Rubrik RechtKurz
Dass Polizei und Justiz aus politischen Gründen bis an die Grenzen des rechtlich Zulässigen gehen, kommt vor. Dass ein Oberlandesgericht (OLG) ihnen Nazimethoden unterstellt, ist eher ungewöhnlich.
Jörg Bergstedt, Aktivist der Projektwerkstatt Saasen, wurde wegen mehrerer Graffitis und der Beschädigung der CDU-Geschäftsstellentür in Gießen am 14. Mai 2006 festgenommen. Die Polizei beantragte wegen drohender weiterer Taten Unterbindungsgewahrsam, den der zuständige Haftrichter am Amtsgericht Gießen bewilligte. Sowohl Polizei als auch Haftrichter mussten dabei wissen, dass die Vorwürfe nicht stimmen konnten: In der Tatnacht war Bergstedt vom hessischen Mobilen Einsatzkommando, einer Spezialeinheit zur Observation besonders gefährlicher Straftäter, fast lückenlos beobachtet worden. Bergstedt hatte vorher mehrere juristische Auseinandersetzungen mit Gießener Sicherheitskräften (vgl. BVerfG 1 BvR 1090/06), vermutlich sollte er nun bei einer Straftat ertappt werden. Die Observation ist ausführlich dokumentiert, wurde von der Polizei aber erst gegenüber dem OLG zugegeben.
Bergstedt legte zwar sofort Beschwerde zum Landgericht Gießen (LG) ein, es dauerte aber bis zur Entscheidung des OLG Frankfurt vom 18. Juni 2007 (Aktenzeichen 20 W 221/06), um die offensichtliche Rechtswidrigkeit der Maßnahmen festzustellen. Das OLG konstatierte, die Ingewahrsamnahme sei nur auf Vermutungen gestützt worden, sämtliche Voraussetzungen dafür hätten von Anfang an nicht vorgelegen. Die Haft hätte nämlich unerlässlich sein müssen, um eine unmittelbar bevorstehende Straftat von erheblicher Bedeutung für die Allgemeinheit zu verhindern. Das Instrument des Unterbindungsgewahrsams sei während der Nazizeit massiv missbraucht worden. Die Tatbestandsmerkmale "unerlässlich" und "unmittelbar bevorstehend" sollten verhindern, "dass die Vorschrift zu einer Ermächtigung zum so genannten Vorbeugegewahrsam (früher: Schutzhaft) ausgeweitet wird". Außerdem habe sich das LG nicht mit den wesentlichen Umständen des Falles auseinander gesetzt und Beweisanforderungen völlig vernachlässigt. Die Prüfung des Tatverdachts sei komplett ausgeblieben.
Die im OLG-Urteil dokumentierten Vorgänge weisen eindeutig auf eine politische Verfolgung unter Missbrauch juristischer Mittel hin. Bergstedt hat nun Strafanzeige wegen Rechtsbeugung, Freiheitsberaubung, Verfolgung Unschuldiger und übler Nachrede gegen die PolizeibeamtInnen und RichterInnen gestellt.
Dokumentation des Betroffenen: www.projektwerkstatt.de/antirepression/prozesse/haupt.html