Bäuerliche Kämpfe und das Gemeinsame

in (07.12.2017)

Für das Gemeinwohl, schrieb Adam Smith, müsse jede/r das Beste für sich selbst tun. Der Ökonom John Nash hat mathematisch nachgewiesen, dass Smith sich geirrt hat und dass die Zusammenarbeit viel gewinnbringender als der Wettbewerb ist. John Nash erhielt 1994 den Wirtschaftsnobelpreis für diese Theorie des Gleichgewichts.

Antonio Negri hat erläutert, dass das Gemeinsame in der Gegenwart „immer eine Produktion ist, regulierte oder transformierte oder einfach produzierte Natur. Deshalb ist das Gemeinsame nur eine Ressource im Hinblick darauf, dass es ein Produkt ist, ein Produkt menschlicher Arbeit, im Rahmen des von Machtbeziehungen durchzogenen kapitalistischen Regimes.“ Für Michael Hardt kann sich über die Gemeingüter eine konstituierende soziale Bewegung artikulieren, im Kampf um und für die Verteidigung der Wälder, des Wassers, des Landes, der Bodenbewirtschaftung und gegen die Privatisierung der gemeinschaftlichen Ressourcen. Es sind diese flüchtigen Zeiten, in denen die gemeinschaftlich genutzten und natürlichen Güter der Habsucht und den Ambitionen der kapitalistischen Welt ausgesetzt sind.
Wir nehmen an einem Weltgeschehen teil, in dem wir beraubt werden und uns die Logik des „rette sich wer kann“ leitet. Der Neoliberalismus mit seiner magischen Hand hat alle Dimensionen des menschlichen Lebens privatisiert und hat die natürlichen Güter in verkäufliche Waren verwandelt.
Ein Stützpfeiler in der Reproduktion des kapitalistischen Räderwerks besteht darin, die Mehrheiten glauben zu machen, dass dies die einzig mögliche Art und Weise zu leben ist; durch die Werbung wird uns die Idee verkauft, dass das Glück mit Eigentum, Akkumulation und Konsum einhergeht und dies wird zu Abzeichen und Emblemen der Identität von Personen verwandelt. Auf diese Weise lässt uns der Kapitalismus glauben: wir sind was wir besitzen. Und dies umso mehr dadurch, dass jeder Gegenstand eine potenzielle Konservenware sein kann, die die Regalbretter im Supermarkt füllt und uns KonsumentInnen einen falschen Begriff davon vermittelt, „gut versorgt“ zu sein.


Ungeachtet dieser Kapitalismus genannten Glocke aus Blei, die bestimmt, wer etwas wert ist und wer nicht, der die Regeln dafür festlegt, welchen Ort wir innerhalb der Gesellschaft einnehmen und der heute die gesamte Weltbevölkerung bestimmt, gibt es überall auf der Welt Beispiele für kollektive Kämpfe, die sich um das Gemeinwohl entfachen.

In Alta Verapaz in Guatemala hat die Maya-Bevölkerungsgruppe der Q’eqchí den Kampf für die Verteidigung der natürlichen Ressourcen (der Gemeingüter), den Kampf für die Verteidigung des Lebens, ergriffen. Diese Bevölkerungsgruppe ist der Beschlagnahmung des Cahabon-Flusses durch sieben Wasserkraftwerke ausgesetzt. Vier Regionen und Hunderte von Gemeinden sind von der Umleitung und der Beschlagnahme des Flusses durch transnationale Ölpalmen- und Zuckerrohrunternehmen betroffen. Eine Repräsentantin der betroffenen indigenen Bevölkerungsgruppen formuliert den Standpunkt der Gemeinden so: „Das Wasser ist heilig, es spendet Leben und ist ein kollektives Element.“ Dies aber ist für die kapitalistische Logik unverständlich, die sich alle Ressourcen einverleibt, ohne die Konsequenzen für unsere Nachkommen zu berücksichtigen.
Der „Marsch für das Wasser, für die Mutter Erde, das Land und das Leben“, zu dem die Populäre Soziale Versammlung (Asamblea Social Popular) aufgerufen hat, hat Anfang dieses Jahres „den Raub, die private Aneignung, die Verschmutzung, Privatisierung und Kommerzialisierung des Wassers und anderer gemeinschaftlich genutzter Güter“ angeklagt und „einen Staat und ein strukturell gewaltförmiges, ungleiches und für die Aneignung und Plünderung der natürlichen Ressourcen verantwortliches Entwicklungsmodell“ in Frage gestellt.
Die Bäuerinnen und Bauern brachten es so auf den Punkt: „Wir demonstrieren für die Verteidigung des Wassers, weil wir auf einer lebendigen Erde leben und sie schützen wollen. Wir sind Teil der Mutter Erde. Sie erschafft uns und regeneriert uns, sie nährt und beherbergt uns. Das Wasser ist wie das Blut in den Venen unserer Mutter Erde. Ohne sie sind die Tiere, die Pflanzen und die Menschen zum Tode und zur Auslöschung verurteilt.“ Die GemeindevertreterInnen in dieser Region haben sich um und für die Gemeingüter organisiert, ihr Kampf dreht sich um die Verteidigung des Lebens und sie stehen einer Gesellschaft gegenüber, die in Bezug auf das soziale Gefüge alles fürchtet, was „kommunitär“ sein könnte.
Für diese Bäuerinnen und Bauern ist es ein unbeugsames und unveräußerliches Prinzip, vom Gemeinsamen auszugehen.
Sie wissen, dass die „neue Politik“ nicht weiter mit alten Strukturen weitergeführt werden kann, die angerostet, korrumpiert und dreckig sind. Es ist unumgänglich, das Vertrauen dafür wiederherzustellen, dass der Kampf um das Gemeinwohl auf dem Terrain des Sozialen und des Politischen immer mehr Raum wird einnehmen können.

Das Wiedererlangen der öffentlichen Ressourcen ist deshalb so wichtig, weil genau dieses Öffentliche uns als gemeinschaftliche Wesen in Bezug zum Raum, zu den Gütern und zur Erinnerung konstituiert. Daher hat auch die Privatisierung des Öffentlichen als primäres Ziel, unsere Räume in ummauerte Orte und uns in Bevölkerungen ohne Gedächtnis zu verwandeln.
Hier entwickeln die indigenen Bevölkerungsgruppen historische Prozesse des kommunitären Regierens. Diese Formen des Regierens rühren von ihren historischen Beziehungen zur Natur und zum Land her, das als Körper und Kraft für das Leben wahrgenommen wird. Die Maya begreifen den Menschen als einen Bestandteil eines großen Ökosystems. Hier sind es die kommunitären Kämpfe, die dem Leben vieler Menschen Sinn geben. Diese Aktionen können ihr Echo in vielen Ecken der Welt hervorrufen, um den Kampf und die Verteidigung des Lebens fortzusetzen.

Die aktuellen bäuerlichen Kämpfe, global und in Guatemala, sind unterschiedlich und auf welcher Ebene sie auch immer stattfinden, sie drehen sind um die Rückgewinnung der Gemeinschaft, des Gemeinsamen, der Gemeingüter. Trotz des hegemonialen kapitalistischen Diskurses und trotz des falschen Begriffes von Entwicklung, widerstehen die bäuerlichen Kämpfe Seite an Seite wie ein Batallion der Hoffnung. Angesichts der beschädigten Welt, in der wir leben, gibt es heute keine wichtigere gemeinsame Herausforderung, keine gemeinsame Kraft und keinen gemeinsamen Sinn, als für ein gemeinsames Leben zu kämpfen.



Dieser Text erscheint in Bildpunkt. Zeitschrift der IG Bildende Kunst (Wien), Nr. 44, Herbst 2017, „Gemeinsamkeiten“.

Aus dem Spanischen übersetzt von Jens Kastner.

Marcela Gereda ist Anthropologin und Journalistin und lebt in Antigua, Guatemala.