Elch überrollen Sie auch damit. Aber ein Auto, mit dem Sie nichts falsch machen können.

Testurteil: gut

Dekonstruktion

Der Rolls Royce unter den Befreiungstheorien. Bis dieses Auto anspringt, ist das Problem schon wieder veraltet, das Sie damit umfahren wollten. Schwülstiges Design, und jede einzelne Pleuelstange müssen Sie aus Paris einfliegen lassen. Dafür üppige Bar im Rücksitz, an der Sie sich mit den besten Jahrgängen Foucault bedüdeln können. Wer dieses Auto fährt, hat einen Zweitwagen. Ehrlich. Das geht gar nicht anders.

Testurteil: ausreichend

(Kästen:)

Subsistenztheorie

Baujahr ca. 1975. Hergestellt v.a. in Indien und Deutschland. Betriebsanleitungen: Mies/Shiva, Ökofeminismus (1995); Bennholdt-Thomsen/Mies, Eine Kuh für Hillary. Die Subsistenzperspektive (1997).

Die S. entwickelte ihren Motor aus den Teilen, die der Marxismus als "Reproduktion" achtlos in den Kofferraum geworfen hatte. - Nicht die Aneignung des Mehrwerts aus der Lohnarbeit, sondern die (Gratis-)Ausbeutung von Frauen, Kolonien und Natur ist das Fundament des Kapitalismus (und des Sozialismus auch). Die Perspektive liegt in einer Wirtschaft (und Wertordnung), die auf die gemeinsame Produktion des Überlebens konzentriert ist und wo Frauen gemeinschaftlich die Produktionsmittel kontrollieren.

Sozialismuskoeffizient 0 %

Unmittelbarkeitskoeffizient 100 %

Organisationskoeffizient 0 %

Vgl. FORUM entw.Akt. 210 (Müller), FORUM entw.Akt. 209 (Mies)

Regulationstheorie

Baujahr ca. 1975. Hergestellt v.a. in USA und Frankreich. Betriebsanleitungen: Hirsch, Kapitalismus ohne Alternative? (1990); Demorovic u.a. (Hrsg.), Hegemonie und Staat (1992). Fanzeitschrift: Das Argument.

Die R. fügte dem klassischen marxistischen 4-Gang-Getriebe (Urgesellschaft, Feudalismus, Kapitalismus, Kommunismus) weitere Zwischengänge hinzu (Konkurrenzkapitalismus, Monopolkapitalismus, Fordismus, Postfordismus), was jedoch auf Kosten der Spritzigkeit geht (der Kommunismus-Gang wird inzwischen meist weggelassen). - Der Staat ist kein Agent des Kapitals, sondern ein soziales Verhältnis widersprüchlicher Interessen und Kräfte, ein Ensemble institutionalisierter Klassenkompromisse. Das reine Markt- und Profitprinzip würde die Gesellschaft sonst zügig zugrunderichten, wird so aber in immer neuen historischen Formen "reguliert", die jede sowohl autoritäre als auch emanzipatorische Potentiale haben. An die muß die Linke ran.

Sozialismuskoeffizient 75 %

Unmittelbarkeitskoeffizient 50 %

Organisationskoeffizient 100 %

Vgl. FORUM 202/203 (Brand, Hierlmeier, Lutz)

Triple Oppression

Baujahr ca. 1980. Hergestellt v.a. in Südafrika, USA, Niederlanden. Betriebsanleitungen: Viehmann, Drei gegen Eins (in: Metropolengedanken und Revolution, 1991); Meulenbelt, Scheidelinien ( ).

Entworfen nach einem Bauprinzip, das ebenso einfach wie genial ist: drei Motoren müssen gleichzeitig unter die Haube. Das das nicht immer ganz rund läuft, ist klar. - Die Unterdrückungsverhältnisse nach Rasse, Klasse und Geschlecht sind nicht aufeinander reduzierbar, sondern gleichberechtigt zu berücksichtigen und in ihrer jeweiligen Verschränkung zu begreifen. Durch eine Überwindung der eurozentrischen und patriarchalen Linken wird eine Einigung der Kämpfe möglich. - Löste in Deutschland den legendären "Antiimp" ab, der im Fahrverhalten dem heutigen Antinationalismus ähnelte (siehe dort).

Sozialismuskoeffizient 100 %

Unmittelbarkeitskoeffizient 25 %

Organisationskoeffizient 75 %

Sozialrevolutionärer Ansatz

Baujahr ca. 1975. Hergestellt v.a. in Italien und Deutschland. Betriebsanleitungen: Hartmann, Leben als Sabotage (2/1988); Frombeloff (Hrsg.), ... und es begann die Zeit der Autonomie (1993).

Der erste Prototyp, der "Operaismo", lief vom Band der norditalienischen Automobilindustrie, wo er während wilder Streiks gefertigt wurde. - Der Preis der Arbeit ist ein politischer Preis. Da Arbeit von wirklichen Menschen geleistet wird, kriegt das Kapital den Mehrwert nicht frei Haus, sondern muß ihn sich holen. Dazu muß es nicht nur die Fabrik, sondern die ganze Gesellschaft technologisch, organisatorisch und sozial immer wieder umkrempeln ("Verwertungsangriff"). Dadurch wird das Leben immer beschissener und so entfremdet, wie Marx sich das gar nicht vorstellen konnte, und es kommt zu Verweigerung, "direkter Aneignung" und schließlich zum Zusammenbruch.

Sozialismuskoeffizient 100 %

Unmittelbarkeitskoeffizient 0 %

Organisationskoeffizient 50 %

Vgl. alaska 211/212 (Düvell)

Soziale Ökologie

Baujahr ca. 1980. Hergestellt v.a. in USA. Betriebsanleitungen: Bookchin, Die Ökologie der Freiheit (1985); O'Connor, Conference Papers (1991); Schultz/Scheich, Soziale Ökologie und Feminismus (2/1989). Fanzeitschrift: Capitalism, Nature, Socialism (CNS).

Die entsetzlichen Abgaswerte des Marxismus mußten früher oder später diesen umweltfreundlichen Diesel auf den Plan rufen. Die S. gibt's wahlweise mit sozialistischem oder anarchistischem Motor (nur die deutschen Modelle scheinen ohne Motor zu laufen). - Im ersteren Fall ist die Natur der "zweite Hauptwiderspruch des Kapitalismus" neben der Arbeit; im zweiteren Fall ist die zerstörerische Herrschaft über die Natur der Ausfluß der gewaltförmigen und hierarchischen Zivilisation westlichen Typs und kann nur zusammen mit dieser beseitigt werden.

Sozialismuskoeffizient 50 %

Unmittelbarkeitskoeffizient 50 %

Organisationskoeffizient 50 %

Vgl. FORUM entw.Akt. 201 (Schultz)

Affidamento

Baujahr ca. 1980. Produktion fast ausschließlich in Italien. Betriebsanleitung: Libreria delle donne di Milano, Wie weibliche Freiheit entsteht (1988).

Die Konstrukteurinnen des A. gingen von dem Stammtischspruch "Frauen können nicht autofahren" aus, den sie dahingehend wendeten, daß tatsächlich Autos, Straßen und Landschaften nur für Männer entworfen werden und daß deshalb ein Auto hermuß, das nur für Frauen konzipiert ist. - Frauen sollen sich positiv aufeinander beziehen, ihre Ungleichheiten anerkennen, sich miteinander "anfreunden" (affidamento), anstatt dem Patriarchat und seiner Wertschätzung hinterherzulaufen.

Sozialismuskoeffizient 0 %

Unmittelbarkeitskoeffizient 100 %

Organisationskoeffizient 0 %

Vgl. alaska 211/212 (Libreria delle donne), FORUM entw.Akt. 210 (dto.)

Dekonstruktion

Baujahr ca. 1985. Hergestellt v.a. in Frankreich und USA. Betriebsanleitungen: Butler, Das Unbehagen der Geschlechter (1991); Benhabib u.a. (Hrsg.), Der Streit um Differenz.

Ende der 60er kaufte ein Mechaniker-Team um Foucault und Lacan massenweise linke wie bürgerliche Fahrzeuge, die sie dann auf komplizierten Schleifen durch die Stadt kurvten, nur um ihnen demonstrativ ein Bauteil namens "Wahrheit" herauszureißen; die heutige D. zeichnet sich dadurch aus, daß sie nach dem Umdrehen des Zündschlüssels die Fahrerin als erstes fragt: "Bin ich ein Auto?" - Die Identitäten, mit den klassischerweise Politik gemacht wird ("Frauen" und "Männer" z.B., aber auch alle anderen sozialen Kategorien) haben keine wirkliche Existenz, sondern sind soziale Konstruktionen - gesellschaftliche Zuschreibungen, die nicht benutzt, sondern aufgelöst werden müssen. Die bisherigen Theorien, Institutionen und Darstellungen tragen sowohl dieser Spaltung/Zuschreibung als auch den jeweils herrschenden Identitäten Rechnung, was sichtbar gemacht und dadurch verändert werden muß ("dekonstruiert").

Sozialismuskoeffizient 0 %

Unmittelbarkeitskoeffizient 50 %

Organisationskoeffizient 25 %

Vgl. alaska 217 (Bitzan), alaska 215 (Bernhard, Harris, Bockermann), alaska 211/212 (Kongreßforum 5)

Postkolonialismus

Baujahr ca. 1985. Hergestellt v.a. in Indien, Palästina, Großbritannien, USA. Betriebsanleitungen: Spivak, The Post-Colonial Critic (1990); Bhabha, The Politics of Location (1994).

Da alle bisherigen Autos westlich-eurozentrisch waren, ließen sie der antikolonialen Befreiung nur die Pseudo-Wahl, Westschlitten anzuhimmeln oder trotzig im Ochsenkarren zu fahren - ein fieses Dilemma, und so startete die Gang um Spivak, Bhabha, Said, Araeen u.a. eine wilde Jagd über die Schrottplätze von Paris und Algier, Delhi und Johannesburg, um ihre phantastischen "Hybride" zu bauen. - Die Identitäten, in denen sich die ehemals Kolonisierten vorfinden, sind größtenteils solche, die von den Kolonisatoren konstruiert worden sind (klassisch demonstriert von E.Said in "Der Orientalismus"). Das Authentisch-Eigene ist eine (post-)koloniale Falle, in die der Befreiungsnationalismus stürzt. Der koloniale Blick und seine Widerspiegelung muß dekonstruiert, eine tragfähige eigene Identität "gemixt" werden.

Sozialismuskoeffizient 75 %

Unmittelbarkeitskoeffizient 50 %

Organisationskoeffizient 25 %

Vgl. alaska 215 (Mercer), alaska 213/214 (Spehr)

Pop- und Kulturlinke

Baujahr ca. 1980. Hergestellt v.a. in Großbritannien und USA. Betriebsanleitungen: Hall, Ausgewählte Werke (1989); hooks, Black Looks ( )

Deutsche Fanzeitschriften: SPEX, 17°C.

Als die klassischen Straßen zur Befreiung allmählich seltener wurden, begannen britische Konstrukteure mit der Entwicklung eines Autos speziell dafür, über den Acker fahren zu können: dort, wo scheinbar gar keine Politik ist, sondern Kultur und Alltag. In den USA und unter dem Einfluß schwarzer Feministinnen wurde das Modell beweglicher; die deutsche Variante verbraucht 20 Liter Abstrakt auf 100 km. KennerInnen erkennen die P. schon von weitem am typischen Hoppeln und Hakenschlagen. - Die politische Auseinandersetzung von Individuen, Gruppen und Bewegungen drückt sich vor allem auch in (pop-)kulturellen Äußerungen, in der kulturellen Praxis, im Lifestyle usw. aus. Das Klagen, daß politisch nichts läuft, beweist daher vor allem die Blindheit des (orthodox-linken) Betrachters. Die Perspektive liegt darin, den politischen Charakter des Kulturellen zu erschließen und an den emanzipatorischen (Massen-)Trends anzuknüpfen, die darin sichtbar werden.

Sozialismuskoeffizient 25 %

Unmittelbarkeitskoeffizient 75 %

Organisationskoeffizient 25 %

Vgl. alaska 213/214 (Hüttner, Diefenbach)

Antinationalismus / Antideutsche

Baujahr ca. 1990. Deutscher Eigenbau. Betriebsanleitung: Jürgen Elsässer, Wenn das der Führer hätte erleben dürfen (1995).

Als nach 1989 auf alle Autos hierzulande das "D" kam, hißte der Antinationalismus die Piratenfahne, um genüßlich durch alle nationalen Fettnäpfe zu steuern. - Deutschland hat eine spezifische Geschichte, mit einer maximalen Integration aller Bewegungen und Individuen in den nationalen "Volkskörper", und deshalb kann in diesem Land nur noch links sein, was zuallererst antideutsch ist, d.h. sich gegen den nationalen Konsens stellt und historisch wie aktuell die Partei der "Feinde" der Nation ergreift. (Die extremistischste aller Aktionen dieses Ansatzes, die geplante Flugblattverteilung einer westdeutschen Antifa-Gruppe in Dresden unter dem Motto "Bomber Harris, do it again", wurde dann aber doch nicht durchgeführt.)

Sozialismuskoeffizient 100 %

Unmittelbarkeitskoeffizient 0 %

Organisationskoeffizient 100 %

Vgl. alaska 216 (Thörner)