Labours Aufholjagd und ihre Hintergründe

Großbritannien im Wahlkampf

In wenigen Tagen stimmen die BritInnen über die Sitzverteilung im Parlament des Vereinigten Königreichs ab. Seit dem EU-Referendum im Juni 2016 für den Brexit ist das gesamte politische System von einer offenen Unruhe geprägt. In allen politischen Parteien haben mehr oder minder heftige Auseinandersetzungen stattgefunden.

Die politische Volatilität wird durch die latente Unsicherheit gespeist, ob – und wenn ja wie – nach dem EU-Exit in zwei Jahren die Kontinuität in den Lebensverhältnissen gesichert werden kann. Diese Volatilität hat den gesamten Wahlkampf geprägt.

Nach der Neubildung der konservativen Regierung im Juli letzten Jahres hatte Premierministerin Theresa May immer wieder versichert, sie werde vor Ende der 2020 auslaufenden Legislaturperiode keine vorgezogenen Neuwahlen beantragen, denn die Brexit-Verhandlungen und deren Vorbereitung ließen keine Verzögerung durch einen unnötigen Wahlgang zu – er würde das Land »destabilisieren«. Sie und ihr Kabinett seien mit einem ausreichenden Mandat für die EU-Austrittsverhandlungen ausgestattet.

Auf dem Labour-Parteitag im letzten September hatte Jeremy Corbyn Neuwahlen gefordert, weil May in der Nachfolge Camerons nicht legitimiert sei, Verhandlungen für einen harten Brexit aufzunehmen. Zugleich warnte er davor, Mays Versicherungen, es werde keine vorgezogenen Neuwahlen geben, Glauben zu schenken.

Die Labour Party müsse vielmehr zweigleisig fahren: Einerseits sich auf eine Gesamterneuerungswahl in der kurzen Frist einstellen, andererseits nun den Diskussionsprozess in Richtung einer programmatischen Erneuerung beginnen, ihn in der auf über 500.000 Mitglieder angewachsenen Partei auf eine breite Basis stellen und damit zugleich einen neuen Rahmen schaffen für eine politische Partizipation, der über die Partei hinausgreift.

Diese Neuausrichtung der politischen Methodik hatte Corbyn schon unmittelbar nach seiner Wahl zum Vorsitzenden hervorgehoben: »Ich strebe eine Organisationsstruktur der Partei und der Gewerkschaften an, die es ermöglicht, dass euer Wissen zum Tragen kommt und dass ihr Teil des politischen Entscheidungsprozesses seid. Im Jahr 2020 wird es nicht mehr so sein, dass ich als Parteivorsitzender das Wahlprogramm schreibe. Im Jahr 2020 wird es für jeden im Land vollkommen klar sein, worum es in unserem Wahlprogramm geht: Wohnen, Gesundheit, Arbeitsplätze. Denn alle werden sich daran beteiligt haben. Es ist unabdingbar, dass wir unsere Organisation verbreitern, damit wir eine in der Zivilgesellschaft verankerte Partei werden.«[1]

Der Beginn der Debatte über die Agenda 2020 hatte sich vor allem verzögert, weil über drei Viertel der Labour-Parlamentsfraktion ihrem Vorsitzenden unmittelbar nach dem Brexit-Referendum das Misstrauen ausgesprochen und damit innerhalb eines Jahres erneut die Wahl eines Parteivorsitzenden erzwungen hatten. Obwohl Corbyn mit einem weit besseren Ergebnis als Vorsitzender bestätigt worden war, verschlossen sich die Anhänger der gescheiterten New-Labour-Politik weiterhin einer effektiven parlamentarischen Oppositionsarbeit. Trotzdem konnte Corbyn im Parlament und im öffentlichen Diskurs den Kern der von der Parteimehrheit getragenen Anti-Austeriätspolitik auch mit Detailvorschlägen verdeutlichen – vor allem zur Verbesserung der Situation im desolaten Gesundheits- und Bildungssystem.

Die innerparteiliche Debatte – in den Wahlkreisorganisationen und online im Labour Policy Forum – über die programmatischen Schwerpunkte war gerade Ende Februar gestartet, als Mitte April May auf vorgezogene Neuwahlen drängte. Die Agenda-2020-Debatte wurde dadurch gestoppt, doch aufgrund der Vorarbeiten gelang es in kurzer Zeit, ein in sich konsistentes, auf eine radikale Reformpolitik fokussiertes Wahlprogramm vorzulegen, das zudem hinsichtlich der Finanzierung der Vorschläge zur Beendigung der Austeritätspolitik durchgerechnet ist.[2]

Den Antrag auf Parlamentsauflösung hatte May nicht mit den anhaltenden Auseinandersetzungen in ihrer Partei begründet, sondern vor allem mit der angeblichen Obstruktionsarbeit der Opposition im Unterhaus. Die Premierministerin pflegte in der wöchentlichen Aussprache über ihre Regierungstätigkeit auf Fragen von Labour-Hinterbänklern einzuflechten, dass ihr bekannt sei, dass das ehrenwerte Parlamentsmitglied seinem oder ihrem Fraktionsvorsitzenden das Misstrauen ausgesprochen hatte.

Zudem verknüpfte sie im öffentlichen und parlamentarischen Diskurs ihre Angriffe auf die Positionen der Labour Party stets mit persönlichen Attacken auf ihren Vorsitzenden. Dabei konnte sie nicht nur auf das in den meisten Medien gezeichnete Bild eines durchsetzungsschwachen Politikers zurückgreifen, sondern auch auf die Kritikpunkte, mit denen die meisten der Labour-Parlamentarier ihren Vorsitzenden überzogen.

Es sind vor allem vier Punkte, mit denen versucht wurde, Corbyn zu Beginn der Wahlkampagne erneut zu diskreditieren: Seine europapolitische Position, seine angebliche Führungsschwäche, seine Sicherheits- und Außenpolitik und seine »veralteten« programmatischen Vorstellungen.


Corbyn ein Brexit-Anhänger?

War Corbyn nach dem EU-Referendum vorgeworfen worden, er hätte sich nicht entschieden für einen Verbleib in der EU eingesetzt, so wird ihm jetzt vorgehalten, er würde mit seiner Orientierung, der Brexit müsse entsprechend dem Referendumsvotum umgesetzt werden, Verrat an der europäischen Idee begehen. Beide Kritikpunkte tragen nicht. Denn Corbyns Eintreten für den Verbleib in der EU war immer mit einer entschiedenen Kritik an der Austeritätspolitik des Europäischen Rats verknüpft: Bleiben und Erneuern.

Alle Fraktionen hatten mehrheitlich bei der Verabschiedung des Referendums-Gesetz bekundet, das Ergebnis auf jeden Fall zu respektieren und politisch umzusetzen. Die rechtspopulistische Bewegung in Britannien war seinerzeit vollkommen unterschätzt worden. Hätte sich der Labour-Vorsitzende im März in der Debatte über das Austrittsgesuch gegen den Volksentscheid gestellt, wäre das nur auf Kosten eines Glaubwürdigkeitsverlusts möglich gewesen, der im politischen Ringen um die Ausgestaltung des EU-Austritts Labour auf Jahre die Hände gebunden hätte. Dass nach dieser Entscheidung Corbyn als Brexit-Anhänger diffamiert wurde, konnte nicht ausbleiben.[3]

Im Verlauf des Wahlkampfs standen soziale Fragen stärker im Blickpunkt als die Brexit-Frage. Zugleich ist offensichtlich geworden, dass der Konfrontationskurs gegenüber der EU seitens der konservativen Brexit-Befürworter eine nicht tragfähige Strategie ist. Die von Corbyn vertretene und im Wahlprogramm enthaltene Lösung mit einem Verbleib im Binnenmarkt und in der Zollunion hat verstärkt Zustimmung gewinnen können.


Sicherheits- und Außenpolitik

Nach dem Terroranschlag in Manchester war ein Rückschlag für Labours Wahlkampf erwartet worden. Der Täter war wie bei den Attentaten im März in London und vor einem Jahr auf Jo Cox den Behörden bekannt, dieses Mal konnte er einem größeren Netzwerk zugeordnet werden. Dadurch wurden der »hausgemachte Terror« und dessen soziale Gründe erneut als eines der drängenden und ungelösten Probleme brutal in den Blickpunkt gerückt.

Wegen der von May noch als Innenministerin durchgesetzten Personalkürzungen im Polizeiapparat blieb sie bei der politischen Bewertung des Anschlags in der Defensive. Hingegen fand Corbyn Feststellung Zustimmung, dass zwischen den Kriegen, an denen britische Truppen auf Befehl britischer Regierungen in den letzten beiden Jahrzehnten beteiligt waren, und den Terrorakten in Britannien ein enger Zusammenhang vorhanden besteht. Die große Mehrheit der britischen Wahlbevölkerung stimmt – bis auf die Bewertung des Falkland-Kriegs vor 35 Jahren – mit den außenpolitischen Positionen Corbyns überein.[4]


Die Kommunalwahlen

Die Ergebnisse der Teil-Kommunalwahlen Anfang Mai – also noch in der Anfangsphase des Wahlkampfs – wurden als Bestätigung der Führungsschwäche Corbyns und des Vorurteils gewertet, Labour könne mit ihm keine Wahlen gewinnen. Sie wurden von den Medien als eine Reihe von Wahlniederlagen dargestellt, die es so nicht gegeben hat. Hatte Labour doch 2016 bei den Kommunalwahlen in urban geprägten Gebietskörperschaften die erdrutschartigen Zugewinne aus 2012 fast vollständig verteidigen können – und das trotz der Polarisierung im Vorfeld des Brexit-Entscheids.

In diesem Jahr wurde hingegen neben Schottland und Wales vor allem in Gebietskörperschaften im Südwesten Englands gewählt, wo die Rückwanderung von UKIP-Wählern zu den Tories entscheidend war – nicht nur bei der Abwahl der UKIP-Mandatsträger, sondern auch in den Wahlkreisen, in denen die Abwanderung von vormaligen Tory-Wählern vor vier Jahren die Ergebnisse für Labour überproportional begünstigt und jetzt bei Labour zu relativ hohen Verlusten geführt hatte. Wegen der unzureichenden Berücksichtigung der Ausgangsbasis vor vier Jahren wurde aus dem diesjährigen Kommunalwahlergebnis häufig vorschnell ein Ergebnis für die Unterhauswahl extrapoliert, das für Labour in einem Desaster geendet hätte.[5]


Das Wahlprogramm

In der Analyse der Wahlniederlage der Labour Party bei den Parlamentswahlen 2015 hatte sich bald herauskristallisiert, dass vor allem das damalige Wahlprogramm und der darauf aufbauende Wahlkampf unzureichend waren. Mit der im Zentrum stehenden »verantwortungsvollen Budget-Politik« konnte weder ein Politikwechsel zur Austeritätspolitk der damaligen Koalitionsregierung von Konservativen und Liberaldemokraten markiert werden, noch waren die Vorschläge Labours zur Sanierung z.B. des Gesundheitsdienstes in eine konsistente Anti-Austeritätspolitik eingebunden.

Seit seiner Wahl zum Vorsitzenden hat Corbyn deutlich gemacht, dass ein Politikwechsel nur mit einer ausgearbeiteten Anti-Austeritätspolitik möglich ist. Dazu hat er mit seinem Team vor allem im Bereich der Sozialpolitik finanzierbare Vorschläge für schnell zu erreichende Verbesserungen gemacht. Zugleich hat er darauf gedrängt, dass die politische Neuorientierung in den Kommunen unter Beteiligung breiter Bevölkerungsgruppen erreicht werden muss.

Sein Beharren auf dem Kampf gegen Austerität ist einerseits der Hauptgrund für die vielfältigen persönlichen Angriffe auf ihn. Andererseits ist es der Impuls für die Aktivitäten der vielen Neumitglieder und AktivistInnen, die diesen Kurswechsel auch in den Wahlkreisorganisationen zum Durchbruch verhelfen wollen – auch dort, wo Labour-MandatsinhaberInnen sich wie bisher vorrangig an der Programmatik von New Labour orientieren.


Der Umschwung im Wahlkampf

Zu Beginn des Wahlkampfs deuteten die Meinungsumfragen auf einen Erdrutsch-Sieg der Konservativen hin. Doch bei nüchterner Betrachtung und unter Berücksichtigung des britischen Mehrheitswahlrechts schien es auch nicht ausgeschlossen, dass die von May beschworene starke und stabile Führungsrolle nicht auf volle Zustimmung stoßen und dass sich das von ihr als Menetekel beschworene Szenario einer »Koalition des Chaos« durchsetzen könnte, also eine parlamentarische Mehrheit von Labour, Schottischer Nationalpartei und Liberaldemokraten gegenüber den Konservativen.

Die Wählerbewegungen seit der Parlamentswahl 2015 – korreliert mit der jeweiligen Referendums-Entscheidung für den EU-Austritt oder den Verbleib in der EU – legten Ende April ebenfalls nahe, dass es der Konservativen Partei gelingen könnte, ihre Mehrheit komfortabel auszubauen. Stutzig machte aber, dass relativ wenige Labour-Wähler, die für den Brexit votiert hatten, jetzt die Tories wählen wollten und dass der überwiegende Teil der nationalkonservativen und rechtspopulistischen Wähler, die vor zwei Jahren mit ihrer Stimme für UKIP Cameron zum EU-Referendum gezwungen hatten, an einer Stimmabgabe für UKIP festhalten wollte oder noch unentschieden war.

Mit dem von den Konservativen und mit wenigen Ausnahmen auch von der gesamten Labour-Fraktion getragenen Beschluss zur vorzeitigen Parlamentsauflösung war aber klar, dass bei diesem Urnengang nicht ein erneutes Referendum über die Ausgestaltung der Austrittsbedingungen auf der Tagesordnung steht, sondern welche Entwicklungsrichtung die britische Gesellschaft nach dem Brexit einschlagen soll. Die Veränderungen in den Meinungsumfragen nach Festlegung des Wahltermins kündigten den Lagerwahlkampf an, der in den wahlentscheidenden Landesteilen England und Wales die beiden großen Parteien begünstigt.

Im Fokus standen sofort die Folgen der Austeriätspolitik. Die von May während des letzten Jahres in ihren programmatischen Reden angekündigten Korrekturen waren nicht durch entsprechende Haushaltsbeschlüsse umgesetzt worden. Sie blieben ein ungedeckter Scheck auf die Zukunft. Die Folgen der jahrelangen Austeritätspolitik mit den massiven Einschränkungen der Finanzzuweisungen an die kommunalen Gebietskörperschaften sind offensichtlich: Verfall der kommunalen und regionalen Infrastruktur, Einschränkungen bei den Pflegediensten und das desolate Schulsystem. Hinzu kommen die Probleme zur Aufrechterhaltung eines Mindeststandards im staatlichen Gesundheitsdienst.

Sowohl im Wahlprogramm der Tories als auch im Manifest der Labour Party werden die Probleme sozialer Ungleichheit adressiert. Die Lösungsvorschläge: einerseits die »Große Meritokratie«, in der die Chancengerechtigkeit wiederhergestellt werden soll, aber von einer Kampagne kontrastiert wird, die auf eine »starke und stabile Führung« der Premierministerin orientiert. Andererseits die »Solidarische Gesellschaft« für »die vielen und nicht die wenigen«, deren Probleme in den letzten beiden Jahren im Mittelpunkt der von Corbyn repräsentierten Labour-Politik gegen Austerität und für soziale Gerechtigkeit stehen.

So bedurfte es nur eines Anlasses, um die Wahlkampagne der Premierministerin als fragil und unglaubwürdig erscheinen und die Sozialkompetenz der Labour Party hervortreten zu lassen, deren Vorsitzender sowie deren KandidatInnen und AktivistInnen in den Wahlkreisen eine solidarische Sozialpolitik in den Mittelpunkt stellen. Dieser Anlass war mit der »Demenz-Steuer«“ im Tory-Wahlprogramm gegeben. Das Schonvermögen von pflegebedürftigen RentnerInnen sollte geschmälert und Wohnungseigentum in die Bemessungsgrundlage mit einbezogen werden.

Die breite gesellschaftliche Kritik an diesem Punkt und der unprofessionelle Umgang des Tory-Spitzenpersonals mit diesem programmatischen Fehltritt spiegelten sich unmittelbar in den Meinungsfragen wieder. Ab diesem Zeitpunkt orientierten sich relativ viele potenzielle WählerInnen neu in Richtung Labour, vor allem zuungunsten der Tories, aber auch der kleineren Parteien.


Offener Wahlausgang

Bemerkenswert ist, dass es einer sozialdemokratischen Partei mit einem starken sozialistischen Flügel an der Basis gelungen ist, in einem klar gegen die jahrzehntelange Austeritätspolitik gerichteten Wahlkampf mit einem radikalkeynesianischen Programm eine breite Mobilisierung innerhalb der Wählerschaft zu erreichen. Wenige Tage vor dem Wahlgang ist vollkommen offen, wer die Wahl gewinnt.

Sollte es Labour tatsächlich gelingen, mehr Mandate als die Konservativen zu erzielen, wäre trotz der zu erwartenden ökonomischen Restriktionen aufgrund des EU-Austritts eine Perspektive für eine Politik der Erneuerung der öffentlichen Infrastruktur und der industriellen Basis im Verbund mit einer inklusiven Sozialpolitik vorhanden. Der Austritt aus der EU könnte innerhalb eines langfristigen Übergangsabkommens geregelt werden, in dessen Aushandlung die politische Orientierung auf die Überwindung der Austeritätspolitik selbst auf die EU-Mitgliedsstaaten rückwirken könnte.

Gehen May und die Konservative Partei als Gewinner aus der Wahl hervor, wird sie von dem im Wahlprogramm fixierten Versprechen einer sozial ausgewogeneren Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik nur mit einer Kehrtwende abrücken können, die noch brutaler und unglaubwürdiger ausfallen müsste als ihre bisherigen Volten. Im Verhältnis zur EU wird sie ihren Konfrontationskurs nicht aufrecht erhalten können. Ihre Position »kein Deal ist besser als ein schlechter Deal« wurde bereits im Wahlkampf der Lächerlichkeit preisgegeben.[6]

Anders als vor einem Jahr mit dem Brexit-Entscheid kann das nationalkonservative und rechtspopulistische Lager keinen weiteren Triumph verzeichnen, auch wenn es die Wahl für sich entscheidet. Das Tor für eine Politik der Anti-Austerität und einer auf Reformen basierten Gesellschaftstransformation wurde offengehalten. Daran hat der lange Zeit – teilweise auch in der politischen Linken – mit Zweifeln belegte, verspottete und verhöhnte Labour-Vorsitzende einen nicht unerheblichen Anteil.

 

Hinrich Kuhls, Düsseldorf, arbeitet in der Sozialistischen Studiengruppe (SOST) mit. Letzte Beiträge zum Thema: Vorgezogene Parlamentswahlen in Britannien – Die Lockerung eines gordischen Knotens (Sozialismus Online, 19.4.2017); Wahlkampf in Großbritannien: »Wir glauben nicht an entfesselte Märkte« (Sozialismus 6-2017: S. 19-23).

[1] Jeremy Corbyn: Die ersten Monate eines langen Kampfes. Jeremy Corbyn im Gespräch mit Leo Panitch und Hilary Wainwright. In: Walter Baier/Bernhard Müller/Himmelstoss (Hrsg.): Das Rätsel Europa. Transform! Jahrbuch 2016. Hamburg: VSA-Verlag, S. 85–97. Auf Englisch online verfügbar unter http://www.transform-network.net/publications/yearbook/article/yearbook-2016/the-first-months-of-a-long-struggle/
[2] Das Wahlprogramm »For the many, not the few« wird ergänzt durch eine Reihe von Zusatzdokumenten – darunter das Finanzierungsprogramm, das Programm zur Steuertransparenz und zur Beseitigung von Steuervermeidung sowie Berichte zur Errichtung einer Britischen Investitionsbank, zur Industriepolitik und zu alternativen Eigentumsmodellen. Zu den Kernforderungen der Wahlprogramme der Labour Party (und der Tories) vgl. den Beitrag in Sozialismus 6-2016 zum Wahlkampf in Großbritannien.
[3] Es überrascht, dass diese Auffassung jetzt auch von im UK basierten Beobachtern wie Michael R. Krätke vertreten wird. Hatte er vor einem Jahr Corbyn noch attestiert, er »hätte als britischer Regierungschef wohl das Zeug, tatsächlich die dringend erforderliche Reform der EU an Haupt und Gliedern anzustoßen« (Blätter 4-2017, S. 17-20), so liest sich jetzt sein Verdikt als Schmähung: »Corbyns zögerliche, unentschiedene und ausweichende Haltung zum Brexit, sein kampfloses Einknicken vor der Regierung haben seinen Ruf gründlich ruiniert… Sein Agieren im Kampf um den Brexit ist denn auch kein Verrat, wie manche meinen. Es ist schlimmer als das: Corbyn hat inzwischen gezeigt, dass ihm die EU schlicht egal ist. In den ersten Wochen des Wahlkampfs ignorierte er die Brexit-Frage einfach und redete unablässig von Schulen und Krankenhäusern. Das passt ins Bild: Corbyn ist ein braver Linksradikaler, aber auch ein ewiger Protestpolitiker. Obendrein ist er ein Kleinengländer, den Schottland, Wales und Nordirland wenig interessieren, und Europa erst recht nicht« usw. usf. Seine Wertung des Wahlprogramms fällt nicht minder vernichtend aus: »Das Manifest enthält allerdings nichts wirklich Neues, es bündelt vielmehr, was Corbyn schon seit dem Sommer 2015 verkündet hatte. Darunter befinden sich zahlreiche bekannte Aufreger wie die Renationalisierung der Eisenbahnen und der Post sowie die Teilnationalisierung der Energieversorgung... Die große Schwäche des Ganzen: Diese Vorschläge sind seit langem bekannt. Sie sind auch keineswegs besonders radikal und gehen in vielen Fällen – beim NHS, bei der Pflege, beim Wohnungsbau – sogar nicht weit genug. Obendrein ist nichts davon im Detail durchdacht, in Pläne umgesetzt oder durchgerechnet.« (Michael R. Krätke: Corbyns Versagen, Mays Kalkül, in: Blätter für deutsche und internationale Politik 6-2017, S. 9-12)
[4] So auch Will Denayer: 382 Sitze, Herr Corbyn, in: Makroskop, 25.5.2017: »Labour scheint keiner Strategie mehr zu folgen, außer der, Wahlergebnisse zu ignorieren und auf das Beste zu hoffen. Bis zur Kommunalwahl konnten sie noch auf ein Resultat hoffen, dass besser als das Worst-Case-Szenario mit einem Verlust von hunderten Sitzen war. Das ist nicht länger möglich. Nicht einmal Corbyns größter Feind hatte mit einem Verlust von so vielen Sitzen gerechnet.«
[5] Jeremy Corbyn is on the right side of public opinion on foreign policy: except for the Falklands, YouGov 26.5.2017
[6] Martin Wolf: Trade realities expose the absurdity of a Brexit »no deal«, FT 2.6.2017, mit Verweis auf CER-Bulletin 114.