Persilschein für Folterknechte

Juristisch als verbrecherisch verurteilt und verboten wurden Organisationen bisher nur ein einziges Mal – in den Nürnberger Prozessen von 1945/46. Das betraf unter anderem die SS, deren Sicherheitsdienst SD und die Gestapo. Nach Artikel 9 des Statuts des damaligen Internationalen Militärgerichtshofes galt als Verbrechen dabei auch die Mitgliedschaft in solchen Organisationen; als höchstes Strafmaß wurde bekanntlich die Todesstrafe verhängt.
Den Tatbestand einer verbrecherischen Organisation erfüllt hat der US-Geheimdienst CIA seit seiner Gründung im Jahre 1947 vielfach. Die Fälle reichen von Iran (1953: Sturz eines Ministerpräsidenten) über Mordkomplotte wie die gegen Patrice Lumumba (1961), Fidel Castro (Anfang der 60er Jahre) und Ernesto Che Guevara (1963) bis Chile (1973: Sturz und Ermordung eines Präsidenten), um hier nur einige wenige Beispiele aufzurufen. Vollständiger nachzulesen in Tim Weiners 864-Seiten-Wälzer „CIA: Die ganze Geschichte“.
Vergleichbare Konsequenzen wie die Nazi-Organisationen befürchten mussten die CIA und ihre Mitarbeiter allerdings nie, und es erfordert keine seherische Gabe zu prophezeien, dass das auch dieses Mal nicht geschehen wird – nach den geheimen Internierungen und Folterungen, die die CIA seit 9/11 in den Jahren von 2001 bis 2009 systematisch begangen hat.
Vermutungen und einzelne Informationen darüber hatte es seit langem gegeben. Aber jetzt liegen die Beweise in Gestalt eines 6.700 Seiten langen Berichtes des Geheimdienstausschusses des US-Senats „über das Internierungs- und Verhörprogramm der Central Intelligence Agency“, der am 9. Dezember veröffentlicht wurde, auf dem Tisch. Die offizielle Zusammenfassung umfasst auch noch knapp 500 Seiten und ist im Internet zugänglich.
Nach 9/11, so schreibt die Vorsitzende des Geheimdienstausschusses, Dianne Feinstein, in ihrem Vorwort, habe die CIA „entschieden, ein Programm zeitlich unbegrenzter geheimer Internierungen und der Anwendung brutaler Verhörtechniken zu starten – in Verletzung von US-Recht, von Vertragsverpflichtungen (die USA sind unter anderem Mitglied der Internationalen Konvention gegen Folter – Anmerkung S.) und unserer Werte“. Ihr eigenes Urteil formuliert Feinstein in aller Klarheit: „[...] ist es meine persönliche Schlussfolgerung, dass – nach jeder gängigen Definition – CIA-Gefangene gefoltert wurden.“
Was von Verantwortlichen und Beteiligten, aber auch im jetzt vorliegenden Bericht, unter dem euphemistischen Terminus „erweiterte Verhörtechniken“ subsummiert wird, erfasste unter anderem folgende Foltermethoden:
Waterboarding: Dabei wird der Häftling, auf dem Rücken liegend und die Beine höher als der Kopf, fixiert; der Mund wird ihm mit Tuch oder Klebeband verschlossen. Sein Gesicht wird verhüllt und anschließend mit Wasser übergossen, das durch die Nase bis in die Lunge dringt. Dadurch werden physische und psychische Körperreaktionen wie beim Ertrinken ausgelöst.
Gewaltsame rektale Untersuchung und Zwangsernährung.
Kälteschocks: Dabei wird der Häftling in Eiswasser getaucht oder Eisduschen ausgesetzt. Im Falle des nur versehentlich festgenommenen Gul Rahman führte diese Tortur in einem afghanischen CIA-Gefängnis zum Tode. Die Führung des Dienstes verhinderte anschließend, dass deswegen jemand belangt wurde, da „in einem Geschäft voller Unsicherheiten mit Fehlern zu rechnen ist“. Der Gefängnisleiter hat später einen Bonus von 2.500 Dollar erhalten – für seine „durchweg ausgezeichnete Arbeit“.
Todes- und Vergewaltigungsdrohungen gegen Familienmitglieder.
Schlafentzug: Bis zu 180 Stunden am Stück hat die CIA Häftlinge wachgehalten.
Aufhängen an den Händen.
Scheinexekutionen.
Der unabhängige Senator Angus King fasste zusammen: „Wir haben Dinge getan, für die wir japanische Soldaten nach dem Zweiten Weltkrieg wegen Kriegsverbrechen vor Gericht gestellt haben.“ Auch gegen Japaner wurden damals übrigens Todesurteile verhängt und vollstreckt.
Mindestens 119 Personen wurden auf die skizzierten Weisen durch die CIA malträtiert. Natürlich nicht zu Hause, in den USA. Außer auf afghanische Kerker, auf die die US-Besatzungsmacht direkten Zugriff hatte, und auf den US-Militärstützpunkt Guantanamo in Kuba konnte die CIA auch auf Einrichtungen williger Verbündeter zurückgreifen. Deren Namen sind in der publizierten Fassung des Senatsberichtes zwar geschwärzt, gehen aber trotzdem durch die Medien. Immer wieder genannt werden Polen, Litauen und Großbritannien.
Auch die eigenen Leute wurden geschont: Am Ende des CIA-Programms kamen nur 15 Prozent des Personals aus den Reihen des Dienstes, der Rest war an Privatfirmen outgesourct worden. Apropos Privatfirmen: Schon das Konzept der „erweiterten Verhörtechniken“ stammte von zwei externen Psychologen; deren Tageshonorar lag zunächst bei 1.800 Dollar; dann gründeten sie ein Unternehmen, an das die CIA bis zum Ende des Programms insgesamt 80 Millionen Dollar überwiesen haben sollte. Schlechte Geschäfte sehen anders aus.
Die CIA hat ihre „erweiterten Verhörtechniken“ im Übrigen stets mit dem Hinweis auf deren Effektivität gerechtfertigt: Anschläge seien verhindert worden und Leben gerettet. Der Senatsbericht widerspricht dieser Schutzbehauptung ebenso lapidar wie grundsätzlich: Unter „Erkenntnisse und Schlussfolgerungen“ lautet Punkt eins: „Die Anwendung erweiterter Verhörtechniken durch die CIA war kein effektives Mittel zur Gewinnung geheimdienstlich relevanter Informationen oder um Kooperation seitens Inhaftierter zu erreichen.“
„Die USA sind ein Folterstaat“, konstatiert Jakob Augstein in seiner Spiegel-Kolumne und fährt dann ganz großes Geschütz auf: „Für den Westen geht es jetzt um alles: seine Werte, sein Wesen, seine Identität. [...] Ohne juristische Konsequenzen wird kein westlicher Staat jemals wieder Menschenrechtsverletzungen in den Diktaturen und Despotien dieser Welt anprangern können.“
Lieber Kollege Augstein, Sie wissen doch aber, dass der Persilschein für die Folterer bereits ausgestellt ist – und zwar direkt vom obersten politisch Verantwortlichen für die CIA-Verbrechen, vom damaligen US-Präsidenten George W. Bush. Der war über die „erweiterten Verhörtechniken“ spätestens 2006 erstmals detailliert informiert worden und hat am 8. März 2008 per Veto ein vom Kongress beschlossenes Gesetz gestoppt, das diese Techniken künftig verboten hätte. Bush, der sich selbst bereits in seinen 2010 erschienen Memoiren die Absolution erteilt hatte – er habe nun mal nur die Wahl gehabt „zwischen Sicherheit oder Werten“ – gab unmittelbar vor der Veröffentlichung des Senatsberichtes bei CNN zu Protokoll: Die USA könnten sich „glücklich schätzen, Männer und Frauen zu haben, die bei der CIA hart für uns arbeiten“; diese seien „Patrioten, und was immer der Bericht sagt: Wenn er ihre Beiträge für unser Land herabwürdigt, dann liegt das völlig daneben.“ Und die FAZ vermeldete, dass das US-Justizministerium keine Pläne verfolge, „neuerlich zu prüfen, ob Mitarbeiter der CIA oder der Regierung [...] strafrechtlich wegen Folter belangt werden sollen“.
Darüber hinaus, Kollege Augstein, befürchte ich, dass Sie im Westen genauso einen einäugigen Geschichtsunterricht hatten wie wir in der DDR. Denn anderenfalls hätte Ihre Einlassung doch lauten müssen: „Die USA sind ein Folterstaat. Aber was konnte von einem Land auch groß anderes erwartet werden, dessen historische Wurzeln in der weitgehenden Ausrottung der indigenen Ureinwohner und in 250 Jahren Sklaverei ruhen, das einem Nachbarstaat, Mexiko, die Hälfte von dessen Territorium raubte, das 1945 ohne belastbaren militärischen Grund Atombomben auf Japan warf, das während seiner Indochina-Aggression Massaker wie das von My Lai beging und ganze Landstriche mit Agent Orange vergiftete und das das Völkerrecht noch heute nach Belieben mit Füßen tritt wie erst in den letzten Jahren wieder mit den Angriffskriegen gegen Jugoslawien und den Irak sowie mit seinem Drohnenterror gegen andere Staaten?“
Trotzdem werden die USA und der Westen insgesamt natürlich weiter Menschenrechtsverletzungen bei anderen anprangern, wenn die Schweinehunde, die sie begehen, nicht wenigstens, um ein Eisenhower-Wort zu gebrauchen „unsere Schweinehunde“ sind, wie im Falle Saudi-Arabiens etwa oder früher des Irak. Das war schon immer so. Und in Berlin wurden, bevor man nach dem jetzigen CIA-Skandal erneut – wie erst kürzlich nach dem, der die NSA betraf, – zur Tagesordnung überging, die in solchen Fällen üblichen Krokodilstränen bemüht: „Ich bin erschüttert“, äußerte Angela Merkel.
Das war einmal mehr pure Heuchelei.
Zu hart geurteilt? Mitnichten: Bereits anderentags hatte Merkel, wie die Berliner Zeitung vermeldete, ihren Sprecher erklären lassen, dass keine Notwendigkeit bestehe, auf Bestrafung der Täter zu drängen.