Krise im Treibhaus

Die Klimafrage und die Transformation des Kapitalismus

Was der Sturm Kathrina in New Orleans 2005 noch nicht schaffte, gelang dem Bericht von Sir Nicholas Stern, Chef des Wirtschaftsdienstes der britischen Regierung, über die ökonomische Plausibilität

... Klimaschutzpolitik. Seit dem Herbst 2006 ist der Klimawandel zu einem Top-Thema auf der Agenda eines Teils der herrschenden Klassen geworden. Das trifft insbesondere auf die der Länder des Nordens zu. Aber welche Krise wird hier bewältigt - und wo bleibt der Protest? Es ist es eine heterogene Koalition aus Teilen des Finanzkapitals (z.B. Münchener Rück, Deutsche Bank, Soros), neuen mittelständischen energiewirtschaftlichen Kapitalfraktionen, liberalen Parteien (Democrats in den USA, Labour in Großbritannien und Australien, Grüne und CDU in Deutschland), liberalen NGOs (WWF, BUND, Energy Foundation) und transnationalen Wissenschaftsnetzwerken, die eine reale Transformation des bisherigen fossilistischen, d.h. auf fossilen Energien basierenden Kapitalismus anstreben. So fordert z.B. selbst der BDI inzwischen eine CO2-Reduktion in Deutschland um 30 Prozent bis 2020. Das ist einerseits viel zu wenig, um den Klimawandel tatsächlich substantiell zu bremsen, aber andererseits doch ein ambitioniertes Vorhaben. Ebenso verhält es sich mit dem Klimaschutzpaket der Großen Koalition von Anfang Dezember: Energiekonzerne und die Automobilindustrie werden zwar mit Samthandschuhen angefasst, aber die Energiesparmaßnahmen und Ausbauvorhaben für erneuerbare Energien sind trotzdem nicht nur heiße Luft.

Eine neue Great Transformation?

Kleine, aber schnell wachsende liberale Kapitalfraktionen werben in den Ländern des Nordens für erneuerbare Energien und neue Investitionsfelder in der CO2-Reduktionsökonomie. Dies wird mit hohem propagandistischen Aufwand abgesichert. Al Gores Alliance for Climate Protection mit ihren Live-Earth-Konzerten vor ein paar Monaten ist hier sicherlich das beste Beispiel. Zudem sind mit dem Einsatz für mehr Klimaschutz enorme Legitimationsressourcen verbunden. So glänzt Angela Merkel auf internationalem Parkett als "Klima-Queen". Kurz vor den Wahlen in Australien im vergangenen November gelang es der dann siegreichen Labour Party 150.000 Menschen zum Thema Klima auf die Straße zu locken. Und das demokratische Establishment in den USA bekam Wasser auf seine Mühlen, als Al Gore nicht zufällig während des derzeitigen Gerangels um die Bush-Nachfolge der Friedensnobelpreis zugesprochen wurde. Fahrt gewinnt dieser Diskurs dadurch, dass er den Klimawandel als Menschheitsproblem konstruiert, dem mit kosmopolitisch-moralischem Handeln begegnet werden muss. So rief das Klimaschutz-Bündnis "Rettet unsere Erde" von Bild-Zeitung, Google und ProSieben gemeinsam mit BUND, Greenpeace und WWF dazu auf am 8. Dezember um 20 Uhr für fünf Minuten im ganzen Land die Lichter auszuschalten. Damit soll Klimaschutz Konsens werden und so zu einer postpolitischen, bloß moralischen Angelegenheit. Trotz solcher schmerzhaft-lächerlicher Aktionen ist aber das Programm einer tatsächlichen Veränderung des fossilistischen Energiesystems nicht nur Propaganda. Es geht um die Systemfrage. Und dafür hat die anfangs skizzierte Koalition sozialer Kräfte durchaus ein Bewusstsein. Nicht weniger als Karl Polanyis Vokabel von der "Great Transformation" wird bemüht, um den angestrebten polit-ökonomischen Wandel der (Energie-)Produktions- und Konsumweise zu fassen. Karl Polanyi prägte diesen Begriff für die kapitalistische Industrialisierung. Steht eine Entwicklung von ähnlicher Tragweite bevor? Wohl kaum: Der Kapitalismus wird hier nicht abgelöst, die Gesellschaft nicht auf eine vollkommen neue systemische Grundlage gestellt. Also alles viel Lärm um nichts? Auch wenn es für diese Annahme scheinbar einige Belege geben mag - z.B. die zyklische Natur von Medien-Hypes (gestern Terrorismus, heute Klimawandel, morgen...) - so glauben wir doch, dass sie dem Thema nicht gerecht wird. Wenn aber weder davon auszugehen ist, dass alle so genannten Lösungsansätze nur Schall und Rauch sind, noch davon, dass sie wirklich "Lösungen" sind, wie sind dann diese fieberhaften Aktivitäten zu verstehen? Die derzeitigen Aktivitäten und Projekte eines Teils des herrschenden Blocks im Politikfeld Klima lassen sich grob in zwei Kategorien aufteilen - Akkumulation und Legitimation -, die sich beide als Antwort auf die spezifischen Krisentendenzen des neoliberalen Finanzmarktkapitalismus verstehen lassen. Zuvor war der Neoliberalismus selbst eine Reaktion auf die systemischen Überakkumulationstendenzen des Fordismus, das heißt auf sinkende Profite angesichts anhaltender Überkapazitäten. Projekte wie die Privatisierung öffentlichen Eigentums, die Einhegung von Wissen z.B. durch Patente, die strukturell (und manchmal auch physisch) gewalttätige Öffnung von Märkten im globalen Süden - all dies geschah, um neue Märkte und Investitionsmöglichkeiten zu schaffen. Spätestens mit dem Ende der New-Economy-Blase zu Beginn des Jahrtausends dürfte klar geworden sein, dass der neoliberale Finanzmarktkapitalismus Überakkumulationsdynamiken natürlich nicht auf Ewigkeit beseitigt hat. Mithin stellt sich die alte Frage: wohin mit all dem Kapital? Hier bietet sich die Klimafrage gleich in zweierlei Hinsicht als neue Frontier der Kapitalakkumulation an. Einerseits werden hier durch den Emissionshandel ganz direkt neue Investitions- und Absatzmärkte geöffnet (und in dem Sinne ist ein neuer "grüner Kapitalismus" nur eine Fortsetzung der neoliberalen Einhegungsökonomie); andererseits bietet er die Möglichkeit, massiven politischen Druck für mehr Investitionen in "grüne Technologien" aufzubauen, die dann das Potential entwickeln könnten, langfristig den fossilistischen Kapitalismus abzulösen. Dass diese Umstellungen und Marktöffnungen sich sogar aus der Perspektive des Gesamtkapitals lohnen würden, hat nicht zuletzt der Stern-Report klargemacht, der zu einem Umdenken bei einem Teil des herrschenden Blocks geführt hat.

Motor von Akkumulation und politischer Legitimation

Der klassische Neoliberalismus steckt schon seit langem aber auch in einer tiefen politischen Krise. Nachdem die globalisierungskritische Bewegung Thatchers berühmtes "There Is No Alternative" als Lüge entlarvt hatte, wurde das Legitimationsdefizit des Neoliberalismus überdeutlich. Eine Zeit lang konnte diese Krise vom globalen "War on Terror" aufgefangen werden, aber dieser war nur eine kurzfristige Strategie der Dominanz, nicht der Hegemonie. Der Klimawandel bietet die Chance, einen neuen hegemonialen Diskurs zu formen. Dieser sorgt bereits mit seinen scheinbaren Lösungen für deutliche Legitimitätsgewinne. Die oben aufgelisteten Aktivitäten der Mächtigen haben also nicht notwendigerweise die "Lösung" des Problems Klimawandel zum Ziel. Das ist aus der Perspektive von Staat und Kapital allerdings auch nicht wirklich notwendig, da der Klimawandel erst in (relativ) weiter Ferne droht, eine ernstzunehmende Akkumulationskrise zu verursachen. Zum anderen eignet er sich von einer politischen Perspektive äußerst gut dazu, neue Regulations- und Kontrollmittel zu entwickeln. Wenn es aber nicht um die Lösung des Klimawandelproblems geht, worum geht es dann? Es geht, so unsere These, um den Versuch der Internalisierung des Problems und der damit verbundenen Auseinandersetzungen als Motor einer neuen kapitalistischen Akkumulationsdynamik und als Legitimationsbasis eines neuen (globalen) Regulationsmodus. Wie aber kann diese herrschaftsförmige Internalisierung der Klimafrage von linker Seite aus angegangen werden? Gerade weil es unwahrscheinlich ist, dass die sozial-ökologischen Krisentendenzen des Klimawandels wirklich kontrolliert werden können, ist der Erfolg dieser Akkumulations- und Legitimationsprojekte mittelfristig zweifelhaft. Deshalb öffnet die Krise auch Raum für emanzipatorische Projekte. Bisher gelingt es dem regierungsoffiziellen Diskurs, Klimapolitik als ausschließlich umweltpolitisch zu definieren und von der strategisch zentralen Frage des Energieproduktionssystems abzukoppeln. So erfuhr man von einem Besuch Merkels in Grönland vor einigen Wochen zwar viel von Eisbären und Eisbergen - dass der Hauptfokus jedoch auf Gesprächen über künftig abbaubare Gas- und Ölquellen lag, war den meisten Medien nicht zu entnehmen. Aus der Perspektive einer linken Klimapolitik sollte jedoch klar sein, dass das globale Energiesystem sowohl von der Input-Seite ("Energiesicherheit") her als auch von der Output-Seite (Klimawandel) katastrophale Auswirkungen hat. Entsprechend gilt es, das ganze Energiesystem ins Auge zu fassen - von den Arbeitsbedingungen und der militärischen Absicherung des Zugriffs auf die Ressourcen über die oligopolen Konzernstrukturen auf den Weltmärkten bis hin zu den sozialen und ökologischen Verheerungen des Treibhauseffekts und den marktbasierten Mechanismen seiner Bearbeitung. Die radikale Linke muss sich dieser Fragen annehmen, denn der Klimawandel macht eine antikapitalistische Kritik nicht nur notwendig, er schafft gleichzeitig auch neue Möglichkeiten, eine solche Kritik zu entwickeln und sozial relevant zu machen. Im Gegensatz zur Kritik an der kapitalistischen Globalisierung, die oft nur rosarot-keynesianische Kritik am Neoliberalismus war, bietet der Klimawandel eine Möglichkeit, direkt an den Grundfesten des Kapitalismus zu rütteln, am Wachstumsimperativ. Der Klimawandel wirft damit die Systemfrage eindringlich auf. In der radikalen Linken aber erkennen viele die Relevanz des Themas an, erklären dann aber ihr relatives politisches Desinteresse damit, dass der Kapitalismus genügend Transformationsfähigkeit besitzt, um diese elementare Krise abzuwenden und deren Folgen sogar noch ökonomisch für sich zu nutzen. Dies würde bedeuten, dass es gelingt, den Kapitalismus innerhalb eines historisch einmalig knappen Zeitfensters so zu transformieren, dass sein seit 200 Jahren auf fossilen Energieträgern basierendes Wachstumsmodell fundamental umgebaut wird. Momentan spricht sehr wenig dafür, dass dies absehbar gelingt. Doch selbst wenn dieser Wandel erfolgreich vollzogen werden sollte, wird er mit unübersehbaren wirtschaftlichen und sozialen Folgen für Millionen von Menschen verbunden sein. Also abwarten und Tee trinken, in den Metropolen kann man es sich ja bequem machen?

Perspektiven linker Klimapolitik

Ein weiterer Grund für die Distanz der radikalen Linken zur Klimafrage mag darin liegen, dass die Notwendigkeit, dass im globalen Norden Veränderungen nicht nur systemisch, sondern auch auf individueller Ebene erfolgen müssen, nur schwer mit einer "Alles-für-Alle"-Politik zu vereinbaren ist. Wie wichtig ist der Wachstumsgedanke nicht nur für die sozialistischen, sondern auch für die undogmatischen linken Gesellschaftstheorien? Welche Art von linkem Hedonismus ist angesichts aktueller und zukünftiger öko-sozialer Krisen möglich? Und wie kann man Hedonismus sinnvoll auf eine internationalistische Weise buchstabieren - wenn es bereits jetzt in vielen Regionen im Süden ans Eingemachte geht? Unternehmen geben viel Geld für "Green Washing" (eine PR-Methode, mit der das Image eines umweltbewussten Unternehmens erzeugt werden soll) aus, in Bali wird am internationalem Klimarecht gewerkelt, und eine bürgerliche Anti-Kohle-Bewegung erzielt in der BRD erste Erfolge. Ein Klimacamp in der BRD nach dem Vorbild der britischen "Climate Camps" und parallel zu ähnlichen Prozessen in Schweden, Australien, Neuseeland und den USA bietet der radikalen Linken die Chance, in diesen zumindest für die nahe Zukunft zentralen politischen Prozess einzusteigen. Dabei wäre es nicht das Ziel, die bürgerliche Klimapolitik einfach zu spiegeln, sondern die gesellschaftlichen Naturverhältnisse insgesamt in den Blick zu nehmen. Auch wenn es eine Zuspitzung auf die Klima- und Energiefrage gäbe - es ginge um die Systemfrage, und damit "ums Ganze". Alexis Passadakis, Tadzio Müller