Michael Steffen: Geschichten vom Trüffelschwein.

Politik und Organisation des Kommunistischen Bundes 1971 bis 1991

Assoziation A, Berlin-Hamburg-Göttingen 2002, 409 S. (24 EUR)

Der Autor dieser (bearbeiteten) Dissertation über die Geschichte des Kommunistischen Bundes (KB) betont, daß er selbst nie dem KB angehört habe, sondern aus "autonomen" linken Zusammenhängen komme. Dieser Hinweis ist wichtig, nicht nur vor dem Hintergrund einer durchaus zu spürenden Sympathie Steffens für seinen Forschungsgegenstand, sondern auch in bezug auf umstrittene Insidertexte (Gert Koenen: Das rote Jahrzehnt) und Äußerungen ehemaliger Angehöriger radikaler linker Strömungen der späten 60er und 70er Jahre; erinnert sei hier nur an die Fischerund Trittin-Debatten.

Der KB war, wie alle "maoistischen" Organisationen, sofern Parlamentswahlen (an denen er sich im Unterschied zu KBW, KPD, KPD/ML und anderen Konkurrenzorganisationen klugerweise nie separat beteiligte), Exekutivfunktionen, Funktionärsrepräsentanz in Großorganisationen wie Gewerkschaften oder Wahrnehmung durch Massenmedien die Kriterien sind, eine marginale Größe. Auch die Mitgliedszahlen (maximal 2 500) scheinen für ein Sektendasein zu sprechen. Zu bedenken ist aber, daß die PDS in den alten Bundesländern immer noch weniger als 5 000 Mitglieder hat. Wie alle "K-Gruppen" verstand sich der KB als leninistische Kaderpartei, die hohe Ansprüche an das zeitliche und finanzielle Engagement der Mitglieder stellte. So sammelte auch der KB beträchtliche Mittel, freilich in geringerem Maße als der "reiche" KBW (Kommunistischer Bund Westdeutschlands). Erstaunlich unproblematisch verlief die Aufteilung von Geldern bei der Abspaltung der "Zentrumsfraktion" (Gruppe Z) 1979 (S. 288), aus der mit Thomas Ebermann, Jürgen Reents und Rainer Trampert führende Grünen-Politiker der achtziger Jahre hervorgingen. Gemessen an den Fehden und Feindschaften anderer linker Organisationen bei Spaltungen war dies keine gering zu schätzende Leistung und ein Indiz, das auf eine Sonderstellung des KB im Vergleich zu anderen K-Gruppen hindeutet, wenngleich es an bitteren Zerwürfnissen nicht fehlte. Ein weiteres Indiz stellt die fortdauernde Existenz des "AK" (ehedem "Arbeiterkampf ", nunmehr "Analyse und Kritik") dar, eines Blattes, das stärker als die Zeitungen und Zeitschriften der anderen "K-Gruppen" oder der DKP eine zumindest punktuelle Offenheit und Bedeutung über das unmittelbare Umfeld der Organisation auf Gegenöffentlichkeit und linke Debatten besaß und besitzt.

Der von Georg Fülberth entlehnte Titel des Buches (S. 9) verweist auf die Fähigkeit des KB, "wie ein Trüffelschwein" nach neuen sozialen Impulsen und Bewegungen zu suchen. So spielte der KB phasenweise in der Anti- AKW-Bewegung (Brokdorf, Kalkar, Grohnde) eine wichtige Rolle und auch in der Formierung des bunt-alternativen Teils der grünen Wahlbewegung, so in der "Bunten Liste" 1978 und später der Grün-Alternativen Liste/ GAL in Hamburg und einigen anderen grünen Landesverbänden. Auch in der gewerkschaftlichen Arbeit war der KB zumindest in Hamburg stark verankert, stellte er doch zeitweise rund 100 Betriebsräte/innen (S. 141), obwohl sich seine Aktiven eines erheblichen Widerstandes vieler Gewerkschaftsfunktionäre ausgesetzt sahen und der KB davon Abstand nahm, hauptamtliche und höhere Funktionen anzustreben. Der langjährige freigestellte Betriebsrat bei Texaco (heute DEA) und spätere Grünen-Sprecher Rainer Trampert ist das vielleicht prominenteste Beispiel. Die Internationalismus- Arbeit (u. a. Vietnam, Chile, Portugal, südliches Afrika) kann als weiteres Argument gegen eine Unterschätzung des KB angeführt werden. Schließlich sind es viele Personen, die später in anderen politischen Zusammenhängen eine Rolle spielten, die für die Bedeutung des KB sprechen. Neben den erwähnten Personen sei hier nur auf Heiner Eckhoff, Kai Ehlers, Jürgen Elsässer, Claudia Gohde, Ulla Jelpke, Andrea Lederer, Knut Mellenthin oder Heiner Möller verwiesen. Angaben zu diesen und weiteren einstigen KB-Aktiven finden sich im Anhang (S. 347 ff. ).

Zur Überschätzung der Substanz des KB besteht allerdings auch kein Anlaß. Mag der KB auch skeptischer als andere ML-Gruppen gewesen sein, unrealistische Erwartungen einer revolutionären Entwicklung wie einer drohenden "Faschisierung" prägten auch seine Arbeit. Bei aller Bündnisfähigkeit war innerorganisatorische Demokratie sicherlich kein Markenzeichen des KB. In seiner Kritik erst an der außenpolitischen Wende Chinas Anfang der 70er Jahre und dann der innenpolitischen Umorientierung nach Maos Tod 1976 stellt Steffen den KB als weit flexibler dar als die anderen ML-Gruppen (S. 269f.). Die unkritische Bezugnahme auf den Maoismus und die damit einhergehende Verharmlosung, ja Rechtfertigung des Stalinismus prägte jedoch auch den KB.

Der KB war in Hamburg am stärksten und auf Hamburg als Zentrum ausgerichtet. Hier hatte er zeitweilig bis zu 1 500 Mitglieder - die PDS kommt heute auf rund 300, und die Grünen, die hier mit bis zu 14 % der Stimmen ihre bundesweit besten Landtagswahlergebnisse erreichten, haben heute auch nicht mehr Mitglieder als der KB Mitte der 70er Jahre. Da Mitgliedschaft in einer "K"-Gruppe sehr aktiv verstanden wurde, ist die Zahl umso bedeutender. KB-Strukturen gab es auch in anderen Orten, aber nirgendwo war die Dominanz des KB gegenüber anderen ML-Gruppen, Spontis und vielleicht sogar der DKP so ausgeprägt wie in Hamburg. In West-Berlin etwa dominierte die KPD, deren Aktivisten/innen maßgeblich am Aufbau der Alternativen Liste mitwirkten. Und in Süddeutschland spielte der KB selbst im schmalen Segment der radikalen Linken eine untergeordnete Rolle.

Trotz mancher Schwächen des Buches, so etwa der unzureichenden Einbettung in die Gesamtgeschichte und einer nur bedingt gelungenen Vermittlung von Atmosphäre und Stimmungen der 70er und 80er Jahre sowie des Fehlens einer einordnenden Zusammenfassung ist dem Autor eine wirklich wertvolle und auch für manche heutigen Konfliktlinien in der deutschen Linken aufschlußreiche Darstellung gelungen. Dies keineswegs nur wegen der Schilderung der Spaltung 1989/91 in "Mehrheit" (die sich teilweise auf die PDS hin orientierte) und "Minderheit" (Gruppe K, radikal antinationale Strömung), die für das Verständnis der "antinationalen" Linken und damit von manchen innerlinken Bruchlinien von großer Bedeutung ist, die bis zur heutigen Irak-Krise nachwirken.

FLORIAN WEIS

in: UTOPIE kreativ, H. 152 (Juni 2003)

aus dem Inhalt:

Essay JÖRN SCHÜTRUMPF Die Juni-Insurrektion 1953. Schwierigkeiten mit der Klasse. Thesen 485 Stalins Tod und die Folgen KARL-HEINZ GRÄFE 1953: die Krise des Imperiums und der "Neue Kurs" in Osteuropa 493 Globalisierung, Hegemonie & Krieg HANS JÜRGEN KRYSMANSKI Wer führt die neuen Kriege? Globale Macht- und Geldeliten machen mobil 506 PEER HEINELT Nur deutsche Kriege sind gute Kriege. Bundesrepublikanische Medien auf Friedenskurs? 520 Programmdiskussion HELGE MEVES Das Selbstverständnis der PDS, der Neoliberalismus und die Mitte-Unten-Optionen 525 SAHRA WAGENKNECHT Welche Aufgaben hat ein Programm einer sozialistischen Partei? 536 Alternative Wirtschaftstheorie ANNELIESE BRAUN Auf der Suche nach einer feministischen Theorie des Wirtschaftens 543 In memoriam ILSEGRET FINK Dorothee Sölle (1929 bis 2003) 555 GERHARD GUNDERMANN "Verantwortung für das eigene Produkt". Beitrag zum Kongreß der Unterhaltungskunst, März 1989 557