Atypische und prekäre Arbeitsverhältnisse

Über die Deregulierung des Arbeitsmarktes und ihre Folgen

Der Arbeitsmarkt ist heute heterogener als noch vor zwei Jahrzehnten. Dies wird in den gesellschaftskritischen Debatten der letzten Jahrzehnte häufig als eine "Prekarisierung" auf dem Arbeitsmarkt beschrieben, andere sehen darin lediglich eine "Entstandardisisierung" infolge der stärkeren Individualisierung von Erwerbspräferenzen. Peter Sopp und Alexandra Wagner diskutieren die Frage, ob die Zunahme "atypischer Beschäftigung" tatsächlich mit einer Prekarisierung auf dem Arbeitsmarkt einhergeht.

Der Begriff der Prekärität bzw. der prekären Lebensverhältnisse ist durch die französische Diskussion über Armut und Ausgrenzung beeinflusst.1 Ausgangspunkt ist die Wahrnehmung eines gesellschaftlichen Wandels, der einen Rückgang hinter ein bereits erreichtes Maß an rechtlicher und sozialer Sicherheit mit sich brachte. So gab es im Deutschland der 1980er Jahre in der sozialwissenschaftlichen Diskussion die weit verbreitete Überzeugung, dass in der modernen Industriegesellschaft alle sozialen Gruppen am wachsenden Wohlstand teilhaben. Ulrich Beck hat dies mit dem Begriff des "Fahrstuhleffekts"2 plastisch beschrieben. Nicht zuletzt durch die Öffnung des Bildungssystems wurden in der Arbeitnehmerschaft und ihren Familien Hoffnungen und Erwartungen in Bezug auf einen sozialen Aufstieg und Teilhabe am gesellschaftlichen Wohlstand geweckt. Gleichzeitig trugen das Arbeits- und Sozialrecht dazu bei, dass sich der Status der abhängigen Beschäftigung deutlich verbesserte. Über die Sozialversicherungen erfolgte eine historisch nicht gekannte Absicherung der Standardrisiken der Erwerbsarbeit, wofür Robert Castel den Begriff des "Sozialeigentums" prägte. Seit Ende des vergangenen Jahrhunderts nahmen - unter anderem durch Einführung diverser Formen flexibilisierter Arbeit - die Unsicherheiten auf dem Arbeitsmarkt jedoch wieder zu und die Erwerbsarbeit wurde erneut zum zentralen Thema der Debatten über soziale Ungleichheit.

Prekärität

Der Begriff der "Prekarität" entstand in diesem Kontext und betont vor allem die begrenzte Integrations- und Teilhabefunktion bestimmter Formen der Erwerbsbeteiligung. Dabei beschreibt Prekarität eine negative Abweichung vom als tendenziell "sicher" geltenden Standard, d.h. eine objektiv sichtbare Benachteiligung, gleichzeitig aber eine sozioökonomische Lebenssituation oberhalb der von der Erwerbsarbeit Ausgeschlossenen. Castel hat in seiner 1995 in Frankreich veröffentlichten Studie Metamorphosen der sozialen Frage eine mehrfache Spaltung der Erwerbsgesellschaft beschrieben: Neben einer schrumpfenden "Zone der Normalität" mit relativ stabiler und sozial gesicherter Erwerbsteilhabe sah er eine größer werdende "Zone der Entkoppelung", die die von regulärer Erwerbsarbeit weitgehend ausgeschlossenen Personen umfasst. Zwischen beiden hat sich Castel zufolge eine "Zone der Prekarität" herausgebildet, in der heterogene und instabile Beschäftigungsformen prägend sind. Der inzwischen auch in Deutschland gängige Begriff "Prekarität" umfasst somit einen Bereich mit unsicherer Teilhabe knapp oberhalb der üblichen Armutsschwelle, aber ohne stabile Existenzsicherung - einen Übergangsbereich zwischen den Polen der Erwerbsgesellschaft, der durch einen hohen Grad der "Verletzbarkeit" gekennzeichnet ist. Ereignisse wie Arbeitslosigkeit, Krankheit oder Trennung können schnell zum sozialen Abstieg in die "Zone der Entkoppelung" führen.

Atypische Beschäftigung

Bei den "atypischen" Beschäftigungsverhältnissen handelt es sich um eine Sammelkategorie für unterschiedliche Beschäftigungsformen. Begriffsgenerierend ist dabei allein die Unterscheidung von einem so genannten "Normalarbeitsverhältnis", das historisch jedoch eher exzeptionell als normal und damit nur begrenzt "typisch" war.3

Mit dem Bild des Normalarbeitsverhältnisses wird eine unbefristete sozialversicherungspflichtige Vollzeitbeschäftigung verbunden, die zudem mit hinreichendem Einkommen, Aufstiegschancen, Urlaubs- und Arbeitszeitregelungen ausgestattet ist und bis zum Übergang in die Rente ausgeübt werden kann. Nach einer solchen Beschäftigung sollte man im Ruhestand auskömmliche Renten beziehen können. Dieses Bild eines Beschäftigungsstandards knüpft an die in den 1960er Jahren erreichte "Vollbeschäftigung" in der Bundesrepublik an, als die Einkommens- und Beschäftigungsbedingungen deutlich verbessert werden konnten. Allerdings zerplatzte dieser "kurze Traum immerwährender Prosperität"4 mit dem Anstieg der Arbeitslosigkeit seit Mitte der 1970er Jahre. Die normative Orientierung am "Normalarbeitsverhältnis" blieb davon unberührt. Im Kern geht es dabei um den sozialen Schutz für die abhängig Beschäftigten, der gesetzlich bzw. tarifvertraglich garantiert wird. Dieser Schutz bezieht sich nicht nur auf die Arbeits- und Einkommensbedingungen im jeweils aktuellen Beschäftigungsverhältnis, sondern geht darüber hinaus, indem soziale Risiken wie Krankheit, Erwerbslosigkeit, Pflegebedürftigkeit und Erwerbsunfähigkeit mit abgesichert sind und für das Alter vorgesorgt wird. Das Normalarbeitsverhältnis dient der Absicherung der Träger der Ware Arbeitskraft gegenüber Risiken des Marktes. Dies betrifft sowohl die Verkaufsbedingungen als auch Zeiten des nicht selbst verschuldeten Nichtverkaufs. Ziel ist der langfristige Erhalt der Arbeitskraft, an dem es ein individuelles Interesse des Trägers der Arbeitskraft (der Erwerbspersonen selbst) gibt, aber auch ein Interesse der Unternehmen als tatsächliche oder potentielle Käufer und schließlich ein gesamtgesellschaftliches Interesse (Erhalt des gesellschaftlichen Arbeitsvermögens und des sozialen Friedens). Insofern ist das klassische Normalarbeitsverhältnis "in erster Linie ein sozialstaatliches Arrangement zur ›Dekommodifizierung‹ der Ware Arbeitskraft".5

Das Normalarbeitsverhältnis wird in der sozialwissenschaftlichen Diskussion folglich nicht nur als eine an bestimmten äußeren Merkmalen identifizierbare Beschäftigungsform gesehen, gleichwohl wird - da man deren sozialen Gehalt schlecht empirisch messen kann - meist auf der Ebene der Beschäftigungsform argumentiert und dabei implizit und zu Unrecht (wie weiter unten gezeigt werden wird) davon ausgegangen, dass die Beschäftigungsform Aussagekraft in Bezug auf das damit verbundene Niveau sozialer Sicherung hat. Begrifflich erscheint es durchaus sinnvoll, eine Abgrenzung zwischen "typischen" und "atypischen" Beschäftigungsformen vorzunehmen und dabei als "typisch" das zu betrachten, was auf dem Arbeitsmarkt die stärkste Verbreitung genießt und mitunter auch als "Standardarbeitsverhältnis" bezeichnet wird: die unbefristete Vollzeitarbeit.

Als "atypische" Beschäftigungsformen werden üblicherweise alle Formen abhängiger Erwerbstätigkeit gefasst, die sich von der unbefristeten sozialversicherungspflichtigen Vollzeitbeschäftigung unterscheiden. Zeit- bzw. Leiharbeit gilt ebenfalls als atypisch, und zwar selbst dann, wenn die Zeitarbeitsbeschäftigten einen Vollzeitjob mit unbefristetem Arbeitsvertrag haben. Die befristete Beschäftigung unterscheidet sich vom Normalarbeitsverhältnis durch die begrenzte Laufzeit des Arbeitsvertrags, die Teilzeitarbeit durch die kürzere vereinbarte Wochenarbeitszeit. Die geringfügige Beschäftigung weist Besonderheiten in Bezug auf die Sozialversicherungspflicht auf und wird darüber hinaus in der Regel in Teilzeit ausgeübt. Die Abgrenzung zwischen Vollzeit und Teilzeit ist nicht einfach, da Vollzeitarbeitszeiten ganz unterschiedlich definiert sind. Die 35-Stunden-Woche ist in der Metallindustrie der tarifvertragliche Vollzeitstandard, während im öffentlichen Dienst eine Beschäftigung mit 35 Stunden pro Woche Teilzeitbeschäftigung ist. Das Statistische Bundesamt setzt die Zeitgrenze zwischen Vollzeit und Teilzeit mit 21 Stunden sehr niedrig an, sodass alle auf dieser Abgrenzung basierenden statistischen Angaben das Ausmaß der atypischen Beschäftigung eher unter- und die sogenannte Normalbeschäftigung eher überzeichnen.

Verbreitung und Struktur

Die atypische Beschäftigung in Deutschland hat seit Beginn der 1990er Jahre deutlich zugenommen. Der Anteil der atypisch Beschäftigten an allen Erwerbstätigen betrug im Jahr 1993 noch 13 Prozent, stieg aber bis 2006 kontinuierlich an und liegt seither in etwa auf dem heutigen Niveau von 21 bis 22 Prozent.6 In den Jahren 2012 und 2013 waren Zahl und Anteil der atypisch Beschäftigten erstmals wieder leicht rückläufig. Nach Angaben des Mikrozensus befanden sich 2013 ca. 7,6 Mio. Personen in einer atypischen Beschäftigung.

Interessant ist dabei, dass die Zahl der Normalbeschäftigten (unbefristet, Vollzeit) seit Mitte der 1990er Jahre nahezu konstant geblieben ist. Der Zuwachs der Erwerbstätigkeit hat sich hingegen überwiegend in Form atypischer Beschäftigungsformen vollzogen.7 Dies dürfte zum Teil auf die zunehmende Erwerbstätigkeit von Frauen in Westdeutschland zurückzuführen sein, deren Arbeitsmarktpartizipation häufig in Form von Teilzeit erfolgt. Teilweise haben aber auch Veränderungen der rechtlichen Regelungen den Zuwachs an atypischer Beschäftigung begünstigt. Nachdem mit Inkrafttreten des Teilzeit- und Befristungsgesetzes im Jahr 2001 bereits wichtige Bereiche der atypischen Beschäftigung neu geregelt worden waren, kam es wenige Jahre später im Zuge der so genannten Hartz-Reformen zu einem Paket gesetzlicher Veränderungen, die - so die Intention der damals politisch Verantwortlichen - das Entstehen von Beschäftigungsverhältnissen jenseits des so genannten "Normalarbeitsverhältnisses" befördern und auf diese Weise dazu beitragen sollten, die Arbeitslosigkeit zu reduzieren. Zu diesen Regelungen zählten vor allem die Deregulierung der Leiharbeit, die Neuregelung der geringfügigen Beschäftigung (Minijobs), die Einführung einer Gleitzone zwischen geringfügiger und voll sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung (Midijobs) und die Änderung des Teilzeit- und Befristungsgesetzes zur Erweiterung der Möglichkeiten befristeter Beschäftigung für Ältere.

Die quantitativ bedeutsamste Form atypischer Beschäftigung ist die Teilzeitarbeit mit knapp 5 Mio., der zahlenmäßig kleinste Anteil entfällt auf die Leiharbeit mit 0,68 Mio. Beschäftigten. Dazwischen liegen befristete und geringfügige Beschäftigung mit 2,5 bzw. 2,4 Mio. Personen (Angaben für 2013, nicht überschneidungsfrei). Atypische Beschäftigung ist zu einem großen Teil weiblich: 35 Prozent der abhängig erwerbstätigen Frauen befinden sich in einem atypischen Arbeitsverhältnis im Vergleich zu etwas weniger als 14 Prozent bei den Männern. Insgesamt stellen Frauen 71 Prozent der atypisch Beschäftigten. Frauen und Männer mit niedriger Qualifikation sind häufiger außerhalb des Bereichs der Normalarbeit tätig: Von den Beschäftigten ohne anerkannten Abschluss sind 41 Prozent in einem atypischen Arbeitsverhältnis, unter den Beschäftigten mit Berufsabschluss sind es mit 24 Prozent deutlich weniger, am geringsten ist der Anteil atypisch Beschäftigter bei Personen mit einem tertiären Abschluss (knapp 18 Prozent). Überdurchschnittlich hoch ist der Anteil atypischer Beschäftigung unter den jungen Erwachsenen (bei Personen bis zum Alter von 25 Jahren liegt er bei 32 Prozent) sowie in einigen Branchen. Die Bereiche Kunst, Unterhaltung und Erholung; Erbringung von sonstigen Dienstleistungen; Private Haushalte weisen mit 44 Prozent den höchsten Anteil atypisch Beschäftigter auf, gefolgt vom Gastgewerbe mit 42 Prozent und dem Gesundheits- und Sozialwesen mit 32 Prozent.

Prekaritätspotenzial atypischer Beschäftigung

Nicht jede Person in atypischen Beschäftigungsverhältnissen lebt auch unter prekären Lebensumständen. Mit sozialen Risiken ist atypische Beschäftigung immer dann verbunden, wenn die Einkommen für die Existenzsicherung nicht oder nur gerade so ausreichen, die Beschäftigungsstabilität gering und das Arbeitslosigkeitsrisiko hoch sind, die Integration in soziale Sicherungssysteme nicht gegeben ist oder die daraus zu erwartenden Leistungen für die Absicherung im Risikofall zu gering ausfallen. Studien zeigen, dass atypische Beschäftigung ein hohes Prekaritätspotenzial hat.

So zeigt ein Vergleich der Bruttostundenlöhne, dass atypisch Beschäftigte nur etwa zwei Drittel der Höhe der Stundenlöhne der Normalbeschäftigten erreichen.8 Während unter den atypisch Beschäftigten rund die Hälfte einen Niedriglohn beziehen, betrug der Anteil bei den Normalbeschäftigten nur 11 Prozent. Die höchsten Niedriglohnanteile weisen die Minijobber/innen mit 84 Prozent und die Zeitarbeitsbeschäftigten mit 68 Prozent auf.

Unter Berücksichtigung des Haushaltskontextes lassen sich Armutsgefährdungsquoten ermitteln. Diese sind bei den Normalbeschäftigten mit drei Prozent relativ gering, während sie bei den atypisch Beschäftigten mit 14 Prozent deutlich höher ausfallen. Der Anteil der Armutsgefährdeten hat in den zehn Jahren zwischen 1998 und 2008 in allen Beschäftigungsformen zugenommen. Dabei fiel der Anstieg bei den Personen in Normalarbeitsverhältnissen sehr gering aus (plus 0,1 Prozentpunkte), während er bei den atypisch Beschäftigten deutlich - nämlich von 9,8 auf 14,3 Prozent - angestiegen war.

Während fast alle der Personen in einem Normalarbeitsverhältnis ihren Lebensunterhalt vorwiegend über ihre Erwerbstätigkeit finanzieren, haben bei den atypisch Beschäftigten auch andere Unterhaltsquellen eine herausgehobene Bedeutung. Allerdings dominiert mit 70 Prozent auch bei atypisch Beschäftigten die Gruppe derjenigen, die sich hauptsächlich über ihre eigene Erwerbstätigkeit finanzieren. Immerhin 18 Prozent sichern ihren Lebensunterhalt jedoch vorwiegend über Angehörige, 9 Prozent sind hauptsächlich auf Sozialleistungen angewiesen. Für 3 Prozent der atypisch Beschäftigten stellen Rente, Pension oder Vermögen die wichtigsten Einnahmequellen dar.9

Die übergroße Mehrheit der atypisch Beschäftigten benötigt folglich die aus ihrer Erwerbstätigkeit erworbenen Entgelte für die Existenzsicherung, gleichzeitig erfüllen atypische Beschäftigungsformen diese Anforderung deutlich seltener als die Normalbeschäftigung, was sich sowohl aus den niedrigeren Stundenlöhnen als auch aus den bei Teilzeit und Minijobs kürzeren Arbeitszeiten ergibt. Damit lässt sich die Frage nach den Prekaritätsrisiken atypischer Beschäftigung beantworten: Diese sind erheblich und deutlich höher als im Bereich normal regulierter Beschäftigung. Keller und Seifert belegen dies auch an Hand von weiteren Kriterien (Beschäftigungsstabilität und Teilnahme an beruflicher Weiterbildung).10 Das Prekaritätsrisiko ist im Bereich des öffentlichen Dienstes - wo der Anteil der atypisch Beschäftigten ähnlich hoch ist wie in der Privatwirtschaft - aufgrund der höheren tariflichen Deckungsrate vergleichsweise deutlich geringer.

Auch wenn die Prekaritätspotenziale der Normalbeschäftigung längst nicht so hoch sind wie die der atypischen Beschäftigung, so sind sie doch keineswegs zu vernachlässigen. Immerhin gut 41 Prozent aller Niedriglohnbeschäftigten im Jahr 2013 waren Vollzeitbeschäftigte.11 Es ist folglich nicht möglich, allein aus der Beschäftigungsform auf Prekaritätsrisiken zu schließen. Es sind vielmehr auch die (tariflichen) Regelungen zu den Arbeitsbedingungen, die das Maß der (Un-)Sicherheit der Existenz beeinflussen. Während bei nicht tarifgebundenen Arbeitgebern fast ein Drittel der Beschäftigten (31 Prozent) einen Niedriglohn beziehen, sind es bei tarifgebundenen mit 12 Prozent deutlich weniger.12

Mehrdimensionale Betrachtung erforderlich

Ob sich die Prekaritätspotenziale der atypischen Beschäftigung tatsächlich in der Lebenslage der Betroffenen niederschlagen, hängt von vielen Faktoren ab.

Einer dieser Faktoren ist der Platz eines solchen Beschäftigungsverhältnisses im Erwerbsverlauf. So ist für viele Hochqualifizierte der Beginn der beruflichen Karriere mit befristeter Beschäftigung verbunden, ohne dass dies negative Auswirkungen auf ihre Lebenslage hat. Ebenso ist temporäre Teilzeitarbeit - z.B. in der Familienphase - häufig erwünscht und zudem durch soziale Transfers gestützt. Umgekehrt ist ein langfristiger Verbleib in ausschließlich geringfügiger Beschäftigung oder Teilzeit häufig mit prekären Lebenslagen verbunden, wie die hohe Zahl der langfristig Arbeitslosengeld II beziehenden Erwerbstätigen belegt. Von einer "Brückenfunktion" kann häufig keine Rede sein.

Einen wesentlichen Einfluss hat der Haushaltskontext. Die Armutsgefährdung atypisch Beschäftigter ist dann am höchsten, wenn es im Haushalt kein weiteres Erwerbseinkommen gibt. Ein/e weitere/r atypisch Beschäftigte/r im Haushalt trägt zur Reduzierung der Armutsgefährdung bei, noch stärker ist diese Wirkung, wenn eine normalbeschäftigte Person zum Haushalt gehört. Das prekäre Potenzial einer schlecht gesicherten Beschäftigung kann jedoch dann praktisch zum Tragen kommen und zur Armutsfalle werden, wenn der bis dahin kompensatorische Haushaltskontext brüchig wird, wie zum Beispiel im Fall von Arbeitslosigkeit bzw. Krankheit oder durch Scheidung, Trennung oder Tod des Partners oder der Partnerin.

Ein wichtiger Hinweis sind auch die Präferenzen der Beschäftigten. Wenn knapp die Hälfte der befristet Beschäftigten eigentlich einen unbefristeten Arbeitsplatz gesucht hat und ein weiteres Viertel aufgrund eines Probevertrags befristet ist, zeigt dies eine erhebliche Diskrepanz zwischen Wunsch und Realität.13 Unter den Teilzeitbeschäftigten geben zwischen einem Sechstel und einem Fünftel der Befragten an, eigentlich eine Vollzeitstelle gesucht zu haben. Hinzu kommt, dass ca. die Hälfte der teilzeitbeschäftigten Frauen aufgrund familiärer Verpflichtungen nur in Teilzeit tätig ist. Nicht realisierte bzw. nicht realisierbare Erwerbswünsche können prekäre Lebenslagen hervorrufen. Studien belegen negative Effekte unsicherer oder schlechter Arbeitsverhältnisse auf die Familienplanung. So werden feste partnerschaftliche Bindungen später eingegangen und die Entscheidung für eine Elternschaft zeitlich hinausgeschoben. Auch gibt es Hinweise auf ein erhöhtes Trennungsrisiko bei atypisch beschäftigten Nichtverheirateten.14

Das hohe Prekaritätspotenzial atypischer Beschäftigung schlägt sich zwar nicht zwangsläufig, gleichwohl aber häufig in einer prekären Lebenssituation nieder. Andererseits sind auch Normalbeschäftigte davon bedroht, z.B. durch Niedriglohn, im Fall von Restrukturierung und Personalabbau im Unternehmen oder wenn umfangreichere Versorgungsverpflichtungen im Haushaltskontext entstehen. Die allgemeine Unsicherheit auf dem Arbeitsmarkt bildet ein erhebliches Drohpotenzial - auch für Beschäftigte, die sich aktuell in relativ gesicherter Position befinden.

Fazit

Atypische Beschäftigung ist nicht per se prekär und prekäre Lebenslagen gibt es auch unter den Normalbeschäftigten. Die verwundbare soziale "Schwebelage" zwischen gesichertem Wohlstand und Exklusion ist jedoch überdurchschnittlich häufig mit atypischen Beschäftigungsverhältnissen verbunden, die zu einem großen Teil unfreiwillig ausgeübt werden. Deregulierungstendenzen haben nicht nur zu einem größeren Anteil prekärer Erwerbsteilhabe geführt, sondern auch die Abstiegsängste im Segment der aktuell noch gut gesicherten Beschäftigung erhöht. Ein Teil der atypisch Beschäftigten hat diese Beschäftigungsformen bewusst gewählt, weil sie zu ihren Lebensumständen passen. Echte Wahlmöglichkeiten erfordern nicht nur ein ausreichendes Angebot sozial gesicherter Arbeitsplätze, sondern auch eine bessere Aufklärung Beschäftigter über die ökonomischen Risiken dieser Beschäftigungsformen.15

Anmerkungen

1) Vgl. dazu ausführlicher: Franz Schultheis / Stefan Herold: "Zur Thematisierung der sozialen Frage des 21. Jahrhunderts im deutsch-französischen Vergleich", in: Busch et al. 2010: Zwischen Prekarisierung und Protest, Bielefeld: 233-264.

2) Vgl. Ulrich Beck 1986: Risikogesellschaft. Auf dem Weg in eine andere Moderne, Frankfurt a.M.: 121ff.

3) Vgl. Toni Pierenkemper 2009: "Der Auf- und Ausbau eines ›Normalarbeitsverhältnisses‹ in Deutschland im 19. und 20. Jahrhundert", in: Rolf Walter (Hg.): Geschichte der Arbeitsmärkte, Stuttgart: 77-112.

4) Burkhart Lutz 1984: Der kurze Traum immerwährender Prosperität. Eine Neuinterpretation der industriell-kapitalistischen Entwicklung im Europa des 20. Jahrhunderts, Frankfurt a.M.

5) Gerhard Bosch 2001: "Konturen eines neuen Normalarbeitsverhältnisses", in: WSI-Mitteilungen 4: 219-230.

6) Vgl. Statistisches Bundesamt/WZB 2013: Datenreport 2013. Ein Sozialbericht für die Bundesrepublik Deutschland, Bonn: 120.

7) Vgl. Werner Eichhorst et al. 2013: Neue Anforderungen durch den Wandel der Arbeitswelt, IZA Research Report No. 51, Bonn: 7f.

8) Zu diesen und den folgenden Angaben vgl. Christian Wingerter 2009: "Der Wandel der Erwerbsformen und seine Bedeutung für die Einkommenssituation Erwerbstätiger", in: Wirtschaft und Statistik 11 sowie Statistisches Bundesamt 2012: Niedriglohn und Beschäftigung 2010, Wiesbaden.

9) Statistisches Bundesamt 2008: Atypische Beschäftigung auf dem deutschen Arbeitsmarkt, Wiesbaden.

10) Vgl. Berndt Keller / Hartmut Seifert 2011: Atypische Beschäftigung und soziale Risiken: Entwicklung, Strukturen, Regulierung. Friedrich Ebert Stiftung. Bonn und Berndt Keller / Hartmut Seifert 2014: "Atypische Beschäftigungsverhältnisse im öffentlichen Dienst", in: WSI-Mitteilungen 8: 628-638.

11) Torsten Kalina / Claudia Weinkopf 2015: Niedriglohnbeschäftigung 2013: Stagnation auf hohem Niveau. IAQ-Report 03, Duisburg.

12) Statistisches Bundesamt 2012: Anteil der Beschäftigten mit Niedriglohn ist gestiegen. Pressemitteilung vom 10. September, Wiesbaden.

13) Vgl. Berndt Keller et al. 2012: Entwicklungen und Strukturmerkmale der atypisch Beschäftigten in Deutschland bis 2010. WSI - Diskussionspapier Nr. 182, Düsseldorf: 6f.

14) Irene Gerlach et al. 2015: Die Bedeutung atypischer Beschäftigung für zentrale Lebensbereiche. Policy Brief, Münster.

15) Vgl. ebenda: 10.

Dr. Peter Sopp und Dr. Alexandra Wagner sind beim Forschungsteam Internationaler Arbeitsmarkt (FIA) derzeit im Rahmen des vom BMBF geförderten Projekts zum Dritten Bericht der Sozioökonomischen Berichterstattung in Deutschland (soeb3: http://www.soeb.de/ueber-soeb-3) tätig.