Der neue Präsident José „Pepe“ Mujica hat nun die Chance, den Plan von einer solidarischen Gesellschaft umzusetzen
Am 1. März 2010 hat der uruguayische Präsident José „Pepe“ Mujica seine fünfjährige Amtszeit angetreten. Den Aufbau einer solidarischen Gesellschaft, eine Reform des Staates, die Halbierung der Armut im Land sowie die Stärkung des Staatenbündnisses Mercosur hat er sich für seine Regierung vorgenommen. Alles das im Konsens mit den Oppositionsparteien: Mujica will der „gewählte“, das heißt für ihn das Volk vertretende, Präsident aller UruguayerInnen sein.
Der
ehemalige Blumenzüchter und Stadtguerillero ist Präsident. In
Anwesenheit von sieben lateinamerikanischen Staatschefs, darunter Hugo
Chávez, Cristina Fernández de Kirchner, Luiz Inácio Lula da Silva,
Rafael Correa, Evo Morales und Fernando Lugo, sowie der
US-Außenministerin Hillary Clinton legte der 74-jährige José „Pepe“
Mujica vor dem uruguayischen Parlament, in dem in beiden Kammern das
Mitte-Links-Bündnis Frente Amplio die Mehrheit stellt, den Amtseid für
seine fünfjährige Präsidentschaft ab. Im Gegensatz zu Chile, wo die
Mitte-Links-Regierung durch einen rechten Präsidenten abgelöst wurde,
steht Uruguay insofern für linke Kontinuität. Dabei gibt es aber auch
im 3,4 Millionen EinwohnerInnen zählenden Land am Rio de la Plata auf
den ersten Blick verwunderliche Widersprüche. In internationalen
Wirtschaftskreisen wird das Investitionsklima in Uruguay gelobt und der
Luxusreiseanbieter Art of Travel preist Uruguay als Jetset-Destination.
Auf der anderen Seite wird ein ehemaliger Tupamaro-Guerillero und
unkonventioneller, sich selbst als Anarchist bezeichnender Autodidakt
zum Staatspräsidenten gewählt. Jetset und Pepe Mujica sind (und bleiben
es mit Sicherheit auch) ein unauflösbarer Widerspruch, aber Gegensätze
ziehen sich ja bekanntlich auch an. Dafür ist auch Guido Westerwelle
ein Beispiel. Der liberale Bundesaußenminister, der sich im März 2010
für wenige Stunden auf Staatsbesuch in Montevideo aufhielt, zeigte sich
beeindruckt vom ehemaligen Stadtguerillero, der in den 1960er Jahren
Banken ausraubte, und will die bilateralen Beziehungen ausbauen.
Ausländische Investoren haben vom neuen Staatspräsidenten jedenfalls
nichts zu befürchten. Dafür sorgt auch Mujicas Vize Danilo Astori, der
mächtige ehemalige Wirtschafts- und Finanzminister unter der Regierung
Tabaré Vázquez, der die ökonomischen Leitlinien des Landes bestimmt und
durchgesetzt hat, dass die entsprechenden Schlüsselministerien mit
seinen Getreuen besetzt wurden.
Der Präsident selbst will sich dagegen vor allem um die Außen-, die
Innen- und die Sozialpolitik kümmern. Und in allen drei Bereichen hat
er schon in seinen beiden Antrittsreden am 1. März klare Signale
gesetzt. Einmal in seiner Rede vor beiden Kammern des Parlamentes, als
er sichtlich bewegt von seiner Ehefrau Lucía Topolansky, der
amtierenden Parlamentspräsidentin, ins Amt eingeführt wurde und danach
bei der erstmals in der Geschichte des Landes unter freiem Himmel
durchgeführten Übergabe der Präsidentenschärpe vor dem Denkmal für den
Staatsgründer José Gervasio Artigas auf dem Unabhängigkeitsplatz im
Herzen von Montevideo.
In Bezug auf die Außenpolitik ist für ihn die Stärkung des Mercosur,
des gemeinsamen Marktes von Argentinien, Brasilien, Paraguay und
Uruguay (und demnächst auch Venezuela) eine Herzensangelegenheit, für
die er kämpfen will „bis dass der Tod uns scheidet“. Zudem will er im
„Bicentenario“-Jahr, in dem 200 Jahre Unabhängigkeit in Lateinamerika
gefeiert wird, den Traum von der „Patria Grande“, der Einheit
Lateinamerikas wieder beleben.
In der Innenpolitik skizzierte er für seine Amtszeit vier
Schlüsselbereiche: Bildung, Energie und Infrastruktur, Umweltschutz und
Innere Sicherheit. Bei diesen Themen will er auch die Opposition
einbeziehen und schon vor dem 1. März wurden vier parlamentarische
Kommissionen eingerichtet, in denen Mitglieder aller vier im Parlament
vertretenen Parteien und Bündnisse im Konsens Leitlinien erarbeiten
sollten. Etwas, das bis auf den Komplex Innere Sicherheit auch schon im
Vorfeld der Amtsübergabe gelungen ist.
In der Sozialpolitik ist der „Plan Habitacional“, ein Projekt zur
Verbesserung der Wohn- und Lebenssituation für die armen
Bevölkerungsteile das Kernprojekt seiner Politik. Mit der „Operación
Solidaridad“, wie das Vorhaben auch genannt wird, will Mujica ebenso
einen Schwerpunkt setzen, wie es sein Vorgänger Tabaré Vázquez mit dem
„Plan Ceibal“ getan hat, durch den 390.000 SchülerInnen an öffentlichen
Schulen mit einen Laptop versorgt wurden. Ein Projekt, das auch
international große Beachtung fand und in das die erste linke Regierung
in der Geschichte des Landes 130 Millionen US-Dollar investierte. Mit
dem Vorhaben will Mujica sein Versprechen einlösen, die Armut zu
bekämpfen und den Anteil der UruguayerInnen, die unterhalb der
Armutsgrenze leben, binnen fünf Jahren zu halbieren. Dabei will er neue
Wege gehen und die Gesundheitsversorgung, die Bildungschancen und die
Arbeitsbedingungen verbessern – vor allem aber eine neue solidarische
Bewegung initiieren, um die soziale Kluft zu verringern. Alle Sektoren
der Gesellschaft, Nichtregierungsorganisationen, StudentInnen,
Gewerkschaften, Unternehmen, die Staatsbetriebe und das Militär sollen
einbezogen werden. Für Lucía Topolansky, „Primera Dama“ im Staat und
Senatorin für die Bewegung für die Beteiligung des Volkes (MPP), dem
politischen Sektor Mujicas innerhalb des Linksbündnisses Frente Amplio,
geht es dabei um viel mehr als um einen Plan für die Verbesserung der
Wohnungsversorgung: „Es ist eine große Schlacht für die soziale
Integration“. Vor allem an die Solidarität aller UruguayerInnen soll
dabei appelliert werden und alle sollen ihren Beitrag leisten, unter
anderem durch Freiwilligen-Arbeit und Spenden. Mujica selbst ist dabei
schon mit gutem Beispiel vorangegangen. Über 80 Prozent seines
Präsidentengehaltes will er auf das Konto einer Stiftung überweisen,
die solidarische Projekte realisieren soll (mit den restlichen 20
Prozent unterstützt er bedürftige Verwandte). Durchgeführt wird das
Programm vom Sozialministerium, an dessen Spitze mit der Kommunistin
Ana Vignoli eine Sozialarbeiterin steht, die langjährige
Arbeitserfahrungen in den Elendsvierteln gesammelt hat.
Ein weiteres Hauptanliegen Mujicas ist eine Staatsreform. Schon Tabaré
Vázquez bezeichnete eine Reform des uruguayischen Staates als Mutter
aller Reformen, grundlegend angegangen wurde der Umbau des
sprichwörtlich bürokratischen Staatsapparates aber unter dem ehemaligen
Präsidenten nicht. Bei diesem Thema hat Mujica jedoch schon in den
ersten Tagen seiner Amtszeit Gegenwind verspüren müssen. Vor allem die
Gewerkschaften der Staatsangestellten haben Widerstand gegen den
geplanten Personalabbau angekündigt und hier wird die auch von seinen
politischen Gegnern anerkannte Dialogfähigkeit Mujicas („Verhandeln,
verhandeln, verhandeln! Wichtig ist, immer Brücken zu bauen und niemals
Türen zuzuschlagen, sondern sie zu öffnen“, so sein Credo) vor ihre
erste große Bewährungsprobe gestellt werden.
Auf Dialog setzt Mujica, der unter der Militärdiktatur von 1973 bis
1985 als „Geisel des Staates“ fast zwölf Jahre eingekerkert war, auch
beim Umgang mit den Streitkräften. Zusammen mit dem
Verteidigungsminister Luis Rosadilla und dem Innenminister Eduardo
Bonomi, beide als ehemalige Tupamaros ebenfalls viele Jahre unter
unmenschlichen Bedingungen inhaftiert, will er die Militärs (die er für
„unentbehrlich“ hält), besser entlohnen und sie stärker in
gesellschaftliche Aufgaben im Land einbeziehen. Von Personalabbau wie
bei den Staatsangestellten ist bei der Armee keine Rede. Dabei halten
KritikerInnen des Militärs die Personalstärke von 30.000
Armeeangehörigen für ein Land mit 3,4 Millionen EinwohnerInnen für
völlig überdimensioniert. Dieser versöhnliche Umgang mit seinen
ehemaligen Folterern (nicht wenige Armeeangehörige, denen Verbrechen
gegen die Menschlichkeit vorgeworfen werden, begleiten auch 25 Jahre
nach dem Ende der Militärdiktatur noch hohe Posten) sowie seine
Aussage, dass er „keine Alten im Gefängnis“ sehen will, hat ihm
heftigen Widerspruch von Menschenrechtsorganisationen und der
Vereinigung der Angehörigen der Ermordeten und der „Verschwundenen“
eingebracht.
Am 9. Mai 2010 wird in Uruguay wieder gewählt. In den 19 Provinzen des
Landes stehen die Wahlen für die Lokalregierungen an. Erstmals werden
dabei auch BezirksbürgermeisterInnen in den Städten des Landes gewählt.
In Montevideo, das seit 1990 von der Frente Amplio regiert wird, gibt
es dabei zwei Besonderheiten. Erstmals kandidiert für die Linke mit Ana
Olivera eine Frau und ebenfalls erstmals mit der ehemaligen
Vize-Sozialministerin ein Mitglied der Kommunistischen Partei als
Oberbürgermeisterin. In der Hauptstadt des Landes, in der 1,5 Millionen
Menschen leben und in den weiteren bevölkerungsreichsten Provinzen des
Landes kann die Frente Amplio ihren Triumph von 2005, als sie in acht
Provinzen gewinnen und somit über 75 Prozent der Bevölkerung regieren
konnte, wiederholen. Gerade im Hinterland, das von den traditionellen
Parteien immer vernachlässigt wurde, spielt der Mujica-Faktor die
entscheidende Rolle. Die Lebenssituation der Menschen auf dem Land in
Uruguay, das lange auch als „eine Stadt mit Bauernhöfen im Hinterland“
bezeichnet wurde, hat sich in den letzten fünf Jahren ökonomisch
deutlich verbessert. Nicht zuletzt von der „Operación Solidaridad“
ihres Präsidenten „Pepe“, der ihre Sprache spricht und der sich bei der
Arbeit auf seinem Feld erholt, versprechen sich die LandarbeiterInnen
sowie die Kleinbauern und -bäuerinnen eine bessere Zukunft.
Text: // Stefan Thimmel
Ausgabe: Nummer 430 - April 2010