Eingesperrt, hoffentlich für immer!

Die Sicherungsverwahrung

Mushoff.jpg
Strafe - Maßregel - Sicherungsverwahrung. Eine kritische Untersuchung über das Verhältnis von Schuld und Prävention
by
Tobias Mushoff
Publisher:
Peter Lang Verlag
Published 2008 in
Frankfurt a.M.
690
pages
Price:
105 €

In seiner Dissertation „Strafe - Maßregel - Sicherungsverwahrung" beschäftigt sich Tobias Mushoff mit der umstrittensten Maßregel, der Sicherungsverwahrung (SV). Insbesondere verfassungs- und menschenrechtliche Bedenken stellen die Daseinsberechtigung der SV in Frage.

„Wegschließen! Und zwar für immer!" Dieser populistische Ausspruch von Ex-Kanzler Schröder ist ein gutes Beispiel für das kriminalpolitische Klima der Bundesrepublik. Besonders wenn die Presse mal wieder einen Sexualmord ausschlachtet, werden Forderungen nach mehr Härte und Konsequenz laut. Was dies rechtlich wie kriminalpolitisch bedeutet, ist in dieser 2007 erschienenen Dissertation zur SV nachzulesen. Nach einem historischen Aufriss geht Mushoff vor allem auf dogmatische Fragen ein, insbesondere auf das Verhältnis zur Strafe. Dabei stellt er den Diskussionsstand zum Recht der SV zusammenfassend vor. Die Arbeit schließt mit rechtspolitischen Vorschlägen, die die SV überflüssig machen könnten.

Nationalsozialistischer Charakter

Im historisch angelegten ersten Kapitel erfährt man, dass die SV durch das „Gewohnheitsverbrechergesetz" vom 24. November 1933 eingeführt wurde (Seiten 18, 25). Trotzdem wurden die Maßregeln der Besserung und Sicherung 1949 unverändert im Strafgesetzbuch (StGB) belassen: Man war der Meinung, die SV setze lediglich das zielbewusste Vorgehen gegen „Hangtäter" aus der Weimarer Zeit fort. Diese Behauptung wurde durch die vorherrschende Diskontinuitätsthese gestützt, wonach das Strafrecht von Kontinuitäten durchzogen sei, die lange vor 1933 einsetzten und nach 1945 fortwirkten, während das „Dritte Reich" einen Bruch dargestellt habe (46). Tatsächlich ist die SV keine Erfindung der Nazis, sondern geht auf das „Marburger Programm" von Franz von Liszt zurück. Liszt ging von der „Unverbesserlichkeit des Gewohnheitsverbrechers" aus, weshalb eine Entlassung der Verwahrten grundsätzlich nicht in Frage kam. Die „Sicherheitshaft" war auf physische Vernichtung angelegt, die Verwahrung sollte daher auch nicht durch das Verhältnismäßigkeitsprinzip beschränkt werden (46). Übereinstimmungen mit dem nationalsozialistischen Gedankengut sind hier nicht zu übersehen. Die DDR schaffte die SV eben aus diesen Gründen ab (28). In der Tat wurde die SV im Nationalsozialismus extensiv angewandt (15.000-16.000 Menschen waren davon betroffen). 1934, ein Jahr nach Einführung, wurden 3.723 Menschen zu SV verurteilt (22).

Täterstrafrecht

Später wurden es nur deswegen weniger, weil sich von den so genannten „Berufsverbrechern" aufgrund der von der Polizei vollstreckbaren Vorbeugehaft immer weniger in Freiheit befanden. Das Reichsjustizministerium sah daraufhin die Justiz gefährdet und reagierte am 3. Mai 1938 mit einem Aufruf an die Justizbehörden, von der SV rücksichtslosen Gebrauch zu machen (23): Im Zweifel sollte nicht zugunsten der Untergebrachten, sondern zugunsten der gefährdeten Allgemeinheit entschieden werden (Roland Freisler). Das Strafrecht habe nicht nur die Aufgabe Rechtsbrüche zu ahnden, sondern auch die „Reinigung des Volkskörpers", so ein „Richterbrief" des Reichsjustizministers Thierack. (24). Darauf vereinbarten Thierack und Himmler die „Auslieferung asozialer Elemente aus dem Strafvollzug an den Reichsführer der SS zur Vernichtung durch Arbeit". Zu dieser Gruppe gehörten auch Sicherungsverwahrte: Zwei Drittel landeten im Lager Mauthausen, bis Februar 1944 starben insgesamt 6.736 „SV Häftlinge" (25).

Die nachträgliche SV ist nach 1945 abgeschafft, 2004 jedoch wieder eingeführt worden. Die heutigen Regelungen der nachträglichen SV sind in der deutschen Strafrechtsgeschichte singulär: Die aktuelle Rechtslage geht über die Fassung des Gewohnheitsverbrechergesetzes, in dem die nachträgliche SV „nur" als Übergangsregelung vorgesehen war, sogar hinaus (52).

Widersprüchliche Sanktion

Strafe ist Tatvergeltung und Schuldausgleich, sie erfolgt vergangenheitsorientiert und repressiv. Maßregeln haben dagegen eine zukunftsorientierte Zielrichtung, nämlich die der Gefahrenabwehr, wobei oft kein schuldhaftes Handeln des Täters vorausgesetzt wird. Die SV dient der spezialpräventiven Einwirkung auf den Täter, allerdings nicht als Selbstzweck, sondern zur Verhinderung künftiger Straftaten (204 f.).

Es besteht also auch ein sozialethischer Unterschied zwischen Maßregeln und Strafen: Die Anordnung von Maßregeln beinhaltet danach keinen (Schuld-)Vorwurf (283). Allein die künftige Gefährlichkeit des Täters ist maßgeblich für die Entscheidung, ob eine Maßregel anzuordnen ist. Wie polizeirechtliche Gefahrenabwehrmaßnahmen verzichten Maßregeln angeblich auf einen sozialethischen Vorwurf.

Da jedoch das Strafrecht zunehmend präventive Züge bekommt, wird die Trennung von Strafe und Maßregel kontinuierlich relativiert. Die SV wird gegenüber vollverantwortlichen, grundsätzlich rechtsvernünftigen Personen angeordnet, sie ist strafakzessorisch und somit eine widersprüchliche Sanktion (283): Einerseits wird dem Täter durch das Urteil innere Freiheit bescheinigt, andererseits wird ihm aufgrund einer angenommenen Determination zum Verbrechen im selben Strafurteil fehlende Rechtsvernünftigkeit und damit Verwahrungsbedürftigkeit zugeschrieben, nach dem Motto: „Dem ist nicht mehr zu helfen" (285). Die missbilligende Natur der SV geht also noch über die einer Strafe hinaus. Von einem Verzicht auf einen sozialethischen Vorwurf zu sprechen, scheint hier nur sarkastisch (286).

Rechtsstaatliche Bedenken

Der Schwerpunkt des Buches liegt in der Kritik der SV. Mushoff erörtert in diesem Kapitel zu jeder Ausprägung der SV verfassungsrechtliche und rechtspolitische Bedenken.

Die Vereinbarkeit mit dem Schuldprinzip ist ein verfassungsrechtlich zentraler Punkt. Das Schuldprinzip ist nach dem Bundesverfassungsgericht (BVerfG)[1] in Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 1 Grundgesetz (GG) und im Rechtsstaatsprinzip verankert. Nur die Einzelschuld vermag eine Strafe zu rechtfertigen. Eine Strafe habe ausschließlich auf die Tat einer Person zu erfolgen und sei durch die Schuld begrenzt. Durch das nun zweispurige Strafrecht wird jedoch die erste durch die zweite Spur der Maßregeln unterlaufen - die über geringere rechtsstaatlich Sicherungen verfügt (306). Durch die langen, aufeinander verweisenden Vorschriften voller unbestimmter Rechtsbegriffe ist außerdem das Bestimmtheitsgebot berührt. Diese Vorschriften verschaffen RichterInnen erhebliche Spielräume, die auch den Gleichheitssatz verletzen können (369).

Weiterhin macht Mushoff deutlich, dass die nachträgliche SV gemäß § 66b StGB gegen die Bestimmungen der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) verstößt: Die SV lässt sich nicht unter die Eingriffstatbestände des Art. 5 EMRK, der die Rechtmäßigkeit der Freiheitsentziehung regelt, subsumieren. Auch könne der Katalog nicht extensiv interpretiert oder § 66b StGB konventionskonform ausgelegt werden. Aus diesem Grund fehle der nachträglichen SV eine Ermächtigungsgrundlage (449 ff.).

Menschenunwürdig

Bedenklich ist nach Mushoff auch die Vereinbarkeit der SV mit der Menschenwürde (318). Immerhin werden Menschen eingesperrt, um dadurch andere angeblich zu schützen. Eine Degradierung des/r Eingesperrten „zum Objekt" liegt also eigentlich nahe - worüber das BVerfG aber ziemlich schnell hinweggeht: Aus der Gemeinschaftsgebundenheit und -bezogenheit des Individuums folge dass die Unterbringung einer Person zum Schutz der Allgemeinheit grundsätzlich nicht gegen die Menschenwürde verstoße.[2] Allerdings müsse die eingesperrte Person zumindest die Chance haben, wieder in Freiheit zu gelangen, sonst läge ein Verstoß gegen Art. 1 Abs. 1 GG vor. Daher sei der Vollzug der SV auf Resozialisierung zu richten. Anders als das BVerfG sieht Mushoff dies wegen der Strukturen im Vollzug, der Überbelegung und des Mangels an personellen und finanziellen Ressourcen nicht gewahrt. Die Einhaltung des Abstandsgebots - die Trennung des Vollzugs von SV und Freiheitsstrafe - sieht auch das BVerfG nicht gewahrt. In der Realität der Gefängnisse bewirkt das Abstandsgebot lediglich eine Freiheitsstrafe mit wenigen Privilegien.

Alternativen

Gerade weil viele KritikerInnen der SV das Vorhandesein weniger Alternativen bemängeln, setzt sich das vorletzte Kapitel ausführlich mit Alternativen zur SV auseinander. Da wäre zunächst die Sicherungsstrafe, eine Freiheitsstrafe, deren Länge über die Schuld hinausgeht, aber eine Aussicht auf Freiheit garantiert. Jedoch sieht Mushoff diese zu Recht im Widerspruch zum Schuldprinzip (484).

Eine weitere Alternative sind die aus rein negativen Spezialpräventionsansätzen entsprungenen „Longstay"-Einrichtungen. Dafür spricht, dass Sicherungsverwahrte nicht im Gefängnis leben müssten und ein natürlicheres Umfeld hätten. Dagegen spricht, und dieses Argument überwiegt, dass solche Einrichtungen den bitteren Beigeschmack eines Verwahrvollzugs haben, der die Insassen als hoffnungslose Fälle aufgibt - ganz zu schweigen von Hospitalisierungs- und Deprivationseffekten (484 ff.). Weiterhin wird die Unterbringung in psychiatrischen Krankenhäusern angesprochen, welche jedoch nicht auf diese „Klientel" zugeschnitten sind (491 ff.).

Der elektronisch überwachte Hausarrest („elektronische Fußfessel") vermeidet das Gefängnis mit seinen Folgeschäden, setzt aber auf Überwachungstechnik und nicht auf Arbeit mit den Betroffenen. Außerdem können Fußfesseln sich stigmatisierend auswirken (494 ff.).

Die einzigen ernstzunehmenden Alternativen scheinen ein therapeutisches und sozialarbeiterisches Gesamtkonzept zu sein (499), wodurch die Rückfallgefahr deutlich reduziert werden könnte. Eine intensive Arbeit mit den Betroffenen erweitert außerdem die therapeutischen Möglichkeiten im Gegensatz zur reinen Verwahrung. In sozialtherapeutischen Anstalten kann mit den Betroffenen unter ganz anderen Vorzeichen als im Strafvollzug gearbeitet werden. Nur so kann ein menschenwürdiger Umgang gewährleistet werden, der zudem die besten Aussichtschancen auf ein Leben ohne Straftaten hat. Daneben darf auf ambulante Sozialtherapie, Nachbetreuung sowie einen Ausbau der sozialen Hilfe nicht verzichtet werden.[3]

Mushoffs Buch ist ein sehr gut recherchiertes und überaus umfangreiches Werk, das die SV in all ihren Facetten analysiert und vor allem kritisiert. Ein Buch, das für eine theoretische Untermauerung einer menschlichen Kriminalpolitik unerlässlich ist.

Sophie Rotino studiert in Freiburg.

Tobias Mushoff, Strafe - Maßregel - Sicherungsverwahrung. Eine kritische Untersuchung über das Verhältnis von Schuld und Prävention, Peter Lang Verlag, 2008, 690 S., 105 €.

[1] BVerfGE 86, 288 (313).

[2] BVerfGE 109, 133(151 f.).

[3] Tobias Mushoff, Sozialtherapie am Ende? Gegenreform im Strafvollzug, in: Forum Recht 2005, 132-135.