Afrika im 21. Jahrhundert

Eine zu schreibende Erfolgsgeschichte

in (08.10.2010)
Afrika hat seinen berechtigten Platz auf der Weltbühne noch nicht gefunden – daran ändert auch das Megaevent der Fußballweltmeisterschaft nichts, das vor einigen Wochen den Blick
der Weltöffentlichkeit auf Südafrika gelenkt hatte. Ein wichtiger Grund dafür besteht aus meiner Sicht darin, dass afrikanische Regierungen – im Gegensatz zu denen Chinas, Indiens, Brasiliens oder Indonesiens – nicht jene Maßnahmen ergriffen haben, die für das Entstehen eines Mittelstandes aus dem Gemenge von Millionen Armen wichtig sind. Es ist der Mittelstand, der einem Land ökonomische Stärke gibt und international Glaubwürdigkeit
verleiht; es ist der Mittelstand, der Regierungen zur Verantwortung zieht; es ist die Abwesenheit des Mittelstandes, die Afrikas größte Schwäche darstellt. Einer der Schlüssel für die Entstehung eines Mittelstandes ist der wachsende Wohlstand, der von der Ausweitung des Handels bedingt wird. In diesem Fall bedeutet dies innerkontinentalen
Handel. Um es kurz zu fassen: Afrika muss jene Schritte unternehmen, die notwendig sind, um einen gemeinsamen panafrikanischen Markt zu errichten, wenn es daran
interessiert ist, seinen Mittelstand zu einer tragfähigen Größe anwachsen zu lassen.
Wie aber können diese Schritte vollzogen werden? Zunächst sollten wir uns daran erinnern, dass ein solcher panafrikanischer Markt nicht sofort umfassend verwirklicht werden kann
und muss. Auch die Europäische Union ist nicht in Gänze sofort verwirklicht worden. Allerdings sollte Afrika unbedingt die Arbeit an den politischen Linien und der Infrastruktur
forcieren, die einen gemeinsamen Markt einbetten. Dafür sind die Voraussetzungen nicht schlecht: Glücklicherweise gibt es ein Fundament in diesem Gebiet: Die bereits bestehenden Regional Economic Communities (REC), zu denen etwa der Common Market for Eastern and Southern Africa (COMESA) oder die Communauté Économique et Monétaire de l’Afrique Centrale (CEEAC) zählen. Wenn darauf aufgebaut werden soll, so gilt es dreierlei zu beachten. Erstens: Die aussichtsreichen Praktiken subregionaler Kooperation sollten zu den jeweils anderen „exportiert“ werden. Es bedarf mehr Kommunikation zwischen
den bereits existenten Kooperationsformen. Damit würden nicht nur die besten Erfahrungen weitergegeben, sondern auch die jetzt noch vorhandenen (großen) Überschneidungen
zwischen diesen subregionalen Integrationsmustern verringert. Dies gilt vor allem für den zentralafrikanischen Raum. Zweitens: In Afrika sollten die nationalen Pläne hinsichtlich
der regionalen Prioritäten stärker abgeglichen werden. Damit würden die verschiedenen Nationalstaaten stärker an einem regionalen Strang ziehen. Es käme damit auch endlich zu
dem notwendigen panafrikanischen Dialog. Drittens: Afrikanische Regierungen sollten den privaten Sektor stärker in die Debatte einbinden, wenn ein gemeinsamer Markt konzipiert
und umgesetzt werden soll. Die Präsenz und Vitalität sowohl großer als auch kleiner Unternehmen ist notwendig, wenn die Politik wirklich erfolgreich die Initiative zu einem gemeinsamen Markt ergreifen will. Das wichtigste Argument für die Bildung eines gemeinsamen Marktes in Afrika ist die Demografie. Im Jahr 2050 wird Afrika
eine Bevölkerung von zwei Milliarden Menschen aufweisen. Dies sind 500 Millionen Menschen mehr, als China und Indien zu jener Zeit haben werden. Damit haben wir auf dem afrikanischen Kontinent die größte Ballung von Menschen und die höchste Anzahl junger Menschen auf dem gesamten Planeten. Dieser hohe Anteil junger Menschen in der Mitte des 21. Jahrhunderts kann der Welt einen Wachstumsschub verleihen, vergleichbar jenem Adrenalinschuss, den gegenwärtig China der Weltwirtschaft verschafft. Wenn jene notwendige Transport und Energieinfrastruktur, die zu einem gemeinsamen Markt
führt, geschaffen wird, Afrikas Regierungen die Schulen und Gesundheitssysteme, die benötigt werden, errichten, regional zusammenarbeiten und schließlich sich auch die G8 und die G-20-Staaten an ihre Verpflichtungen gegenüber dem Kontinent halten, dann kann ihm eine leuchtende Zukunft bevorstehen. Afrika könnte dann zur größten Erfolgsgeschichte des
21. Jahrhunderts werden.
 
Aus dem Englischen übersetzt von Christoph S. Widdau.
 
The Rt. Hon. Paul Martin,
geb. 1938, Premierminister
Kanadas von
2003 bis 2006