Auch in der Finanz- und Wirtschaftskrise nehmen nicht alle Geschäftszweige gleichermaßen Schaden. Nach Angaben des Stockholmer Internationalen Friedensforschungsinstitutes SIPRI lagen die globalen Rüstungsexporte im Fünfjahreszeitraum von 2008 bis 2012 – im Wert von insgesamt 411 Milliarden US-Dollar – um immerhin 17 Prozent über denen der vorhergehenden Vergleichsperiode 2003 bis 2007. Im Ranking der fünf Hauptlieferländer gab es dabei eine Veränderung – die Volksrepublik China stieß in diese Gruppe vor und verdrängte Großbritannien von seinem „angestammten“ Spitzenplatz. Im Einzelnen belegten die vorderen Ränge – die USA, Russland, Deutschland, Frankreich sowie China. Mit allerdings durchaus beachtlichen Unterschieden. Einem Bericht der New York Times zufolge entfielen zum Beispiel im Jahre 2011 von weltweit 85,3 Milliarden US-Dollar an Waffenausfuhren allein 66,3 Milliarden oder 77,7 Prozent auf die USA; Russland folgte mit nur 4,8 Milliarden hoffnungslos abgeschlagen auf Platz zwei.
Ein ähnliches Ranking des SIPRI gibt es auch für den Gegenpol, die eifrigsten Empfängerländer von Rüstungsgütern. Zwischen 2008 und 2012 waren dies Indien, China, Pakistan, Südkorea und Singapur – mit dem bemerkenswerten Wandel an der Spitze, dass Indien erstmals China hinter sich ließ.
Nach dreijähriger Vorlaufphase und nachfolgend fast siebenjährigen Verhandlungen wurde am 2. April dieses Jahres in der Vollversammlung der Vereinten Nationen in New York ein globales Übereinkommen zur Regulierung des Waffenhandels (Arms Trade Treaty – ATT) zur Abstimmung gestellt. Der Vertrag verbietet die Ausfuhr von Rüstungsgütern in andere Staaten, wenn diese bei Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit oder Kriegsverbrechen zum Einsatz kommen könnten. Exportauschlussgründe sollen des Weiteren Befürchtungen im Hinblick auf ernsthafte Verletzungen des humanitären Völkerrechts oder der Menschenrechte durch die Empfängerländer sein. Auch Terroristen dürfen nicht beliefert werden. Der ATT erstreckt sich dabei auf Panzer, bewaffnete Fahrzeuge, schwere Artilleriesysteme, Kampfflugzeuge und -hubschrauber, Kriegsschiffe, Raketen und Raketenwerfer sowie leichte Waffen. (Die letztgenannte Kategorie meint vor allem Handfeuerwaffen, die tatsächlich wegen ihres im Vergleich zu etwa Kriegsschiffen oder auch nur Panzern eher geringen Gewichtes als „leicht“ bezeichnet werden, und keineswegs wegen des Sachverhaltes, dass sich mit ihnen besonders leicht töten lässt.) Darüber hinaus sieht der ATT Beschränkungen auch für Munition und Waffenkomponenten vor.
Bei der Abstimmung in New York enthielten sich zwar 23 Staaten der Stimme und weitere 13 von A wie Armenia (englische Schreibweise) bis Z wie Zambia waren gar nicht erst zur Abstimmung erschienen, aber bei lediglich drei Gegenstimmen (Iran, Nordkorea und Syrien) war die Zustimmung von insgesamt 154 Staaten überwältigend. Darunter alle eingangs genannten Spitzengruppenländer mit Ausnahme von China, Indien und Russland, die aber auch nicht dagegen votierten, sondern sich lediglich enthielten.
Ähnlich überwältigend war der Lorbeer, der dem neuen Übereinkommen unverzüglich geflochten wurde. Amnesty International erkannte einen „Erfolg der Zivilgesellschaft“. „In Berlin“, so ist auf der Homepage des Auswärtigen Amtes zu lesen, „begrüßte Außenminister Guido Westerwelle das Abstimmungsergebnis. ,Damit werden erstmals international verbindliche Regeln für den Export von Rüstungsgütern festgelegt. Das ist ein Meilenstein in unserem weltweiten Bemühen um Rüstungskontrolle und Sicherheit.‘.“ US-Außenminister John Kerry sprach von einem „starken und effektiven Vertrag“, und UNO-Generalsekretär Ban Ki Moon griff noch eine Liga höher: Der Arms Trade Treaty sei ein „Sieg der Völker“.
Damit endet allerdings die Erfolgsgeschichte des neuen Abkommens zunächst und mindestens bis auf weiteres, denn nun soll das Dokument vom 3. Juni an zur Ratifizierung ausgelegt werden, und erst 90 Tage, nachdem der 50. Staat die Übereinkunft ratifiziert hat, was erfahrungsgemäß Jahre dauern kann, wird sie in Kraft treten. (Natürlich nur für die ratifizierenden Staaten.) Erst danach wird sich erweisen, ob der Vertrag tatsächlich zu einer nennenswerten Einschränkung des internationalen Waffenhandels führen wird. Letzteres wird von Experten – zum Teil grundsätzlich – bezweifelt, und auch der Laie stutzt, wenn er in hiesigen Medien liest, die kommerziellen Interessen Deutschlands als Rüstungsexporteur seien durch den neuen Vertrag gar nicht betroffen – und zwar weil deutsche Exportbeschränkungen sowie EU-Leitlinien viel strenger als das UNO-Regelwerk seien. Diese Begründung muss man sich erst mal auf der Zunge zergehen lassen …
Die grundlegenden Schwächen des ATT sind im Übrigen rasch zu identifizieren. Über den Export von Handgranaten und Landminen, die bekanntlich zu den Nummer-eins-Killern in Bürgerkriegen zählen und immer wieder auch zivile Opfer fordern, darf jedes Land weiter selbst entscheiden. Auch bewaffnete Transportfahrzeuge, -helikopter und -flugzeuge sind „außen vor“, also nicht erfasst. Das gilt ebenso für Lieferungen an nichtstaatliche oder irreguläre Gruppen oder Organisationen, also Aufständische wie derzeit in Syrien, soweit sie von der Exportnation nicht als Terroristen eingestuft werden. Hinzu kommt: Der Vertrag erstreckt sich grundsätzlich und ausdrücklich nur auf grenzüberschreitenden Waffenhandel – Leihgaben, Schenkungen oder Leasing-Geschäfte sind keinen Einschränkungen unterworfen. Überdies sind Rüstungslieferungen im Rahmen von Verteidigungsabkommen nicht betroffen. Solche Abkommen, wo sie nicht ohnehin schon bestehen, sind im Zweifelsfall schnell abgeschlossen. Windelweich ist nicht zuletzt die ATT-Verbotsklausel selbst: Waffenlieferungen sollen nämlich nur dann nicht genehmigt werden, wenn die betreffende Regierung zum Zeitpunkt der Erlaubnis „Kenntnis“ davon hat, dass diese Waffen zu vertragswidrigen Zwecken wie Völkermord oder – siehe die oben genannten Ausschlusskriterien – verwendet werden könnten. Die vorherige Kenntnis dürfte im Nachhinein gegebenenfalls herzlich leicht zu bestreiten sein. Und weiter: Für den Aufbau von Kontroll- und Berichtssystemen gemäß ATT ist jedes Beitrittsland selbst zuständig. Last but not least: Die Teilnahme am ATT kann jederzeit wieder gekündigt werden, und, um dem Tiger den allerletzten Zahn auch noch zu ziehen, Sanktionen für den Fall von Vertragsverletzungen sind nicht vorgesehen. All dies zusammen genommen, muss man kein Freund des Iran sein, um dem Abgesandten Teherans in der UNO-Vollversammlung nicht zu widersprechen, wenn er die iranische Ablehnung des ATT unter anderem damit begründete, dass der Vertrag den Waffenexportländern „einen legalen Blankoscheck“ ausstelle und dass der Vertragstext „highly ,abusable‘ and susceptible to politicization, manipulation and discrimmination“ sei. And least: Es gilt zwar als sicher, dass der amerikanische Präsident den Vertrag unterzeichnen wird. Aber als ebenso sicher gilt, dass der ATT im Senat wegen des Widerstands der Republikaner die für die Ratifizierung erforderliche Zweidrittelmehrheit verfehlen wird. Russland hat Zweifel angemeldet, ob es ratifizieren werde. Und was China und Indien anbetrifft, besteht derzeit auch keine Klarheit.
Da kann man einer Headline wie aus der Süddeutschen Zeitung vom 30. März – „Zahnlos, aber nicht wertlos“ – kaum vorbehaltlos zustimmen, zumindest was den Wert des ATT angeht.
Optimisten mögen sich an dieser Stelle mit der (japanischen?) Weisheit trösten, dass selbst die weiteste Reise mit dem ersten Schritt beginnt. Skeptiker hingegen werden möglicherweise wohl eher dieser Perspektiverwartung zuneigen: Bekanntlich darf, wer den Sumpf trocken legen will, nicht die Frösche fragen. Wenn aber nur Frösche da sind? Richtig – dann droht dem Sumpf … ein langes Leben.