Feministische Fragen und Antwortversuche zum Fall Käßmann. In: Das Argument 287 (3/2010)
»Die veröffentlichte Aufregung über das Fehlverhalten der Bischöfin übersteigt nach aller Erfahrung der vergangenen Jahre bei Weitem den in vergleichbaren Situationen auf männliche Funktionsträger ausgeübten Druck ...« (Stellungnahme des Dachverbandes Evangelische Frauen in Deutschland)
Frauen »können« nicht Papst... Denn dieser Arbeitsplatz ist dauerhaft besetzt. Das zweitschönste Amt danach wäre SPD-Vorsitzender, am besten in Personalunion mit Ministerpräsident. Dieses Amt wird öfter frei, aber das können Frauen auch nicht, wie Heidi, Renate, Heide, Ypsi und all die Namenlosen leidvoll erfahren haben. Bleibt noch als Weg nach Oben: evangelisch und Bischöfin werden, in Personalunion mit Ratsvorsitz bei der protestantischen Zentrale, der EKD. Doch das klappt auch nicht, wie der Fall Margot Käßmann kürzlich zeigte. Göttin sei Dank – wenigstens die »Telekomm« will jetzt konsequent Frauen in Führungspositionen bringen. Wenn das von oben gewollt ist, wird es wenigstens dort auch klappen.
Frauen vertragen nichts. Denn viele Frauen neigen aus Ehrgeiz und Angst vor dem Gerede über ihr Äußeres in Öffentlichkeit und Halböffentlichkeit zur Askese. Nur bringt das nichts: es macht zu dünnhäutig und reduziert die Menge des unschädlich vertragenen Alkohols beträchtlich. Dadurch sind Frauen im Grunde auch weniger geeignet, erfolgreich Strippen zu ziehen und die nachhaltigen Netzwerke aufzubauen, die es braucht, um auf Dauer oben zu bleiben.
Frauen verstehen keinen Spaß und können nicht mal »fünfe gerade sein lassen«. Sie nehmen ihr Amt tierisch ernst, sind zu sehr mit Sachfragen befasst, bemühen sich um eine integrative Führungskultur, für die sie soft skills als »natürliche« Ausstattung mitbringen ... Doch das reicht nicht aus, wenn sie nicht in der Lage sind, mit einer kleinen Männerrotte mal eine Begegnungsfreizeit mit sexuellen Dienstleisterinnen nach Brasilien zu unternehmen (gerade im Niedersächsischen, beim Produzenten des Kirchendienstwagens Phaeton sehr beliebt) oder zumindest einen unschuldigen, verhandlungsklimaverbessernden Saunagang mitzumachen – letzteres dürfte sowohl der Regierungschefin als auch der zurückgetretenen Ratsvorsitzenden Margot Käßmann schon mal aufgestoßen sein. Nein, das ist nicht weit hergeholt, das ist Alltag. Man organisiere eine Konferenz mit skandinavischen und osteuropäischen Kirchenleuten – schon geht es zum Feierabend genau darum. Plötzlich merkst du: ich bin ja die einzige Frau unter all den Brüdern!
Frauen sind Moralistinnen. Sie leben für ihre Tugenden, schreiben und reden über sie. Schalten sie kurz mal ihr Kontrollsystem ab, so unterlaufen ihnen Fehler, die ihre hehren Normen Lügen strafen; dann treten sie umstandslos zurück. Kurz: Sie sind keine nachhaltige Besetzung für ein leitendes Amt. Entweder sie gehen schnell wieder, dann bleiben all die Frauen zurück, die Hoffnungen hatten, mit dieser Pionierin vor Augen Berufsperspektiven zu haben, die ihren Fähigkeiten entsprechen. Oder sie bleiben im Amt und sind damit beschäftigt, das ihnen aufgenötigte Frauenbild zu verkörpern. Damit begrenzen sie den Raum für andere Frauen, sich von sexistischen Stereotypen zu lösen und fachliche Exzellenz oder auch ihre Durchschnittlichkeit selbstverständlich leben zu können.
Machen wir die Gegenprobe: Denken wir an einen fähigen und erfolgreichen Charismatiker im höchsten Amt, der ganz andere Peinlichkeiten als Bischöfin Käßmann überstand und doch populär blieb oder sogar durch sie an Popularität gewann (»einer wie wir, der das Leben kennt«). Er konnte nebenbei Krieg führen und sein Wahlvolk sah sich zunehmend genötigt, sich von mehreren Jobs am Leben zu erhalten, machte aber nichts. Repräsentiert Bill Clinton nicht eine gelungenere Synthese von Amt und Person als Margot Käßmann? Offenbar konnte er unbekümmert bleiben und war als Präsident nicht genötigt, über den Zusammenhang von Amt und Geschlechterfragen zu reflektieren oder seine Persönlichkeit, einschließlich seiner Sexualität, zu verleugnen. Oder nehmen wir die katholischen Priester und Seminarleiter, die Gewalt gegen Kinder ausüben oder deckten. Warum sind sie, einmal ertappt, nicht zurückgetreten, sondern wurden jahrzehntelang von ihren Vorgesetzten allenfalls in andere Positionen abgeordnet? Ihr Amtsverständnis macht sie letztlich unangreifbar, es basiert auf einer Machtausübung, die von den Amtsinhabern im Klerus und den Laien (sprich: dem Volk) bejaht wird.[1]Charisma ist im Katholizismus nur eine gern gesehene, aber lässliche Zugabe (man denke an den nachhaltigen Erfolg von rhetorischen Schlaftabletten wie Benedikt XVI oder Kardinal Meisner), das Stabile ist das Amt; bei Margot Käßmann hatte es die Türen geöffnet, es hielt aber das Amt nicht aus.
Das sind nicht sehr erquickliche Vergleiche, doch werden sie hier vor allem aus Verzweiflung und Zorn angeführt. Margot Käßmann hat für ihren Aussetzer (wer brachte den Führerscheinverlust in die Öffentlichkeit? Strafverfahren wegen Geheimnisverrats wurden mittlerweile eingeleitet) ein aus Sicht vieler Frauen wichtiges Feld geräumt, ohne Kriege angezettelt oder Gewalt ausgeübt zu haben. Sie wurde noch nicht mal bei einem Bordellbesuch auf Kirchensteuerkosten erwischt.
Warum wog die frauenpolitische Bedeutung ihres Amtes nicht genug, um dem Druck durch die Medien – für sagen wir noch 14 Tage – etwas entgegenzuhalten und dann einfach weiterzuarbeiten? Obwohl doch »Alle« »uneingeschränkt« (Votum des Rates der EKD) hinter ihr standen und Tausende Schreiben einschließlich der Beschwörungen von Mitgliedern der Kirchenleitungen eingingen, damit sie bleibe? Warum, so die enttäuschte und zornige Frage, entscheidet sich diese weit über die evangelische Landschaft hinaus geschätzte Frau nicht nur, wie sie sagt, für sich selbst, sondern eben auch und mit nachhaltigen Folgen gegen die Frauen, die sie angeblich besonders gut repräsentiert?[2] Musste sie wirklich befürchten, dass – anders als bei Bill und den Bischöfen – ihr Alkoholvergehen sie nachhaltig an ihrem Amt und dem, was sie darin für wichtig hielt, hindern würde? Das hätte dann allerdings mit Medienmacht, Patriarchat und der ihr eigenen Amtsführung zu tun. Wobei letztere auf diabolische (im wörtlichen Sinn: die Dinge und das Handeln durcheinander bringende) Weise nicht frei von den Gesetzen der ersteren war.
Es genügt deshalb nicht, sich wie Chefredakteur Arnd Brummer vom evangelischen Magazin Chrismon im Nachhinein schützend vor die Person zu stellen und Häme, Schadenfreude der Anderen und die Mediengesetze des Kapitalismus anzuklagen. So geht er über die Krux Käßmanns zu schnell hinweg: Sie wollte (mediale) Präsenz und handelte deshalb nach den Gesetzen derjenigen, die Präsenz zu garantieren scheinen; sie erreichte als Frau ein bislang Männern vorbehaltenes Amt und erbte dabei die Strukturen und Gesetze des Patriarchats mit. Die Vermutung liegt nahe: Einen Pakt mit der Macht des Kapitalismus und dem Patriarchat zu schließen, kann eine persönlich lautere, sympathische und charismatische Person nicht unbeschädigt überstehen, weil sie den so herbeigerufenen Zauberlehrling nicht mehr loswird. In feministischer Perspektive haben wir es mit einem Lehrbeispiel für die Frage nach Frauenstärken und Frauenschwächen im öffentlichen Handeln zu tun, das im Folgenden näher untersucht werden soll. Es kann dabei nicht ausbleiben, dass auch das Verhalten der Bischöfin selbst kritisch beurteilt wird, auch wenn ihre persönliche Integrität nicht tangiert werden soll.[3]
Doch der Reihe nach
Zunächst müssen einige Fakten zu Kirche als Arbeitswelt für Frauen in Erinnerung gerufen werden, die deutlich machen, dass auch Karrierefrau Käßmann keineswegs schlafwandlerisch sicher als Gleiche unter Gleichen arbeiten konnte:
Anfang des 20. Jahrhunderts begann die schleppende Zulassung von Frauen zum Theologiestudium; seit 1925 sind vereinzelt Theologinnen unter diskriminierenden, eingeschränkten Bedingungen pastoral und religionspädagogisch tätig; sie bekommen einen Status als »Vikarin«; das Beamtinnenzölibat wird nach 1945 für Pfarrerinnen lange beibehalten; 1934 und 1952 habilitieren sich die ersten beiden evangelischen Theologinnen; in den 1970er Jahren (!) erfolgt die sukzessive rechtliche Gleichstellung von Pfarrerinnen mit männlichen Kollegen (die kleine lutherische Nachbarkirche Käßmanns in Schaumburg lässt sich noch bis Ende des Jahrtausends Zeit damit ...).
Gibt es nun Gleichstellung auf dem kirchlichen Arbeitsmarkt? Theologinnen haben heute vielfach Teilzeit- und minderbewertete Stellen und gehören überproportional zu den aus dem kirchlichen Arbeitsmarkt Entlassenen; die konkreten Pfarrtätigkeiten sind geschlechtertypisch verteilt. Gleichstellungsgesetze greifen bei Stellenbesetzungen nicht. Quotenregeln sind unüblich.
In der geschlechterhierarchisch strukturierten Erwerbswelt durchläuft die Kirche derzeit einen Prozess der Feminisierung. Das bedeutet, dass gesellschaftliches Ansehen, Bezahlung und soziale Sicherheit eines Arbeitsfeldes zurückgehen und damit die Attraktivität für Männer sinkt. Es gibt mehr weibliche als männliche Theologiestudierende; der Anteil von Frauen im Pfarrberuf steigt, in begrenztem Umfang auch in leitenden Rollen – vor allem auf der niederen lokalen Ebene, sehr vereinzelt in höheren Positionen.
Welche Optionen bieten sich für akademisch qualifizierte Theologinnen wie Margot Käßmann? 1997 wird die erste theologische Hochschul-Dozentur für (ev.) feministische Theologie besetzt (heute gibt es zusätzlich noch eine Juniorprofessur); die erste »Feministisch-theologische Basisfakultät«, ein Breitenbildungsangebot auf dem Kirchentag, beginnt, als Käßmann dort Generalsekretärin ist. Bis heute sind Theologieprofessorinnen eine Seltenheit und in den Hochschulen sind die Lehrstühle geschlechtsspezifisch verteilt: Theologinnen lehren Religionspädagogik, praktische Theologie sowie Exegese und Kirchengeschichte, Männer die Hardcore-Fächer Systematik / Ethik; im Katholizismus lehren Frauen (Sozial-)Ethik, vermutlich, weil dort die Moraltheologie (u.a. Sexualethik) männlich dominiert sein muss.
Wissenschaftlich qualifizierte Frauen haben kaum Chancen auf eine kirchliche Karriere (Beispiele können aus Datenschutzgründen nicht genannt werden). Offizielle Zahlen oder Transparenz personalpolitischer Entscheidungen – z.B. Habilitationsförderung etc. – Fehlanzeige! Personalentwicklung wird nur sehr marginal betrieben, auf freiwilliger Basis, konzipiert von einem Theologinnen-Netzwerk und dem EKD-Referat für »Chancengerechtigkeit«.[4]
Margot Käßmanns Aufstieg wurde gefördert durch informelles Mentoring. Sie war mit 25 Jugend-Delegierte bei der Vollversammlung des Ökumenischen Rates der Kirchen (der globalen Dachorganisation von Protestanten und Orthodoxen) und kam direkt in sein Leitungsgremium. Sie sammelte also früh internationale kommunikative Erfahrungen; sie promovierte bei einem liberalen und politisch sensiblen Vertreter der intellektuellen bürgerlichen Elite, dem Theologieprofessor und späteren Generalsekretär des Ökumenischen Rates, Konrad Raiser (zum Wirken anderer Elite-Theologen unten mehr). Beim Kirchentag bekleidete sie als Generalsekretärin eines der thematisch vielseitigsten Ämter im deutschen Protestantismus, das zugleich eine Myriade an Kontakten zu gesellschaftlich einflussreichen Personen, Gruppen und zur Kirchenbasis mit sich bringt. Ihre Medienerfahrung kam ihr maximal zugute, als sie zur Bischöfin in Hannover, der größten evangelischen Landeskirche, gewählt wurde; dort gelang es ihr schnell, Nähe zu Gruppen und Gemeinden herzustellen, was für Frauen in Leitungspositionen besonders wichtig ist, denn sie müssen ihre Hausmacht ja erst aufbauen. Die »Heimatkirche« trug später ihre Ehe-Scheidung und ihre Krebserkrankung mit. Bei ihrer Wahl zur Bischöfin 1999 griffen anachronistische Vorhaltungen aus dem Wahlgremium zur Vereinbarkeit ihrer vierfachen Mutterschaft mit dem Beruf ins Leere. Im Gegenteil: Zeitgeist und Person passten gut zusammen und sie siegte souverän. Ihre lockeren, überzeugenden Medienauftritte gaben vielen Frauen Schwung. Sie wickelte oft die Fernsehprofis in zwei Minuten um den Finger. Bild schwärmte einmal: »Ihr Lachen klingt nach Freude, deshalb ist es unwiderstehlich.«[5]5 Sie erwies sich als kommunikative kirchliche Botschafterin, was für das Amt der Ratsvorsitzenden der EKD wichtig ist. Von der Öffentlichkeit werden öfter Erwartungen an diese Position herangetragen, die auf der Verwechslung mit dem römischen Katholizismus mit seinem verbindlichen, an die Hierarchie geknüpften Lehramt beruhen. Die EKD-Ratsvorsitzende hat keine Autorität im Sinn von Richtlinienkompetenz à la Kanzlerin und keine Exekutiv- und Sanktionsmacht. Sie hat ein Amt als Moderatorin und Sprecherin. Aber schon ihr Vorgänger Wolfgang Huber und viele evangelische Zeitgenossen in regionalen oder föderalen Leitungspositionen sind zunehmend der Versuchung der »Farbe Purpur« verfallen. Sie wollen auch als Vertreter einer irgendwie sakramental aufgewerteten Kirche gesehen werden, obwohl das im Gegensatz zum reformatorischen Bekenntnis steht. Die Medien schätzen diesen katholisierenden Zug, weil er gut mit der Personalisierung und Elementarisierung kirchlicher Nachrichten zusammenpasst. Diese lassen sich leichter vermarkten als widerstreitende Diskurse.
Als Margot Käßmann im Herbst gewählt wird, sind alle hochzufrieden: man erwartet eine evangelisch-liberale und sozialmoralische Instanz, die politisch nicht weit vom intellektuell-rhetorisch brillanten Vorgänger entfernt ist – aber: »Mit Gefühl« (SZ, 25.2.2010). Inhaltlich nichts allzu Aufregendes also. Mit Genugtuung registrieren Frauen und aufgeschlossene Männer, dass endlich eine Frau in der evangelischen Kirche auf Platz 1 der Wahrnehmung steht. Die Theologin Almuth Voss prognostiziert: »Schon ihre mediale Präsenz als Frau in diesem Amt wird in ‹meiner Kirche›, in der Ökumene und im interreligiösen Dialog wenn auch keine feministischen, so doch feminine Spuren hinterlassen« (Schlangenbrut 108, 1/2010, 38).[6]
Nach wenigen Wochen kommen Käßmanns zweifelnde Kommentare zum Kriegserfolg in Afghanistan. Das Echo: Aufregung, massiver Druck von »oben«. Beifall von »unten«. Eine Gelegenheit, sich als politisch denkende, kritische Theologin zu profilieren. Doch nun muss sie den nach (Alt-)Parteienproporz, Frömmigkeitsrichtungen und Regionen zusammengesetzten Rat der EKD und dem mächtig agierenden Kirchenamt, das von einem hundertfünfzigprozentigen Gremien- und Kontrollprofi geleitet wird, ausbalancieren; sie muss der konservativen, sich als unpolitisch und bibeltreu verstehenden evangelikalen Presse standhalten, die immer dann von selber gar nicht evangelikalen Kreisen mobilisiert wird, wenn Personen oder kirchliche Fachdienste »sich einseitig positionieren«. Die offiziellen Positionen der EKD schwanken traditionell zwischen Verdoppelung des jeweiligen Regierungsinteresses und dem medial nicht mehr zu leugnenden gesellschaftlichen »Reformbedarf« zu wichtigen Themen, sei es Krieg, Migration, Sozialpolitik oder Finanzkapitalismus.[7] Zum Jahreswechsel 2009/10 spricht Käßmann schlicht den Konsens des Zweifels in der Bevölkerung aus. Ihr Stellvertreter und späterer Nachfolger, Präses Nikolaus Schneider, stimmt ihr zu. Journalistische Beobachter konstatieren: »An Beckmanns TV-Beichttisch wunderte sie sich nun selbst über die ganze Aufregung. Ihre Position sei doch gar nicht neu, vielmehr die Haltung der Evangelischen Kirche insgesamt. Der ›gerechte Friede‹ stehe im Mittelpunkt, nicht der ›gerechte Krieg‹ ... In Polit-Protestantisch übersetzt: ›Vorrang für Zivil‹.« (Reinhard Mohr in Spiegel TV, 12.1.2010).[8] Inhaltlich bringt sie also nichts Umstürzendes, bekommt aber Gegenwind zu spüren.
Sechs Wochen später erfolgt der Rücktritt. Er löst große öffentliche Anteilnahme aus, die seltsam widersprüchlich wirkt: Alle wollen, dass sie bleibt – Alle danken, dass sie geht. Bild sagt es vermutlich am schönsten: »DEUTSCHLAND WEINT MARGOT KÄSSMANN NACH« (25.2.2010). Wie ist das zu erklären?
Wer hat eigentlich was davon?
Zunächst profitieren die Konservativen in Kirche und Gesellschaft, die nicht wollen, dass Kirche politische Opposition betreibt. Dass die Auseinandersetzung um die deutsche Afghanistanpolitik mit dem persönlichen Fehlverhalten der Alkohol-Fahrt auf eine Ebene gestellt werden kann, dient dem politischen Status quo. Die Massenmedien waren wichtige Helfer dieser Entpolitisierung, die mit klassischen Strategien funktionierte. Auch geschlechterspezifische Akzente fehlten nicht.
Ein probates Mittel zur Neutralisierung von Störenden – besonders gern bei Frauen angewendet – ist der Zweifel an ihrer Kompetenz und an Standfestigkeit. Der Journalist Robert Leicht, ehemaliges EKD-Ratsmitglied und früherer Präsident der Ev. Akademie zu Berlin-Brandenburg, bezweifelt rückblickend Käßmanns politische und handwerkliche Fähigkeiten: »... dann kam der Streit um die Afghanistan-Intervention, wobei es ja nicht um den Einsatz in der Predigt ging, auf den die Bischöfin bei ihrem Rücktritt noch mal Bezug genommen hat, sondern sie hatte einige Zeitungsinterviews gegeben, die – ja, im Ernst – nicht vertretbar waren sachlich und die ja dann auch eingefangen wurden durch eine Erklärung von vier Personen, zu denen sie ja auch gehörte, die wiederum sehr gut waren.« (D-Radio, 27.2.2010)[9]
Ein weiteres Mittel ist die enge Definition des Machtbereichs und der Zuständigkeiten der jeweils Einzudämmenden. Politiker, »seriöse« Medien und Protestanten, die sich dort äußern dürfen, stellen wieder einmal klar, dass Kirche sich nicht kritisch einmischen soll.[10] Käßmann musste in Interviews ihr öffentliches Mandat als Ratsvorsitzende verteidigen und sah sich dem Vorwurf der Amtsanmaßung ausgesetzt. Bemerkenswert ist die Kritik des Theologieprofessors Friedrich Wilhelm Graf, der unterstellt, sie »leistete dem fatalen Eindruck Vorschub, als wisse eine Ratsvorsitzende besser als die demokratisch Verantwortlichen, was in Afghanistan zu tun sei. Auch trat sie mit dem Anspruch auf, nur sie vertrete den deutschen Protestantismus« (»Moral ist keine Religion«, in: Neue Zürcher Zeitung, 4.3.2010).[11] Grafs Kommentar setzt sich über die Quellenlage klar hinweg. Zudem offenbart er das Selbstverständnis einiger Elitenangehöriger, die Ausübung politischer »Verantwortung« für die »Experten« und Systemvertreter reservieren wollen. Durch die Afghanistankontroverse hat Käßmann überdies die geschlechtsspezifische Arbeitsteilung in der kirchlichen Ethik infrage gestellt, welche Außen- und Sicherheitspolitik Männern und Nahbereichs- bzw. »Care-Themen« den Frauen vorbehält. Spiegel-Kommentator Reinhard Mohr bemerkte nach dem Beckmann-Talk im Januar: »Der unterschwellige Ton ‹Von solchen Sachen versteht die Frau nichts› war zuweilen nicht ganz zu überhören« (a.a.O.).
Eine andere, angesichts der zur Debatte stehenden politischen Fragen absurde Strategie ist die Skandalisierung der öffentlichen Unruhe. Bild beklagt im Januar: »Sie will den Rückzug aus Afghanistan, doch jetzt gerät sie selbst unter Beschuss!« und: »... bereits in den vergangenen Tagen kam Kritik aus allen Lagern auf, auch die katholische Kirche wehrte sich gegen Käßmanns Fundamental-Kritik« (14.1.2010). – Ohne dass Bild zum Krieg politisch Stellung bezieht, wird die Bischöfin als Person »ins Schussfeld« gerückt, da sich über »Skandalisierung« die Story Käßmann im Tagesgeschäft fortsetzen lässt. So kann Bild später zugleich Sympathie für sie (Volkes Stimme) und ihr Versagen thematisieren (starker Alkoholkonsum ist unverantwortlich ...).[12] Wie ist in diesem Zusammenhang die Äußerung von Kanzlerin Merkel zu verstehen, die Bischöfin solle ruhig ihre Meinung sagen und Kirche politisch mitreden (»Afghanistan-Debatte. Kanzlerin nimmt Käßmann in Schutz«, Spiegel Online, 14.1.2010)? Und wie die Einladung zu einem Truppenbesuch an der Front (der ihr Nachfolger Schneider bald folgen will) durch Minister Guttenberg? Hier nutzten die Profis auf differenzierte Weise das Medienecho und versuchten, Käßmanns Popularität für sich zu nutzen: als »embedded bishop«.
Angesichts der medialen Eigendynamik ist zu bezweifeln, dass Käßmann wirklich »Ideale von unten nach oben trug, die die da oben ziemlich in die Bredouille brachten« (Britta Baas, »Ideal und Wirklichkeit«, in: Publik Forum 5/2010, 12.3.2010, 14). Denn als Ergebnis ihrer abrupt beendeten Amtszeit bleibt ärgerlicherweise, dass die seit langem wenig wahrnehmbare prophetische Rolle der Christenmenschen von oben her geschwächt wurde.[13] Käßmann war nicht vorbereitet, eine öffentliche Kampagne zu bestehen. Ihr fehlte ein Bündnis, das ihr Echo geben konnte. Das Echo kam über die Massenmedien und gab die herrschenden Verhältnisse wider. Die Alternative zur Sicht »von oben« à la Leicht und Graf wäre nicht mehr oder »bessere« Elitenkommunikation gewesen, sondern Kontakt zur kriegskritischen Zivilgesellschaft. Die Frage der persönlichen (Nicht-)Integrität, welche mit der Alkoholfahrt aufkam, konnte in dieser Konstellation ihre kritischen Aussagen neutralisieren. Die Schwächung der politischen Interventionsfähigkeit von Christen ist im Sinn derer, die ihr einen moralischen Dolchstoß in den Rücken der Bundeswehr vorgehalten hatten anstatt sich dem realen Leiden und Sterben in Afghanistan zu stellen. Nachdem nun offiziell von Krieg gesprochen wird, fehlt wiederum ihr prophetisch-kritisches Interventionspotenzial auch medial. Wer hält derzeit öffentlich dagegen, wenn die Kommentatoren – nicht mehr satirisch wie die taz – fordern: »Es wird Zeit, den Deutschen den Krieg zu erklären.«?
Von Käßmanns Abgang profitieren sodann: die religiösen Patriarchen. Bei ihrer Wahl hatte die Russisch-Orthodoxe Kirche erneut signalisiert, wo der Hammer hängt. Sie legte vorläufig ihre Beziehungen zur EKD auf Eis. Mit der EKD-Leitung sei kein offizieller Kontakt möglich, solange ihr eine Frau vorstehe.[14] Ob Männer es sich vorstellen können oder nicht: das ist nicht nur anachronistisch, sondern auch verletzend für die Betroffene, die ja zugleich darum ringen muss, Autorität bei den Männern in den eigenen Reihen zu gewinnen.[15] Kirchenfrauen in Leitungsposition erfahren persönliche Missachtung, wenn sie bei offiziellen Gesprächen mit orthodoxen Kirchenmännern separat platziert werden, wenn Patriarchen anderer Religionsgemeinschaften sich weigern, Frauen die Hand zu geben, geschweige denn, mit ihnen theologisch und politisch zu verhandeln. Umfassende evangelische Solidaritätsadressen an Käßmann gegenüber der Orthodoxie und ein EKD-Beschluss, andere Kirchen von der Gleichberechtigung der Geschlechter überzeugen zu wollen, blieben aus. Stattdessen musste die Bischöfin sich mehrfach selbst erklären und für ihr Frausein rechtfertigen, in Fernsehinterviews, in denen sie um Toleranz der Orthodoxie und des Katholizismus gegenüber einer evangelischen Kirche bittet, die Frauen für amtsfähig hält. Noch anlässlich ihres Rücktritts muss sie sich ihr Frausein als »Fehler« zurechnen lassen: »Bereits ihre Wahl – als erste und dazu noch geschiedene Frau – an die Spitze der Evangelischen Kirche in Deutschland löste einen Eklat mit der russisch-orthodoxen Kirche aus« (Die Zeit, 23.2.2010).
Es profitieren auch jene katholischen Kleriker, für die Frau Käßmann ein Störfaktor war. Die Störung besteht im Frausein und im partizipatorischen evangelischen Kirchenverständnis, denn beides stellt das Patriarchat infrage, das im Katholizismus nun einmal durch Zölibat und kirchliche Hierarchie institutionalisiert ist. Die unheilige Ökumene der Patriarchen wird durch jene »modernen« Protestanten, die sich als eloquente »Reformer« zeigen, ergänzt. Sie lassen sich gern vom orthodoxen oder römischen Amtsverständnis faszinieren und symbolisieren es unter dem Vorwand der »Erkennbarkeit« und »Identitätswahrung« durch Tragen von klerikalen Accessoires (Stehkragen, Kreuze, Siegelringe), fordern aber zugleich für die islamische Frau Kopftuchfreiheit. Frauen können bei der Re-Klerikalisierung der evangelischen Kirche nicht mitmachen, ohne in Widerspruch zu sich selbst zu geraten. Und doch, manche tun es. Auch Margot Käßmann hat sich als Bischöfin wie ihre Amtsschwestern von der »Faszination der Farbe Purpur« affizieren lassen. Nur wurde sie damit nicht frei vom Patriarchat, sondern tappte in dessen Falle. Im Unterschied zum evangelischen männlichen Klerus musste sie sich anschließend vorhalten lassen, mit dieser Mimikry protestantische Prinzipien verraten zu haben.[16]
Schließlich profitieren jene Männer in der Arbeitswelt Kirche, die sich über traditionelle Männlichkeitskonzepte definieren, vor kompetenten, selbstbewussten Frauen Angst haben und Bestrebungen nach Gleichstellung durch entsprechende Gesetze als »negative Diskriminierung« beschwören – eine konstruierte Furcht, die durch Fallstudien und Statistiken leicht zu entkräften wäre. Im kommenden Jahr wird in der Folge von Käßmanns Rückzug und Pensionierungen nur noch eine Frau Bischöfin einer evangelischen Kirche sein und nicht mehr vier. Ihr kommissarischer Nachfolger bei der EKD ist ein Mann, auch bei der nächsten Wahl wird mangels Auswahl ein Mann gewählt werden. (Die Süddeutsche Zeitung folgert, die EKD werde wieder, was sie vor Käßmann war: »Solide, brav und männlich«, 1.3.2010) Der Rückzug sichert faktisch Männern Posten. Der Fall hat deshalb Bedeutung für alle christlichen Frauen, aber auch für Frauen in anderen Religionsgemeinschaften. Wenn sich schon bei den liberalen Protestanten Frauen nicht halten können, wo dann?[17]
Also nochmal: Warum wollten »Alle«, dass Käßmann bleibt? Wieso erscheint ihr Rücktritt als Vollendung ihres »Bleibens«, warum erfüllt sie ihre Bestimmung, indem sie aufgibt? Sie hat anscheinend »dem Anspruch der Anderen durch ihren Rücktritt ideal entsprochen« (Britta Baas, a.a.O.). Machen wir die böswillige Unterstellung, es nutze genannten Gruppen, dass sie zurücktritt, während sie zugleich wollten, dass sie bleibt. Hätten sie es gut gefunden, in ihr die Vorzeigefrau zu behalten, die Probleme anspricht, ohne je radikal zu werden, weil sie stets den Vorwurf der Doppelmoral fürchten muss? Wäre es für sie nützlich gewesen, sich von einer populären Persönlichkeit repräsentieren zu lassen, während die eigentlichen Entscheidungen auf der Arbeitsebene getroffen werden?[18] Hätte ihre Funktion als Argument gegen Quotierungsforderungen angeführt werden können, als weibliche Beruhigungspille, welche über die anhaltende Ausgrenzung feministischer Theologie und von kompetenten, kritischen Frauen hinwegtröstet? Man mache die Gegenprobe und denke an die Auseinandersetzungen um die »Bibel in gerechter Sprache« (1. Aufl . 2006), in der feministische Forschungserträge auf die Schriftübersetzung angewandt werden. Die vielverkaufte Neu-Übersetzung stieß auf große Resonanz, aber auch auf massiven Widerspruch, der teils von denselben hier zitierten Käßmann-kritischen Akteuren artikuliert worden ist (vgl. www.bibel-in-gerechter-sprache.de). Soweit sollte es wohl mit dem Feminismus in der Kirche nicht kommen, dann lieber eine liebe Bischöfin ... Anscheinend verträgt sich die allgemeine Anerkenntnis von Käßmanns »Reinheit « mit der »Geschlechtergerechtigkeit light« in der evangelischen Kirche. So aber wirkt ihr Rücktritt als Signal in die falsche Richtung, als Resignation pur. Hatte diese frauenpolitische Dimension keine Bedeutung bei ihrer »Gewissensentscheidung «? Warum reflektiert sie darüber nicht öffentlich? Ein unmögliches Verlangen? Vielleicht. Schließlich war die veröffentlichte Zustimmung zur Bischöfin auch im Moment ihrer Rücktrittsentscheidung nicht ohne Ambivalenz. Die Zeit titelte am 23.2.2010: »EKD stellt Käßmanns Eignung infrage« – ohne dass diese Überschrift im folgenden Text mit irgendetwas belegt würde. Worauf bezieht sich der Titel also? Das Votum des Rates der EKD, mit dem er sich zugleich hinter sie stellte und ihr die Entscheidung über den Verbleib im Amt überließ, klang doppeldeutig (Presserklärung EKD, 24.2.2010).[19] Auch der NDR ist den Ereignissen schon einen kleinen, aber entscheidenden Schritt voraus und überschreibt am Rücktrittstag, dem 24.2.2010, seinen Pressespiegel: »Käßmann als Vorsitzende der EKD wahrscheinlich erledigt«.[20] Diese Beispiele mögen typisch für die Medien als Schrittmacher im schnellen machtpolitischen Tagesgeschäft sein. Uns interessieren darüber hinaus die geschlechtsspezifischen Rahmenbedingungen, in denen Medien, Politik, Kirche und Käßmann selbst sich bewegen. Was lehrt diese Geschichte über Frauenstärken? Um diese Frage weiter klären zu können, ist auf die Wirkung sexistischer Stereotypen zu achten, die zum Einsatz kamen. Im Fallbeispiel Margot Käßmann lassen sich deren mehrere benennen – und als Mechanismen identifizieren, die Frauen schwächen können. Der weibliche Körper Zu den Klassikern unter diesen Stereotypen gehört die Focussierung auf den weiblichen Körper: Christine Lemke-Matwey hält in einem Kommentar zum Weltfrauentag fest: »Die Ex-EKD-Ratsvorsitzende wurde einer regelrechten Exegese unterzogen, nach Körpergröße, Gewicht, Alter, Herkunft. Tenor und Resultat: Diese ach so zarte Frau war von Amts wegen überfordert.« (Tagesspiegel, zit. n. Zeit Online, 8.3.2010) Natürlich kann Bild auch das am besten. »Die kleine, zierliche Käßmann (1,60 Meter) trägt das große Verdienstkreuz. Mit den Mächtigen spricht sie auf Augenhöhe. Sie ist uneitel (schlichte Bubi-Frisur).« Und, den Körper der Frau gleichsam erweiternd: »In ihren erwachsenen und bildhübschen Töchtern fand die ehemalige EKD-Chefin in den letzten Tagen den Halt, den sie so dringend brauchte« ... (a.a.O.). Auch die Süddeutsche Zeitung weist auf Käßmanns Körpergröße hin, die wohl nahelegt, dass sie die Last nicht schultern kann. Wie sonst ist zu erklären, dass – zusammen mit der fotographischen Inszenierung ihrer »Schwäche« – die Bischöfin einsichtig zitiert wird: »So mutig fühle ich mich gar nicht«. Die SZ-Redakteure suggerieren so, dass nach der Demütigung ihr Mut geschwunden ist und urteilen sachlich-sachkundig, ihre Amtszeit blieb »ein Strohfeuer« (»Mit Gefühl«, Vorspann, SZ, 25.2.2010, 3.). Die TV-Übertragung ihres Rücktritts, mit Auf- und Abgang zur Pressekonferenz, zeigt sie eingerahmt zwischen zwei körperlich erheblich mehr Raum einnehmenden Männern. Schon ihr Amtsvorgänger Wolfgang Huber hatte einen »übermenschlichen Schatten« auf die »zierliche Frau« geworfen (SZ, 24.2.2010) geworfen. Der jedoch ist schlank und nicht ungewöhnlich groß; sein Intellekt und seine Zugehörigkeit zur alten bürgerlichen Elite [Sohn des Staatsrechtsprofessors E.R. Huber] machen ihn zum Schatten werfenden Riesen. Den Mann macht die Ratio groß, die selbstverständliches Kriterium seiner öffentlichen Beurteilung ist. Eine sich per Ratio prof lierende Frau muss gegen ihre öffentliche Körperwahrnehmung ankommen. Was ist die Botschaft dieser Medienbeschreibungen an Frauen? Einschüchterung durch so viel männliche Größe und (zumindest in der Kirche) auch die Kehrseite davon: die Nötigung, weibliche Stärke und Intellekt anders einzusetzen als Männer, nämlich so, dass dieser und die ganze Frau ihnen »nicht zu groß« erscheinen.[21]
Strukturelle Fallstricke: Exklusion qua Geschlechterontologie
Theologinnen, die kirchlich und wissenschaftlich in Deutschland reüssieren wollen, dürfen sich möglichst keinem Feminismus-Verdacht aussetzen. Erreichen sie eine interessante Position, halten manche es plötzlich für ein Kennzeichen ihrer »Professionalität «, »Frauenfragen« nicht mit Priorität zu behandeln, obwohl doch Frauen die große Mehrheit der Beschäftigten und Aktiven in den Kirchen stellen. Gern wird heute von »Gendermainstreaming« gesprochen, Frauenreferate werden entsprechend umgewidmet. So lockert sich der weibliche Solidaritätszusammenhang und die Analyse des postmodernen Patriarchats versandet. Margot Käßmann hat sich nicht feministisch positioniert. Dennoch wird sie gleichsam denunziert, Symbolfigur der Frauenbewegung zu sein: »Sie wurde damit [mit ihrer Strategie der Emotionalisierung und Selbstdarstellung, die Verf.] zur Ikone der deutschen Frauenbewegung.« (F.W.Graf, NZZ, 4.3.2010) Aus der Sicht des Professors geschah dies wohl qua Frausein und weil sie erfolgreich darauf beharrt hatte, mit Familie und Karriere zu leben. Der strukturelle Sexismus, in dem Frauen sich bewegen müssen, funktioniert als Exklusionsmechanismus.
Frauen sind ferner genötigt – auch wenn die innerkirchliche Akzeptanz sehr gewachsen ist –, sich zu ihrer eigenen Lebensform zu erklären; sie setzen sich oft innerkirchlich, teils auch gesellschaftlich für die Vielfalt der Lebensformen ein – und landen so wieder beim »ewig-weiblichen« Thema als einem Kompetenzschwerpunkt. Die Zwickmühle lässt keinen Ausweg. Das »Private ist immer noch politisch« und müsste auf politischere Weise thematisiert werden.
Für das vermeintlich nach persönlicher Nähe und Anfassbarkeit suchende Kirchenvolk hat Käßmann ihre Rolle richtig gespielt. »Dafür wird sie geliebt ... von Frauen ..., die sich angesprochen fühlen von der Wärme und Ehrlichkeit, auch von der Frömmigkeit dieser kleinen (sic!) Frau« (»Mit Gefühl«, SZ, 25.2.2010). Mit dem Spiel auf dieser Klaviatur zementierte sie die Stereotype von der weiblichen Sozialkompetenz im Nahbereich, ohne dessen politische Dimension deutlich zu machen. Mehr noch: Diese »typisch weibliche« Kompetenz beschränkt auch die Reichweite ihrer politischen Interventionen. »Es darf doch auch mal ein Mensch seine Gefühle äußern«, stellt sich Horst Seehofer treuherzig an ihre Seite in der Beckmann-Fernsehshow zur Afghanistan-Debatte (12.1.2010). Ergo: Frauen argumentieren nicht politisch, sondern bringen Emotionen ein, die das Geschäft nicht stören – und Vati Seehofer schaut ihnen wohlwollend zu.[22]
Die moralische Falle: Opfergang
Die allseits gelobte »Verantwortungsübernahme« ist feministisch infrage zu stellen: Kann es Zeichen der Stärke einer Frau in einer Führungsposition sein, persönliche Schwäche zu zeigen? Dagegen spricht die Erfahrung, denn das merkt sich die andere Seite und wird es nutzen. Im konkreten Fall: Soll sich frau opfern und feiern lassen dafür, dass sie das Amt nicht hält, dafür dass sie Kritik persönlich nimmt, dass sie es auf sich nimmt, ein reines Gewissen zu haben und makellose Perfektion anzustreben? »Reinheit im Amt ... wird von denen verlangt, die sich auch persönlich verantwortlich machen« (Britta Baas, Publik Forum 5/2010, 14). »Die Reaktion einer Frau mit Verantwortung, viele haben das bei Käßmann bewundert. Die Theologin hat damit ihr Gewissen aber nicht in die Mitte der Gesellschaft hineingetragen, sondern aus dieser Mitte wieder heraus ... Zurück bleiben auch die, die niemals zurückgetreten wären und, in ähnlichen Fällen, nicht zurückgetreten sind. Meistens Männer, naturgemäß, schließlich bewegen wir uns in einem männlichen System. Schon seltsam: Wer ein Gewissen hat, geht – und wer keins hat, der bleibt?« (Christine Lemke-Matwey im Tagesspiegel, zit. n. Zeit online, 8.3.2010).[23] Warum sieht die Frau ihre Stärke darin, schwach zu sein, und warum bekommt sie als Lohn dafür ein großes Publikum, das ihren Fall als Tragödie zurückspiegelt? – Erleben die Heldin und das Publikum ihre Katharsis? Vielleicht reinigte sich das Patriarchat selbst: Ein Opfer musste leider gebracht werden – es darf und soll dafür verehrt werden – und nun geht es zur Tagesordnung zurück. Damit sind wir bei der theologischen Ebene angekommen, die zum Verständnis kirchlichen Handelns nicht ausgeblendet werden kann.
Zur Theologie, der Kernkompetenz einer Bischöfin
Margot Käßmann fungierte, so deute ich die außerkirchliche und gesellschaftlich breite Sympathie, als Stellvertreterin oder ethisch vorbildliche Lückenbüßerin für mangelndes politisches Gewissen. Und gerade dadurch wurde sie ihrem ethischpolitischen »Mandat« als evangelische Christin nicht gerecht. Das gilt unabhängig von ihren lauteren persönlichen Motiven. In ihrem Rücktritt übernahm sie stellvertretend das, was die Öffentlichkeit von unbußfertigen Politikern und Unternehmern, Krisen- und Kriegsgewinnlern vergeblich erwartet: zu Fehlern stehen, nicht am Amt zu kleben, Übereinstimmung von Programm und Handeln versuchen, Irrwege aufgeben. Abgesehen davon, dass der Austausch von Personen die Strukturen nicht verändert, ist dieses Stellvertreterkonzept ein Missverständnis der verantwortungsethischen Rolle von Kirche, die sich nicht in der individuellen Haltung erschöpft, sondern auf Distanz zur Herrschaft gehen muss. »Kritische Solidarität der christlichen Gemeinde mit den Regierenden«, wie es die reformatorische Theologie des 20. Jahrhunderts sagte, kann auch in der pluralistischen, demokratischen Gesellschaft nur unter klarem Markieren der Grenzen zu Macht und Machthabern bestehen und glaubwürdig kommuniziert werden. Ihre Verantwortung bestünde angesichts dessen, wofür sie nun gelobt wird, darin, gesellschaftliche Kritik artikulieren zu helfen, nicht darin, diesen Spielraum aufs Spiel zu setzen. Mit ihrem Rücktritt bestätigt sie die verbreitete falsche Idee, Kirche sei für individuelle Moral zuständig und nicht für politische Fragen. So gesehen ist sie kein gutes Vorbild für Kirchenfrauen, die häufig trotz ihres kritischen Engagements unpolitisch denken. Vielmehr bestätigen der »tiefe Fall« (F.W.Graf), das Lob für ihren Rücktritt und das gleichzeitige öffentliche Bedauern darüber, dass Käßmann als Frau Kompetenzen in Moral, Authentizität und Emotionalität zugestanden werden – politische aber nicht. Sie selbst hat aber hierbei mitgespielt, hier ist ihren Gegnern aus dem bürgerlichen, konservativen und patriarchalen Lager zuzustimmen. Dass sie als Einzelne, die über keine professionelle Agentur, sondern nur über zwei kirchliche Büros mit Pressesprechern verfügt, ihre mediale Vermarktung wirklich steuern könnte, muss bezweifelt werden. Es spricht eher für Selbsttäuschung, wenn sie sagt: »Als private Margot Käßmann lasse ich mich nicht vermarkten« (31.5.2008 in Bild – zeitgleich sendet Radio Bremen ein Porträt der Reihe »höchstpersönlich« anlässlich ihres 50. Geburtstages, einschließlich Interviews mit Töchtern, Freundinnen, Schwester). Nach ihrer Wahl zur Ratsvorsitzenden war sie gerade als Privatperson interessant: »Das neu gewählte Oberhaupt der evangelischen Kirche ganz privat« (Bild, 5.11.2009).
Eine nicht ganz ernstgemeinte theologische Interpretation des unerwarteten Falls von »Ma-Gott«: Der Gott der Bibel streitet von alters her primär gegen den Götzendienst im eigenen Haus. Die Personalisierung und der Käßmann-Kult der letzten Jahre, ihre Vermarktung in zahlreichen Erbauungsschriften[24] mit unzähligen Porträtfotos (angesichts dieser Marketingstrategien wäre an den kritischen und schützenden Sinn des biblischen Bilderverbots zu erinnern), die Ausgestaltung ihrer Vita als bischöfliche Homestory – auch wenn sie Angehörige schützte –, die notorische Ich-Aussage unter dem Vorwand der Authentizität und unter Außerachtlassung der gesellschaftsanalytischen Aufklärung der theologischen Verkündigung – das alles schlug seit jener Nacht des »Erschreckens über mich selbst« (Käßmann laut Bild) zurück. Zudem leiden Beschäftigte und Organisationen meist unter zu viel Charisma ihrer Anführer, auch das zwingt zur zeitlichen Begrenzung.[25] Daher also sprang – schwupps – die Ampel auf Rot und der Polizist stand daneben ... Diese kleine »fundamentalistische« Lesart will in aufgeklärt-kritischem Umfeld nicht mehr, als prophetisch inspiriert die Vorgänge beleuchten helfen. Die Angst, das Zugpferd zu verlieren und Tausende könnten nicht zum Ökumenischen Kirchentag in München strömen, offenbarte breites Vertrauen auf den falschen Weg: Statt Mündigkeit förderte die Selbstdarstellung Käßmanns Hörigkeit und vernebelte den kritischen Blick auf die gesellschaftlichen Verhältnisse. Das Pfund, mit dem sie wuchert, ist, dass sie medial »gut rüberkommt«, nicht die unverzichtbaren klaren Inhalte. Durch die Verknüpfung mit dem Bischofsamt ballten sich Amt und Charisma zu einer Autorität, die mit emanzipatorischer Selbstermächtigung von Frauen nichts zu tun hat.
Damit ist der dritte theologische Gesichtspunkt angesprochen: Die Trennung von Amt und Person im Luthertum als Voraussetzung für geistlich und weltlich verantwortliches Handeln: Diese kategoriale Trennung gesteht der handelnden Person Fehler zu und erlaubt ihr in der politischen Praxis reflektierte Verstöße gegen die radikal-christliche Ethik (Verantwortungsethik). Warum vertraute Käßmann nicht auf diesen Schutzmechanismus? Im Gegenteil, sie hatte diesen lutherischen Grundsatz weitgehend verabschiedet. Das erstaunt angesichts des traditional dekorierten Identitätsbeharrens der Protestanten der letzten Jahre, an dem sie deutlich beteiligt war. Natürlich ist die Trennung von Amt und Person doppelgesichtig. Sie kann Verantwortungslosigkeit, Komplizenschaft und Schizophrenie oder Doppelmoral bedeuten, aber auch Schutz vor Kumpanei und Erpressung, kritische Distanz zur Person und geschärfte Wahrnehmung der Organisation und ihrer Strukturen. Sie wäre zudem hilfreich gegen den überzogenen Anspruch der »Authentizität« einsetzbar gewesen. Friedrich Schorlemmer weist darauf hin, dass diese Differenzwahrnehmung auch die Botschaft schützen kann: »Maßstäbe des Menschlichen haben Gültigkeit trotz unseres Versagens« (»Ein einziger Moment«, in: Publik Forum 5/2010, 13).[26]
Theologische Verkündigung und ethische Positionierung müssen ihren Reflexions- und Urteilsprozess transparent machen, den eigenen Standpunkt und Erkenntnisinteressen offenlegen – was Dr. Käßmann mit ihrer internationalen Erfahrung sicher beherrschen dürfte.[27] »Wort Gottes«, ins Säkulare übersetzt: verbindliche Aussagen und die hilfreiche Transzendierung der Ist-Lage, wird nicht verkörpert durch eine Person; sie entstehen im dialektischen Prozess, im kritischen Diskurs – bei dem Situation und biblische Geschichte aktuell interagieren. Luther verlangte 1523 von der Gemeinde, die christliche Verkündigung ihrer Pfarrer selbst zu beurteilen und Schulen einzurichten; auch der Calvinismus setzte neben dem Predigtamt bewusst auf das Lehramt durch die Gemeinde. Zur reformatorischen Grundidee gehört Mündigkeit des Volkes, nicht Personenkult.
Prophetie ist Männersache. Anlässlich ihres Rücktritts kritisieren auch die zitierten bürgerlichen Medien die »Ikonisierung« und die Vermischung von Amt und Person, welche sie teilweise als Ausdruck der modernen Mediengesetze verstehen (vgl. Heike Schmoll, »Evangelische Kirche: Amt und Person«, FAZ net, 25.2.2010). Doch deuten sie diese Phänomene in einem anderen Rahmen. Es geht außer um politische Vorherrschaft auch um die Geschlechterverhältnisse, die dann theologisch zementiert werden. Sie wollen die prophetische Stimme, die im Protestantismus stark männlich gedacht wird, nicht laut werden lassen. So macht F.W. Graf[28] die Bischöfin erneut »zur Frau«, die in der Öffentlichkeit zu schweigen hat. Sie habe, mit »Frisur, Kleidung und Schmuck [gezeigt], ... dass hier eine entschieden moderne Frau agiert«.[29] Sie habe »präreflexive Unmittelbarkeit« (sprich: ist nicht rational genug) und »Narzissmus« (sprich: achtet sich selbst als Person) eingesetzt. Der Professor resümiert: »Mit diesem Rücktritt hat sie noch einmal jenen Anspruch auf gesinnungsstolze Übereinstimmung mit dem eigenen Ich demonstriert, der ihre Amtsführung geprägt hat« (NZZ, 4.3.2010). Der Subtext seiner Reflexion zu Person, Amt, Götzendienst ist, dass Frau Käßmann die unter erfolgreichen Männern geübten Tugenden wie Macht- und Selbstbewusstsein und öffentliches Reden missbraucht hat. Männliche Tugenden sind weibliche Sünden. Genau das ist eine der zentralen Einsichten der feministischen Theologie. Bei Graf kommt zum Sexismus noch die Verachtung für das Volk hinzu, dem auch Käßmann entstammt. Wie konnte sie sich anmaßen, als eine aus kleinbürgerlichen Verhältnissen stammende Frau den »politisch Verantwortlichen« hineinzureden? Rückfrage: Ist in einer Demokratie nicht sogar die »Tankwartstocher aus kleinen Verhältnissen« (Bild, SZ u.a. anlässlich ihrer Alkoholfahrt) berechtigt, als politisch Verantwortliche einzugreifen? Manche Elitenvertreter spucken aufs Volk, aus dem die frühere Bischöfin stammt. Wie lässt sich die Praxis, das Amt ganz auf die Person zu gründen, mit dem persönlichen Interesse an Ämtern zum Ausgleich bringen? Als Ausweg blieb Margot Käßmann laut eigener Aussage der Prozess der »Reue«[30]: Sie hat diese für die Öffentlichkeit übersetzt mit »Gradlinigkeit« und »Respekt vor der eigenen Person«. Im Internet hat sie schon vor einiger Zeit ein kleines »Reue«-Skript geschrieben, mit dem sich ihre Rücktrittsbegründung deckt (www.e-reue.de) – also ihre »Authentizität« nochmals beglaubigt – und auf Souveränität beharrt. Antje Vollmer kommentierte wohl auch deshalb, die Gestaltung ihres Rücktritts sei bereits ihr Comeback. Das war wohlwollend gemeint, ich sehe es eher kritisch (»Das Comeback der Margot Käßmann. Wie aus einem Rücktritt Kraft erwächst – für die Frauen und für den Protestantismus«, in: Die Zeit, 5.3.2010). Ich-fixierte »Gradlinigkeit« sollte nicht als Ersatz für kritisch-profilierte »evangelische Zeitansage« (Motto der »Laienbewegung« Kirchentag) eingesetzt werden. Der Akt der Reue ist nicht ausschließlich als selbstgenügsame Zerknirschung des Gewissens zu verstehen. Reue hat die Dimension der radikalen Änderung des eingeschlagenen Weges. Biblische Prophetie fordert Reue / Umkehr von den Mächtigen, zielt auf das Gewinnen neuer Einsichten. »Reue« könnte – säkular gesprochen – in diesem Fall also für die Scheidung zwischen dem Weg von Diskurs, Dialog, Machtkritik und dem Weg von Mediengeschäft, charismatisch-klerikalem Zentralismus und Machtspielen stehen. Damit wäre sie weniger eine isolierte individuelle und im engen Sinn moralische Übung, sondern angewiesen auf Gespräche und Analysen dazu, unter welchen Bedingungen sich neue Wege eröffnen. In diesem Prozess müsste auch die Frage zu klären sein, ob es für Frauen nicht insgesamt besser ist, für die Farbe Lila statt für die Farbe Purpur zu optieren.
Feministische Schlussfolgerungen (ein Versuch):
Welche Perspektiven bieten sich Frauen angesichts dieser Fallstudie? Frauenstärken könnten als Praxis interpretiert werden, die in der Kritik der verkehrten Verhältnisse ihren Ausgang nimmt und daraus ihre Projektionskraft gewinnt, aber historisch offen ist und daher Entwurfscharakter behält (Konkrete Utopien / eschatologische Hoffnungen auf reale Veränderungen). Ausgehend vom Fall Margot Käßmann lassen sich daher Regeln mit Entwurfscharakter auf starke Frauen hin formulieren:
1. Du wirst das Patriarchat nicht unterschätzen, es aber auch nicht fürchten.
2. Du wirst kein Bildnis von dir geben, das dem »Bild der Frau« entspricht.
3. Du wirst nicht einzig auf deine persönliche Stärke und die vermeintlich Starken (Politiker), sondern auf die Stärke der vernetzten Mitstreiterinnen und Partner in der Sache vertrauen.
4. Du wirst nicht personalisieren und dabei die Macht der Geschlechterstereotype vergessen.
5. Du wirst nicht deine Inhalte der Konjunktur und den Marktgesetzen anpassen.
6. Du wirst dich thematisch nicht mit der lebensweltlichen Ecke begnügen und deine Fachkompetenzen nicht von anderen definieren lassen.
7. Du wirst dich nicht zur Stellvertreterin machen lassen und dich freiwillig opfern.
8. Du wirst nicht die Farbe Lila mit Purpur verwechseln, sie weiß oder schwarz einfärben wollen.
Hellsichtigeroog, im Frühjahr 2010
[1] Auch Bischof Mixa konnte sich deshalb so lange halten, weil ihn das katholische sakramentale Amtsverständnis schützte; zudem steht bei ihm neben dem Vorwurf der Gewaltausübung der Verdacht auf Untreue von Stiftungsmitteln zur Debatte; des sexuellen Missbrauchs wird er nicht beschuldigt.
[2] S. Antje Vollmer, »Das Comeback der Margot Käßmann. Wie aus einem Rücktritt Kraft erwächst – für die Frauen und für den Protestantismus«, in: Die Zeit, 5.3.2010; Interview mit Bärbel Wartenberg-Potter: »Der Sexismus hat ein Neidgesicht«, in: www.spiegel.de/panoramagesellschaft, 25.2.2010; sowie Kolumnen von Jakob Augstein, Friedrich Schorlemmer u.a.
[3] Medien, die konsultiert wurden (Internet Präsenz bis 1.5.2010 bzw. Druckausgaben): ARD, Bild, Chrismon, Der Freitag, Deutschlandradio Kultur, Die Zeit, epd-Nachrichten, FAZ Net, Herder Korrespondenz, Junge Kirche 2/2010, nachdenkseiten, Neue Zürcher Zeitung, Nordwestradio / Radio Bremen, Publik Forum, Schlangenbrut 108/2010, Spiegel online, Süddeutsche Zeitung, taz, unsere kirche – Zeitschrift für das evangelische Westfalen, Welt online, woz, Zeitzeichen.
[4] Vgl. für diese Zusammenstellung Veröffentlichungen der landeskirchlichen Frauenreferate – für eine optimistischere Konstruktion: C.Janssen u.a. (Hg.), Feministische Theologie. Initiativen, Kirchen, Universitäten – eine Erfolgsgeschichte, Gütersloh 2008.
[5] Foto-Untertitel, Bild Online, 31.5.2008.
[6] Es ist der Zeitschrift nicht vorzuwerfen, dass diese Kolumne nach dem Rücktritt erschien, doch der Umstand sollte Feministinnen in der Kirche warnen, nicht vorschnell in gleichstellungspolitische Euphorie zu verfallen.
[7] In Sachen Finanzkapitalismus stimmt Käßmann in die atmosphärische Kritik ein, ohne sich von der unsäglichen »Unternehmensdenkschrift« der EKD zu distanzieren, was die Schwierigkeit dieses Amtes, Klartext zu reden, beleuchtet. Die FAZ spießte die Denkschrift seinerzeit auf mit dem Titel: »Die Heuschrecke als Gottesanbeterin«.
[8] Vgl. dazu die EKD-Denkschrift (Hg.), Aus Gottes Frieden leben – für gerechten Frieden sorgen, Gütersloh 2007.
[9] Eine auch anderswo geäußerte Kritik an Käßmann ist, dass sie Positionen formuliert, die sie nicht oder verspätet untermauern kann.
[10] Der SPD-Politiker Ulrich Klose verlangte: »Kirche soll predigen« und sich nicht politisch einmischen.
[11] Ähnlicher Tenor in der Fernsehsendung: »Thadeusz«, Radio Brandenburg, 26.1.2010.
[12] ..., was Bild Online durch sein Seiten-Layout so unterstreicht: Neben Käßmann-Porträts findet sich die Aufnahme einer jungen Frau mit Flasche am Mund (www.bild.de/BILD/ratgeber/gesund-fit/2010/02/24/alkohol/wie-reagiert-mein-koerper-promille-im-blut.html). Bernd Buchner hingegen kritisiert auf »evangelisch.de« die Kritiker: »Aus der katholizistischen Ecke raunt es derweil schon von einer ›fundamentalen Krise‹, in die Margot Käßmann die evangelische Kirche lenke – aus Transzendenz werde Politik, aus Theologie Gesellschaftskritik. Da sind sie wieder, die bösen Gutmenschen mit lila Schal ...«, www.evangelisch.de/themen/religion/kaessmann-debatte-da-sind-sie-wieder-die-boesen-gutmenschen10298, 19.1.2010.
[13] Vgl. dazu auch die Kritik von Reinhard Mohr: »... Wichtiger ist der zweite Punkt: Die Bischöfin hat letztlich außer schönen Worten nichts anzubieten, um die Lösung der Probleme in Afghanistan (und anderswo) voranzutreiben ...« (a.a.O).
[14] Auch im Protestantismus gibt es analoge Reaktionen: »Der Chefsekretär der evangelischlutherischen Kirche Russlands, Priester Alexander Priluzki, nannte Käßmanns Wahl ein ›Krisenzeichen in der westlichen Gesellschaft‹ (www.spiegel-online.de, 12.11.2009). Die deutschen »Bekenntnistreuen« sorgen sich angesichts von Käßmanns Scheidung um das Amt und die kirchliche Einheit.
[15] Der frühere Auslandsbischof der EKD schwärmte 2002 von Saunagängen als probater Hilfe auf dem Weg ökumenischer Verständigung und markierte so das Territorium, auf dem Frauen wirksam handeln können. Käßmann hatte sich damals aus dem Leitungsgremium des ÖRK zurückgezogen, weil ihr einige Zugeständnisse an das Kirchenverständnis der Orthodoxie als zu groß erschienen.
[16] Vgl. diverse Artikel in FAZ, Die Zeit, NZZ.
[17] Vgl. Einschätzungen des Sprechers der Bremer Evangelischen Kirche, Renke Brahms, im Nordwestradio / Radio Bremen, der nach Käßmanns Rücktritt sagt, dass in der Kirche allgemeine Akzeptanz für Frauen herrsche, die Frauenfeindlichkeit am Rande sich aber fallweise noch aktivieren lasse, in: »Chronik eines Abgangs«, RB, 27.2.2010, Sendung von Thorsten Jantschek.
[18] Z.B. die als »Kirchenreformpolitik« getarnten Strukturanpassungsmaßnahmen, in denen die Zentralen und der Klerus gestärkt werden, offiziöse Ökumene der Patriarchen und Paternalisten, Abgrenzung zum Islam u.a.
[19] S.a. das Statement zum Alkoholvorfall von EKD-Synodenpräses Kathrin Göring Eckardt in der Tagesschau.
[20] Auch Bild und einige Boulevardblätter haben sich bei der Demontage hervorgetan, wobei Bild v.a. der Logik seiner human touch-Betrachtung folgte. Deutlich ätzender waren da andere: »Lallelujah ...« usw.
[21] Vgl. beispielhaft für männliche Projektionen im Angesicht starker Frauen: die Geschichte in Lukas 18, 1-8; dort wird eine ihr Recht fordernde Witwe einem korrupten Richter angeblich physisch gefährlich.
[22] Vgl. o. zur Afghanistankontroverse, bei der sie kurzfristig die geschlechtsspezifische thematische Arbeitsteilung aufgebrochen hatte.
[23] »Sie ist das Opfer einer sehr dominanten Kirchen- und Medienwelt geworden, die Frauen nicht verzeiht, was sie Männern augenzwinkernd nachsieht«, Hagen Bremer, NTV (zit. n. Bild-Pressespiegel).
[24] Im Herder-Verlag werden rund ein Dutzend Broschüren gehandelt sowie ihr Bestseller In der Mitte des Lebens mit ca. 200 000 Auflage. Das Gütersloher Verlagshaus verkauft ihren Titel Mit Herzen, Mund und Händen. Spiritualität im Alltag leben; Produktbeschreibung des Verlags: »Eine Ermutigung, den Glauben sinnlich zu gestalten: Was ist Spiritualität und wie kann ich sie im Alltag leben? ...« Sehr gut verkaufte sich dort auch ihr Glaubenskurs Wurzeln, die uns Flügel schenken ... (o.J.). Die Afghanistankontroverse wurde bereits in einem schmalen Doku-Bändchen verlegt. Zudem ist Käßmann im Luth. Verlagshaus eine »Marke« (mK). Dort erscheinen eine Reihe zu den 10 Geboten, zum Glaubensbekenntnis und zum Vater Unser. Beim Ökumenischen Kirchentag wurde ihre »Buchvorstellung« (kann man ein 90-seitiges »Opusculum«, so die SZ am 17.5.2010, ein »Buch« nennen?) zum Großereignis stilisiert.
[25] In der Bibel passiert diese Grenzziehung mittels eines durch falschen Schwur ausgelösten Totalverlustes, vgl. das Buch der Richter, Kap. 11.
[26] Vgl. auch: »Das Amt einer Bischöfin und die Person einer Bischöfin sind nicht identisch. Wenn das Ansehen eines Amtsträgers über die Maßen beschädigt ist, kann zwar auch das Amt Schaden nehmen. Doch nur dann, wenn der Amtsträger sich nicht irgendeines, sondern eines des Amtes abträglichen Vergehens schuldig gemacht hat. Dies ist bei Käßmann nicht der Fall. Denn nach Maßgabe der Kirche ist es die erste Aufgabe eines Bischofs, die Rechtmäßigkeit der evangelischen Lehre zu garantieren.« Alexander Schwabe, in: Zeit online, 24.2.2010.
[27] Dissertationsthema: »Die eucharistische Vision. Armut und Reichtum als Anfrage an die Einheit der Kirche in der Diskussion des Ökumenischen Rates«, 1989.
[28] Autor der Bücher: Die Wiederkehr der Götter. Religion in der modernen Kultur, München 2004 und Missbrauchte Götter. Zum Menschenbilderstreit in der Moderne, München 2009.
[29] Graf schafft hier implizit eine frappierende Parallele zum biblischen Schlüsseltext des sich patriarchal wendenden Christentums: 1. Timotheus, Kap. 2 und 3, in dem das Schweigen der Frau und ihr Ausschluss vom Bischofsamt begründet wurde.
[30] Der Spiegel hat in seiner Titelgeschichte diesen Aspekt beleuchtet und weist auf die alternative Option des amerikanischen öffentlichen Bereuens als Möglichkeit das Amt zu erhalten hin: »‹Level with the American people› heißt das, sich auf Augenhöhe mit dem Volk begeben. Erst dann kann der Sünder auf die Absolution durch die Öffentlichkeit hoffen. « (»Aufstieg einer Sünderin«, in: Spiegel 9/2010, 1.3.2010)