Einer der Kriege, die kommen werden

Kommentar

Der kleine Krieg im Kaukasus ist vorbei, aber wer hat nun eigentlich gewonnen?

Einer pazifistischen Weisheit zufolge kennen Krie­ge ausschließlich Verlierer, aber vielleicht ist es gar nicht unklug, für einen Moment den zynischen Standpunkt einzunehmen und davon auszugehen, dass diesmal alle gewonnen haben.

Georgien hat nur das verloren, was es tatsächlich schon lange nicht mehr behaupten konnte: die Souveränität über Südossetien und Abcha­sien. In gewisser Weise hat sich die Situation dort verkehrt. Wenn Russland diese Territorien als unabhängige Staaten anerkennt, während Ge­orgien sie verbal weiterhin beansprucht, bedeutet das nicht nur eine Garantie für russischen Einfluss in der Region. Es kann auch heißen, dass Russland dort festsitzt und gezwungenermaßen auf jede Aktion, die von Georgien ausgeht, reagieren muss. Schutzmacht zu sein, ist nicht unbedingt bequem und schon gar nicht ungefährlich.

Georgien hat sowohl die militärische Handlungsfähigkeit wie auch funktionsfähige staatliche Strukturen erhalten können. Das Regime Saa­kaschwili sitzt unangefochten im Sattel, die Welle des Nationalismus erstickt jede Kritik an seiner undemokratischen Politik, und die Verarmung großer Teile der georgischen Bevölkerung ist in den Medien, auf die es ankommt, sowieso nie Thema gewesen. Die Aufrüstung mit Hilfe der USA geht weiter, ebenso außer Frage steht die Orientierung nach Westen und die irgendwann erfolgende Aufnahme in die NATO. Insgesamt kann Michail Saakaschwili zufrieden sein, sein Abenteuer hat sich gelohnt.

Südossetien und Abchasien haben es geschafft, wenigstens von Russland als unabhängig anerkannt zu werden. Die Südosseten haben den Krieg zum Anlass genommen, georgische Dörfer auf ihrem Territorium zu zerstören und die Bevölkerung zu vertreiben. (Der Korrespondent der Novaja Gazeta, der während der Kämpfe in der Region war, berichtete, dass die russischen Truppen  Gefangene korrekt behandelt haben, während Georgier, die den ossetischen Milizen in die Hände fielen, zumeist an Ort und Stelle umgebracht wurden.) Die ossetische Führung kann sich einreden, ihre Lage zumindest für die nächste Zeit stabilisiert zu haben. Die Anbindung an Russland ist enger geworden, und ob das in jedem Fall dem russischen Interesse entspricht, mag man bezweifeln, sicher ist, dass es im südos­setischen Interesse liegt.

Der Westen. Das ist, wie die pauschale Bezeichnung schon nahe legt, ein weites Feld. Die Europäer gucken etwas bedeppert aus der Wäsche. Entgegen der Pressehetze, die gegen Russland entfacht wurde und die teilweise schon rassistische Züge aufwies, liegt es nicht im Interesse der EU, die Beziehungen zur Russischen Föderation dauerhaft auf Eis zu legen. Insofern war die Position der EU die unangenehmste: sie konnte die russische Machtdemonstration nicht stillschweigend hinnehmen, wollte gleichzeitig keine ernsthafte Verstimmung riskieren und musste andererseits den USA bedeuten, dass auch Eu­ropa ein ernstzunehmender Akteur ist. Wahrscheinlich ist aus dieser ungünstigen Lage durch die diplomatischen Aktivitäten des französischen Präsidenten noch das beste herausgeholt worden.

Die USA hatten es leichter. Mag sein, dass sie dem militärischen Abenteurertum ihres Ziehsohns Saakaschwili skeptisch gegenüberstanden, aber sie hatten im Grunde nicht allzu viel zu verlieren. Wäre sein Überfall auf Südossetien geglückt, hätten sie sich als Macht im Hintergrund ebenso halten können, wie sie es jetzt tun, indem sie Georgien weiter aufrüsten und seine Aufnahme in die NATO vorantreiben. Vielleicht fällt das in der nun gegebenen Lage sogar leichter als nach einem georgischen Sieg. In jedem Fall hat der georgische Verbündete das Hauptrisiko getragen, und wie Henry Kissinger bemerkte, keine Großmacht begeht für einen Verbündeten Selbstmord. Außerdem wäre es wohl naiv anzunehmen, dass den USA die Ratlosigkeiten und Verwirrungen in der EU nicht ganz gut gefallen hätten.

Russland hat seinen Einfluss in der Region unter den Bedingungen einer Provokation gewahrt, über die es nicht hinwegsehen konnte, ohne den Anspruch mindestens regionaler Großmacht aufzugeben. Es hat sich jedenfalls kurzfristig gegen die Interessen der mächtigsten Staaten der Welt durchsetzen können, noch dazu auf eine Weise, die seinen eigenen Partnern wie China nicht gefallen kann - aber China hat es stillschweigend geschehen lassen. Allerdings gab es militärische Fehler und Pannen, die den Beobachtern auf der NATO-Seite nicht entgangen sein dürften. Während das kleine Georgien über eine von US-Beratern geschulte, gut ausgerüstete Berufsarmee verfügt, mobilisiert Russland immer noch Wehrpflichtige und mehr oder weniger gepresste Freiwillige. Dazu ist die russische Technik zum großen Teil veraltet und schlimmstenfalls schrottreif. Das russische Militär hat Georgien nicht vollständig und auf Dauer besetzt, weil daran gar kein Interesse bestand, aber wahrscheinlich wäre es auch kaum dazu in der Lage gewesen.

Ein Krieg, der derart viele Gewinner kennt, wird aller Wahrscheinlichkeit nach nicht der letzte seiner Art gewesen sein. So funktioniert Geopolitik - willkommen zurück vorm Ersten Weltkrieg.

Christian Axnick

Artikel aus: Graswurzelrevolution Nr. 332, Oktober 2008, 37. Jahrgang, www.graswurzel.net