Iran: Das nächste Vietnam?

Die Meldungen und Gerüchte reißen nicht ab, wonach die Bombardierung der iranischen Atomanlagen in Natans, Arak und Isfahan täglich näher rückt. Obwohl das amerikanische Außenministerium und der Militärstabschef mehrfach die Existenz solcher Pläne dementierten, hält sich die Regierung laut Vizepräsident Dick Cheney im Falle Irans alle Optionen weiter offen.

Kritische Kommentatoren interpretieren die jüngste Verlegung der zweiten US-Flugzeugträgergruppe an den Persischen Golf deshalb als den Versuch, durch Erhöhung der Militärpräsenz einen Konflikt mit iranischen Einheiten anzuzetteln. Dieser könnte der amerikanischen Luftwaffe als Vorwand dienen, die iranischen Uran-Anlagen zu bombardieren. Die meisten regierungsfreundlichen Beobachter vertreten dagegen die Auffassung, dass lediglich eine Drohkulisse aufgebaut werden soll, um die Iraner an den Verhandlungstisch zu bewegen und auf diesem Wege Konzessionen zu erreichen.1

Wie aber sehen die Fakten aus? Tatsächlich sprechen sämtliche Faktoren gegen den Erfolg eines möglichen Krieges. Dessen Folgen aber wären verheerend.2

Aus technischer Perspektive sind die Standorte der iranischen Urananreicherungsanlagen für die amerikanische Luftwaffe nicht präzise bestimmbar. Die zur Urananreicherung genutzten Zentrifugen sind kleine und leicht transportierbare Geräte und damit in einem großen Land wie Iran leicht vor Spionagesatelliten zu verstecken. Diese haben zudem bereits 1988 die Grenzen ihrer Tauglichkeit aufgezeigt, als CIA-Chef Tennet wie der Rest der Welt erst aus dem Radio von indischen Atomtests erfuhren.

Aus politischer Sicht würde ein Angriff auf den Iran unweigerlich gewaltige nationale Eruptionen in der iranischen Bevölkerung hervorrufen. Bereits heute signalisiert die iranische Militäradministration, dass Iran in einem solchen Fall mit voller Kraft und allen Mitteln zurückschlagen würde. Die Stärkung der radikalen Kräfte und das Zusammenrücken der schiitischen Religionsgemeinschaften in Irak, Afghanistan, Saudi-Arabien, Bahrain, den Vereinigten Arabischen Emiraten und im Libanon wären die Folge: Sie alle betrachten den Iran als ihre religiöse Heimat (Om al Ghura). Letztlich droht die Vietnamisierung des gesamten Nahen und Mittleren Ostens.
Verlustreicher Krieg

Die iranische Armee wurde während der letzten fünf Jahre von einer ineffektiven, konventionellen Armee zu einer schnellen, mobilen und manöverfähigen Truppe ausgebaut. Demzufolge wäre ein Konflikt am Boden für die USA unweigerlich noch weit verlustreicher als jener im Irak. Mehr noch: Während die iranische Armee aufgrund des allgemeinen Militärdienstes keine personellen Engpässe hat, würden die amerikanischen Truppen endgültig die Grenzen ihrer Mobilisierungskapazität erreichen. Allein die erneute Einführung der allgemeinen Wehrpflicht könnte den personellen Bedarf der US-Streitkräfte decken. Aufgrund der Lage in Irak und Afghanistan fehlt dafür jedoch die Zustimmung der Bevölkerung. Deshalb geriete ein Angriff gegen den Iran auch zu einem massiven innenpolitischen Problem der USA. Bedingt durch die innenpolitische Spaltung der Macht, hätte die amerikanische Regierung große Schwierigkeiten, gegenüber Kongress und Senat einen solchen Krieg durchzusetzen und zu finanzieren. Dies gilt umso mehr, als der UN-Sicherheitsrat mit großer Wahrscheinlichkeit, wie Russland und China bereits signalisiert haben, keinen Blankoscheck für den Krieg ausstellen würde.

Bisherige Kriege haben gezeigt, dass die USA maritime und kleine Kriege, wie in Panama und Grenada, dank ihrer mobilen Marine leicht gewinnen können, während kontinentale Kriege, wie im Falle Vietnams und Koreas, nicht erfolgreich waren. Eine moderne Armee wie jene der USA kann einen Krieg in der ersten Phase (der Eroberung) zwar gewinnen, wie jüngst im Irak, wird ihn aber in der zweiten Phase (der Besatzung) umgehend wieder verlieren.
Nutznießer Russland

Wegen der asymmetrischen Kriegsführung aus der Bevölkerung können die amerikanischen Strategen nicht einschätzen, was nach einer Eroberung des Iran geschehen würde. Anders als im Irak- oder Afghanistankrieg, wo oppositionelle, den Amerikanern wohlgesinnte Gruppierungen existierten, fehlt im Iran jegliche Alternative zur islamischen Regierung, da auch die iranische Opposition einen Krieg ablehnt (abgesehen von bestimmten Splittergruppen). Daher dürfte es nach einem Krieg wie vorher aussehen - allerdings mit gewachsenem Antiamerikanismus, Terrorismus und Fundamentalismus. Dadurch dürften auch die amerikanischen Verbündeten, wie Saudi-Arabien, Ägypten, Jordanien und die Vereinigten Arabischen Emirate, massiv geschwächt werden - bis hin zur Gefahr von Aufständen in diesen Ländern.

Iranische Militärs haben bereits signalisiert, dass sie als Reaktion auf die Bombardierung iranischer Industrieanlagen gezielt die Öl-, Gas- und Petrochemie- Industrie amerikanischer Verbündeter bombardieren würden, wie etwa jene Kuwaits, Saudi-Arabiens und der Vereinigten Arabischen Emirate. Darunter würde die Energieversorgung des Westens und der asiatischen Länder leiden; die Preise für Öl und Gas würden kometenhaft in die Höhe schnellen. Der Nutznießer eines solchen Szenarios wäre vor allem Russland, in seiner Funktion als wichtiger Energieversorger für China und Europa.

Insofern ist es kein Wunder, dass die modernsten russischen Abwehrsysteme, wie Boden-Luft-Raketen TOR-1 oder Torpedos VA-111 Shkval (Squall) der russischen Marine, vermehrt an iranische Revolutionsgardisten geliefert werden. Ein verlorener Krieg der USA gegen den Iran ließe die alten russischen Wunden des verlorenen Kalten Krieges schneller verheilen. Zudem würde ein Krieg Iran waffentechnisch noch stärker von Russland abhängig machen und zugleich das iranische Militärpotential schwächen. Gingen aus dem Krieg, wofür vieles spricht, sowohl der Iran als auch die USA geschwächt hervor - der Iran in seiner regionalen und die USA in ihrer Weltmachtrolle - wäre dies für Russland das ideale Szenario: Das so entstandene Machtvakuum würde Putin nur zu gerne füllen.

Ein Krieg gegen den Iran wäre somit ein weiteres geopolitisches Geschenk der USA an Russland, um auf Kosten der islamischen Welt die verlorene Balance of Power wiederherzustellen. Schon heute vermarktet Russland seine modernen Waffen vor allem in China, das soeben seinen Militärhaushalt erneut erheblich ausgeweitet hat, in Indien, Iran und neuerdings auch in Lateinamerika. Sprich: Überall wo antiamerikanische Stimmen laut geworden sind, sind russische Waffenverkäufe gern gesehen. Indem Putin die Armeen dieser Länder mit modernsten Waffen versorgt, schafft er zwischen seinem Land und den US-Truppen eine sowohl kontinentale als auch maritime Pufferzone.

Abgesehen von den geopolitischen Folgen stellt auch die Finanzierung eines weiteren groß angelegten Krieges ein massives Problem für die amerikanische Wirtschaft dar. Diese leidet schon heute unter einem jährlichen Handelsdefizit von rund 800 Mrd. US-Dollar. Das amerikanische Finanzsystem kann nur dadurch aufrechterhalten werden, dass pro Tag mehr als zwei Mrd. Dollar Kapital ins Land fließen. Nach Berechnungen des Nobelpreisträgers Joseph Stiglitz hat allein der Irakkrieg den USA Kosten in Höhe von 3000 Mrd. Dollar verursacht. Umso mehr stellt sich deshalb die Frage, wie das Land unter diesen wirtschaftlichen Bedingungen die Kosten eines weiteren Krieges aufbringen soll.

Alles spricht deshalb dafür, dass die Situation auf zwei unkonventionelle, militärisch aber durchaus realisierbare "Lösungen" zuläuft. Erstens könnten die USA die iranischen Atomanlagen mit atomaren "Mini-Nukes", sogenannten Bunker-Bustern, angreifen. Zum Zweiten dürften die USA auch verstärkt ethnisch-religiöse Gruppierungen in ihrem Kampf gegen die iranische Zentralregierung unterstützen, insbesondere Kurden und Belutschen. Während der letzten 28 Jahre sind in Kurdistan 17 000 iranische Soldaten in Guerillakriegen gestorben, in Belutschistan mehr als 3000. Allerdings bleibt die Reichweite und Effektivität solcher ethnopolitischer Kriege sehr begrenzt, da diese Gruppierungen zumeist in sich gespalten sind. Einige ethnische Gruppierungen, wie die Aserbaidschaner, gehören zudem zu den wichtigsten Säulen der Regierung, weil sie Schiiten sind. Außerdem gibt es keine Garantie für die USA, dass die Verbündeten von heute sich nicht zu den Feinden von morgen entwickeln. Die Geschichte kennt dafür zahlreiche Vorbilder - von Ho Chi Minh in Vietnam bis Hekmatyar in Afghanistan.
Verhandlung als einziger Ausweg

Angesichts der dramatischen Entwicklung stellt sich umso mehr die Frage, welche Lösung es für den Konflikt gibt. Da die bisher praktizierten Wirtschaftssanktionen auf lange Sicht ihre Effektivität verlieren werden, weil China und Russland sie vermutlich nicht weiter mittragen, bleibt die Verhandlung der einzig gangbare Weg. Dabei muss der Versuch unternommen werden, Iran durch Integration in das westliche Wirtschaftssystem für sich zu gewinnen. Neokoloniale Methoden sind dafür mit Sicherheit das falsche Mittel. Man sollte nämlich eines nicht vergessen: Die jetzige iranische Regierung ist das Produkt der Revolution von 1979, die ihrerseits die Folge der Einmischung von Engländern und Amerikanern war, nämlich der Ermordung Mohammad Mossadeghs, der Inthronisation des Schahs im Jahre 1953. Weder ein Putsch noch ein Krieg wird deshalb die iranische Bevölkerung davon überzeugen, die Seiten zu wechseln. Auch aus diesem Grund lehnt die iranische Opposition die Einmischung der Amerikaner entschieden ab.

Immerhin deutet die jüngste diplomatische Entwicklung darauf hin, dass auch die US-Regierung schließlich begriffen haben könnte, dass militärische Gewalt nicht weiterhilft. Auf Betreiben von Condoleezza Rice werden die Außenminister Irans, der USA und Syriens sich in der ersten Aprilhälfte zu einer Konferenz in Istanbul treffen, um ein gemeinsames Vorgehen für den Irak zu besprechen. Dies wäre das erste Treffen iranischer und US-amerikanischer Repräsentanten auf höchster Ebene seit zwei Jahren. Im besten Fall würden die iranische Atomfrage und die irakische Sicherheitsfrage gemeinsam einer Lösung näher gebracht; im schlechtesten Fall würde sich die Eskalation in beiden Fällen fortsetzen.

Entscheidend für die Erfolgsaussichten dieser Konferenz dürfte letztlich sein, was die USA mit den neu in der Region stationierten Flugzeugträgern beabsichtigen. Dienen sie dem Zweck, einen möglicherweise atomaren Angriff zu fliegen, oder doch tatsächlich dazu, die regionalen Verbündeten zu beruhigen und die Drohkulisse für den Verhandlungsfall mit dem Iran aufrechtzuerhalten?

Außenministerin Rice, ersichtlich der good guy der US-Regierung, behauptet jedenfalls stets Letzteres: So sei die noch Ende letzten Jahres geschwächte regionale Position der USA durch die erhöhte Militärpräsenz verbessert und damit die amerikanische Verhandlungsposition gegenüber Syrien und Iran gestärkt worden. In dieser Argumentation schrumpfen die aggressiven Aktionen der USA der letzten Zeit, wie die Verhaftung iranischer Diplomaten im Irak und die Propaganda mit Hilfe im Irak gefundener iranischer Waffen, zu geeigneten Druckinstrumenten auf dem Wege der Verhandlungslösung.

Misstrauen gegenüber dieser gefährlichen Argumentation bleibt dennoch sehr angebracht. Denn die Geschichte lehrt eins: Bei fehlenden eindeutigen Machtverhältnissen kann nur eine Politik des Gebens und Nehmens zum Erfolg führen. Beim Spiel mit dem Feuer hat sich dagegen schon mancher selbst verbrannt.

1 Vgl. Baztab; http://baztab.ir/news/62231.php.
2 Vgl. die Dokumentation des Aufrufs gegen einen Irankrieg in diesem Heft.
Blätter für deutsche und internationale Politik © 2007