Das Italien der Verbote

Ein Land bekämpft sein angebliches Sicherheitsproblem

In Italien treibt die im Sommer von der Berlusconi-Regierung initiierte Aktion „Sichere Straßen" ihre Auswüchse. Sie führt zu einer willkürlichen und maßlosen Verbotspolitik, die darauf gerichtet ist, bestimmte Personengruppen auszuschließen.

Worüber in Deutschland noch diskutiert wird ist in Italien seit dem 1. August 2008 Realität geworden. In Italiens Großstädten patrouillieren nun 3.000 SoldatInnen, um für mehr Sicherheit und Ordnung zu sorgen. Es hat bereits in den ersten Wochen 2.800 Einsätze gegeben, davon 45 erkennungsdienstliche Maßnahmen, 28 Festnahmen und neun Mal wurden Rauschmittel beschlagnahmt.[1] So das Bild in den Großstädten. Aber die Provinzen stehen dem in nichts nach: Das angebliche Sicherheitsproblem verlangte nach Auffassung des Innenministers Roberto Maroni (Lega Nord) auch eine Neuregelung der Kompetenzen für die BürgermeisterInnen:

Wo sie bislang nur die Möglichkeit hatten Rechtsakte zu erlassen, die ein schon bestehendes Gesetz zur öffentlichen Ordnung und Sicherheit ergänzten, wurden ihnen mit Gesetz vom 5. August 2008, das Art. 34 der Ordnung der lokalen Körperschaften verändert hat, jetzt sogenannte Sonderbefugnisse zugesprochen. Diese erlauben den BürgermeisterInnen alle Verordnungen zu erlassen, um die Maßnahmen zu legitimieren die angeblich notwendig sind, um die öffentliche Sicherheit und Ordnung zu garantieren und „städtische Verwahrlosung" zu verhindern, die angeblich „kriminelle Phänomene" hervorbringe. Einzige formelle Voraussetzung ist die vorherige Inkenntnissetzung des Präfekten (Vertretung der Zentralregierung in den Provinzen). Innenminister Maroni forderte die BürgermeisterInnen auf mit Kreativität und Phantasie an den Erlass der Verbote heranzugehen, um dem „Problem Sicherheit" gerecht zu werden. Bürgermeister wie Sergio Gaetano Cofferati (Bologna, Demokratische Partei [PD]), Leonardo Domenici (Florenz, PD), Flavio Tosi (Verona, Lega Nord), Gianni Alemanno (Rom, Nationale Allianz-Volk der Freiheit [AN-PDL]) haben nur darauf gewartet, um endlich mithilfe einer Anti-Alles-Politik den Kampf gegen diejenigen aufzunehmen, die für die Unsicherheit auf der Straße und die gesellschaftliche Verwahrlosung verantwortlich gemacht werden: Prostituierte, ImmigrantInnen, Sans Papiers, Obdachlose und andere gesellschaftliche Randgruppen.

Hygieneprüfung vor Heirat

Die Kreativität und Phantasie lassen in der Tat nichts zu wünschen übrig: Die Möglichkeit sich frei zu jeder Zeit im öffentlichen Raum aufhalten zu können besteht nicht mehr für alle. So sind die lavavetri (ImmigrantInnen, die sich durch das Wischen von Autoscheiben an Ampelkreuzungen ihr Existenzminimum verdienen) und die TaschenverkäuferInnen auf der Straße kriminalisiert worden. In Voghera (Pavia) ist das Platznehmen auf Bänken in öffentlichen Parks nach 23.00 Uhr nicht mehr gestattet, in Verona darf man sich auf Spielplätzen keine Zigaretten anzünden, Burka tragen ist den Frauen in Azzano Decimo (Pordenone) verboten. In Viareggio (Lucca) dagegen ist mit einem Bußgeld zu rechnen, wenn Füße auf Bänke gelegt werden; Getränke in Glasflaschen sind in Ravenna (Ravenna), Rom, L'Aquila (L'Aquila), Imperia (Imperia), Genua, Acireale (Catania) und Carbonia (Carbonia-Iglesias) verboten; in Genua herrscht in der ganzen Innenstadt Alkoholverbot. Genauso wenig sollten sich in den Parks von Novara (Novara) nach 23:30 Uhr mehr als zwei Personen zusammen aufhalten. In Rom wird das Wühlen in Müllcontainern nicht gern gesehen. Ebenso ist es dort und in Venedig, Genua und Florenz nicht erlaubt, Waren in großen Taschen zu transportieren. Damit soll den migrantischen StraßenhändlerInnen ihre Tätigkeit erschwert werden.

Zusätzlich finden durch die Verordnungen massive Einschnitte in die Privatsphäre durch soziale und ökonomische Kontrolle statt: In Cernobbio (Como) müssen Paare, die vorhaben zu heiraten, zuvor eine Hygiene-Prüfung ihrer Wohnung über sich ergehen lassen. In Bologna sind Intimpiercings verboten. In Eboli (Salerno) riskiert ein Bußgeld von 500 €, wer sich im Auto liebevoll umarmt. In Cittadella (Padova) kann sich nur als EinwohnerIn melden, wer ein Jahreseinkommen von mindestens 5.000 € nachweisen kann.

Auf den Stränden und an beliebten Ferienzielen treibt die Sicherheitsphantasie noch buntere Blüten: Auf Elba darf nicht ins Meer gesprungen werden, in Positano und Capri (Salerno) darf nicht mit Holzschuhen rumgelaufen werden, um nicht die Touristen zu belästigen, in Eraclea (Venezia) ist es verboten Sandburgen zu bauen. Auf den berühmten Treppchen zur Piazza in Capri ist es nun verboten sich auch nur kurz hinzusetzen. Angebote wie Massage und der Verkauf von Ware in Form von Schmuck, Kleidern und Taschen, die ausschließlich von ImmigrantInnen gemacht werden, sind am Strand und auf der Straße verboten. Auch gilt das Rumlaufen ohne T-Shirt oder nur in Bikini in den Straßen von Amalfi, Ravello (Salerno), Alassio (Savona), Riccione (Rimini), Taormina (Messina) und Venedig als so anstößig, dass es mit einem Bußgeld belegt worden ist.

Machtmissbrauch

Bei Betrachtung der Zielgruppen, die durch die Verbote besonders betroffen sind, werden die xenophoben und rassistischen Motivationen deutlich. Ein Beispiel für die entstandene Atmosphäre ist folgendes Geschehen: Zwei peruanische Studentinnen werden in Rom von Polizisten „mit Prostituierten verwechselt"[2] und mitten in der Innenstadt öffentlich bloßgestellt. Als sie Anzeige erstatten wollen, landet eine von ihnen für eine Nacht in einer kleinen, dunklen und übel riechenden Zelle im Amt für Immigration.

Die kommunistische Tageszeitung „Il Manifesto" spricht von Machtmissbrauch[3], die katholisch-konservative Wochenzeitung „Famiglia Cristiana" befürchtet, dass in Italien der Faschismus in anderer Form wieder geboren wird, da die ItalienerInnen beispielsweise unglaublich hart gegen RumänInnen und so genannte ZigeunerInnen vorgingen.[4]

Mitte-Rechts- wie auch Mitte-Links-PolitikerInnen definieren ihre politische Legitimationsberechtigung mit Hilfe dieser vermeintlichen Sicherheitspolitik, indem sie hier eine Art Präsenz zeigen, von der sie glauben, dass so das Sicherheitsbedürfnis der BürgerInnen befriedigt werden kann. Die gegenwärtigen global stattfindenden gesellschaftlichen Veränderungsprozesse verunsichern die BürgerInnen auch in Italien stark: Das Leben in der „Risikogesellschaft"[5] bedeutet Endtraditionalisierung, Auflösung und Veränderung der bekannten Familienstrukturen, Flexibilisierung und Mobilisierung. Folgen sind die Verknappung von Arbeit, das stärker werdende Auseinandergehen der Schere zwischen Arm und Reich, steigende Armut, die Angst vor dem sozialen Abstieg (Arbeitslosigkeit trifft seit langem nicht mehr nur das Prekariat), durchgängig durch alle Milieus. Zusätzlich charakterisieren unsicherere berufliche Perspektiven für junge Menschen und ein schlechtes und veraltetes Bildungssystem eine gesellschaftliche Situation, in der diese Risiken als Bedrohungen wahrgenommen werden, für die es gilt „Schuldige" durch demagogische und rechtspopulistische Kampagnen in Wahlkämpfen auszumachen. Wirksam wird damit von nicht ausreichend erfüllten Aufgaben der Politik und Wirtschaft abgelenkt, die sich in parteipolitischen Kämpfen und Interessenkonflikten verstricken, wovon auch die Linke nicht verschont bleibt. So wird staatliche Macht durch gesetzgebende Maßnahmen zu einem (ordnungs-) politischen, irrational überregulierenden Reglementierungsinstrument für das als „gefährlich" zugeschriebene Verhalten bestimmter Menschen. Gleichzeitig reproduzieren diese Verbote Angst, Unsicherheit und Misstrauen. Sie führen zu einem gesellschaftlichen Klima der Entsolidarisierung mit allen, die anders, arm und schwächer sind. Vorurteile finden Bestätigung, die Angst vor dem Fremden wird geschürt und bestehende xenophobe und rassistische Haltungen verfestigt.

Europaweite Entwicklung

Allerdings ist diese hier kurz skizzierte Entwicklung nicht nur auf Italien beschränkt, obwohl sie dort ein extremes Ausmaß angenommen hat. Ähnliches ist europaweit in jeweils länderspezifischer Ausprägung zu beobachten. So ist der Zulauf zu rechten Parteien wie auch das Sicherheitsbedürfnis der BürgerInnen und PolitikerInnen europaweit gestiegen.

In Deutschland finden Alkohol- und Bettelverbote bei der Bevölkerung großen Zuspruch. Auch hier wird auf ein diffuses, in der Bevölkerung bestehendes Unsicherheitsgefühl, das mit der statistisch nachweisbaren Bedrohung durch Kriminalität nicht übereinstimmt, mit populistischen Forderungen und Projekten von einigen PolitikerInnen reagiert. Beispiele sind der allgegenwärtige Ruf nach Verschärfung des Jugendstrafrechtes oder der schon im Jahr 2000 von Bayerns Innenminister Günther Beckstein (CSU) ausgerufene Wettbewerb „Saubere Stadt". In diesem Fall wird das kommunalpolitische Projekt „Saubere Stadt" zum Deckmantel, um ordnungspolitische Kontrolle und Reglementierung durchzusetzen. Dieser Politik der „Sauberen Stadt" liegt die „Broken Windows Theory" zugrunde,[6] nach der ein zerbrochenes Fenster in einem leerstehenden Haus die Vorstufe für weitere Zerstörung, den Niedergang von Stadtvierteln und die Entstehung schwerer Kriminalität ist. Deshalb müssten ein zerbrochenes Fenster, einE BettlerIn auf der Straße oder ein verwahrloster Park mit der „Strategie Null Toleranz" bekämpft werden. Bezeichnet werden so ein konsequentes Durchgreifen und eine entsprechende Rechtsauslegung, um der angeblichen Verwahrlosung und Kriminalität entgegen zu wirken. Dabei werden auch massive Einschränkungen der Rechte auf individuelle Freiheit und Gleichheit bedenkenlos in Kauf genommen, „während Sicherheit als ein knappes Gut der Alltagswelt mit unmittelbarer Auswirkung für jede und jeden verstanden wird"[7] und daher Priorität hat. Nur eine gesellschaftskritische Analyse dieser Ordnungspolitik kann den Blick dafür schärfen, wie sie BürgerInnen- und Menschenrechte einschränkt und damit eine demokratischere und solidarischere Gesellschaft verhindert.

Sophie Rotino studiert in Freiburg.



[1] La Repubblica v. 15.08.2008, 12.

[2] La Repubblica v. 14.08.2008, 1.

[3] "Abuso di potere", Il Manifesto v. 14.08.2008, 1.

[4] So Famiglia Cristiana v. 13.08.2008.

[5] Beck, Ulrich, Risikogesellschaft. Auf dem Weg in eine andere Moderne, 1986.

[6] Siehe auch: Steinke, Ron, Betteln verboten, Forum Recht 2006, 128-130.

[7] Kunz, Karl-Ludwig, Kriminologie, 4. Aufl. 2004, 362.