Journalisten als Verräter

in (23.06.2006)

Die aktuelle Debatte um die Bespitzelung von Journalisten durch den Bundesnachrichtendienst hat etwas in Vergessenheit geraten lassen, daß die Pressefreiheit nicht nur durch illegale Aktionen wie

diejenigen des BND, sondern auch durch legale Maßnahmen bedroht ist. Immer wieder durchsuchen Polizeibeamte aufgrund staatsanwaltschaftlicher oder richterlicher Anordnung Redaktionsräume oder Arbeitszimmer von Journalisten mit dem erklärten Ziel, an deren Informanten heranzukommen. Gerade der Informantenschutz ist aber ein entscheidender Teil der Pressefreiheit und daher gesetzlich anerkannt, beispielsweise in der Strafprozeßordnung, die den Journalisten das Recht einräumt, die Auskunft über ihre Informanten zu verweigern.

Zu diesem Teilaspekt des Redaktionsgeheimnisses und damit der Pressfreiheit setzte im Herbst 2005 eine öffentliche Debatte aufgrund des Falles Cicero ein. Die Staatsanwaltschaft Potsdam ließ im September 2005 die Redaktionsräume dieses Magazins durchsuchen, ebenso die Privatwohnung des für Cicero tätigen Journalisten Bruno Schirra. Anlaß war ein Artikel, in dem Schirra den mutmaßlichen Terroristen Abu Musab az Zarqawi (den inzwischen die Amerikaner durch einen Bombenangriff im Irak getötet haben) porträtiert hatte. Umfangreiche Unterlagen wurden beschlagnahmt. Das Amtsgericht und das Landgericht Potsdam erklärten die Aktion für rechtmäßig. Nach Auffassung des Deutschen Journalistenverbandes (DJV) verletzten die Durchsuchung und die Beschlagnahmen das Grundrecht der Pressefreiheit. DJV-Bundesvorsitzender Michael Konken teilte kürzlich mit, daß der DJV dem Bundesverfassungsgericht eine entsprechende Stellungsnahme übermittelt habe, um die Verfassungsbeschwerde des Cicero-Chefredakteurs Wolfram Weimer gegen die Beschlüsse der Potsdamer Gerichte zu unterstützen.

Bis zu einer Entscheidung aus Karlsruhe sollte aber der Gesetzgeber nicht untätig bleiben. Denn es zeigt sich - bei aller Verschiedenheit der Vorgänge - ein Grundmuster bei der rechtswidrigen Observierung von Journalisten durch den BND und bei Durchsuchungen im Fall Cicero und in vielen ähnlichen Fällen: Die Sicherheitsbehörden machen geltend, sie müßten "zur Eigensicherung" undichte Stellen im eigenen Apparat auffinden und würden nur zu diesem Zweck - gleichsam als "Nebenbetroffene" - Journalisten überwachen oder deren Räume durchsuchen und ihr Material beschlagnahmen. Eigentlicher Zweck sei jedoch, gegen die "Verräter" aus den eigenen Reihen (BND, Bundeskriminalamt und so weiter) vorzugehen.

Daß dabei massiv in die Pressefreiheit eingegriffen wird, liegt auf der Hand. Aber es gibt einen klaren Unterschied zwischen der BND-Affäre und den Fällen Cicero et alii: Der BND handelte eigenmächtig. Bei keiner Staatsanwaltschaft hatte er einen Antrag gestellt, Observierungen genehmigen zu lassen. Kein Gericht hat je geprüft, ob seine Maßnahmen rechtmäßig waren. Sie waren es offenkundig nicht.

Bei den - nach Angaben des DJV in die Hunderte gehenden - Redaktionsdurchsuchungen durch die Polizei ist die Rechtslage nicht so einfach. Regelmäßig liegen richterliche Beschlüsse vor. Sie stützen sich auf eine juristische Feinheit: Geheimnisverrat ist strafbar. Täter ist derjenige Behördenmitarbeiter, der eine als geheim eingestufte Information an Dritte weitergibt, zum Beispiel an Journalisten. Damit ist die Straftat (Geheimnisverrat) vollendet. Der Journalist, der die Information in einem Artikel verwertet und veröffentlicht, wird der Beihilfe zum Geheimnisverrat beschuldigt. Damit ist es auch möglich - da er selber Straftäter ist, wenn auch nur durch Beihilfe -, gegen diesen Journalisten Zwangsmaßnahmen wie etwa Durchsuchungen und Beschlagnahmen anzuordnen.

Diese Konstruktion, über den Umweg der Beihilfe Journalisten zu kriminalisieren, ist umstritten. Denn wie soll man Beihilfe leisten zu einer Tat (Geheimnisverrat), die schon vollendet ist? Beihilfe ist logischerweise nur möglich, solange die Haupttat noch im Gange ist.

Diesem Einwand begegnet die Rechtsprechung mit der feinsinnigen Unterscheidung, die Haupttat (Geheimnisverrat durch einen Behördenmitarbeiter) sei zwar vollendet, aber noch nicht beendet. Nach Vollendung, aber vor Beendigung sei immer noch eine strafbare Beihilfehandlung möglich (nämlich die Veröffentlichung der geheimen Information durch den Journalisten).
Mag dies alles auch nur studierten Juristen vermittelbar sein, so hat es doch jedenfalls die praktische Folge, daß die Gerichte in diesen Fällen auf Seiten der Strafverfolgungsbehörden und nicht auf Seiten der Journalisten stehen. Deshalb erscheint ein korrigierendes Eingreifen durch den Gesetzgeber notwendig, um den Vorrang der Pressefreiheit durchzusetzen.

Der Gesetzentwurf der FDP-Bundestagsfraktion vom 15.3.2006 (Bundestags-drucksache 16/959) setzt genau an dieser Stelle an (und Bündnis 90/Die Grünen hat eine ähnliche parlamentarische Initiative gestartet). Durch einen neuen Absatz in § 353b Strafgesetzbuch werden nach dem Vorschlag der FDP Beihilfehandlungen von Journalisten von der Strafbarkeit ausgeschlossen, wenn sie sich auf die Veröffentlichung des Geheimnisses beschränken oder mit dieser in unmittelbarem Zusammenhang stehen. Strafbar bleibt allerdings die Anstiftung zum Verrat.

Die Straflosigkeit bezieht sich auch auf Recherchehandlungen. Dies ist der wichtigste Punkt in dem Gesetzentwurf. Die FDP versucht damit, dem Problem an die Wurzel zu gehen. In einer Plenumsdebatte des Bundestags am 19. Mai 2006 zur BND-Affäre hat der frühere SPD-Generalsekretär Klaus Uwe Benneter schon zu erkennen gegeben, daß ihm dieser Versuch zu weit gehe. Dagegen äußerte überraschend Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble (CDU) in einem Spiegel-Gespräch Zweifel, "ob es wirklich richtig ist, Journalisten der Mittäterschaft zu bezichtigen, wenn sie von der strafbewehrten Geheimnisverletzung eines Verwaltungsmitarbeiters profitieren, der ihnen Material zukommen läßt". Schäuble fuhr treffend fort: "Im Ergebnis wird dadurch das Zeugnisverweigerungsrecht unterlaufen, das ein wichtiges Element der Pressefreiheit ist." Hoffentlich bleibt der Minister bei dieser Meinung, wenn es im Parlament demnächst zum Schwur kommt.

In einer von der Opposition beantragten Sachverständigenanhörung könnte sich zeigen, daß andere Elemente des FDP-Entwurfs weniger strittig sind: Soweit künftig noch Beschlagnahmen in Redaktionen möglich sind, soll wenigstens "dringender" Tatverdacht vorliegen müssen (bisher genügt "einfacher" Tatverdacht). Der Schutzbereich des Redaktionsgeheimnisses soll explizit auf Wohnungen von Journalisten erweitert werden (heutzutage arbeiten viele Journalisten zu Hause am PC). Der Richtervorbehalt soll zwingend für alle Anordnungen einer Beschlagnahme von Sachen bei Journalisten gelten.

Darüber hinaus werden Journalisten nach den Vorstellungen der FDP in den Schutzbereich des § 100h Abs. 2 Satz 1 StPO einbezogen. Das bedeutet, daß den Behörden keine Auskünfte über die Telekommunikationsverbindungsdaten von Journalisten mehr gegeben werden dürfen. Mit wem ein Journalist wann und wie lange telefoniert hat, geht den Staat grundsätzlich nichts an. Auch das gehört zu einem wirksamen Informantenschutz. Schließlich soll bei dieser Gelegenheit eine antiquierte Strafbestimmung gestrichen werden. Nach § 353d Nr. 3 StGB macht sich bisher jeder strafbar, der den Wortlaut einer Anklageschrift ganz oder in wesentlichen Teilen veröffentlicht. Diese Norm diente ursprünglich dem Schutz von Beschuldigten, hat sich aber eher zu einer Barriere entwickelt, sich kritisch mit fragwürdigen Anklagen öffentlich auseinanderzusetzen.