»Pro NRW« als Riese unter den Zwergen

NRW-Landtagswahlergebnisse der extremen Rechten

in (26.06.2010)


Mit 1,4 Prozent der Zweitstimmen hat „pro NRW“ bei der Landtagswahl in NRW im Wettstreit der extrem rechten Wahlparteien die Nase vorn gehabt. Die NPD erreichte nur noch 0,7 Prozent nach 0,9 Prozent bei der Wahl vor fünf Jahren. Den „Republikanern“ kamen beinahe zwei Drittel ihrer Wählerschaft abhanden. Sie landeten bei 0,3 Prozent (2004: 0,8 Prozent).

107.476 Bürger votierten mit ihrer Zweitstimme für pro NRW. Von den Wahlzielen der „Bürgerbewegung“ – anfänglich war ernsthaft ein Einzug ins Landesparlament angepeilt worden, später ging es mehr um einen „Achtungserfolg“ irgendwo oberhalb von zwei Prozent – blieb man aber deutlich entfernt. Die höchsten Ergebnisse erzielte pro NRW in Duisburg IV (4,6 %), Gelsenkirchen II (4,1 %), Gelsenkirchen I (4,0 %), Duisburg II (3,9 %), Duisburg III und Leverkusen (jeweils 3,8 %), Remscheid (3,6 %), Rhein-Erft-Kreis I (3,5 %), Köln IV (3,4 %), Köln VII (3,3 %), Köln V (3,2 %), Solingen I und Rhein-Kreis Neuss II (jeweils 3,1 %). Kaum etwas zu holen gab es hingegen in Borken II, Münster II und Warendorf I (jeweils 0,3 %), in Steinfurt II und Steinfurt III (jeweils 0,2 %). Dabei war pro in einzelnen Fällen auch in Regionen erfolgreich, in denen es bei der Kommunalwahl 2009 für einen Wahlantritt noch nicht gereicht hatte, so in Duisburg, Remscheid und Solingen. In Köln hingegen kam pro NRW nur auf 2,5 Prozent stadtweit; bei der Kommunalwahl hatte pro Köln 5,4 Prozent geholt.

Trotz der verfehlten Wahlziele zeigte sich pro NRW-Chef Markus Beisicht insgesamt zufrieden. „Die Bürgerbewegung ist stärker als alle verbrauchten, alten Rechtsparteien zusammen, obwohl diese mit allen Mitteln um einen Erfolg gekämpft haben.“ Insbesondere freute er sich, dass pro künftig in den Genuss der staatlichen Parteienfinanzierung kommt. Beisicht: „Wenn wir jetzt auch finanziell ordnungsgemäß staatlich aufgepäppelt werden, dann besteht eine sehr gute Chance, eine sehr gute Perspektive, dass wir in fünf Jahren das umsetzen, was wir eigentlich schon heute umsetzen wollten.“ „Kurzfristig“ würden in vielen Regionen weitere Verbände gegründet und bestehende Strukturen ausgebaut, kündigte pro NRW an. In fünf Jahren will die „Bürgerbewegung“ nach einer weiteren Stärkung bei der Kommunalwahl 2014 den zweiten Versuch starten, ins Landesparlament einzuziehen. Bundesweit sei es das Ziel, „die Voraussetzungen für die Schaffung einer modernen, demokratischen rechtpopulistischen neuen Plattform zu schaffen“.
Pro Deutschland-Chef Manfred Rouhs orientiert derweil schon einmal auf die Wahl zum Berliner Abgeordnetenhaus im nächsten Jahr. Nun gelte es, alle Kräfte in der Hauptstadt zu konzentrieren. Rouhs sehe, so pro NRW, „seinen politischen Schwerpunkt zukünftig in Berlin“ und sei „daher von seinen Aufgaben“ als Leverkusener Fraktionsgeschäftsführer „einvernehmlich entbunden“ worden.
Die nichtnazistische Konkurrenz im Lager der extremen Rechten ließ pro jedenfalls weit hinter sich. Die REP (siehe hierzu auch den Artikel auf Seite 29) kamen nur noch auf 23.330 Stimmen. 2004 waren es 67.220 gewesen. Lediglich in drei Wahlkreisen erreichten sie eine 1 vor dem Komma: Düsseldorf IV (1,2 %), Herne I (1,2 %) und Aachen III (1,0 %).

Die NPD …

Auf die NPD entfielen 55.400 Zweitstimmen. 2004 hatten 73.969 Bürger ihr Kreuzchen bei der Partei gemacht. Damals war die NPD nur in 109 Wahlkreisen präsent; diesmal stand sie mit ihrer Liste überall auf den Stimmzetteln. Erwartungsgemäß erzielte die NPD überdurchschnittliche Ergebnisse vor allem im Ruhrgebiet und im Südwesten des Landes. Die Wahlkreise mit den höchsten Werten: Bochum III – Herne II (1,6 Prozent), Unna II und Düren I (jeweils 1,5 %), Dortmund I, Düren II – Euskirchen II, Märkischer Kreis I, Oberhausen I, Essen I – Mülheim II (jeweils 1,4 %), Heinsberg I (1,3 %).

… zwischen »freier« Kritik, …

Noch ehe sich die NPD zum Wahlergebnis äußerte, meldeten sich „parteifreie“ Neonazis vom Koordinierungsnetz Ruhr-Mitte, der früheren AG Ruhr-Mitte, zu Wort. Pro NRW habe „das geschafft, was der NPD-Landesvorsitzende Claus Cremer seit Jahren als unmöglich darstellt. Mit einem starken Schwerpunktwahlkampf weit über 1 Prozent einfahren“, bilanzierten sie. Einen Wahlkampf der NPD habe es in weiten Teilen des Landes nicht gegeben. Öffentlichkeitswirksame Aktionen der NPD hätten sich „auf das ,Dagegensein’ bei ‚pro’-Veranstaltungen“ beschränkt. Unter „Personen wie Claus Cremer und dem von ihm seit Jahren installierten Marionettenvorstand“ könne man keine „nationale Arbeit verrichten, erst recht keine radikale Oppositionsarbeit“. Die Kameradschaft Hamm ergänzte: „Wenn in einer Millionenstadt wie Köln (0,3 %) oder in vielen anderen Regionen kein vernünftiger Wahlkampf gemacht wird, kann die Partei auch nicht erwarten, daß die Wähler die NPD als ernstzunehmende politische Kraft erkennen.“

… Durchhalteparolen, …

In Durchhalteparolen übte sich direkt nach der Wahl NPD-Chef Udo Voigt. „Wir haben die besseren Argumente, wir sind die wirkliche Alternative und wir werden weiter kämpfen“, ließ er trotzig verlauten und richtete seine Hoffnungen darauf, dass irgendwann die jetzigen Nichtwähler die NPD in Massen unterstützen: „Wir wissen, dass Millionen Wahlberechtigte (in NRW waren es fast die Hälfte der Wahlberechtigten) ,Gewehr bei Fuß’ stehen, aber von ihrer Waffe – gemeint ist der Stimmzettel – noch die Finger lassen. Das ist heute so, kann sich morgen aber schon sehr wesentlich ändern.“ Von einer kritischen Analyse des Ergebnisses hielt er wenig: „Wir können sicher selbstkritisch den einen oder anderen Fehler bei uns suchen und finden, an der Großwetterlage ändern wird dies auch nichts.“

… Fehlersuche …

Eine Woche nach der Wahlpleite bohrte der NRW- Landesvorstand der Partei dann doch etwas tiefer: „Strukturelle Defizite im größten Bundesland sind für den Landesvorstand eine der Ursachen für das schlechte Abschneiden.“ Reagiert habe man mit ersten konkreten Maßnahmen: So seien für alle fünf Regierungsbezirke Regionalbeauftragte bestimmt worden, die den organisatorischen Aufbau vorantreiben sollen. Zusätzlich seien die Vorstände von zwei Kreisverbänden „suspendiert“ worden, wurde beiläufig und ohne eine Angabe, um welche Kreise es sich handelt, mitgeteilt.
In der Tat bewies die Wahl vom 9. Mai erneut, dass die NPD in Teilen des Landes kaum bis gar nicht mit arbeitsfähigen Strukturen präsent ist. Das betrifft vor allem das Münsterland, Ostwestfalen sowie weite Teile der ländlichen Regionen in Südwestfalen und am Niederrhein. Doch auch in einigen Großstädten hat die NPD erhebliche Probleme. In Köln reichte es in den sieben Wahlkreisen gerade einmal für Ergebnisse zwischen 0,1 und 0,5 Prozent, in Bonn für 0,2 Prozent. In Duisburg – ehemals so etwas wie eine „Hochburg“ der Partei in Nordrhein-Westfalen, zugleich aber auch einer der Kreisverbände, denen parteiintern Inaktivität vorgehalten wird – halbierte sich das Ergebnis verglichen mit der Bundestagswahl vom vorigen September in etwa.
Die NRW-NPD beließ es bei ihrer Analyse des von ihrem Vorstand „ausnahmslos als desolat“ bewerteten Wahlergebnisses nicht bei der Suche nach strukturellen Schwachstellen. Sie beklagte sich auch über eine mangelnde Unterstützung des Bundesvorstands und anderer Landesverbände. Eine der Ursachen für die Wahlpleite sei die „schlechte finanzielle Ausstattung durch die Bundespartei“. Dem Parteivorstand wird zudem vorgeworfen, er habe „mit wenigen Ausnahmen“ die Landtagswahl „augenscheinlich ignoriert“ – wobei wohl Parteichef Voigt, der immerhin zum Wahlkampf an den Rhein kam, zu den Ausnahmen gerechnet werden dürfte.

… und weiterer Radikalisierung

Auf die Frage, welche Folgen das Wahlergebnis für den politisch-inhaltlichen Kurs und für das Verhältnis zu parteifreien Neonazis haben könnte, geht der Landesvorstand mit keinem Wort ein. Wenige Tage vor seiner Sitzung war der NS-Flügel der Partei aber schon einmal vorgeprescht. Der stellvertretende Landesorganisationsleiter Ingo Haller empfahl einen ungeschminkt radikalen Kurs, wie er auch in seinem Kreisverband Düren gepflegt wird. Er beklagte „die mangelnde Zusammenarbeit einiger Verbände mit den freien Kräften in ihrer Region“. Es gehe darum, meint er, „den Weg des radikalen Kampfes um die Straße und damit um die Köpfe der Menschen, die uns den Kampf um die Parlamente ermöglichen, weiterzuführen“. Haller: „Es bleibt zu hoffen, dass unsere Politik auch vom Landesvorstand als die einzig sinnvolle erkannt und für die Gesamtpartei in NRW umgesetzt werden wird.“ Der Streit darüber dürfte bald folgen.

 

Aus: Lotta - antifaschistische Zeitung aus NRW, Rheinland-Pfalz und Hessen, Nr. 39, Sommer 2010 http://projekte.free.de/lotta